Bild: Jesus als Schmerzensmann in der Weinkelter (St. Petrus und Paulus, Ascona, Tessin, Schweiz).
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht“ (Joh 12,24). „Ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt“ (Joh 15,16). Ostern ist das Fest der großen Fruchtbarkeit (deshalb Osterei), nicht einer sexuellen, sondern einer seinsmäßigen spirituellen, bleibenden, übergeschlechtlichen, paradiesischen Fruchtbarkeit – jenseits der zerspaltenen, vergänglichen Zeit.
Das Paradies des ‚Ursprungs‘ geht verloren, weil der zum „Bild Gottes“ geschaffene Mensch nach der verbotenen „Frucht“ vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ greift (Gen 3,1-6). Im ‚Sündenfall‘ im ‚Paradies‘ am ‚Baum’ wählt der Mensch statt Gottes Segen den Fluch, statt der Fülle des Lebens Mangel und Tod, statt der Gottähnlichkeit („Bild Gottes“) Tierähnlichkeit (Gen 3). Jesus kehrt als neuer Adam am „grünen Holz“ des Kreuzes diese Verkehrung wieder um und lässt so den Menschen heimkehren in das durch die ‚Ursünde‘ verlorene Paradies (Lk 23,30.43). Nur im Zeichen des Kreuzes als Ausdruck des Gehorsams des Sohnes Gottes gegenüber dem Willen des Vaters und Schöpfers „bis zum Toa am Kreuz“ (Phil 2,8; vgl. Hebr 5,8) kann die Kirche die Welt segnen (gut-heißen), die bleibende Fruchtbarkeit in Fülle des neuen Adam weitergeben und so als neue Eva in der Einheit („ein Fleisch“ und „ein Geist“) des unverbrüchlichen Bundes der Liebe mit ihm (Eph 5,31f; 2 Kor 11,2) das Paradies wiederherstellen.
Die heutige Exegese bestreitet, dass es einen ‚Sündenfall‘ im ‚Paradies‘ gibt; die Ursprungs-Erzählung handelt vielmehr vom Erwachsenwerden der menschlichen Freiheit, die mit dem Griff zum Erkenntnisbaum zum moralischen Urteil befähigt wird und sich damit emanzipiert aus der ‚selbstverschuldeten Unmündigkeit‘. Das war schon das Programm der Aufklärung (18. Jh.), die den Sündenfall-Mythos entsprechend in einen Adoleszenz-Mythos umgedeutet hat.
1. Jesu Fußwaschung als Umkehr des Sündenfalls
Um den Menschen in seiner ursprünglichen Gottähnlichkeit und bleibenden Fruchtbarkeit wieder aufzurichten, muss der Hochmut der Sünde eines Weltbauens ohne Gott (vgl. Gen 11,1-9) in die Demut des Sklavendienstes Gottes am Menschen umgekehrt werden. Das neutestamentliche Symbol dafür ist Jesu ‚Fußwaschung’, sein ‚Abstieg’ zu den vom „Staub“ (Gen 3,19) der Erde unrein gewordenen ‚Füßen’ als Deutung seines eigenen Todes: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13,15).
Nach dem Alttestamentler Simone Paganini (Unzensiert, 2021, 12) umschreibt Fußwaschung des Mannes „den Geschlechtsverkehr“. vgl. 118f: „Die ‚Füße‘ sind in der hebräischen Sprache auch eine Umschreibung für die männlichen Geschlechtsteile. Was dann [in Rut 3,7] folgt, ist sehr vermutlich eine Stimulierung seines Gliedes“ (118f). Paganini weiß darüber hinaus, dass Thomas von Aquin zwar die Ansicht Augustins von einer nicht vorhandenen Libido im Paradies im Wesentlichen übernommen hat, aber noch hinzufügte, „dass der Sex zwischen Adam und Eva vor dem Sündenfall vergnüglicher und intensiver gewesen sei als nach dem fatalen Biss in die verbotenen Frucht“. Dies sei neu gewesen, „denn viele seiner Kollegen waren nämlich der Meinung, dass Adam und Eva ihre Sexualität erst nach dem Sündenfall entdeckt hätten, ja, dass die Entdeckung sogar die schlimmste Folge der Ursünde gewesen sei.“ Für den Himmel gilt dann aber auch für Thomas: „Richtigen Sex gibt es nicht. (…) Da es im Paradies aber keine Fortpflanzung braucht, werden die Geschlechtsorgane sozusagen deaktiviert“ (148).
Tatsächlich wird auch nach jüdischer Sicht das Essen vom „Erkenntnisbaum“, der wegen der „Feigenblätter“ (Gen 3,7) als Feigenbaum gilt, als Symbol für den Geschlechtsverkehr verstanden. Denn die Feige, die als ‚vierte‘ Frucht gezählt wird (Dtn 8,8), hat in ihrer Erscheinungsform viele kleine ‚Kerne’, „die den Drang zur Vielheit, zur großen Fruchtbarkeit darstellen“, so Friedrich Weinreb, und weiter: „Man sieht darum in der Tat des Menschen, vom Baum der Erkenntnis zu essen, auch die Tat des Geschlechtsaktes“ (Schöpfung im Wort, 895).
2. Die höhere Fruchtbarkeit der Auferstehung
Wenn Jesus den Feigenbaum verflucht, weil er zur ‚Unzeit‘ (außerhalb der Erntezeit) keine Frucht trägt, und er dann am nächsten Morgen „bis zu den Wurzeln verdorrt war“ (Mk 11,13f.20), dann deshalb, weil er von ihm nicht vergängliche, sondern bleibende Frucht erwartet. Der Feigenbaum wurzelt wie die menschliche Sexualität nur im zeitlichen Werden und Vergehen, Sexualität und Tod sind „Zwillinge“ (so der amerikanische Kulturanthropologe Ernest Becker). Jesus aber hungert nach der bleibenden Frucht der Liebe, weshalb er den Baum verflucht, das heißt richtet.
Fluch ist der Gegensatz des Segens des Schöpfers, den er seiner Schöpfung spendet, damit sie „sich vermehrt“. Aus dem Gebot „Seid fruchtbar und mehret euch“ (Gen 1,28) schließt Paganini: „Am Anfang erschuf Gott … den Sex“ (7). Weinreb hingegen hat gezeigt, dass „Seid fruchtbar und mehret euch“, hebr. pru urebu, in Zahlen: 80-20-6 6-200-2-6, den Zahlenwert 500 hat als Ausdruck für die bleibende Fruchtbarkeit der Auferstehung: „Dieses ‚Seid fruchtbar und mehret euch’ ist also der Weg durch die Zeit, der … von selber zu dieser 500 führt. So drückt sich auch in dem Wort ‚schöpfen’, also ‚bara’ [2-200-1], das am Ende dennoch Wiederzurückkehren in die ‚Eins’ aus, und so enthält auch schon der Namen ‚Herr’ [JHWH] das Einswerden der zwei getrennten Teile [JH-WH] – getrennt, um dem Menschen das große Glück der Einswerdung zu schenken“ (Schöpfung im Wort, 180f).
