Wasser wird Wein – Mystisches Schriftverständnis und die Zukunft des Christentums 2. Teil

Die Erweckung des toten Lazarus, der am vierten Tag schon Todesgeruch verbreitet (Joh 11,39), ist das "siebte Zeichen" Jesu im Johannesevangelium, auf das das "erste Zeichen", die Verwandlung von Wasser in wohlschmeckenden Wein, schon vorausweist. Fresko in der Capella Santo Stefano in Soleto, Apulien.

 

Nach Paulus ist die Hl. Schrift verhüllt, so dass sie nicht ihren wahren Heilssinn offenbart; der wird erst offenbar durch das Pascha-Mysterium Christi von Tod und Auferstehung. In 2 Kor 3,6 sagt der Apostel: „Er (Jesus) hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein, nicht des Buchstabens, sondern des Geistes. Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.“ Wenn nur der buchstäblich Literalsinn verstanden wird, dann ist das noch nicht existentiell hilfreich und heilbringend.

 

Dann liegt noch „eine Hülle auf dem Alten Bund, wenn daraus vorgelesen wird“ (V.14), aber auch auf dem Neuen Bund, wenn dieser ebenfalls nicht geistig verstanden wird. Mit dem Geist, den Jesus bringt und vom Himmel über „alles Fleisch“ ausgießt (Apg 2,17f), wird die „Hülle“ vom Herzen entfernt, findet eine „Beschneidung“ des Herzens statt, nicht nur eine äußere Beschneidung des Fleisches (Röm 2,28f).

 

Der Kolosserbrief sagt: In Christus „allein wohnt wirklich die ganze Fülle Gottes. Durch ihn seid auch ihr davon erfüllt; denn er ist das Haupt aller Mächte und Gewalten. In ihm habt ihr eine Beschneidung empfangen, die man nicht mit Händen vornimmt, nämlich die Beschneidung, die Christus gegeben hat. Wer sie empfängt, sagt sich los von seinem vergänglichen Körper. Mit Christus wurdet ihr in der Taufe begraben, mit ihm auch auferweckt durch den Glauben an die Kraft Gottes, der ihn von den Toten auferweckt hat. Ihr wart tot infolge eurer Sünden, und euer Leib war unbeschnitten; Gott aber hat euch mit Christus zusammen lebendig gemacht und uns alle Sünden vergeben“ (Kol 3,9-13).

 

       Die Taufe als übernatürliche Wiedergeburt zum ewigen Leben

Mit dem Licht der Erleuchtung bringt die Taufe auch neues Leben in Fülle aus dem göttlichen Quell des Lebens selbst. Die Sünde hat diese Quelle gleichsam verschüttet; so hat der sterbliche Mensch zwar auch Leben, aber nicht das ihm von Gott als „Freund des Lebens“ (Weish 11,26) zugedachte ewige Leben, wie das Buch der Weisheit herausstellt: „Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören“ (Weish 2,23).

 

Sünde, Tod und Teufel (Dia-bolos = Entzweier) bilden im Neuen Testament eine unheilige Trias. Das Johannesevangelium nennt den Teufel den „Herrscher dieser Welt“ (Joh 12,31), den „Mörder von Anfang an“ und „Vater der Lüge“ (Joh 8,44), während Jesus in die Welt gekommen ist, um „für die Wahrheit Zeugnis“ abzulegen: „Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18,37). In der Taufe wird dem Satan widersagt, „dem Urheber des Bösen“ (GL 573,8).

 

Israel empfängt die Offenbarung der Thora, des Wortes Gottes, am Sinai und soll auf Gottes Stimme hören und seinen Bund halten (Ex 19,5), der seit Abraham ein Bund der Beschneidung ist. Nach der Beinahe-Opferung des geliebten Sohnes Isaak sagt Gott zu Abraham: „Segnen sollen sich mit deinen Nachkommen alle Völker der Erde, weil du auf meine Stimme gehört hast“ (Gen 22,18) und so geglaubt hast.

 

Die Opferung oder „Bindung“ Isaaks auf dem Berg Morijah (= JHWH ist mein Lehrer), dem späteren Tempelberg (2 Chr 3,1), ist das alttestamentliche Vorausbild des Opfers Christi am Kreuz, wobei Isaak im letzten Augenblick ‚verschont‘ wird. Gott aber hat, wie es in Röm 8,32 heißt, „seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern ihn für uns alle hingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“ In seinem Sohn schenkt der ‚ewigreiche‘ Gott den gläubigen Menschen alles, was er zu geben hat, nämlich sich selbst in seinem Geist und damit sein ewiges Leben.

 

     Die Heilung der Erblindung des Unglaubens

Im Johannesprolog hebt mit der Absage an Jesus durch die „Seinen“, die Juden, die sich auf ihre Abrahamskindschaft berufen (Joh 8,33): Sie lehnen Jesus als „Licht, das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1,9), ab, nehmen ihn nicht auf. „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, allen, die an seinen Namen glauben, die … aus Gott geboren sind“ (Joh 1,11-13). In der Taufe wird der Gläubige aus dem Wasser und dem Feuer des Geistes neu geboren: „Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; was aber aus dem Geist geboren ist, das ist Geist“ (Joh 3,5f). Im Glauben geht es um den ‚Übergang‘ von einem ‚sündigen‘ Leben nach dem ‚Fleisch‘ zu einem ‚heiligen‘ Leben nach dem ‚Geist‘.

 

Jesus führt die Verweigerung des Glaubens bei jenen Juden, die unter Berufung auf ihre Abrahamskindschaft und ihre Beschneidung meinen, sie brauchen keine Befreiung von Sünde, Tod und Teufel durch die „Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14), die der fleischgewordene Logos bringt – Joh 8,33: „Wie kannst du sagen: Ihr werdet frei werden?“ –, auf das „Blindsein“ oder die „Verblendung“ des Unglaubens zurück. Am Ende der Heilung eines Blindgeborenen sagt Jesus zu ihnen: „Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen, damit die Blinden sehend und die Sehenden blind werden. (…) Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde“ (Joh 9,39f).

 

Der Prolog des Johannesevangeliums beginnt mit der Gleichsetzung von Gottes Wort vom Anfang her mit „Licht“ und „Leben“ (Joh 1,4). Damit ist das eine ‚Urlicht‘ von ‚Tag eins‘ gemeint (2 Kor 4,6), nicht die am vierten Schöpfungstag erschaffenen vielen Lichter von Sonne, Mond und Sterne (Gen 1,14-19). Die Sterne sind so etwas wie die Buchstaben am Himmel. An diesem ‚Buch der Schöpfung‘ orientieren sich die altorientalischen Religionen im Umfeld Israels, die in den Sternen Götter und göttliche Botschaften sehen. In den ‚heiligen drei Königen‘ oder den Sterndeutern aus dem Osten, die von einem besonderen Stern zu dem Kind in der Krippe mit Maria nach Bethlehem geführt werden, zeigt das Neue Testament ein Beispiel für das Heidentum, das sich der Heilsbotschaft Christi, die doch von den Juden kommt (Joh 4,22), öffnet und so zum Glauben findet (Mt 2,1-11).

