Mystische Getreidemühle, Kapitell der Kathedrale von Vézelay, Burgund (zum Bild s. u. Erläuterung im Text)
In Zeiten der Gleichstellung der Frau mit dem Mann ist kaum ein biblischer Text ein solcher Aufreger wie die zweite Lesung am 22. Sonntag im Jahreskreis (25. August) aus dem Epheserbrief des Apostels Paulus, wo es heißt: „Der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist“ (Eph 5,23). Eine solche Aussage lässt sich heute eigentlich nur noch schnellstmöglich entsorgen, indem sie für hochgradig „zeitbedingt“ erklärt wird. Aber ist dem so? Oder verhält es sich ganz anders?
Im Rottenburger Dom wurde die zweite Lesung Eph 5,21-32 des 22. Sonntags im Jahreskreis von der Lektorin mit dem Zusatz eingeleitet, dass es sich um einen Brief des Paulus handelt, den er „zu seiner Zeit“ an seine Gemeinde geschrieben hat. Damit wurde die Zeitbedingtheit der folgenden Lesung gleich an den Anfang gestellt, um die zu erwartende „Empörung“ der Zuhörerinnen des Wortes möglichst zu mildern. Drastischer hat die Aachener Pastoralreferentin und Frauenseelsorgerin Annette Jantzen sich im Beitrag ihres Blogs „Gotteswort weiblich“ auf der Internetseite des Bistums Aachen (21. Aug. 2024) geäußert. Sie rief gleich zu einem „Lektorinnen-Streit“ auf und forderte, den „Terror-Text“ aus dem „Epheser*innen“-Brief aufgrund seiner „Frauenfeindlichkeit“ gar nicht mehr vorzutragen, die liturgische Leseordnung sollte vielmehr entsprechend geändert werden; Jantzen schreibt:
„Dieser Abschnitt aus dem Brief an die Gemeinde in Ephesus, geschrieben zu einer Zeit, in der die patriarchale Gesellschaftsordnung schon tief in die Gemeinden eingedrungen war, eignet sich nicht mehr als Schriftlesung im Gottesdienst. (…) Dieser Briefabschnitt ist aus der Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit auch ein solcher Terror-Text, weil er bei aller Beschwörung der Liebe Unterdrückung und Zweitrangigkeit ungebrochen sakralisiert und somit nahelegt, diese zu verinnerlichen. Wie soll frau damit ein aufrechter Mensch sein und bleiben können? Also falls Frauen Menschen sind, natürlich. Wenn ‚Mensch‘ eigentlich ‚Mann‘ meint, stellt sich das Problem ja nur noch für diejenigen, die wirklich solidarisch sind. Der angemessene Umgang mit diesem Text wäre, ihn nicht mehr vorzutragen. Nein, das ist keine Zensur eines heiligen Buches. Es sind wir selbst, die dem Buch der Bücher Bedeutung geben oder auch nicht. (…) Wenn dieser oder vergleichbare Texte noch vorgetragen werden – und mir fallen eine Menge Lektorinnen ein, die in ihren Gemeinden nur neue Abwertung erfahren, wenn sie das Problem dieser Texte ansprechen –, dann sollte der Vortrag wenigstens nicht mit ‚Wort des lebendigen Gottes‘ enden, sondern mit ‚Gotteswort im Menschenwort‘. Mehr als das aber wünsche ich mir einen Lektorinnen-Streik. Lest was anderes, Schwestern.“
Erfassen, „was Gott uns mitteilen wollte“
Bevor einer der schönsten Texte im ganzen Neuen Testament, ja der ganzen Bibel in dieser Form abgeurteilt wird, so dass er als nicht mehr tragbar und lesbar erscheint, sollte auch eine feministische Theologin erst einmal zur Kenntnis nehmen, was die Offenbarungskonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils den Exegeten und Predigern ins Stammbuch geschrieben hat: „Da Gott in der Heiligen Schrift durch Menschen nach Menschenart gesprochen hat, muss der Schrifterklärer, um zu erfassen, was Gott [nicht Paulus!] uns mitteilen wollte, sorgfältig erforschen, was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und was Gott mit ihren Worten kundtun wollte. (…) Da die Heilige Schrift in dem Geist gelesen und ausgelegt werden muss, in dem sie geschrieben wurde [das heißt im Heiligen Geist], erfordert die rechte Ermittlung des Sinnes des heiligen Textes, dass man nicht geringe Sorgfalt auf den Inhalt und die Einheit der ganzen Schrift achtet, unter Berücksichtigung der lebendigen Überlieferung der Gesamtkirche und der Analogie des Glaubens. (…) Alles, was die Art der Schrifterklärung betrifft, untersteht letztlich dem Urteil der Kirche, deren gottgegebener Auftrag und Dienst es ist, das Wort Gottes zu bewahren und auszulegen“ (Dei Verbum 12).