Paulus verweist in seiner Verkündigung von Christi Tod und Auferstehung auf das, was auch er „empfangen“ hat. Jesus „ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er 500 Brüdern zugleich (1 Kor 15,4-6). Das ist für die historisch-kritische Exegese rätselhaft. Auch der endzeitliche Tempel in der Vision des Ezechiel hat die Außenmaße 500 x 500 (Ez 42,20). Der ‚Satz des Pythagoras’ funktioniert in ganzen, aufeinander folgenden Zahlen nur als 3² + 4² = 5² (auch 300² + 400² = 500²). Die Zahlen 3, 30 und 300 stehen für das ‚männliche’ Prinzip, die Zahlen 4, 40 und 400 für das ‚weibliche’ Prinzip, die Zahlen 5, 50 und 500 für ihre Synthese als ‚(Gottes-)Kind-Prinzip’. Weinreb schreibt: „Die Drei, Vier und Fünf sind die einzigen direkt aufeinander folgenden ganzen Zahlen, die dies zum Ausdruck bringen können“ (Schöpfung im Wort, 53).
3. Die selbstwachsende Saat des „guten Samens“
Dass der Weg der Fruchtbarkeit ‚von selber’ zur Auferstehung führt, das sagt Jesus im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat des „guten Samens“ des Reiches Gottes im Acker der Welt (Mt 13,24-30). Der gute Same ist der „unvergängliche Samen“ von „Gottes Wort“ (1 Petr 1,23) oder „Gottes Same (griech. sperma)“ (1 Joh 3,9) im Glaubenden, der so die von Gott gewollte Frucht der Gerechtigkeit bringt. Auch Jesus und die Kirche setzen nicht die Linie der irdisch-sexuellen Fruchtbarkeit und Fortpflanzung fort, sondern die Fort-Pflanzung des Reiches Gottes in der Welt in der geistlichen Zeugungskraft und Vollmacht des Geistes, wie ja auch von Jesus der Psalmvers verstanden wird: „Mein Sohn bist du, heute habe ich (Gott) dich gezeugt“ (Ps 2,7; Apg 13,33; Hebr 1,5; 5,5).
Der Dogmatiker Kurt Anglet schreibt dazu: „Wie durch seinen (Jesu) Tod die Herrschaft des Todes gebrochen wird, so erfolgt in seiner Auferstehung die Zeugung des ewigen Lebens, die nach Ps 2,8f einhergeht mit der Konstitution der messianischen Herrschaft des Sohnes: ‚Fordere von Mir, und Ich gebe dir die Völker zum Erbe, die Enden der Erde zum Eigentum. Du wirst sie zerschlagen mit eiserner Keule, wie Krüge aus Ton wirst du sie zertrümmern.’ Nicht erst am Jüngsten Tag, sondern bereits im Zuge seiner Auferstehung setzt seine Herrschaft über die Völker ein, die im Endgericht ihre Vollendung findet“ (Der Geist und die Braut. Zur geistlichen Sendung der Kirche, 2020, 66).
4. Fruchtbare Jungfräulichkeit und Autorität
Die Zeugung des Messias in der Kraft des ewigen Geistes beginnt aber nicht erst mit der Auferstehung, sondern schon mit der „Fleischwerdung“ des ewigen Logos im Schoß der Jungfrau Maria, so dass die ‚Jungfrauengeburt‘ schon österliches Zeichen der Auferstehung ist. Der Religionsphilosoph Ferdinand Ulrich (1931–2020) schreibt in seinem letzten Buch „Virginitas foecunda. Krippe und Kreuz – Fruchtbare Jungfräulichkeit“ (2021, 7f):
„Das Wort Autorität geht auf das lat. ‚auctoritas‘ von augeo, griech. auxano zurück: ‚mehren, vermehren, heranwachsenlassen, fördern, Macht gewinnen lassen, Gedeihen schenken, erhöhen‘. Ein Mensch hat wirklich und in Wahrheit in dem Maße ‚Autorität‘, wie er imstande ist, andere, die ihm gehorchen, kraft der schöpferischen Fruchtbarkeit seiner Freiheit (und zugleich kraft der Fruchtbarkeit der Freiheit der ihm Gehorchenden, die er in seinem dienenden Tun bejahend sich voraus-setzt), seinsmäßig zu ‚mehren‘, sie ‚wachsen‘, ja ‚er-wachsen-sein‘ zu lassen, sie in wahre Selbstliebe hineinwachsen zu lassen, die immer selbst-los ist, weil sie in der gehorsamen, demütigen ‚Annahme seiner selbst‘ (R. Guardini) wurzelt. Wahre Autorität lässt im anderen die Liebe-umsonst, das Herz des Daseins, aufblühen und Frucht bringen.“ Gemeint ist ein schöpferisch dienendes Frei-geben des anderen im Geheimnis der Fruchtbarkeit seines unverfügbaren Selbstseins und dadurch seiner je tieferen Rückkehr zur Quelle seines mitmenschlichen Beziehungsreichtums“ (8).
5. Durchbruch zur kontemplativen Schau Gottes
Was Ulrich über die Autorität sagt, gilt in erster Linie von der Autorität Jesu selbst, der seinerseits ganz in der Autorität des himmlischen Vaters und Schöpfers spricht und handelt (Joh 4,34). Ulrich übernimmt von Weinreb die Deutung des Namens „Josef“ als „Er (Gott) fügt hinzu“ im Sinn der Hinzufügung der anderen jenseitigen Seite oder des „Seins“. Der Name „Josef“, des ‚Bräutigams‘ der Jungfrau Maria – Papst Franziskus hat für 2021 mit dem Schreiben „Patris corde“ ein „Jahr des heiligen Josef“ ausgerufen – kann in diesem Sinn übersetzt werden mit „Gott ist fruchtbar“, „Er macht fruchtbar“ (S. 8).
Dasselbe kann von Hiob gesagt werden: Nach seinem Durchgang durch Leiden und Tod (Todes-Meditation) wird er wiederhergestellt (Auferstehung), zeugt erneut „zehn“ Kinder und wird noch „140 Jahre“ alt (Ijob 42,16). Das heißt, zu den „70 Jahren“ (diesseitiges Leben) in der Sieben-Tage-Schöpfung kommen „70 Jahre“ (jenseitiges Leben) dazu, weil Hiobs Glauben „vom Hörensagen“ zur kontemplativen Schau Gottes durchgebrochen ist: „Jetzt aber habt mein Auge dich geschaut“ (Ijob 42,5).
Um diesen Durchbruch geht es bei der österlichen Auferstehung, wie die Szene der Erscheinung des Auferstandenen vor den Emmaus-Jüngern zeigt, wo er ihnen den (geistigen) Sinn der Schrift erschließt: „Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen? Und er legte ihnen dar, ausgehend von Mose und allen Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht“ (Lk 24,26f; vgl. 24,44-46). Dieses innere Verstehen mit ‚brennendem Herzen‘ (V.32) bedeutet eine Gesamtschau des einen Logos in der Vielzahl und Vielheit der biblischen Bücher.