 

      Unsichtbarkeit und Sichtbarkeit Gottes

Das Heidentum verehrt die glanzvollen Erscheinungen am Himmel als ihre sichtbaren Götter; das Judentum lehnt als einzige der damaligen Religionen diese ‚Götter‘ als ‚Götzen‘ ab unter Berufung auf den einen unsichtbaren Gott. Dieser eine Gott hat keine sichtbare Gestalt, wie das Buch Deuteronomium einschärft: „Nehmt euch um eures Lebens willen gut in Acht! Denn eine Gestalt habt ihr an dem Tag, als der Herr am Horeb mitten aus dem Feuer zu euch sprach, nicht gesehen. Lauft nicht in euer Verderben, und macht euch kein Gottesbildnis, das irgendetwas darstellt, keine Statue, kein Abbild eines männlichen oder weiblich Wesens, kein Abbild irgendeines Tieres, das auf der Erde lebt…“ (Dtn 4,15-17).

 

Für Israel gilt, dass Gott sich nur in seinem Wort offenbart und seine Stimme hören lässt, aber vom Menschen niemals gesehen werden kann. Selbst Mose, der den Wunsch zum Sehen der Schönheit und des Angesichts Gottes äußert, bekommt zu hören: „Du kannst mein Angesicht nicht sehen; denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“ (Ex 33,20). Gott lässt seine Herrlichkeit an Mose vorüberziehen, aber so, dass ihn Gott in einen Felsspalt stellt und seine Hand über ihn hält und diese erst nach seinem Vorübergang zurückzieht, so kann er nur Gottes „Rücken sehen“ (V.23).

 

Am Ende des Johannesprologs heißt es entsprechend: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (Joh 1,18). Weil aber der Sohn und der Vater „eins“ sind (Joh 10,30), ist mit der Fleischwerdung des Sohnes auch der Vater sichtbar geworden: „Wer mich gesehen hat“, sagt Jesus zu Philippus, „der hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Mit Bezug auf den Gekreuzigten erfüllt sich das Schriftwort des Propheten Sacharja: „Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben“ (Joh 19,37; Sach 12,10). Thomas, der die Wundmal Jesu sehen und betasten will, muss hingegen hören: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Joh 20,29).

 

     Man sieht nur mit einem reinen Herzen gut

Der Kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry sagt: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Richtiger müsste es heißen: man sieht nur mit einem reinen Herzen gut. Jesus preist in der Bergpredigt die selig, „die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8). Das Herz ist nämlich seit dem Sündenfall „immer nur böse“, wie es vor der Sintflut heißt (Gen 6,5): „Gott sah sich die Erde an: Sie war verdorben; denn alle Wesen aus Fleisch auf der Erde lebten verdorben“ (V.12; vgl. 8,21).

 

Bei Markus sagt Jesus: „Denn von innen, aus dem Herzen des Menschen, kommen die bösen Gedanken: Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. Alles dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein“ (Mk 7,21-23).

 

Gott vernichtet wegen des Bösen im Herzen die ganze Menschheit bis auf Noach, seine drei Söhne und ihre vier Frauen, zusammen also acht. Der 2. Petrusbrief nennt Noach „den Verkünder der Gerechtigkeit“; ihn hat Gott „zusammen mit sieben anderen als achten bewahrt, als er die Flut über die Welt der Gottlosen brachte“ (2 Petr 2,5). In 1 Petr 3,20f heißt es: Gott wartete „in den Tagen Noachs geduldig…, während die Arche gebaut wurde, in ihr wurden nur wenige, nämlich acht Menschen, durch das Wasser gerettet. Dem entspricht die Taufe, die jetzt euch rettet“ (vgl. 2 Petr 2,4f). Paulus sagt über die Getauften: „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung. Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden“ (2 Kor 5,17).

 

     Die Verwandlung von Abram und Sarai zu Abraham und Sarah

Eine Verwandlung geschieht auch mit Abraham beim Bundesschluss der Beschneidung: Die Namen Abram und Sarai erhalten den 5. Buchstaben He (= 5) eingefügt und werden so zu Abraham und Sarah (Gen 17,5.15), die zusammen im hohen Alter den Jizchak (mit Jod = 10 am Anfang) zeugen; sie erhalten damit wieder die Öffnung zum Himmel (He bedeutet ‚Fenster‘) oder zum ‚achten Tag‘. Die Beschneidung der jüdischen Knaben an diesem Tag hat selbst Vorrang vor dem Sabbat (Joh 7,22).

 

Der erste Beschnittene ist Isaak, der ‚Sohn der Verheißung‘: „Als sein Sohn Isaak acht Tage alt war, beschnitt ihn Abraham, wie Gott ihm befohlen hatte“ (Gen 21,4). Die Beschneidung am ‚achten Tag‘ ist ebenso Vorausbild der Taufe wie die Sintflut mit der Rettung der Acht in der Arche, teba, dem ‚Wort‘ (Gottes).

 

Der Name Noach besteht aus den Buchstaben Nun und Cheth mit dem Zahlenwert 8 und 50 (= 7 x 7 + 1), was jeweils die Sieben-Tage-Schöpfung ‚übersteigt‘. Das Wasser der Flut bricht über die Erde herein „im 600. Lebensjahr Noachs, am 17. Tag des zweiten Monats“ (Gen 7,11). Die 600 Jahre entsprechen dem sechsten Tag. „Im 601. Jahr Noachs [im 7. Jahrhundert], am ersten Tag des ersten Monats [= des Frühlingsmonats Nissan] hatte sich das Wasser verlaufen. (…) Am 27. Tag des zweiten Monats war die Erde trocken“ (Gen 8,13f). Die Flut dauert also genau ein Jahr und zehn Tage.