Von dieser Haltung der Sorgfalt und der Berücksichtigung der ganzen Schrift und der kirchlichen Überlieferung sind heutige Exegeten und Theologen oft meilenwert entfernt. Die Einheit der Heiligen Schrift, ihre Heiligkeit und damit auch ihre Unantastbarkeit ist ihnen weitgehend fremd geworden. Der Religionsphilosoph, chassidische Rabbiner und Mystiker Abraham Joshua Heschel (1907–1972), „Denker auf der Spur der Propheten“ (Michael Heymel), vor seiner Emigration in die USA 1937 kurze Zeit Nachfolger Martin Bubers am Jüdischen Lehrhaus in Frankfurt/Main, beklagte schon 1963 zu Beginn des II. Vatikanums im Essay Erneuerung des Protestantismus eine Verfügbarmachung und ‚Entheiligung‘ der Bibel durch die moderne Bibelwissenschaft:
„Wir lieben nicht die Bibel, wir lieben unsere eigene Fähigkeit zu kritischer Unterscheidung, unsere eigenen Theorien über die Bibel. (…) Das Gefühl für das Mysterium und die Transzendenz dessen, worum es in der Bibel geht, verliert sich im Prozess der Analyse. Das Ergebnis ist, dass wir die Bibel entheiligt haben. (…) Wir stehen vor einer tiefen Entfremdung von der Bibel. Die Kategorien der Propheten sind uns fremd und unbekannt. (…) Wir halten die Bibel nicht mehr für einen papierenen Papst [Luther], aber für viele ist die Bibel nun nichts weiter als eine Sammlung schlecht redigierter Berichte auf einer Masse Papier. Die Bibel ist Heiligkeit in Worten. (…) Entscheidender als der dogmatische Versuch, Zeit und Autoren der biblischen Dokumente zu bestimmen, ist die Offenheit für die Gegenwart Gottes in der Bibel. Diese Offenheit erwirbt man sich nicht im Handumdrehen. Sie ist die Frucht harter Bemühungen, dauernden Engagements, sie ist das Ergebnis von Beten, Suchen und Sehnen. Wo und wie wird der Mensch von heute dazu angeleitet?“ (in: Fritz A. Rothschild [Hg.], Christentum aus jüdischer Sicht. Fünf jüdische Denker über das Christentum und sein Verhältnis zum Judentum, Berlin/Düsseldorf ²2000, 315-323, 318f).
Die Einheit der Schrift im Heiligen Geist
Marius Reiser zufolge ermöglicht der Heilige Geist, der die Schrift inspiriert hat, damit auch die Einheit der ganzen Schrift (Die Autorität der Schrift im Wandel der Zeiten. Studien zur Geschichte der biblischen Exegese und Hermeneutik, Fohren-Linden 2016, 47). Für Reiser ist jede aktualisierende Auslegung unausweichlich allegorisch, „ob sie nun gut oder schlecht, passend oder unpassend“ ist. Dagegen leistet die historisch-kritische Exegese „für die geistliche Erbauung … fast nichts mehr, sie ist ihr eher hinderlich. Theologische Exegese wird unter diesen Voraussetzungen zur Angelegenheit des persönlichen Geschmacks, mithin zu dem, was man in England im 19. Jahrhundert private judgment nannte“ (243; 24f; 46).
Die historisch-kritische Exegese (zu deren fünf ‚Prinzipien‘ vgl. ebd. 24) ist ein Produkt der Aufklärung; sie hieß bis ins 19. Jahrhundert „liberale“ und dann „historisch-kritische“, das heißt „skeptische oder skeptizistische“ Exegese, die nicht nur den Glauben an die Inspiriertheit der Heiligen Schrift durch Gottes Geist aufgegeben und die Bibel zu einem bloßen ‚Klassiker‘ der Weltliteratur degradiert und entheiligt hat (so schon Johann Gottfried Herder), sondern auch den vierfachen Schriftsinn verwarf, das heißt die Vierzahl der Sinnschichten der Ge-schichte oder der Perspektiven des Verstehens der Schrift zugunsten des einen ‚wörtlichen‘ Sinns, so bereits Luther. In der alten Kirche läuft dagegen gerade das von Luther verabschiedete „geistige Schriftverständnis auf das christologische Verständnis der Schrift hinaus“ (Ludger Schwienhorst-Schönberger, „Er wird wie Christus sein.“ Psalm 1 in der Auslegung von Hieronymus, in: Egbert Ballhorn/ Georg Steins [Hg.], Der Bibelkanon in der Bibelauslegung. Methodenreflexionen und Beispielexegesen, Stuttgart 2007, 212-230, 227).
Weil die Heilige Schrift vom Heiligen Geist inspiriert ist, der gesprochen hat „durch die Propheten“ (Hebr 1,1) und an Pfingsten in „Zungen wie von Feuer“ auf Maria und die Apostel herabkommt (Apg 2,3), so gilt sie in der christlichen, aber auch der jüdischen Mystik als ein Wort des Feuers; Moshe Idel schreibt: Die Thora ist „ein auf weißem Feuer geschriebenes schwarzes Feuer“, diese Vorstellung verleiht dem Mystiker in seiner Hingabe „die Fähigkeit, die äußere Hülle der Buchstaben zu durchbrechen und das unendliche Licht zu erreichen…“ (Alte Welten – Neue Bilder. Jüdische Mystik und die Gedankenwelt des 20. Jahrhunderts, Berlin 2012, 373-395: Weiße Buchstaben, 389). Mit der kabbalistischen Idee von den Spatien als ‚weißen Buchstaben‘ zwischen den schwarzen Buchstaben der Thora wird der „messianische Charakter der Offenbarung“ der Thora beschworen (384). Der Aufstieg zum ‚Weißen‘ oder zur ‚neuen Thora‘ (Jes 51,4) kommt mit dem Messias.