6. Das im Sündenfall erblindete Auge der höheren Vernunft
Damit wird die kontemplative Vernunft wiederhergestellt, die im Sündenfall erblindet ist. Der Philosoph, Theologe und Mystiker Hugo von St. Viktor (1096–1141) hat das Bild vom „dreifachen Auge der Erkenntnis“ (oculus triplex) entwickelt: das „Auge des Fleisches“ (oculus carnis) oder die sinnlichen Augen für die sichtbare äußere Welt, das „Auge des Verstandes“ (oculus rationis) als reflektierendes Sich-selbst-Sehen für die innere Welt und das „Auge der Kontemplation“ (oculus contemplationis), dass das sinnliche und rationale Erkennen übersteigt.
„Mit diesem Auge vermag der Mensch in sich und über sich Gott und das, was in Gott ist, zu schauen. Hierbei handelt es sich jedoch um das ursprünglich angelegte Erkenntnisvermögen, nicht um die Beschreibung des tatsächlichen und gegenwärtigen Zustandes. Nur solange der Mensch alle drei Augen geöffnet hatte, war er zu dieser umfassenden Erkenntnis fähig. In der Sprache der christlichen Vorstellungswelt erklärt Hugo, dass die Sünde [Adams] den oculus contemplatonis ‚ausgelöscht’ (exstinctus) habe, so dass er ‚nichts’ (nihil) mehr sehen konnte. Auch der oculus rationis wurde beeinträchtigt. Er ist als ‚triefäugig’ (lippus) beschrieben. Dem Menschen der Gegenwart sei es hierdurch nicht mehr möglich, ein klares ‚Urteil’ (iuidicium) zu fällen. Nur der letzte Teil des dreifachen Auges, der oculus carnis des sinnlichen Sehens, blieb bis auf den heutigen Tag voll geöffnet. Da es so nicht mehr möglich ist, Gott zu schauen, bleibt es dem Christen nach Hugo nur noch übrig, an Gott zu glauben… Notwendig ist [jedoch] vielmehr die Öffnung des ‚dreifachen Auges’, die ‚reparatio’ oder ‚restauratio’ zu dem ursprünglichen erleuchteten Sehen“ (Eckhard Wolz-Gottwald, Oculus triplex – Das dreifache Auge der Erkenntnis. Über die Notwendigkeit und die Möglichkeit eines authentischen Verständnisses christlicher Mystik, in: IKaZ Communio 3/ 1994, 248-259, 249).
Dieselbe Deutung des Sündenfalls wie Hugo vertritt auch Weinreb: Mit dem Essen vom Baum der Erkenntnis öffnen sich „die zwei Augen, die wir hier haben, die Wasser-Augen, die nur durch die linke Seite … sehen können“, während sich das ‚dritte Auge’ in der ‚Mitte’ der Stirn schließt (Das Opfer in der Bibel. Näherkommen zu Gott, 2010, 624f). Die ‚linke Seite‘ steht in der biblischen Systematik für das Gericht Gottes im Gegenüber zur rechten Seite der Gnade (vgl. Mt 25,33). Von den beiden mitgekreuzigten Schächern verheißt Jesus dem reumütigen (zu seiner Rechten): „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43), wobei das Kreuz das „grüne Holz“ (V.31) oder der neue „Baum des (ewigen) Leben“ ist mit der Eucharistie als seiner Frucht (Offb 2,7).
7. Das Kreuz als der wahre Baum des Lebens
Seit dem Philosophen und Märtyrer Justin (2. Jh.) versteht die christliche Tradition das Kreuz als Baum des ewigen Lebens im Paradies der Kirche. Bei dem Frühscholastiker Johannes von Salisbury (12. Jh.) heißt es zum zwei-einen Baum des Wissens und des Lebens, die göttliche Gnade habe ihn unbeschädigt aus dem Paradies herausgerissen „und auf die Erde unserer Pilgerschaft gebracht; sie hat ihn in der Mitte der Kirche gepflanzt, so dass die Kirche durch das Wissen erleuchtet, durch die Tugend gestärkt wird und in der reichen Barmherzigkeit Gottes jubelt, so dass ‚ihre Freude vollkommen ist‘ (Joh 15,11)“ (zit. nach Emmeran Kränkl, Glaube und Vernunft, Christliche Philosophen aus zwei Jahrtausenden, 2018, 101).
Ähnlich sagt auch schon der Kirchenvater Gregor von Nyssa in seiner Auslegung des Hohen Liedes: „Weil Er (Christus) selbst es ist, der am Anfang im Paradies den Garten der menschlichen Natur bestellte, die der himmlische Vater gepflanzt, darum stieg er, als der wilde Eber [Teufel] unseren Garten verwüstet und die göttliche Pflanzung geschändet, herab, um die Wüste wieder zum Garten zu machen durch die Zier der Tugend-Gewächse“ (Der versiegelte Quell). Auch der Exeget, Mystiker und Benediktinerabt Rupert von Deutz (um 1070–1129) führt in seinem Kommentar zum Hohenlied der Liebe aus: „Christus selbst ist der Baum des Lebens im neuen Paradies [der Kirche], von dessen Früchte die Gläubigen essen dürfen, die heilige Eucharistie, die vor dem Tod bewahrt.“
In einem liturgischen Lobpreis des Kreuzes am 3. Fastensonntag (Kreuzverehrung) in der Mitte der 40-tägigen Fastenzeit in der Ostkirche heißt es: „Sei gegrüßt, lebentragendes Kreuz, blühendes Paradies der Kirche, Holz der Unverweslichkeit, das Du uns hervorblühen ließest den Genuss der ewigen Herrlichkeit ...“ (Griechisches Stichiron 2); und ein anderer Text besingt das Kreuz als „Tor des Paradieses, Stütze der Gläubigen, Schutzmauer der Kirche, … Hafen der Errettung“ (Holger Kaffka, „Die Schädelstätte wurde zum Paradies“. Das Kreuz im orthodoxen Gottesdienst der byzantinischen und slawischen Tradition, 1995, 161).
8. Die innere Öffnung der Augen des Herzens für Gott
Papst Benedikt XVI. hat in seiner Predigt am Palmsonntag 2007 daran erinnert, dass in der früheren Tor-Liturgie im Anschluss an den Prozessionspsalm 24 (innerer Aufstieg zum Tempelberg als Bild der „wahren Höhe“) der Priester mit dem Vortragekreuz an die verschlossene Kirchentür pochte: „Mit dem Kreuz hat Jesus die Tür Gottes, die Tür zwischen Gott und Mensch aufgestoßen. Sie steht offen. Aber der Herr klopft mit seinem Kreuz auch umgekehrt an die Türen dieser Welt, an die Türen unserer Herzen, die so oft und so weithin für Gott verschlossen sind. Und er sagt uns gleichsam: … sieh, dass ich leide um dich, und tu dich auf für mich, deinen Herrn und deinen Gott.“
Wie ernst es Gott mit seiner ewigen Liebe zum Menschen meint, offenbart Christus in seiner Liebeshingabe am Kreuz, wo er sich für die Rettung der Welt ‚durchbohren‘ lässt, damit so der unversiegliche Quell der Gnade und des ewigen Lebens die Erde wieder mit der Fülle von Gottes Segen befruchtet und so in Gestalt seiner „makellosen, reinen Braut-Kirche zum neuen Paradies macht: „Einer der Soldaten stieß mit der Lanze in seine Seite, und sogleich floss Blut (= Eucharistie) und Wasser (= Taufe) heraus. Und der, der es gesehen hat, hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr. (…) Denn das ist geschehen, damit sich das Schriftwort erfüllt: Man soll an ihm kein Gebein zerbrechen (Ex 24,46). Und ein anderes Schriftwort sagt: Sie werden auf den blicken (schauen), den sie durchbohrt haben“ (Sach 12,10; Joh 19,34-37).