 

      Der „Übergang“ von der Nacht-Welt des Mondes zur Tag-Welt der Sonne

Ein Mondjahr dauert ca. 355 Tage, ein Sonnenjahr 10 Tage länger, also 365 Tage. Die Sintflut-Geschichte er-zählt also den Übergang von der Nachtwelt des Mondes als Herrschers über die Zeit im Symbol des Wassers in die Tagwelt der Sonne, das heißt von der Zeit in die Ewigkeit jenseits der Sieben. Denn die Zahl sieben ist die Zahl einer Mond-Lichtphase von einer Woche, der Mondumlauf dauert ca. viermal sieben Tage. Erzählt wird damit auch, dass der Mensch von der Zeit, die die Erde bedeckt und ihn die Ewigkeit nicht mehr sehen lässt, regelrecht wie ‚berauscht‘ und ‚betrunken‘ ist.

 

Die endgültige ‚Trockenheit‘ nach der Flut lässt auch an die wieder erlangte ‚Nüchternheit‘ nach der ‚Trunkenheit‘ durch die Bedeckung der Welt mit der Zeit denken (Noah wird als erster Weinbauer ‚weintrunken‘ und ‚nackt‘ im Zelt liegen, was zum nächsten ‚Sündenfall‘ durch den zweien Sohn Ham führt: Gen 9,18-25). Das fließende Wasser ist Symbol der vergänglichen Zeit, der Mond wiederum ist das „Maß der Zeiten“ (Ps 104,19). Luna gilt in der antiken Welt auch als „Urgrund aller Geburt“ (Johannes Lydos), weil der weibliche Menstruationszyklus dem Mondzyklus entspricht. Eine menschliche Schwangerschaft dauert in der Regel 40 x 7 Tage. Joseph Ratzinger sagt in seinem Buch Der Geist der Liturgie (2000, 88) mit Blick auf den Termin der christlichen Osterfeier am ersten Sonn-tag nach dem Frühlings-Vollmond:

 

„In der Welt der Religionen erscheint der Mond mit seinen wechselnden Phasen als Symbol des Weiblichen, besonders aber als Symbol der Vergänglichkeit. So entspricht die kosmische Symbolik des Mondes dem Geheimnis von Tod und Auferstehung, das im christlichen Pascha begangen wird. Wenn der Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond als Osterdatum erscheint, verbinden sich die Symbolik von Sonne und Mond: Vergänglichkeit ist hineingehalten ins Unvergängliche. Tod wird zur Auferstehung und mündet in ewiges Leben hinein.“

 

      Die erste Schöpfung findet ihre Erfüllung in der Neuschöpfung

In der Osternacht wird als erste alttestamentliche Lesung die Erzählung von der Schöpfung in sechs Tagen vorgetragen mit dem siebten Tag als heilig-nüchternem ‚Ruhetag‘ oder Tag der Kontemplation des göttlichen Schöpfungswerks (Gen 2,1-3). Am sechsten Tag wird nach den Erd-Tieren der Mensch männlich-weiblich als letztes Werk erschaffen, und zwar so, dass in ihm als ‚Krone der Schöpfung‘ Himmel und Erde, Geist und Materie zusammengefasst sind. Der Katechismus der Katholischen Kirche sagt: Als Bild Gottes nimmt der Mensch „in der Schöpfung eine einzigartige Stellung ein…; in seiner Natur vereint er die geistige mit der materiellen Welt“ (KKK 355).

 

Nach Psalm 8,5-7 hat Gott den Menschen „nur wenig geringer gemacht“ als sich selbst und so ihn „mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt“. Er hat „ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk“ seiner Hände und „ihm alles zu Füßen gelegt“. Im zweiten eucharistischen Hochgebet betet die Kirche: „Über alle Geschöpfe [das heißt vor allem Tiere: vgl. Gen 1,28] sollte er (der Mensch) herrschen und allein dir, seinem Schöpfer, dienen.“ Ähnlich sagt das Buch der Weisheit (9,2f): „Den Menschen hast du (Gott) durch deine Weisheit erschaffen, damit er über deine Geschöpfe herrscht. Er solle die Welt in Heiligkeit und Gerechtigkeit leiten…“

 

Am dritten und am sechsten Tag geschehen jeweils zwei Schöpfungstaten, der Mensch ist als letztes Werk am sechsten Tag die achte Schöpfungstat. Einen achten Schöpfungstag gibt es in der Sieben-Tage-Schöpfung nicht; der achte Tag nach dem Samstag als siebten Tag ist der Sonn-tag, der Tag des Helios (der Sonne), der wieder der „erste Tag“ der Woche ist (Mk 16,2.9); so wird er christlich zum Tag der Auferstehung Jesu als dem „Tag, den der Herr gemacht hat“ (Ps 118,24).

 

Im Weltkatechismus heißt es: „Jesus ist ‚am ersten Tag der Woche‘ (Mt 28,1; Mk 16,2; Lk 24,1; Joh 20,1) von den Toten auferstanden. Als der ‚erste Tag‘ erinnert der Tag der Auferstehung Christi an die erste Schöpfung. Als ‚achter Tag‘, der auf den Sabbat folgt, bedeutet er die mit der Auferstehung Christi angebrochene neue Schöpfung. Er ist für Christen zum ersten aller Tage, zum ersten aller Feste geworden, zum ‚Tag des Herrn‘ (…), zum ‚Sonntag‘“ (KKK 2174). Und an anderer Stelle: „Der Sonntag erfüllt im Pascha Christi den geistlichen Sinn des jüdischen Sabbats und kündigt die ewige Ruhe des Menschen in Gott an“ (KKK 2175). „So gipfelt das Schöpfungswerk im noch größeren Werk der Erlösung. Die erste Schöpfung findet ihren Sinn und Höhepunkt in der Neuschöpfung in Christus, welche die erste an Glanz übertrifft“ (KKK 349).

 

      Die Notwendigkeit der Neuschöpfung als Einheit der Gegensätze

Notwendig ist die Neuschöpfung von Himmel und Erde und zugleich auch des Menschen als Zusammenfassung von Himmel und Erde in der Auferstehung Jesu am ‚achten Tag‘, weil der am ‚sechsten Tag‘ erschaffene Mensch am gleichen Tag durch die Ursünde im todbringenden Essen der verbotenen Frucht am Baum der Erkenntnis von Gut und Böse im Paradies die Welt und sich selbst ‚verunstaltet‘ hat, nämlich so, dass nun der Tod herrscht und die Wirklichkeit Gottes ‚verhüllt‘ ist (der ‚sechste Tag‘, jom schischi, 10-6-40 300-300-10, hat den Zahlenwert 666 als Symbol der bloßen Diesseitigkeit; vgl. Offb 13,18).

 

Jesus sagt den Sadduzäern, die nicht an eine Auferstehung der Toten glauben: „Habt ihr … nicht gelesen, was Gott euch über die Auferstehung der Toten mit den Worten gesagt hat: Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs [Ex 3,6]. Er ist doch nicht der Gott der Toten, sondern der Lebenden“ (Mt 22,31f). Die drei Erzväter leben, weil sie mit dem lebendigen Gott im Bund verbunden sind; den Tod gibt es nur da, wo der Gottesbund gebrochen wird und der Mensch dann einen Bund mit dem Tod schließt (Weish 1,16).