Offenheit für Geist und Tradition
Nach Benedikt XVI. sind nicht die studierten Professoren und Theologen die wahren Schriftausleger, sondern die liebenden Mystiker und Heiligen, die innerlich offen sind für das Wirken des Heiligen Geistes und ergriffen werden vom lebendigen Wort der Schrift, das sie durchleben und durchleiden und so sein Zukunftspotential erahnen. Im ersten Band seiner Jesus-Trilogie schreibt der Papst mit Bezug auf den heiligen Franziskus: „Auslegung der Schrift kann keine rein akademische Angelegenheit sein und kann nicht ins rein Historische verbannt werden“ (Jesus von Nazareth, Bd. I, Freiburg 2007, 108).
Der vom protestantischen zum katholischen Glauben konvertierte US-amerikanische Theologe Scott Hahn sieht zudem „einige beunruhigende Parallelen zwischen historisch-kritischen ‚Exklusivisten‘ [ausschließlich historisch-kritisch arbeitende Exegeten] und Fundamentalisten. Auch sie beschränken sich ausschließlich auf den buchstäblichen Sinn der Schrift. Für Fundamentalisten ist die sola scriptura die höchste Regel, im Gegensatz zu Autorität und Tradition; Fundamentalisten machen auch die Textinterpretation des einzelnen zum höchsten Maßstab, im Gegensatz zu jeglicher kirchlicher Vermittlung; Fundamentalisten lehnen den geistlichen Sinn der Schrift ab; Fundamentalisten sind gekennzeichnet durch ihre Verachtung der Philosophie, und Fundamentalisten äußern sich gegenüber Andersdenkenden oft in hartem und herablassenden Ton. Alle diese Eigenschaften kann man, wenn auch mit gewissen Unterschieden im einzelnen, auf viele historische Kritiker anwenden“ (Aus dem Herzen der Kirche. Die Bibel richtig lesen, Augsburg 2007, 27f; zum Prinzip sola scriptura, das selbst „gar nicht schriftgemäß ist (vgl. 1 Tim 3,15; 2 Thess 2,15; 3,6)“, vgl. 168).
Hahn hatte die Schriftauslegung des Thomas von Aquin zu einer Zeit entdeckt, „als ich noch ganz anti-katholisch eingestellt war“ (44). Er erkannte die Bedeutung der Tradition, des Lehramts und des vierfachen Schriftsinns (vgl. KKK 114–118). Thomas legt den dritten Vers der Bibel („Es werde Licht“) buchstäblich auf das physische Licht aus, allegorisch auf die Geburt Christi in der Kirche, moralisch auf die Erleuchtung des Herzens (vgl. Joh 1,9; Eph 1,18) und anagogisch auf die österliche Licht-Herrlichkeit des Auferstandenen, was auch schon Paulus tut (vgl. 2 Kor 4,6): „Für den hl. Thomas kommen alle Sinne der Schrift in Christus zusammen, und nur in Christus sind die Schriften lebendig und lebenspendend. (…) In der Auslegung unterscheiden wir die vier Sinne nicht, um sie voneinander zu trennen, sondern um sie in der umfassenden Bedeutung des Textes zusammenzuführen“ (55f).
Der vierfache Sinn der Schrift
Die vier Ströme im Paradies (Gen 2,10-14) mit dem „Baum des Lebens“ (= Thora, Logos) entsprechen den vier Schriftsinnen als gleichsam ‚Sinnflüssen‘ (vgl. Daniel Krochmalnik, Im Garten der Schrift. Wie Juden die Bibel lesen, Augsburg 2006, bes. 7-26). Nach der schrifthermeneutischen Formel PaRDeS, die sich bei den jüdischen Mystikern zur „Weltformel“ entwickelt (124), sind die vier Sinne Pschat (‚einfacher‘ Sinn), Remes (‚angedeuteter‘ Sinn), Drasch (‚belehrender‘ Sinn) und Sod (‚geheimer‘ oder ‚mystischer‘ Sinn); dem entsprechen die vier Literaturgattungen (Mischna, Maschal, Midrasch, Kabbala; in biblischen Kategorien: Chronik, Weisheitssprüche, Weisung, Prophetie), die vier kommunikativen Funktionen des Sprechens (Notation, Konnotation, Instruktion, Intention) und die vier Weisen des ‚Lernens‘ als ‚imitatio‘ (rerum, naturae, veterum, Dei) (vgl. ebd. 10-19). Der Garten der Schrift wird zum Labyrinth und „Irrgarten“ (18), wenn das Verhältnis der vier Sinne oder Sinndimensionen nicht klar ist.