Beim Propheten Sacharja heißt es auch: „An jenem Tag wird für das Haus David und für die Einwohner Jerusalems eine Quelle fließen zur Reinigung von Sünde und Unreinheit“ (Sach 13,1). Dieser von Sünde und Unreinheit reinigende Quell ist die geöffnete Seite des Erlösers, der beim „letzten Tag“ (achten Tag) des Laubhüttenfestes ausruft: „Wer Durst hat, kommen zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war“ (Joh 7,37-39).
9. Die Ausgießung des fruchtbringenden Geistes am Kreuz
Am Kreuz erhöht ist Jesus verherrlicht, haucht er seinen Geist aus (Joh 19,30), wörtlich: er ‚überliefert‘ ihn, so wie er ihn dann als Auferstandener am „50. Tag“ (Pfingsten) „über alles Fleische“ ausgießt: „Eure Söhne und Töchter werden Propheten sein, eure jungen Männer werden Visionen haben, und eure Alten werden Träume haben“ (Apg 2,17f; Joel 3,1-5).
Dieser Heilige Geist der Sündenvergebung macht aus dem verhärteten „Herz aus Stein“ wieder ein „Herz aus Fleisch“, wie es beim Propheten Ezechiel heißt: „Ich (Gott) gieße reines Wasser über euch aus, dann werdet ihr rein. (…) Ich lege meinen Geist in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Gebote achtet und sie erfüllt“ (Ez 36,25-27). In seiner Vision vom endzeitlichen Tempel schaut der Prophet, wie sich unter dem Osttor des Gotteshauses eine lebensspendende Quelle öffnet (Ez 47,1-12); so wird das „verödete Land … wie der Garten Eden“ (Ez 36,35).
Die Reinigung, Erleuchtung und Einigung des gläubigen Herzens mit dem einwohnenden Christus (Eph 3,17) ist der Sinn der Kreuzesnachfolge. Darin hat die Tradition auch immer den Kern der christlichen Mystik gesehen. Diese Reinigung durch das Kreuz beginnt mit der Demutsgeste des „Herrn und Meisters“ bei der Fußwaschung, die die Kirche am Gründonnerstag übernimmt, wenn der Bischof oder ein Priester die Füße von Priestern oder Gläubigen wäscht als Auftakt der Feier vom „Leiden und Sterben, von der Grabesruhe und von der Auferstehung des Herrn“.
Die Kirche übernimmt die Geste der Reinigung in anderer Weise auch beim Auflegen des Aschenkreuzes auf Stirn und Haupt am Aschermittwoch als Eröffnung der 40-tägigen Bußzeit für alle Gläubigen in Erinnerung an das Wort am Ende des Sündenfalls: „Denn Staub bis du …“ (Gen 3,19). Buße und Sündenvergebung als Reinigung von den Sünden zielt auf die bleibende himmlische, ‚übergeschlechtliche’ Fruchtbarkeit des Paradieses: „Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er [der Vater als Winzer] ab, und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt“ (Joh 15,2).
10. Das Kommen der endzeitlichen Gottesherrschaft
Der Bischof von Poitiers, Venantius Fortunatus (gest. nach 600), dichtet in seinem berühmten Kreuz-Hymnus „Vexilla regis prodeunt“ (Des Königs Siegeszeichen naht), der Baum des Kreuzes ist „überreich beglückt mit Frucht“. Der Benediktiner Gerhard Voss erklärt zu den acht Strophen des Hymnus:
„In der ersten Hälfte des Hymnus wird der Gekreuzigte, in der zweiten Hälfte wird das Kreuz besungen. Dem königlichen Herrschen (regnavit) des Gekreuzigten ‚vom Holz’ (am Ende der vierten Strophe) entspricht (in der 5. Strophe) der Purpur des Königs (regis), mit dem der Baum des Kreuzes geschmückt ist. Auch die übrigen Strophen sind von der Mitte her einander gegenläufig zugeordnet. Grammatikalisch ist der tragende Begriff des ersten Teiles mysterium = ‚Geheimnis’. (…) Die 3. Strophe erschließt im Blick auf die von einer Lanze geöffnete Seite des Gekreuzigten die Heilsbedeutung des Kreuzes. Die 4. Strophe schließt den ersten Teil damit ab, dass sie im Aufleuchten, in der Offenbarung des Kreuzgeheimnisses eine Erfüllung alttestamentlicher Prophetie besingt, die allen Völkern gilt. (…) Während … die Aussagen der 3. Strophe ‚uns’ betreffen, wird in der 6. Strophe das saeculum ins Auge gefasst. Saeculum ist Übersetzung des griechischen aion und wird wie dieses oft identisch mit ‚Welt’ (mundus, kosmos) gebraucht, hat jedoch sehr viel stärker eine zeitliche Komponente: Weltzeit. Die Grundbedeutung von saeculum (etymologisch verwandt mit sexus) ist die Generationenfolge“ (Musik des Weltalls wiederentdecken, 1996, 181f).
Jesus hat das „Reich Gottes“ oder die Gottesherrschaft verkündet, um dessen Kommen die Christenheit seither betet: Adveniat regnum tuum. Das „von Alters her in den Schriften“ verheißene eschatologische Reich Gottes als Vollendung des Menschen und der Welt ist zwar – so das Zweite Vatikanische Konzil – zukünftig und jenseitig; aber es wird doch auch schon jetzt „offenbar in der Person Christi selbst, des Sohnes Gottes und des Menschensohnes, der gekommen ist, ‚um zu dienen und sein Leben [am Kreuz] als Lösegeld hinzugeben für die Vielen’ (Mk 10,45; Lumen gentium 5). Gottes Königreich als wiederhergestelltes Paradies „leuchtet im Wort, im Werk und in der Gegenwart Christi den Menschen auf. Denn das Wort des Herrn ist gleich einem Samen, der auf dem Acker gesät wird (Mk 4,14): die es im Glauben hören und der kleinen Herde Christi (Lk 12,32) beigezählt werden, haben das Reich selbst angenommen; aus eigener Kraft sprosst dann der Same und wächst bis zur Zeit der Ernte“ (LG 5).
11. Der Garten Eden als Einheit von Sein und Werden
Die bleibende Fruchtbarkeit kommt auch im Wort Eden, 70-4-50, zum Ausdruck, wie Weinreb erklärt: „Das Wort Eden ist aus zwei typischen Vielheitszahlen aufgebaut: der 70 als der Vielheit beim Menschen…, die sich in der Teilung in die sieben Tage der Welt ausdrückt, und der 4 als Zahl der weitesten Entwicklung, als Zahl, die als Basis für die 40 und die 400 dient und dadurch auch für die 10 [= 1 + 2 + 3 + 4] und die 100 und die 1000. Schließlich läuft das Wort Eden ebenfalls auf die 50 der kommenden Welt hinaus, des kommenden achten Tages, des Tages, der über den erfüllten siebten Tag, über die 49 hinausführt. (…) ‚Eden’ ist also der Übergang dieser Welt der Vielheit in die kommende Welt, in die Welt der 50, in die Welt des achten Tages. (…) Und im Garten Eden wird insbesondere durch den Menschen die Zweiheit bearbeitet, um sie zur Einheit zu bringen und auf dem Weg zur Einheit zu behüten und zu bewahren. (…) Durch die Nun [= 50] am Ende [des Wortes] wird angezeigt, dass sie [die Orte] auch schon im achten Tag, in der kommenden Welt, sind“ (Schöpfung im Wort, 377f).