 

Im Paradies hat Gott den Menschen zwar aus dem Staub der Erde gebildet, aber er hat ihm zugleich seinen lebendig machenden Atem und Geist eingehaucht, das heißt die Geistseele, neschama (Gen 2,7; Weish 11,11); damit hat er Anteil an der geistigen oder unsichtbaren Welt und an der sichtbaren materiellen Welt. Nach dem Weltkatechismus lehrt die Kirche, „dass jede Geistseele unmittelbar von Gott geschaffen ist – sie wird nicht von den Eltern hervorgebracht – und dass sie unsterblich ist; sie geht nicht zugrunde, wenn sie sich im Tod vom Leibe trennt, und sie wird sich bei der Auferstehung von neuem mit dem Leib vereinen“ (KKK 366).

 

Wie der Himmel der Erde gegenübersteht, so die Geistseele der Körperseele oder der Blutseele, nephesch, 50-80-300 = 430; 430 ist der Zahlenwert von tohu wabohu, 400-5-6 6-2-5-6 (Gen 1,2) der Erde wie auch der Jahre der ‚Gefangenschaft‘ Israels in ‚Ägypten‘ (Ex 12,40). Die nephesch haben auch die höheren Tiere, die aber ganz zur tohu wabohu- Erde gehören. Der Mensch aber gehört wesentlich auf die Seite Gottes und des Himmels. Der Name Adam, was ‚Mensch‘ und zugleich die ganze ‚Menschheit‘ bedeutet, Aleph-Dalet-Mem, ist in Zahlen 1-4-40. Der erste Buchstaben Aleph steht für den Geist oder das göttliche Element im Menschen, die unsterbliche Geistseele, die als „Eins“ alles umfasst.

 

     Mit dem Kommen des Messias wird die Schrift als Prophetie neu lesbar

Mit dem Kommen des Messias wird die Schrift als geisterfüllte „Prophetie“ neu mit ihrem Sinnüberschuss lesbar, der vom inspirierenden Geist kommt; das gilt auch für die Buchstaben der Schrift, die zuerst Zahl-Zeichen sind. Nach Henri de Lubac ist der verborgene mystische Sinn „ganz einfach der Sinn, der sich auf Christus den Herrn bezieht, und ‚der Herr ist der Geist‘ [2 Kor 3,17], das heißt eben der Geist der Schrift. (…) Das Wort Gottes, das lebendige und wirksame Wort, erhält seine wahre Vollendung und die Fülle seiner Bedeutung nur durch die Umwandlung, die es im Menschen bewirkt, der es aufnimmt. Daher auch der Ausdruck ‚zum geistigen Sinn‘ übergehen, was nichts anderes heißt, als ‚sich zu Christus bekehren‘, wobei diese Bekehrung niemals als abgeschlossen zu betrachten ist. Zwischen der Bekehrung zu Christus und der Erkenntnis der Schrift besteht ein gegenseitiger ursächlicher Zusammenhang“ (Typologie – Geistiger Sinn – Allegorie, 1999, 23; 27).

 

Im Judentum gehören der Name des Messias und die „Umkehr“ (Teschuwa) zu den Dingen, die schon vor der Erschaffung der Welt prä-existieren. Aber auch die 22 hebräischen Buchstaben als Konsonanten sind vorweltliche Vor-Zeichen der Welt, mit denen Gott in gewisser Weise die Welt erschafft, wobei diese Buchstaben eben auch Zahlen sind. In Weish 11,20 heißt es: „Du (Gott) aber hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.“ Es gibt in allen Dingen geheimnisvolle Zahlenverhältnisse – „Zahlenverhältnis“ ist eine mögliche Übersetzung für „Logos“, mit dem das Johannesevangelium beginnt: „Im Anfang war der Logos…“ (Joh 1,1). Auch weil die hebräischen Buchstaben zuerst unveränderliche Zahlen(-verhältnisse) sind, kann die Bibel überzeitlich und übergeschichtlich sein.

 

Übersetzt wird Logos meist mit „Wort“, auch mit „Vernunft“ oder „Weisheit“; es könnte aber auch „Thora“ heißen, denn die Thora ist das im Buchstaben der Schrift offenbarte Wort Gottes. Die Thora bildet den Kern des Alten Testaments, um den sich die anderen Bücher herumlagern wie die Vorhöfe des Tempels um das Allerheiligste. Dieses Allerheiligste ist hinter einem Vorhang verhüllt; nur einmal im Jahr, am Jom Kippur, dem Großen Versöhnungstag nach zehn Tagen der „Umkehr“ und „Reinigung“ nach dem Neujahrstag Rosch-Ha-schana am 1. Tischri als Herbstbeginn (und Datum der Erschaffung von Adam), durfte der eine Hohepriester mit dem Blut eines Opfertieres in das Allerheiligste eintreten, um den Blutritus der Erneuerung des Bundes zwischen dem einen Gott und seinem heiligen Volk Israel zu vollziehen. Das aber, so sagt der Hebräerbrief, ist alles nur Abbild und Schatten der himmlischen Dinge“ (Hebr 8,5; vgl. 9,20-23). „Die himmlischen Dinge selbst aber erfordern wirksamere Opfer“ (Hebr 9,23).

   

     Das Opfer bringt den „beschnittenen“ Körper Gott „näher“

Im Hebräisch heißt „Opfer“ korban, das bedeutet „Näherbringen zu Gott“ (griech. ana-phora für „Opfer“ heißt „Hochbringen“). Der eine Tempel für das Opfer auf dem Berg Mori-jah (= JHWH ist mein Lehrer) ist das Abbild des einen ‚Himmels auf Erden‘. Christus, sagt der Hebräerbrief, ist nicht in ein von Menschenhand errichtetes Heiligtum hineingegangen, in ein Abbild des wirklichen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor Gottes Angesicht zu erscheinen…, ein einziges Mal…, um durch sein Opfer die Sünde zu tilgen“ (Hebr 9,24.26).