Nach Rudolf Voderholzer erfordert die christliche Schriftauslegung einen „Prozess der Verwandlung der Schriften als auch den der existentiellen Bekehrung der Gläubigen zu Christus hin. (…) Nicht der Buchstabe als solcher tötet, sondern nur die Verweigerung gegenüber dem Geist [vgl. 2 Kor 3,6]. Verstehen bzw. Nichtverstehen hängen also für Paulus an der Zugehörigkeit zu Christus und dem Erfülltsein mit seinem Geist“ (Der geistige Sinn der Schrift, in: Offene Tore, 50 [2006] 116-147, 135f).
Im Geleitwort zu dem von ihm übersetzten Werk von Henri de Lubac zur Geschichte der christlichen Schriftauslegung Typologie – Allegorie – Geistiger Sinn (Einsiedeln 1999) verweist Voderholzer auf das Bild der „mystischen Mühle“ (Kapitell von S. Madelaine, Vézelay) als Metapher für den Verwandlungsprozess beim Verstehen der Schrift: „Das Korn des Alten Bundes wird durch das Christusereignis gemahlen und verwandelt in das Mehl des Neuen. Das Mühlrad ist das Kreuz, das heißt diese Verwandlung ist bewirkt durch das Heilswirken Christi, der sich selbst in der Kelter des Kreuzes hat zermahlen und zerstoßen lassen und der auf diese Weise zum Urheber des Lebens geworden ist. Die verwandelnde und lebensspendende Kraft ist die Kraft des Heiligen Geistes. Die Einheit von Altem und Neuem Bund ist ebenso gezeigt wie die Diskontinuität zwischen den beiden Epochen, die durch das unableitbar neue und unerhörte Leben und Wirken des verheißenen und erwarteten, aber dann alle Verheißungen und Erwartungen überbietenden Messias (Christus) Jesus markiert ist“ (VIII-IX).
Für Origenes von Alexandrien (185–253/4) muss der ‚äußere‘ Wortsinn als ‚rohe‘ Schrift im Feuer des Heiligen Geistes gewissermaßen erst ‚gekocht‘ und ‚gebraten‘ werden, um sie nach ihrem inneren Schriftsinn zu verstehen; das entnimmt der frühkirchliche Meister der geistigen Schriftauslegung der göttlichen Anweisung zum Braten des Paschalammes (Ex 12,8): „Nicht roh also darf man das Fleisch des Lammes ‚essen‘, wie es die Sklaven der Wörtlichkeit tun nach Art der unvernünftigen Tiere. Sie sind, verglichen mit denen, die wahrhaft vernünftig sind, weil sie Einsicht in die geistige Welt des Logos suchen, wie vertiert und wild geworden. Wer nun das Rohe der Schrift zum Kochen bereitet, muss sich Mühe geben, dass er aus dem Text nicht etwas Schlaffes, Wässriges, Zerflossenes macht…“ (zit. nach Marius Reiser, Bibelkritik und Auslegung der Heiligen Schrift, Tübingen 2007, 128). Erst das Feuer des Geistes verwandelt den äußeren Sinn in eine wirklich schmackhafte und genießbare Speise der Seele, was die Schrift ja in Analogie zur Eucharistie sein soll und sein will (vgl. Dei Verbum 21).
Wechselseitige Unterordnung von Mann und Frau
Eph 5,23 nennt den Mann das Haupt der Frau analog zu Christus als Haupt der Kirche: „Wie aber die Kirche sich Christus unterordnet, sollen sich die Frauen in allem den Männern unterordnen“ (V.24). Diese „Unterordnung“ ist allerdings eine wechselseitige: „Einer ordne sich dem anderen unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus“ (V. 21). Auch die Unterordnung der Kirche unter Christus ist nicht einfach einseitig zu verstehen; denn Christus gibt sich als göttlicher Bräutigam aus Liebe für seine Kirche als seiner Braut am Kreuz hin, „um sie im Wasser [der Taufe] und durch das Wort rein und heilig zu machen. So will er die Kirche herrlich vor sich erscheinen lassen, ohne Flecken, Falten und andere Fehler; heilig soll sie sein und makellos“ (Eph 5,26f). Christus ist besorgt um die wahre Schönheit und Heiligkeit seiner geliebten Kirche, die der seinen ent-spricht, wo daher auch keinerlei „Unterordnung“ im Sinn der „Unterwerfung“ besteht, sondern vollkommene Gleichrangigkeit in der Vollkommenheit der Liebe.