Der Begriff Eden (70-4-50) bedeutet so die Verbindung von Wachstum in der Welt (4) in Vielheit (70) mit der Einheit der kommenden Welt (50), das heißt von Werden und Sein, von Zeit und Ewigkeit. Wachstum (hebr. zemach, 90-40-8 = 138), eigentlich der Pflanze, ist im Alten Testament auch ein Name des Messias und der Erlösung: „Wenn der Erlöser seinen Namen erhält, ist es der Name ‚zemach’. Bei den Propheten wird der Erlöser so genannt und man übersetzt dann mit ‚Spross’. Er wird auch ‚menachem’, 40-50-8-40, genannt, ‚Tröster’. Bei Jesaja ist er der ‚zemach’, der ‚menachem’ heißt. Beide Namen haben denselben Zahlenwert: Hundertachtunddreißig, nennen also dasselbe. Sobald die Pflanze zu wachsen beginnt, ist der Erlöser da. Wo zuerst Chaos ist, dort zeigt sich, sobald dieser Spross erscheint, Entwicklung, also eigentlich Vielheit und Abweichung. Und doch sagst du: Nein, es ist der Tröster!“ (Das Opfer in der Bibel, 224).
Menachem hat auch mit Mendel als Verkleinerungsform von Mandel zu tun, hebr. schaked, was auch ‚sich beeilen’ bedeutet, denn „der Mandelbaum beeilt sich mit Blüte und Frucht, wie sich der Tröster eilt zu kommen“. Der Mandelbaum blüht als erster noch im Winter und ist daher Symbol der Auferstehung (Zum messianischen Spross aus dem Geschlecht Davids vgl. Jer 23,5; Jes 9,5f; 11,1.10).
12. Der Heilige Geist als „Tröster“ und Arzt
Im Johannesevangelium verheißt Jesus, dass er nach seinem Heimgang den Vater bitten wird, „einen anderen Tröster (zu) geben, der für immer bei euch bleiben wird“ (Joh 14,16): den Heiligen Geist, den ‚Herbeigerufenen’ (Paraklet), den „Geist der Wahrheit“, der „euch alles lehren“ und „euch an alles erinnern“ und so für Jesus „Zeugnis ablegen“ wird (Joh 14,26; 15,26). Der Geist kann aber nur kommen, wenn und weil Jesus ‚geht’, das heißt stirbt (Joh 16,7). In den drei österlichen Initiations-Sakramenten Taufe (Glaube), Firmung (Hoffnung) und Eucharistie (Liebe), die in der Ostkirche zusammen als Einheit gespendet werden, empfängt der Gläubige den Geist der Heiligung und Heilung.
In der Christmation genannten ostkirchlichen Firmung erhält der Christ „eine zweite Salbung mit dem heiligen Chrisam“, was „die Taufsalbung gewissermaßen ‚konfirmiert’ (bekräftigt) und vollendet“ (Günter Spitzing, Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole, 242-244: Mysterien, 243). In der Antike und im Mittelalter galt das Salböl, das Symbol des Geistes, vor allem als Medizin. In der Ostkirche wird daher der mit der Salbe bezeichnete Geist nicht nur als ‚Rechtsbeistand‘ (Paraklet) und ‚Fürsprecher‘, sondern vor allem als ‚ärztlicher‘ Beistand gedeutet. Dies tritt besonders sinnfällig bei der Krankensalbung in Erscheinung, die als „universelles Heilverfahren“ verstanden wird: „Als Mysterum hilft die Salbung dem Sterbenden zum Leben im Paradies; es heilt den Erkrankten und lässt und seelisch Leidenden gesunden...“ (ebd.).
Auch Jesus erweist sich erhöht am Kreuz als Arzt beziehungsweise als heilende „Schlange“. Joh 3,14 identifiziert die ‚Erhöhung’ Jesu am Kreuz mit der Erhöhung der Schlange an der Fahnenstange durch Mose, deren Anblick die von Schlangen tödlich gebissenen Israeliten heilt (Num 21,8f). Bertram Meier (heute Bischof von Augsburg) bemerkt dazu: „Sind nicht die Schlange an der Fahnenstange und der Christus am Kreuz ein siegreich aufgerichteter Äskulapstab? ‚Ich bin Jahwe’, dein Arzt’, sagt schon der Gott des Alten Bundes (Ex 15,26). Jesus selbst sieht sich als Arzt… Im Blick auf den Gekreuzigten begegnet uns der Arzt. (…) Dem Äskulapstab der Ärzte und Apotheker vertraut sich jeder an. Vor dem Äskulapstab der Kirche haben wir Scheu. Dem Bußsakrament gehen wird aus dem Weg. (…) Wie die Menschen auf die erhöhte Schlange schauten und geheilt wurden, so sollen wir auf den Gekreuzigten schauen: in dem sich das Ja Gottes verwirklicht; der für uns zur Sünde wurde; der uns als Arzt Heilung verspricht. Das Kreuz ist unser Äskulapstab. Der Gekreuzigte ist unser Arzt. Er hat immer Sprechstunde“ (Lebensbaum nicht Marterpfahl,1996, 35).
13. Der Heilige Geist schenkt geistliches Wachstum
Mit der Heilung und Heiligung schenk der Heilige Geist auch geistliches Wachstum und bleibende Fruchtbarkeit. Dazu verbindet er die irdische Kirche mit der himmlischen, das Sichtbare mit dem Unsichtbaren, das Erscheinende mit dem Wesentlichen und erneuert so auch die eine sakramentale Welt-Sprache an Pfingsten zur Kommunikation mit Gott durch die sakramentale und universalen Welt-Kirche als Sprach-Bau und ‚Haus des Gebets‘. Der russisch-orthodoxe Theologe Paul Evdokimov schreibt: „Der Rhythmus der Liturgie stellt sich so zwischen Fleischwerdung [erste Ankunft] und Wiederkunft und schreitet von der Anamnese zur Epiklese [Herabrufung des Heiligen Geistes], von der Auffahrt des ersten Trösters – dem Christus, dem großen Vorläufer [des Heiligen Geistes], zur Herabkunft des zweiten Trösters – dem Heiligen Geist am Pfingsttag“ (Das Gebet der Ostkriche, 33f).