 

Alle sonstigen menschlichen Opfer – und seien es selbst Menschenopfer – konnten die Sünde nicht tilgen und die ursprüngliche „Reinheit“ des Menschen nicht wiederherstellen: Sie „konnten das Gewissen des Opfernden nicht zur Vollkommenheit führen“ (Hebr 9,9), wobei „Vollkommenheit“ (schalom) auch „Ganzheit“ oder „Frieden“ bedeutet. Jesus Christus ist mit seinem Opfer der Selbsthingabe am Kreuz kein Hohepriester nach der Ordnung Aarons aufgrund leiblicher Abstammung, sondern „durch die Kraft unzerstörbaren Lebens“ (Hebr 7,11.16), das heißt durch die Kraft des Heiligen Geistes. Denn als Messias ist Jesus der mit dem Geist Gesalbte, wobei der Geist die endzeitlich-eschatologische Gabe Gottes schlechthin ist.

 

Jesus ist Hohepriester nach der Ordnung Melchisedeks, des „Königs von Salem“ (des Friedens), der „ohne Anfang seiner Tage und ohne Ende seines Lebens … ein Abbild des Sohnes Gottes“ ist (Hebr 7,1-3.11; Ps 110,4). An Pfingsten, dem „50. Tag“, gießt Jesus nach seiner Himmelfahrt am „40. Tag“ seinen Geist in Fülle auf die in Jerusalem mit Maria versammelten zwölf Apostel aus (Apg 2,1-4), damit sie die am Kreuz errungene Vergebung der Sünden oder die wirksame Reinigung an alle Menschen weitergeben: Der Sohn Gottes, so heißt es in Hebr 1,3, ist der „Abglanz“ der „Herrlichkeit“ des Vaters „und das Abbild seines Wesens; er trägt das All durch sein machtvolles Wort, hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt“. Das „Blut“, mit dem Jesus alles reinigt, ist nicht wie im Alten Bund das Blut von Opfertieren, sondern sein eigenes „Blut des Bundes“, das er am Kreuz „für viele vergossen“ hat „zur Vergebung der Sünden“ (Mt 26,28; vgl. Ex 24,8).

 

     Das Ursakrament der Ehe und die Ehelosigkeit des Messias

Sakramente sind geisterfüllte ‚heilige Zeichen‘. Das grundlegendste Sakrament ist das ‚Natursakrament‘ oder ‚Ursakrament‘ der Ehe, das Gott im Paradies zwischen Mann und Frau stiftet. Jesus bezieht sich darauf, wenn er in der Frage der Erlaubtheit der Ehescheidung auf den „Anfang“ oder Ursprung verweist: „Am Anfang war das nicht so“ (Mt 19,8). Jesus selbst ist ehelos und ohne irdische Nachkommen, weil er, wie Joseph Ratzinger sagt, „die eschatologische Existenz als eine ehelose Existenz“ definiert (Zur Theologie der Ehe, in: Heinrich Greeven u. a., Theologie der Ehe, 1969, 81-115, 113f).

 

Die ‚eschatologische Existenz‘ entspricht in gewisser Weise der ‚protologischen Existenz‘ im Paradies. Jesus ist der neue Adam, Maria als Urbild der Kirche sowie die Kirche selbst ist die neue Eva (2 Kor 11,2f). Im Epheserbrief sagt Paulus zum Ein-Fleisch-sein (und Ein-Geist-sein) von Mann und Frau im Paradies: „Dies ist ein tiefes Mysterium; ich beziehe es auf Christus und die Kirche“ (Eph 5,31f; vgl. 4,4). Der Sündenfall als Bruch des (Ehe-)Bundes führt aus dem Paradies der Gottesnähe und Einheit heraus in die Gottesferne oder die ‚Verbannung‘, das heißt in die ‚gefallene‘ Welt der Zweiheit (im Symbol ‚Ägypten‘).

 

Am Kreuz vergießt Jesus als „Lamm Gottes“ (Joh 1,29) und „Bräutigam“ (Joh 3,29) sein „Blut des Bundes“ und stellt so den „hochzeitlichen“ Gottesbund unverbrüchlich wieder her: Er selbst ist als fleischgewordenes Wort der Bund in Person, die hochzeitliche Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur, von Himmel/Vater und Erde/Mutter, von Sonne und Mond (Ostern ist am ersten Sonn-tag nach dem Frühlingsvollmond), von Haupt (1) und Leib (4; vgl. Eph 1,21f), von Bräutigam und Braut, von Mann und Frau als Wort und „Fleisch“ (vgl. Gen 2,21-24). So ist er als der neue Adam der integrale Mensch und der vollkommene Gerechte (Eph 4,13), der – auch im jüdischen Sinn – das gefallene (materielle) Fundament der Welt wieder hebt: Er vereint als der „ganze Christus“ (Christus totus, KKK 695) wieder Aleph (1) und Taw (400) oder Alpha und Omega.

 

Nach Nachum von Tschernobyl bringen „die Taten der Bösen die Welt zu Fall und sondern sie von Gott als dem Aleph der Welt ab, so dass sie die göttlichen Buchstaben auseinanderreißen und das Letzte vom Ersten Getrennt wird. Aber durch die Verbindung und Einheit des Gerechten mit allen Stufen erhebt sich die Welt aus ihrem Fall nach oben und steigt auf und vereinigt sich im Stand des Aleph, das heißt Gottes, und dadurch, dass das Fundament sich hebt, hebt sich der ganze Bau“ der Welt (zit. nach Gershom Scholem, Von der mystischen Gestalt der Gottheit, 1973, 130). „Darin besteht das wahre Wesen des vollkommenen Gottesdienstes, dass die untersten [materiellen] Stufen nach oben erhoben werden“ (ebd.).

 

     Die Sakramente der Kirche setzen die Inkarnation des Wortes fort

Wirksam wird Jesu wahres, heilbringendes und lebensspendendes Blut-Opfer für alle Zonen und Zeiten durch die Feier der Sakramente in der sakramentalen Kirche, insbesondere durch die Taufe (in acht-eckigen Becken) auf seinen Opfertod und seine Auferstehung am Sonntag, dem „achten Tag“, und die sonntägliche Eucharistie als ‚vollkommener Gottesdienst‘. Die Zahl Acht steht für Vollkommenheit und Vollendung jenseits der Zeit, weshalb Jesus seine Bergpredigt mit acht Seligpreisungen beginnt.

 

Die Taufe ist der „Anfang“ im Christsein, der auf die Eucharistie hingeordnet ist, der Teilhabe am „Fleisch“ und „Blut“ Christi, des fleischgewordenen Logos; Jesus sagt: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag“ (Joh 6,54). In den Sakramenten der Kirche, besonders der Eucharistie, findet die „vertikale“ Fleischwerdung des Wortes Gottes (Joh 1,14) ihre „horizontale“ Fortsetzung. Alle sieben Sakramente der Kirche sind heilige, geisterfüllte und bedeutungsvolle Zeichen, die die kommende Welt des „achten Tages“ schon antizipieren.