Diese Gleichrangigkeit wird auch schon in der Paradieserzählung ausgesagt. Denn der ersterschaffene Mann „Adam“ findet unter den Tieren nicht seinesgleichen (Gen 2,19f); erst als Gott ihm die aus seiner „Rippe“ erschaffene Frau als Braut zuführt, kann er jubeln: „Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch“ (Gen 2,23). Nur mit seiner ihm ebenbürtigen Frau kann er im hochzeitlichen Ehebund „ein Fleisch“ sein, nicht mit den Tieren (V. 24). Darauf spielt Paulus an, wenn Eph 5 in die Feststellung mündet: Dieses Ein-Fleisch-Sein von Mann und Frau im Paradies „ist ein tiefes Geheimnis; ich beziehe es auf Christus und die Kirche“ (Eph 5,32). Auch Christus und die Kirche sind unbeschadet des Haupt-Seins Christi „ein Fleisch“ und „ein Geist“ (Eph 4,4), nämlich kraft der Taufe („Wasser“) und kraft der Eucharistie, die sonst in dem Brief explizit gar nicht angesprochen wird.
Im Johannesevangelium will Jesus, dass alle seine Jünger „eins“ sind, wie er und der himmlische Vater „eins“ sind (Joh 17,21; 10,30). Dazu hat das ewige Wort des Vaters „Fleisch“ angenommen (Joh 1,14), das er am Kreuz mit seinem „Blut des Bundes“ (Mt 26,28; Ex 24,8) hingibt „für das Leben der Welt“ (Joh 6,51). Viele Jünger „murren“ über Jesu eucharistische Brotrede und verlassen Jesus: Sie zogen sich „zurück und wanderten nicht mehr mit ihm umher“ (Joh 6,60f.66), gleichsam die erste ‚Kirchenaustrittswelle‘. Die Perikope Joh 6,60-69 ist die Evangeliumslesung des 22. Sonntags im Jahreskreis. In V. 63 sagt Jesus: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts.“ Und: „Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist“ (V. 65). Nur im Geist, der vom Vater (und vom Sohn) ausgeht, kann der Mensch an Jesus als Sohn Gottes glauben und sagen: „Jesus ist der Herr“ (1 Kor 12,3).
Bruch und Wiederherstellung des „hochzeitlichen“ Bundes
Der Kirche von Korinth (und damit uns heute) sagt der Apostel: „Ich habe euch einem einzigen Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau zu Christus zu führen. Ich fürchte aber, wie die Schlange einst durch ihre Falschheit Eva täuschte, könntet auch ihr in euren Gedanken von der aufrichtigen und reinen Hingabe an Christus abkommen“ (2 Kor 11,2f). Die Kirche ist für Paulus die neue Eva (was Israel für die Rabbinen war), so wie Christus der neue Adam ist. Der erste Adam hat im Paradies (mit Eva) sich von der sprechenden „Schlange“ – nach Offb 12,9 der „Teufel“ – dazu verführen lassen, vom verbotenen „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ zu essen, was ihn und alle Nachfahren vom „Baum des (ewigen) Lebens“ ausgeschlossen hat (Gen 3).
Die christliche Theologie sah im „Sündenfall“ schon den Bruch des Bundes; so schreibt Norbert Lohfink: „Auch die Sündenfallerzählung des Jahwisten in Gen 2 und 3 wird heimlich von der Bundestradition bestimmt. Das ist erstaunlich, denn auch für den Jahwisten ist der Gottesbund ausschließliches Gut des Volkes Israel“ mit einem „Vorspiel im Abrahamsbund“ (Der theologische Hintergrund der Genesiserzählung vom Sündenfall, in: Karl Forster, Realität und Wirksamkeit des Bösen, Würzburg 1965, 71-89, 79). Die Erzählung wäre so, wie sie „jetzt gestaltet ist, ohne die Bundestheologie Israels nicht möglich“ (80).
Außer Acht lässt Lohfink allerdings den Bund Gottes mit Noah, der zehnten Generation nach Adam (= neuer Adam), und der Rettung der acht Personen in der „Arche“ (hebr. teba = Wort, Sprache), obwohl in Gen 6,18 und Gen 9,9-17 insgesamt achtmal vom „Bund“ die Rede ist. In 1 Petr 3,20f und 2 Petr 2,4f ist die Rettung aus der Sintflut Vorausbild der christlichen Taufe (in acht-eckigen Becken), die das Zeichen des wiederhergestellten neuen Bundes ist.
Ebenso wird in der Eucharistie als Frucht vom Kreuz als neuem Baum des Lebens der in der Ursünde gebrochene Bund wiederhergestellt und vollendet. In „Blut“ und „Wasser“ aus der geöffneten Seite des Gekreuzigten (Joha 19,34) sah die Tradition die Zeichen für Eucharistie und Taufe und darin die durch sie konstituierte Kirche selbst repräsentiert, so dass die Liturgiekonstitution des Konzils sagen kann: „Denn aus der Seite des am Kreuz entschlafenen Christus ist das wunderbare Geheimnis der ganzen Kirche hervorgegangen“ (SC 5; vgl. LG 3).