Das Haus des Gebets als Kommunikation mit Gott auf dem ‚Felsen’ des Glaubens Petri, das in der Zeit und mit der Zeit nicht untergeht (Mt 16,18), ist zugleich als (Sprach-)Körper erbaut „im Geist zu einer Wohnung Gottes“ mit einem organischen Wachstum, denn er „wächst zu einem heiligen Tempel im Herrn“ (Eph 2,20-22). Das heißt, das Wachstum des Gotteshauses des Gebets in der Zeit geschieht auf dem Grund des ewigen Seins, des Wortes Gottes, das nicht vergeht (Mt 5,18). Ebenso wächst auch der zu bebauende Gottesgarten Eden (Wonne) und bringt Frucht in der Zeit, aber gründend im ewigen Sein (Baum des Lebens).
Als achtes Schöpfungswerk und „Bild Gottes“ hat der Mensch als geist-leibliches, männlich-weibliches Wesen ursprünglich die Stellung des zusammenfassenden Mittlers des Bundes zwischen Gott und Welt. „Wie Symeon von Thessaloniki († 1429) betont, hat Gottes Sohn die menschliche Natur angenommen, weil die Welt für den Menschen geschaffen wurde und dieser, als Geist und Materie zugleich, die gesamte Schöpfung vertritt“ (Rainer Schwindt, Der Gesang der Engel. Theologie und Kulturgeschichte des himmlischen Gottesdienstes, 2018, 182). Ähnlich sagt der Katholische Katechismus der Kirche: „Der Mensch nimmt in der Schöpfung eine einzigartige Stellung ein: er ist ‚nach Gottes Bild’ geschaffen (I); in seiner Natur vereint er die geistige mit der materiellen Welt (II); er ist „als Mann und Frau“ geschaffen (III); Gott hat ihn zu seinem Freund gemacht (IV)“ (Nr. 355, vgl. 366).
14. Der Sündenfall als Bruch des Bundes Gottes
Auch für die jüdische Tradition ist das Bedeutsame des Menschen, „dass er der Stellvertreter im Äußersten [der Materie] ist und dass er dieses Äußerste nur durch sein Tun zurückbringen kann“ zum Ursprung bei Gott (Weinreb, Das Opfer in der Bibel, 583). Wie die Welt einem großen Menschen gleicht, einem Weltleib mit einer Weltseele (Makroanthropos), so ist der Mensch eine Welt im Kleinen (Mikrokosmos). Dieser königlichen und priesterlichen Mittlerstellung wird der Mensch aber nicht gerecht, wenn er den Bund in der ‚Ursünde’ bricht. Beim Propheten Hosea heißt es über das treulose Gottesvolk Israel: „Sie haben bei Adam den Bund übertreten, dort haben sie mir die Treue gebrochen“ (Hos 6,7).
Wie Adam wird auch Israel in Dtn 30,15-20 vor die entscheidende Wahl zwischen einem Leben mit Gott, der im gläubigen und liebenden Herzen einwohnt, und dem Tod ohne Gott gestellt. Der Dogmatiker Willibald Sandler sieht darin eine „Verdichtung von Israels Bundeserfahrung“ und zugleich „verblüffende Bezüge zum Paradiesgebot“: „Das Paradies entspricht dann dem gelobten Land; Adam und Eva stehen für Israel; und das Paradiesgebot entspricht dem göttlichen Bundesgesetz, auf das Israel ‚heute’ verpflichtet wird. Wenn Adam und Eva ihr Herz von Gott abwenden und sich verführen lassen – von der Schlange, die hier offenbar mit dem Götzendienst zusammenhängt –, dann werden sie ‚ausgetilgt werden’ und ‚nicht lange in dem Land leben’. Leben und Tod liegen somit vor Adam, ebenso wie Segen und Fluch“ (Der verbotene Baum des Paradieses. Was es mit dem Sündenfall auf sich hat, Kevelaer 2009, 91).
Auch der Jesuit und Alttestamentler Norbert Lohfink deutet den Sündenfall als Bundesbruch: „Auch die Sündenfallerzählung des Jahwisten in Gen 2 und 3 wird heimlich von der Bundestradition bestimmt. Das ist erstaunlich, denn auch für den Jahwisten ist der Gottesbund ausschließliches Gut des Volkes Israel“ mit einem „Vorspiel im Abrahamsbund“; die Erzählung wäre so, wie sie „jetzt gestaltet ist, ohne die Bundestheologie Israels nicht möglich“ (Theologischen Hintergrund der Genesiserzählung vom Sündenfall, in: Karl Forster, Realität und Wirksamkeit des Bösen, 1965, 79f).
15. Vom Abrahamsbund zum neuen und ewigen Bund im Blut Jesu
Für Lohfink besteht eine Parallele zwischen Israels Erwählung „außerhalb des Landes Kanaan“, den auferlegten Geboten Gottes als Bedingung des Bundes mit dem „Bundeskult“, der „Leben“ schenkt, und der Androhung von ‚Fluch’, ‚Vertreibung’ und ‚Sterben’ bei Gebotsübertretung mit den entsprechenden Aussagen in Gen 2 und 3: „Die Sünde Israels erscheint in dieser Aussagenreihe als … Bundesbruch. Jedes Übel, das Israel treffen kann, ist Folge des Bundesbruches. Aus der Bundestreue dagegen folgt das Leben-können im Lande, das heißt im Raum des Segens“ (80f).
Dabei ist der Segen für Israel bei bestehender Bundestreue kein exklusiver, sondern er ist „im geschichtstheologischen Horizont des Jahwisten … universal“, weil er schon mit dem „universalen Völkersegen“ durch Abraham, den „Vater vieler Völker“ (Gen 17,5; vgl. Röm 4,13-17), beginnt: „Allein deshalb, weil Israel zum Segen für alle Völker werden soll, hat der Jahwist vor seine Geschichte Israels eine universalmenschheitliche Urgeschichte gebaut“ (86). Mit der „Sünde der Stammeltern“ als „Anfang der universalen Menschheitsgeschichte“ kam „die Sünde in die Welt…, und durch sie ihre Konsequenz: Aussetzung der Menschheit in die Fluchsphäre des Todes. Paulus hat diese Aussageabsicht in Röm 5 durchaus richtig verstanden“ (86f).
Wegen der Sünde als Bundesbruch „stehen die anderen Völker der Welt im Dunkel des Fluches“, was Gott nicht angelastet werden kann: „Gott ist von Anfang an am Werk, in diese dem Fluch sich ausliefernde Welt nun doch den Segen hineinzubringen. (…) ‚Nicht Gott ist schuld, sondern der Mensch’ – das ist die erste Form der Theodizee, der ‚Nachweis der Unschuld Gottes’. Der ‚Beweis des Gegenteils’ zeigt auf, dass Gott nicht nur am Dunkel der Schöpfung unschuldig ist, sondern dass er sogar ständig daran arbeitet, Licht in sie hineinzubringen. (…) Israel ist nur der Brückenkopf, von dem aus Jahwes Segen die ganze Schöpfung erobern will“ (88). Abraham erhält die Verheißung: „In dir werden alle Heiden [= Völker] gesegnet sein“ (Gal 3,8; vgl. Gen 12,3; 18,18). Dieser Segen der Völker kommt in Jesu Blut des neuen und ewigen Bundes (Mt 26,28; Ex 24,8) zu allen, die glauben: „Er (Gott) hat uns mit allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im Himmel“ (Eph 1,3)
16. Die Weisheit von oben als „Sehen Gottes“
Jesus verweist in der Auseinandersetzung mit den „Juden“, die sich als „Kinder Abrahams“ verstehen, auf Abrahams Jubel, „weil er meinen Tag sehen sollte“ (Joh 8,56). Nicht die Kinder „dem Fleisch nach“ sind die wahren Kinder Abrahams und „Kinder der Verheißung“, sondern die „dem Geist nach“ wie Isaak, „der kraft des Geistes gezeugt war“ (Gal 3,28f). Abraham hat im Alter von ‚137 Jahren‘ (vgl. Sarahs Tod mit 127: Gen 23,1) den ‚37-jährigen‘ Isaak auf dem Berg Mori-jah (Gott ist mein Lehrer) als Erweis seiner „Gottesfurcht“ dargebracht (Gen 22,12). Gottesfurcht ist der Anfang der Weisheit und bedeutet „Gott sehen“: „Abraham nannte jenen Ort Jahwe-Jire (Der Herr sieht)“ (Gen 22,14).