 

Das tun auch alle Wunder Jesu, insbesondere die Erweckungen vom Tod. Bei der Auferweckung des Lazarus, der nach „vier Tagen“ schon Todesgeruch verbreitet, sagt Jesus: „Nehmt den Stein weg! (…) Habe ich euch nicht gesagt: Wenn du glaubst, wirst du die Herrlichkeit Gottes sehen? Da nahmen sie den Stein weg. Jesus aber erhob seine Augen und sprach: Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast. Ich wusste, dass du mich immer erhörst; aber wegen der Menge, die um mich herumsteht, habe ich es gesagt; denn sie sollen glauben, dass du mich gesandt hast“ (Joh 11.39-42). Damit bestätigt Jesus, so Klaus Berger, „dass er ein Gebet, in dem er Kraft zum Wundertun erbitten müsste, überhaupt nicht braucht“ (Der Wundertäter. Die Wahrheit über Jesus, 2010, 94). 

 

      Die eigene Auferstehung erfordert die Mitwirkung mit der Gnade

Nachdem Jesus auf diese Weise gesagt hat, wer er eigentlich ist, „rief er mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus! Da kam der Verstorbene heraus, seine Füße und Hände waren mit Binden umwickelt, und sein Gesicht war mit einem Schweißtuch verhüllt“ (Joh 11,39-44). Mit diesem siebten Zeichen erfolgt der Höhepunkt der Selbstoffenbarung Jesu in seinen geistgewirkten Machttaten: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt, und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben“ (Joh 11,25f). Der ‚vier‘ Tage tote Lazarus (= Gott hat geholfen) muss im Grab den Ruf Jesu ‚hören‘ und trotz der fesselnden ‚Binden‘, das heißt der ‚Leidenschaften‘aus der Gewalt des Todes herauskommen (Joh 11,43f).

 

Die Dominikanerin Benedikta Rickmann spricht mit Katharina von Siena vom „Grab der Selbsterkenntnis“ und der „Wahrheit über die eigene Schuld“: „In dem Grab kommt der Auferstandene auf den Sünder zu und schenkt ihm neues Leben, so dass dieser jetzt mit seiner eigenen Kraft das heißt: mit seinem erlösten Willen – aufstehen und umhergehen kann. In diesem Sinn schreibt Thomas von Aquin, dass bei der Rechtfertigung der freie Wille bei der eigenen Auferstehung mit der Gnade mitwirkt (Kommentar zu Eph 5,14)“ (Pilgerfahrt zum leeren Grab, in: DT, 6. April 2023, Forum: Auferstehen zum Leben).

 

Augustinus fasst die Erweckung der Tochter des Synagogenvorstehers (Mk 5,4f), des Sohnes einer Witwe, der schon außerhalb der Stadttore gebracht war (Lk 7,14f), und des Lazarus zusammen: Das Mädchen im ‚Haus‘ steht für den Tod der Seele, der noch ‚inwendig‘ ist, „weil der böse Gedanke noch nicht in die Tat umgesetzt wurde“ – „die Sünde war gleichsam verborgen. Bist du aber nicht nur gedanklich einer Begierde erlegen, sondern hast du das Böse auch schon getan, so hast du gleichsam den Toten schon außerhalb der Tore gebracht, bist du schon draußen und als Toter zum Sarg weggebracht“ (Kommentar zum Johannesevangelium, ²2019, 203). Dass Jesus den Sohn an seine Mutter zurückgibt, versteht Augustinus als Hinweis, dass der auferweckende Herr „dich der Kirche, deiner Mutter“, zurückgibt (ebd.).

 

Beim Tod des Lazarus ist „aus der Sünde eine Gewohnheit“ geworden: „Wer aber zu sündigen gewohnt ist, ist begraben und treffend sagt man von ihm: ‚Er riecht schon‘, denn sein sehr schlechter Ruf beginnt gleichsam einen abscheulichen Geruch zu haben. Das sind alle Gewohnheitsverbrecher, alle sittlich Verdorbenen. (…) Jemand mag fragen: Wie kann Lazarus den Sünder darstellen und vom Herrn so geliebt werden? Er vernehme sein Wort: ‚Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder‘ (Mt 9,13). Denn hätte der Herr die Sünder nicht geliebt, wäre er nicht vom Himmel auf die Erde herabgestiegen“ (204f).

 

     Jesu Wunder stehen im Gesamtkontext der Bundes- und Heilsgeschichte

Das Wunder wird in der Bibel nicht isoliert als singuläres Geschehen dargestellt, sondern eingeordnet in den Gesamtkontext der Bundes- und Heilsgeschichte, der Schöpfungs- und Erlösungsordnung. Jean Daniélou erklärt: Gott führt „die großen Heilstaten des Alten wie des Neuen Bundes in der gegenwärtigen Periode der Heilsgeschichte in den Sakramenten weiter und bildet in ihnen zugleich die endzeitliche Erfüllung voraus“ (Liturgie und Bibel, 1963, 225). Das heißt umgekehrt, dass die biblischen ‚Heilstaten‘ immer schon sakramentalen (und kultischen) Charakter haben.

 

Die Wunder setzen sich fort in den Sakramenten der Kirche, die als Mittel und ‚Medikamente‘ der Heilung verstanden wurden. Dabei besteht das eigentliche Unheil in der Sünde, die zum Tod führt als Trennung von Gott, der die Quelle des Lebens ist. Von der ersten Sünde des Adam her, der zugleich die ganze Menschheit vertritt, liegt schon auf der vergänglichen Welt in der Zeit der üble Geruch des Todes. Durch die Teilhabe am Messias Jesus, der „die Auferstehung und das Leben“ ist (Joh 11,25), wird er aber in Lebensduft verwandelt: Christus nimmt durch sein Heilswerk, so der Rottenburger Bischof Georg Moser, „der Schöpfung den Verwesungsgeruch“.

 

Das sagt auch Paulus, wenn er die Wirkung seiner Heilsbotschaft vom „Duft der Erkenntnis Christi“ für die Gläubigen und die Ungläubigen beschreibt: „Denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verloren gehen. Den einen sind wir Todesgeruch, der Tod bringt, den anderen Lebensduft, der Leben verheißt“ (2 Kor 2,14-16). „Todesgeruch“ deshalb, weil der verheißene Lebensduft über das Kreuz führt.