Verlobung auf Erden, Hochzeit im Himmel
Der Glaube besteht in der „Verlobung“ der Kirche (und darin jedes einzelnen Gläubigen) mit Christus; die endgültige Erlösung erfolgt in der eschatologischen „Hochzeit“ Christi als am Kreuz geschlachtetes „Lamm Gottes“ mit dem himmlischen Jerusalem als seiner „Braut“ und „Frau des Lammes“ (Offb 19,7; 21,9). Dabei bleibt die sichtbare Kirche „immer auf die Himmelsstadt bezogen, sie ist nur von ihr aus zu verstehen“ (Erik Peterson, Ekklesia. Studien zum altchristlichen Kirchenbegriff, Würzburg 2010, 75, Anm. 199). Das „Osterlamm“ (vgl. 1 Kor 5,7) wiederum hat sein kosmisches Urbild am „Himmel“ im ersten Tierkreiszeichen des Widders (vgl. Herbert Schade, Lamm Gottes und Zeichen des Widders, Freiburg 1998). Deshalb war das Paschafest im ersten Frühlingsmonat Nissan zu feiern (Ex 12,2). In seinem Tod am Kreuz zur festgelegten „Stunde“ ist Jesus das wahre „Lamm, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29; 19,36; Ex 12,46). Diese Wegnahme der Welt-Sünde geschieht mit Wiederherstellung und Vollendung des „hochzeitlichen“ neuen und ewigen Bundes, der im hochzeitlichen Bund von Mann und Frau im Garten „Eden“ (= Wonne) sein Vorausbild hat.
Die Gleichrangigkeit von Mann und Frau in diesem guten „Anfang“ wird vom Propheten Hosea auf den Bund von JHWH mit Israel als seiner geliebten Braut bezogen; Ludger Schwienhorst-Schönberger schreibt: „Der Prophet Hosea aus dem 8. Jahrhundert v. Chr. dürfte einer der Ersten gewesen sein, der das Modell der Heiligen Hochzeit auf das Verhältnis zwischen Gott und Israel übertragen hat. Auf der anderen Seite bekämpft der Prophet wie kaum ein anderer zuvor die Verehrung fremder Götter und die damit einhergehenden Fruchtbarkeitskulte. (…) Die Wiederherstellung der ursprünglichen intimen Beziehung zwischen Gott und seinem Volk beschreibt der Prophet mit Bildern, die der Heiligen Hochzeit entstammen“ (Der eine Gott und die Götter, Freiburg 2023, 72; vgl. Hos 2,9.18). Gott verheißt seinem als „Braut“ vorgestelltem Volk: „Ich verlobe mich dir auf ewig; ich verlobe dich mir um den Brautpreis von Gerechtigkeit und Recht, von Liebe und Erbarmen, ich verlobe dich mir um den Brautpreis der Treue: Dann wirst du den HERRN [JHWH] erkennen“ (Hos 2,21f). Schwienhorst-Schönberger ergänzt: „Das Wort ‚erkennen‘ bezeichnet im Alten Testament sehr häufig den intimen Liebesvollzug zwischen Mann und Frau“ (ebd.) – so auch in Gen 4,1.
In der Erzählung vom Ersten Menschenpaar im Garten Eden spielt der „Baum der Erkenntnis“ und das Essen von seiner verbotenen Frucht die zentrale Rolle. Die Rabbinen sahen die Erschaffung Evas aus Adams „Rippe“ (Symbol der Mondsichel als ‚Urgrund aller Geburt‘) und die Präsentation der Frau und Braut vor Adam „als eine Art Verlobungszeremonie“: „Gott höchstpersönlich ist hier der Brautführer, der nicht nur die Braut herrichtet, sondern auch den Traubaldachin schmückt“ (Simone Rosenkranz Verhelst, Zwischen Himmel und Heiligtum. Paradiesvorstellungen im Judentum und Christentum, in: Claudia Benthien/ Manuela Gerlof [Hg.], Paradies. Topografien der Sehnsucht, Köln 2010, 31-48, 43f).
Sündenfall: Frauen- und sexualitätsfeindlich?
Daniel Krochmalnik weist darauf hin, dass „einige behaupten, der Sündenfall sei der Geschlechtsakt gewesen. Abgesehen von den offensichtlichen sexuellen Anspielungen in der Geschichte ergibt sich diese Erklärung aus dem Namen des Baumes der Erkenntnis, denn vom ‚Erkennen‘ (Jada, 4,1) spricht die Bibel auch, wenn sie sittsam den Geschlechtsverkehr umschreibt. Ein alter Mann, der [80 Jahre alt] dieses Genusses nicht mehr fähig ist, sagt von sich an anderer Stelle: ‚Kann ich denn noch erkennen zwischen Gut und Schlecht?‘ (HaEda Bein Tow LeRa, 2 Sam 19,36)“ (Das Böse in der jüdischen Tradition. Jüdische Interpretationen zu Genesis 1 – 11, in: Johannes Laube [Hg.], Das Böse in den Weltreligionen, Darmstadt 2003, 13-62, 48, Anm. 18).