Der Hebräerbrief versteht die Opferung (Bindung) Isaaks als Sinnbild und Vorausbild für Tod und Auferstehung Jesu: „Er verließ sich darauf, dass Gott sogar die Macht hat, Tote zum Leben zu erwecken“ (Hebr 11,17-19). Das Leben, das Israel und zuvor schon Adam wählen soll, ist das ewige Leben mit und bei Gott. Das Paradies ist wesentlich Ort der Hoffnung, die verwurzelt und ‚verankert’ ist in der unsichtbaren oberen Welt (Hebr 6,18f), weil sie himmlische Maßstäbe hat. Die Völker der Heiden, die mit ihren irdischen Maßstäben „von dem Bund der Verheißung ausgeschlossen“ waren und „keine Hoffnung“ hatten, haben durch Christi Kreuz Zugang zum Gottesbund Israels, damit „beide in dem einen Geist Zugang zum Vater (haben): Ihr seid also jetzt nicht mehr Fremde ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2,12-19). Ihre Maßstäbe sind nicht mehr bloß weltliche, sondern sie haben im Glauben wieder Maßstäbe der wahren Hoffnung: „In der Liebe verwurzelt und auf sie gegründet, sollt ihr zusammen mit allen Heiligen dazu fähig sein, die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die alle Erkenntnis übersteigt“ (Eph 5,17f).Der Jakobusbrief unterscheidet „die irdische, eigennützige, teuflische Weisheit“ von der „Weisheit, die von oben kommt“: „Die Weisheit von oben ist erstens heilig, sodann friedlich, freundlich, gehorsam, voll Erbarmen und reich an guten Früchten… Wo Frieden herrscht, wird (von Gott) für die Menschen, die Frieden stiften, die Saat der Gerechtigkeit ausgestreut“ (Jak 3,15-18).
17. Das Grün des Paradieses als Farbe der Hoffnung
Weinreb zufolge hat das Paradies eine Kreuzgestalt mit dem Grün der Hoffnung im Zentrum. Das Grüne der Gegenwart Gottes in der Mitte vereint das Gelb der Herkunft (Osten) und das Blau der Zukunft (Westen), ebenso das Rot des Körpers (Norden) und das Weiß des Geistes (Süden): „Dort im Zentrum trifft sich alles. Dort ist auch der Garten. Dort sind auch die beiden Bäume. Das Paradies ist die Kreuzung der Wege. Zukunft und Vergangenheit vereinen sich dort: Irdisches und Himmlisches“ (Legende von den beiden Bäumen, 106).
Hoffnung gibt es, weil durch das ‚Sammeln’ der ‚Wasser der Zeit’ (in der Liturgie) das ‚Trockene’ der Erde sichtbar wird, so wie nach der Sintflut Noah die Geist-Taube dreimal auffliegen lässt, die zum Zeichen für das nicht mehr bedeckte Land einen „frischen (grünen) Ölzweig“ im Schnabel mitbringt (Gen 8,6-12). Die rettenden Arche Noah mit den acht Geretteten ist ein Bild der Kirche und die Sintflut ein Bild der Taufe (1 Petr 3,20f; 2 Petr 2,4f). Die Arche als ein „winziges Holz“ ist aber auch ein Bild des Kreuzes: „So hat auch in der Urzeit … die Hoffnung der Welt sich auf ein Floß geflüchtet und, durch deine Hand gesteuert, der Welt den Samen eines neuen Geschlechtes hinterlassen. Denn Segen ruht auf dem Holz, durch das Gerechtigkeit geschieht“ (Weish 14,5-7).
Die vollkommene Gerechtigkeit geschieht durch die Liebeshingabe des Sohnes Gottes am ‚grünen Holz‘ des Kreuzes, das deshalb das Zeichen des göttlichen Segens zur neuen Fruchtbarkeit im Garten der Kirche ist. Der Garten Eden ist Urbild und Vorausbild der heiligen Kirche, die den Menschen wieder durch den Glauben im Sein verwurzelt sein lässt. Erst so ‚wohnt’ er überhaupt auf der Erde unter dem Himmel in ‚guter Hoffnung’ und ist nicht beständig ‚flüchtig’ und ‚unstet’, „rastlos und ruhelos“ wie der Brudermörder Kain (Gen 4,14) im „Taumel der Begierde“ (Weish 4,12). Kain, der Ackerbauer (‚Diener der Erde‘), erschlägt den jüngeren Bruder und Hirten Abel (‚Windhauch‘), weil Gott sein Opfer der Früchte des Feldes nicht annimmt, das Opfer Abels aber wohl; denn Abel versinnbild die göttliche Geistseele Neschama, Kain den sterblichen Körper. „Die Seele kann den Entwicklungskräften nicht dienen. Sie stammt aus der Welt, wo es keine Gegensätze gibt. (…) Abel, die Seele, der Letzte, der Jüngste also, führt den Leib. Und wozu? Die Antwort ist sehr klar: Um ihn Gott näherzubringen, ihn als ‚korban‘ [= Opfer] zu bringen“ (Weinreb, Schöpfung im Wort, 407).
Im Weltkatechismus heißt es zu den drei Geist-Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe (KKK 1812–1821): „Die menschlichen Tugenden wurzeln in den [drei] göttlichen Tugenden, welche den menschlichen Fähigkeiten die Teilnahme an der göttlichen Natur ermöglichen. (…) Die göttlichen Tugenden sind Grundlage, Seele und Kennzeichen des sittlichen Handelns des Christen. Sie gestalten und beleben alle sittlichen Tugenden. (…) Die Hoffnung ist jene göttliche Tugend, durch die wir uns nach dem Himmelreich und dem ewigen Leben als unserem Glück sehnen… Die Tugend der Hoffnung entspricht dem Verlangen nach Glück, das Gott in das Herz jedes Menschen gelegt hat. (…) Die christliche Hoffnung übernimmt und erfüllt die Hoffnung des auserwählten Volkes, die ihren Ursprung und ihr Vorbild in der Hoffnung Abrahams hat. (…) Die Seligpreisungen [Jesu] richten unsere Hoffnung auf den Himmel als das neue verheißene Land. (…) Wir dürfen also die Herrlichkeit des Himmels erhoffen, die Gott denen verheißen hat, die ihn lieben und seinen Willen tun.“
18. Das Paradies als Vorausbild der Kirche
Rupert von Deutz sagt: „Schon vom Anfang her ist das Paradies gepflanzt; denn wie jeder weiß, ist die katholische Kirche von Christus, dem Anfang aller Dinge (principium omnium), gegründet worden.“ Nach dem Jesuiten und Konzilstheologen Friedrich Wulf sind „die Stellen, an denen die Kirche ein Paradies genannt wird, … überaus zahlreich“; so besteht eine „kontinuierliche Linie vom ursprünglichen Paradies über das Paradies der Kirche bis zum endgültigen Paradies. (…) Das ist der Sinn aller Askese: die paradiesische Ordnung in Christus wieder zu erneuern“ (Geistliches Leben in der heutigen Welt, 25-32).