     

    Die Rückkehr ins „duftende“ Paradies als Ort der Tugenden

Gregor von Nyssa, der „Vater“ der christlichen Mystik, versteht den „Wohlgeruch Christi“ als Ausfluss der inneren Tugend: „Der göttliche Bräutigam durchströmt sein ganzes Leben mit dem Balsam seiner Tugenden, und dadurch wird auch das Leben des Paulus zu einem Wohlgeruch, den alle anderen einatmen dürfen“ (zit. nach Mariette Canévet, Gregor von Nyssa (ca. 333–ca.394), in: Gerhard Ruhbach/Josef Sudbrack [Hg.], Große Mystiker, 1984, 17-35, 33).

 

Der „Wohlgeruch“ des Opfers heißt hebr. reach nichoach, was verwandt ist mit ruach: Geist. Die Ausgießung des pfingstlichen Geistes „auf alles Fleisch“ bewirkt, dass die Geist-Empfänger zu „Propheten“ werden und prophetische „Visionen“ und „Träume“ haben (Apg 2,17). In der Katechese der alten Kirche diente das alttestamentliche Hohelied der Liebe als „Prophetie der endzeitlichen Hochzeit“ Gottes mit seinem Volk; das wurde mit dem „Duft der Glückseligkeit“ des Paradies-Gartens Eden und dieser Duft mit der aufblühenden Natur im Frühling in Verbindung gebracht; Jean Daniélou schreibt:

 

„Die Katechumenen stehen an der Schwelle des königlichen Gartens, des Paradieses, in dem die Hochzeit stattfinden wird. Schon weht sie Paradiesesluft an. Ambrosius führt diesen Gedanken noch weiter aus und charakterisiert die Situation des Katechumenen mit einem anderen Vers des Hohenliedes: ‚Ziehe uns an dich. Wir eilen im Duft deiner Salben‘ (1,3). Dieser Paradiesesduft, dieser Wohlgeruch des Heiligen Geistes ist die zuvorkommende Gnade Gottes, durch die er die Seelen in sein Paradies lockt: ‚Erkenne den Sinn dieser Schriftstelle. Du kannst Christus nicht folgen, wenn Christus dich nicht zieht‘“ (Liturgie und Bibel, 193-208: Das Hohelied: 195).

 

     Das Paradies-Heiligtum ist Vorausbild der heiligen Kirche

Das Paradies ist in der alten Kirche der Ort, wo die „Tugenden“ als „Bäume des Lebens“ wachsen im Unterschied zur „Welt“ als Ort der „Laster“ und des „Bösen“; Paulus dankt im Galaterbrief (1,3f) Gott und Jesus, „der sich für unsere Sünden hingegeben hat, um uns aus der gegenwärtigen bösen Welt zu befreien“. Weil die heilige Kirche durch die drei Geist-Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe konstituiert wird, gilt das Paradies auch als Vorausbild der Kirche.

 

So sagt Rupert von Deutz (um 1070–1129): „Schon vom Anfang her ist das Paradies gepflanzt; denn wie jeder weiß, ist die katholische Kirche von Christus, dem Anfang aller Dinge (principium omnium), gegründet worden“ (zit. nach Friedrich Wulf, Geistliches Leben in der heutigen Welt, 1960, 25, Anm. 29). Nach Friedrich Wulf sind „die Stellen, an denen die Kirche ein Paradies genannt wird, … überaus zahlreich“ (25, Anm. 27).

 

Das irdische Paradies ist Vorausbild der Kirche, aber mit ihr kommt mehr noch das Eigentliche, wodurch das christliche Leben „eine doppelte Sinnrichtung erhält: es ist Hinausgehen aus dieser Welt und ebendarin die paradiesische Wiederherstellung dieser Welt. Das ist der Sinn aller Askese: die paradiesische Ordnung in Christus wieder zu erneuern“ (30) – mit dem Kreuz als neuem Baum des Lebens im Zentrum: „Christus selbst ist der Baum des Lebens im neuen Paradies [der Kirche], von dessen Früchte die Gläubigen essen dürfen, die heilige Eucharistie, die vor dem Tod bewahrt“ (Rupert, Kommentar zum Hohelied der Liebe). Vom Lebensbaum Christus „soll der Mensch essen, mit seinen Mysterien umgehen“ (Rupert, zit. ebd. 31).

 

      Die geistige Erblindung des Menschen im Sündenfall

Durch das Essen der verbotenen Frucht vom Erkenntnisbaum verändert sich die innere und äußere Natur des Menschen: Statt der von Gott eingehauchten Geistseele, neschama (Gen 2,7), bestimmt jetzt die Körper- oder Blutseele, nephesch, das Menschsein, damit auch der „böse Trieb“, wie die Rabbinen sagen, der jezer ha-ra, die „Begierden und Leidenschaften“. Das Auge der Kontemplation (oculus contemplationis) oder das „dritte“ Auge schließt sich, das eine Urlicht vom Schöpfungstag Eins wird verborgen.

 

In Sir 21,11 heißt es: „Wer das Gesetz befolgt, beherrscht seinen Trieb, und Gottesfurcht ist vollendete Weisheit.“ Für die Rabbinen ist es neben der Offenbarung der Thora von Gott her auf Seiten des Menschen gerade die Gottesfurcht, die „die Macht des bösen Triebes“ neutralisiert; deshalb liegen das Gute und das Böse in der Entscheidung des Menschen: „Alles ist in den Händen des Himmels außer der Gottesfurcht“ (Gabriela Oberhänsli-Widmer, Bilder vom Bösen im Judentum, 2013, 142).

 

Avot de Rabbi Nathan sagt: „Abraham hat den bösen Trieb gut gemacht“ (zit. ebd. 139). In der letzten, zehnten Versuchung Abrahams erprobt Gott seine Gottesfurcht mit der Aufforderung, seinen geliebten Sohn Isaak auf dem späteren Tempelberg Morijah zu opfern (Gen 22,1-14): „Jetzt weiß ich, dass du Gott fürchtest; du hast mir deinen einzigen Sohn nicht vorenthalten“ (V.11f). Abraham nennt den Berg „JHWH-Jire“ (der Herr sieht) beziehungsweise: „Auf dem Berg lässt sich der Herr sehen“ (V.14).