Die heutige Exegese lehnt die traditionelle Sündenfall-Deutung von Gen 2–3 mit ihren sexuellen Konnotationen als ‚hartnäckige Fehldeutung‘ entschieden ab, damit die Erzählung, so Ilse Müllner, nicht „mehr als das frauen- und sexualitätsfeindliche Manifest gelesen werden kann, als das sie die theologische Tradition verstanden hat“ (Jenseits von Adam und Eva, in: Thomas Hieke/ Konrad Huber [Hg.], Bibel falsch verstanden. Hartnäckige Fehldeutungen biblischer Texte erklärt, Stuttgart ²2020, 36-47, 45). Hier besteht ein ähnlich anti-biblischer Affekt, bezogen auf das Bibelverständnis im Licht der Tradition, wie in Bezug auf den Text des Epheserbriefes. Dabei ist dieser Brief keineswegs der Ausdruck für eine „patriarchale Gesellschaftsordnung“ im Sinn der „Unterdrückung und Zweitrangigkeit“ der Frau (s. o.).
Das Haupt: „Anfang“ jenseits der Welt
In der Zahlensymbolik (Bibel, Pythagoras, Philo, altes China) gelten die ungeraden Zahlen als ‚männlich‘ und die geraden als ‚weiblich‘. Als ‚Eins‘ (= Aleph, auch ‚Stierkopf‘) steht das ‚männliche‘ Haupt‘ dem ‚weiblichen‘ Körper als ‚Vier‘ (vier Gliedmaße; vier Ebenen: Brust, Rumpf, Beine, Füße) beziehungsweise der Körperwelt (vier Urelemente usw.) gegenüber wie der „Baum des Lebens“ (Zahlenwert 233) dem „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ (Zahlenwert 932 = 4 x 233; vgl. Friedrich Weinreb, Zahl Zeichen Wort, Weiler i. Allg. 1986, 79). Der ‚Kopf‘ hat biblisch die Bedeutung von ‚Anfang‘, lat. initium, beim Menschen, denn bei der Geburt tritt als erstes der Kopf aus dem Geburtskanal in Erscheinung. Der Kopf einer ‚Sache‘ ist das Wichtigste, die ‚Haupt-Sache‘, ‚Ober-Haupt‘, der ‚Haupt-Mann‘, der auf dem Haupt gekrönte König, der ‚Erste‘ im Reich, der ‚Initiator‘, von dem alles ausgeht. Im ersten biblischen Wort Be-reschit, „im Anfang“ (Gen 1,1), steckt der drittletzte Buchstabe Resch, ‚Kopf‘, oder rosch, ‚Haupt‘, ‚Spitze‘, ‚Gipfel‘, im Sinn von ‚Anfang‘ oder ‚erstes Prinzip‘.
Nach dem jüdischen Autor Friedrich Weinreb (1910–1988) drückt sich in dem einen ‚Haupt‘ Gottes Einheit „noch in einer anderen Welt aus, und der Mensch, der danach kommt [und bei der Geburt zuerst mit dem Haupt erscheint], geht dann immer weiter nach unten, bis er schließlich mit seinen Füßen hier in dieser Welt steht. Doch mit seinem ‚rosch‘ steht er immer in einer anderen Welt, und dadurch geschieht etwas ganz anderes mit ihm. Dieser Mensch ist dann auch in seiner Gestalt der ‚ez hachajim‘, der Baum des Lebens. Und darum ist auf dem ‚rosch‘ dieses Menschen die ‚kether‘, die Krone. ‚Bereschith‘ bedeutet also, dass die Krone, ‚kether‘, ein Königreich, ‚malchuth‘, bekommt“. „Der Begriff ‚rosch‘ will also in erster Linie an die Verbindung zur anderen Welt erinnern“ (Das Opfer in der Bibel, Zürich 2010, 555; 554).
Die Zählung der Monate im jüdischen Festkalender beginnt mit dem ersten Frühlingsmonat Nissan, die Zählung des Jahres mit dem siebten Monat Tischri am Herbstbeginn und dem Neujahrstag Rosch Ha-schana, ‚Haupt des Jahres‘. Nach der jüdischen Überlieferung, so Weinreb, „kommt es im sechsten Monat des biblischen Jahres zur Schöpfung, im Monat Ellul. Im Brauch im Judentum wird vom ersten Tag des Ellul an das Widderhorn, der Schofar geblasen. Gott, heißt es, bläst seinen Odem am Beginn der Schöpfung, als Prinzip der Schöpfung, in das Horn und ruft damit das Lamm, den Widder hervor. So kommt im Zeichen des Lammes die ganze Schöpfung zustande. ‚Jungfräulich‘ ist die Schöpfung, im Zeichen der Jungfrau, ‚bethula‘, entsteht die Welt, auf die ‚bethula‘ ist sie gegründet. So ist die Jungfrau die Mutter der Welt. Aus ihr kommt überhaupt alles zustande. Am biblischen Neujahrstag, dem Ersten des siebten Monats Tischri [September], wird der Mensch erschaffen. Vorher aber ist das Lamm und die Jungfrau als Mutter der Welt“ (Innenwelt des Wortes im Neuen Testament, Weiler i. Allg. 1988, 46).