Wie für die Kirchenväter der Erste Adam im Paradies nach dem Urbild und Gleichnis des letzten Adam Christus geschaffen wurde, so auch war das eigentliche Paradies die Kirche, während „das irdische Paradies nur ein Vorläufiges“ oder Vorausbild war. Im „Kreuz“ ist der paradiesische „Baum des Lebens“ wiederhergestellt, woran Jesus allen Anteil gibt, die mit ihm österlich „siegen“ (Offb 2,7), die durchbrechen zum Sein als Liebe.
Dieses Sein der Liebe charakterisiert das Paradies als Ort großer Fruchtbarkeit, nicht in einem sexuellen (vergänglichen) Sinn, sondern im Sinn einer spirituellen, „jungfräulichen“ oder bleibenden Fruchtbarkeit. Durch Taufe und Eucharistie stellt Jesus als neuer Adam mit seiner Kirche als neuer Eva diese Fruchtbarkeit des ewigen Lebens wieder her. So lässt er alle getauften Gläubigen, die schon in ihm als neuem Adam „einer“ sind (Gal 3,28), in der Einheit weiter wachsen „in der Erkenntnis des Sohnes Gottes“, bis sie „zum vollkommenen Menschen werden“, „zur vollen Mannesreife, zum Altersmaß der Fülle Christi“ (Eph 4,13) als Einheit von Haupt und Leib (Kirche). Denn mit seiner durch seine Hingabe aus Liebe erworbenen reinen, „heiligen und makellosen“ Kirche als Braut ist Jesus eucharistisch „ein Fleisch“ (Eph 5,27-31), so wie der Erste Adam im Paradies mit der Ersten Eva „ein Fleisch“ sein sollte (Gen 2,24).
19. Die Inkarnation als Erfüllung der Verheißungen Gottes
Vorgebildet ist dieses Ein-Fleisch-und-ein-Geist-Sein (vgl. Eph 4,4) in der „Fleischwerdung“ des ewigen Sohnes Gottes im jungfräulichen Schoß Marias, die so zur „Miturheberin der Eucharistie“ wird: „Christus hat seinen menschlichen Leib aus ihr geformt. Weil dieser Leib gleichzeitig der als Brot und Wein genossene eucharistische Leib ist und Maria ihn in sich getragen hat (Platytera), gilt sie als Miturheberin der Eucharistie…“ (Spitzing, Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole, 226). Ähnlich sagt der Bischof und Kirchenlehrer Hilarius von Poitiers (4. Jh.): „Das aus Maria geborene Fleisch, das vom Heiligen Geist kommt, ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist.“ Jesus ist die „Frucht“ des Leibes Mariens, wie es im „Gegrüßet seist du Maria“ heißt. Mit seinem Gruß erbittet der vom Himmel herabkommende „Engel des Herrn“ das Ja-Wort zur ‚hochzeitlichen‘ Fleischwerdung des Ja-Wortes Gottes. Denn Jesus ist „das Ja zu allem, was Gott verheißen hat“ (2 Kor 1,20).
Die erste Verheißung ist die Schöpfung selbst. Denn sie enthält Gottes Gutheißung und Segen zur bleibenden Fruchtbarkeit in Gottes ewiger Liebe. Deshalb ist die erste Schöpfungserzählung erster Lesungstext in der Feier der Osternacht (Taufnacht), wo durch dreimaliges Eintauchen der brennenden, am Osterfeuer entzündeten Osterkerze in das Taufbecken das Wasser zur Taufe gesegnet und befruchtet wird. So wird die nach ihrem Urbild Maria gebildete Kirche zur jungfräulichen Mutter, um in der Taufe „Kinder des Lichts“ gebären zu können, die als Erleuchtete im Licht wandeln: „Das Licht bringt lauter Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit hervor“ (Eph 5,8f), auch lauter „Heiligkeit“; denn die Getauften sind „nach dem Bild Gottes geschaffen in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ zum „neuen Menschen“ (Eph 4,24).
20. Vom Dialog der ersten Eva zum Dialog der neue Eva
Zwischen dieser Erlösung von der das Gottesbild entstellenden Sünde und der ‚Hässlichkeit’ des Todes und der ersten „sehr guten“ Schöpfung (Gen 1,31) liegt der ‚Sündenfall’: Eva lässt sich vom Lügen-Wort des ‚gefallenen Engels’ im Symbol der Schlange zum Zwei-fel verführen („Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“) und dann zum falschen Glauben, um durch das Essen der „Frucht“ vom „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ in der einen „Mitte“ des fruchtbaren Gartens Klugheit und Weltweisheit, Welterkenntnis und Weltherrschaft zu erlangen (Gen 3,1-6).
Diesem ‚ersten Dialog’ im Alten Testament steht der ‚erste Dialog’ im Neuen Testament gegenüber, den die Kirchenkonstitution des Konzils so beschreibt: „Im Glauben und Gehorsam gebar sie (Maria) den Sohn des [himmlischen] Vaters auf Erden, und zwar ohne einen Mann zu erkennen, vom Heiligen Geist überschattet, als neue Eva, die nicht der alten Schlange, sondern dem Boten Gottes einen von keinem Zweifel verfälschten Glauben schenkte“ (Lumen gentium 63). Marias vom Zwei-fel freier Glaube als der neuen Eva bewirkt in der Ein-wohnung des ewigen Ja-Wortes das Eins-Sein in der Liebe und die Gabe oder Frucht der Liebe, die „alle Erkenntnis übersteigt“ (Eph 3,17.19).
„Erkennen“ heißt im Hebräischen auch „Zeugen“. Die Jungfrau wird in der Gottesliebe und Gotteserkenntnis – erleuchtet vom „Logos“, der „jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1,9) –, fruchtbar, ohne dass der „Wille des Fleisches“ oder der „Wille des Mannes“ beteiligt ist (vgl. Joh 1,13). Denn „das Trachten des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott“ (Röm 8,7). Gott setzt schon gleich nach dem Fall „Feindschaft“ zwischen dem „Samen“ der Frau und dem „Samen“ der Schlange (Gen 3,15), was seit Irenäus (2. Jh.) als „Proto-Evangelium“: als Erste Verheißung gilt. Mit der ‚fruchtbaren Jungfräulichkeit’ Mariens als neuer Eva und der Kirche, die ebenfalls neue Eva ist (2 Kor 11,2), erfüllt Gott diese Verheißung und holt so die im wahren Glauben erlöste Menschheit heim ins verlorene Paradies.
Klaus W. Hälbig
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