 

Nach dem Sündenfall sieht der Mensch jetzt mit seinen zwei Augen, mit Sinnlichkeit und Verstand, nur noch die sichtbare Welt, nicht aber mehr den unsichtbaren Gott: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren“ (Gen 3,7). Des Menschen unsichtbare Herrlichkeit, seine ewige Würde und Ehre als „Bild Gottes“, ist damit wie entschwunden; Augustinus sagt in seinem 86. Vortrag zur Heilung von zwei Blinden (Mt 20,30-34) unmittelbar vor dem Einzug Jesu in Jerusalem:

 

„Nachdem er [Adam] gesündigt hatte, war sein Auge verletzt, und er begann, das göttliche Licht zu fürchten … Er floh die Wahrheit und suchte die Schatten“ (zit. nach Herbert Schade, Lamm Gottes und Zeichen des Widders, 1998, 185f, Anm. 191). Auch die Blindenheilung des ‚Blindgeborenen‘ in Joh 9,1-12 ist für Augustinus transparent auf die Ursünde als ‚Erblindung‘ des ‚dritten‘ Auges der Kontemplation und auf die Taufe, die eigentlich eine ‚Erleuchtung‘ ist und so auch eine Blindenheilung. Augustinus sagt in seinem Kommentar zum Johannesevangelium (179):

 

„In diesem Blinden (erkennen wir) das ganze Menschengeschlecht: Diese Blindheit breitet sich durch die Sünde im ersten Menschen aus, von dem wir alle den Ursprung nicht nur des Todes, sondern auch der Sünde erhalten haben. Wenn nämlich Blindheit Unglaube und Erleuchtung Glaube bedeutet, wen fand dann Christus bei seinem Kommen gläubig? Selbst der Apostel [Paulus], der aus der Sippe der Propheten stammte, bestätigt das: ‚Auch wir waren von Natur Kinder des Zorns wie die anderen auch‘ (Eph 2,3). (…) Hat die Schuld die Natur infiziert, wird der Mensch dem Geist nach als ein Blinder geboren.“

 

     Christus vereint am Kreuz das Sichtbare und das Unsichtbare

Von seiner Blindheit kann sich der Mensch nicht selbst befreien, auch nicht von seinem Tod, denn er kann sich nicht selbst beschneiden oder taufen und so „kultfähig“, „gottfähig“ oder ‚christusähnlich“ machen. Gott selbst vollbringt in seinem Sohn als neuem Adam das Werk, das Adam hätte vollbringen sollen, nämlich als „das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, in dem „alles erschaffen (wurde) im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare“, wieder zu versöhnen und zu vereinen: „Alles im Himmel und auf Erden wollte er (Gott) zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ (Kol 1,15.20).

 

Jesus stirbt als der neue Adam am Kreuz am Karfreitag, dem sechsten Tag, an dem auch der erste Adam mit den Tieren erschaffen wird, wie Irenäus von Lyon schreibt: Jesus kam „zur Passion, einen Tag vor dem Sabbat, dem sechsten Schöpfungstag, an dem auch der Mensch gebildet wurde, indem er ihm die zweite Erschaffung, die ihn dem Tod entriss, durch seine Passion schenkte“ (Adversus haereses 5,23,2 – Gegen die Häresien, 1995).

 

Die Herrlichkeit als göttliche Schönheit, Glanz, Ehre und Würde

Bei der Verwandlung von Wasser (Zeit) in den besseren Wein seiner (ewigen) Liebe offenbart Jesus für den Glauben seine „Herrlichkeit“ (Joh 2,11); vollends offenbar wird sie paradoxerweise erst am Kreuz als Ort der tiefsten Erniedrigung. Herrlichkeit bedeutet ebenso göttliche Schönheit und Glanz wie höchste Ehre und Würde. Im Hymnus des Philipperbriefs heißt es: Jesus „erniedrigte sich und ward gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen, damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihre Knie beugen vor dem Namen Jesu und jede Zunge bekennt: ‚Jesus Christus ist der Herr – zur Ehre Gottes, des Vaters‘“ (Phil 2, 8-11).

 

Schon die Fleischwerdung ist eine Erniedrigung des Sohnes Gottes, aber auch schon hier heißt es: „… und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater…“ (Joh 1,14). „Wir“ – das sind diejenigen, die in der Macht des verliehenen Geistes aus dem Wasser der Taufe „aus Gott geboren sind“, weil sie „an seinen Namen glauben“, den Namen Jesu als Ausdruck höchster Ehre (Joh 1,11-13). Im sogenannten Hohepriesterlichen Gebet sagt Jesus zum Vater: „Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. (…) Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast; denn sie sollen eins sein, wie wir eins sind“ (Joh 17,6.22).

 

„Eins“ soll der Mensch schon im Paradies sein; dort sind Mann und Frau „nackt“, aber sie müssen sich nicht „schämen“ (Gen 2,25). Der Grund ist: Sie sind noch bekleidet mit der Herrlichkeit Gottes, dem Lichtgewand der Gnade. Friedrich Weinreb erklärt in seinem Buch Das Opfer in der Bibel (2010, 363): „Der Mensch als Adam ist ursprünglich mit diesem ‚kethoneth or‘, dem Gewand aus Licht, bekleidet. Wenn der Mensch vom Baum der Erkenntnis isst, gerät er in den Fluss“, das heißt in „die vorbeiströmende Zeit“, in die Vergänglichkeit im Bild des fließenden Wassers. Er büßt dann seinen ‚Ewigkeitscharakter‘ ein, das heißt seine ursprüngliche Vollkommenheit. An die Stelle des Lichtkleides tritt das ‚Tierfell‘ mit den vielen Haaren oder die ‚Tierhaut‘. Statt ‚gottähnlich‘ ist er jetzt ‚tierähnlich‘ und sterblich.

 

Jesu Opfer am Kreuz zur Verherrlichung des Vaters erwirbt dem Menschen das verlorene ursprüngliche Lichtkleid der Gnade oder das „erste Gewand“, das im Gleichnis vom verlorenen Sohn der Vater dem heimkehrenden Sohn wieder schenkt (Lk 15,22). Es ist das weiße Kleid, das in der Taufe angezogen wird, um so den Menschen als Bild Gottes „in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ wiederherzustellen (Eph 4,24). Dazu müssen die Taufbewerber zuvor das ‚Tierkleid‘ des gefallenen Adam ‚ausziehen‘, das heißt dem Bösen absagen, so dass sie nicht „von den Begierden unseres Fleisches beherrscht“ werden (Eph 2,3); denn „wir waren von Natur aus Kinder des Zorns“ (V.3) und damit des göttlichen Gerichts, statt des Erbarmens.

 

Erbarmen, Herrlichkeit, Pracht und Harmonie (auch Schriftliche Thora) ist die Bedeutung der zentralen sechsten Sefira Tipheret im kabbalistischen Sefirot-Baum; christliche Kabbalisten wie Johannes Reuchlin haben diese Herz-Sefira mit Christus identifiziert und die unterste, zehnte Sefira Malchut (Königreich, auch Mündliche Thora oder Überlieferung) mit der Kirche. Beide sind im neuen und ewigen Bund für immer verbunden durch ihre „Heilige Hochzeit“.

Klaus W. Hälbig

 

 

 

 

 

 

 

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