Der Mensch: Herrscher und Krone der Schöpfung
Gott übergibt sein göttliches, „unvergängliches“ Samen-Wort (1 Petr 1,23) der Weisheit dieser „Jungfrau“, das heißt der ursprünglich unversehrten Schöpfung, verkörpert in der Sophia und dann in Maria (vgl. Gisbert Greshake, Maria-Ecclesia, Regensburg 2014, bes. 301-342: Maria Sapientia Ecclesia). Nur aus ihr können die freien „Kinder Gottes“ (Rom 8,21) geboren werden: der Mensch als „Krone“ der Schöpfung“, „mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“ (Ps 8,6). Der Sündenfall macht aus den Kindern Adams „Kinder des Zorns“, „als wir noch von den Begierden unseres Fleisches beherrscht wurden. Wir folgten dem, was das Fleisch und der böse Sinn uns eingaben, und waren von Natur aus Kinder des Zorns wie die anderen. Gott aber … hat uns … in Christus wieder lebendig gemacht“ (Eph 2,3f). Durch die Taufe werden die Gläubigen neugeboren zu „Kindern des Lichts“ (Eph 5,8): Sie sind ein „neuer Mensch“, „der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24; vgl. Gal 3,28).
Die Gleichstellung von Mann und Frau, wenn sie noch vom „bösen Sinn“ oder „bösen Trieb“ (hebr. Jezer ha-ra) des „alten Menschen“ beherrscht werden, kann nicht zur Einheit des Leibes und des Geistes führen in Anerkennung des einen Herrn, des einen Glaubens und des einen Gottes und „Vater aller, der über allem und durch alles und in allem ist“ (Eph 4,4-6). Dazu braucht es vielmehr die Demut des Glaubens, die Geduld der Hoffnung und die Verwurzelung in der Liebe Chrisi, um so „die Länge und Breite, die Höhe und Tiefe zu ermessen und die Liebe Christi zu verstehen, die aller Erkenntnis übersteigt. So werdet ihr von der ganzen Fülle Gottes erfüllt“ (Eph 3,18f). Die gläubige Kirche ist Christi „Leib und wird von ihm erfüllt, der das All ganz und gar beherrscht“ (Eph 1,23).
„Worte des ewigen Lebens“
Nach dem vor 750 Jahren gestorbenen heiligen Bonaventura (1217/21–1274), dem „Fürst unter den mystischen Theologen“ (Papst Leo XIII.), erfordert eine fruchtbare Auslegung der Heiligen Schrift ihre Kenntnis als Ganzes nach ihrer „Breite, Länge, Höhe und Tiefe“ (Breviloquium, um 1256; Prolog, mit Bezug auf Eph 3,18). Ihre Breite bezieht sich auf das ganze Universum, ihre Länge auf den Ablauf der Geschichte, ihre Höhe auf die künftige Herrlichkeit und ihre Tiefe auf das göttliche Urteil beim Endgericht: „So beschreibt die Hl. Schrift das ganze Universum, soweit die Kenntnis davon zum Heil förderlich ist: nach Länge, Breite, Höhe und Tiefe. (…) Das Endziel bzw. die Frucht (fructus) der Hl. Schrift ist kein geringeres als die Fülle der ewigen Seligkeit. Dies ist ja die Schrift, in der ‚Worte des ewigen Lebens‘ [Joh 6,68] sind; und sie ist nicht nur geschrieben, damit wir glauben, sondern damit wir das ewige Leben haben, in dem wir schauen und lieben werden, und in dem all unsere Sehnsucht gestillt werden wird. Wenn sich das erfüllt, werden wir wahrhaft ‚die Liebe verstehen, die alles Verstehen übersteigt‘ [Eph 3,19], und wir werden ‚erfüllt sein von der ganzen Fülle Gottes‘ [Eph 3,19]“ (ebd.).
Der dem Tod verfallene irdische Leib ist zwiespältig: Er ist nicht erfüllt und begeistert von Gott (griech. enthūsiasmós), sondern beherrscht von der Sünde (Röm 7,14-24). Erst der durch Christi Hingabe am Kreuz erlöste Leib (vgl. Röm 8,23) ist der zur Einheit mit seinem himmlischen Haupt erhöhte Leib, wie es das Dogma von der Himmelfahrt Mariens mit Leib und Seele und ihrer damit verbundenen „Krönung“ (gefeiert am Oktavtag des 15. August) zum Ausdruck bringt. Dass der Mensch ein ‚Haupt‘ hat und so ‚Herrscher‘ ist, bedeutet seinen Transzendenzbezug, ohne den seine gerechte Herrschaft ungerechte Willkür oder Gewalt-Herrschaft wird, statt Ausdruck der Liebe und heiligen Hingabe zu sein. „Darum sind die Männer verpflichtet, ihre Frauen so zu lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Keiner hat je seinen eigenen Leib gehasst, sondern er nährt und pflegt ihn, wie auch Christus die Kirche. Denn wir sind Glieder seines Leibes“ (Eph 5,28f).
Hier gibt es nicht mehr auch nur die Spur von Unterdrückung und Willkür-Herrschaft. Christi Königsherrschaft oder sein Reich, das nicht von dieser Welt ist, ist vielmehr „Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. Und wer Christus so dient, wird von Gott anerkannt und ist bei den Menschen geachtet“ (Röm 14,17f) – sei es Mann oder Frau.
Klaus W. Hälbig
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