Übersicht (um zu einem Bibel-Impuls zu gelangen, bitte klicken)
Warum lässt sich Jesus von Johannes dem Täufer taufen?
Warum wird in der Ostkirche Christus in einer Höhle geboren?
Warum erhält der Messias den Namen Jesus?
Warum hat Maria den Schlüssel zum Paradies in der Hand?
Warum wird die Jungfrau Maria vom Heiligen Geist „überschattet“?
Warum ist der Advent eine Zeit der unbändigen Freude?
Warum wird das jüdische Lichtfest Chanukka acht Tage gefeiert?
Warum ist Jesu Königreich nicht von dieser Welt?
Warum sind Friedhöfe (k)ein Ort des Trostes?
Warum verlangt Gott die Darbringung von Opfern?
Warum pilgern Christen zu den Gräbern von Heiligen?
Warum heilt Jesus den blinden Bettler bei Jericho?
Warum will Gott nicht nur im Himmel wohnen?
Warum kommt ein Kamel leichter durch ein Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich?
Warum ist Maria oft dunkelhäutig?
Warum erschafft Gott Adam und Eva keinen Bauchnabel?
Warum erinnert das jüdische Laubhüttenfest an das Paradies?
Wer sind Jesu Brüder und Schwestern?
Sind Tierleben so viel wert wie Menschenleben?
Warum ist nur das Kreuz das wahre Medium der Gottespräsenz?
Ist Jesus am Kreuz gescheitert?
Bild: Die Orthodoxie feiert am Fest Theophania (Epiphanie) am 6./7. Januar mit der Taufe Jesu im Jordan die Offenbarung der Dreifaltigkeit: „Denn des Schöpfers Stimme bezeugt Dich und nannte dich Deinen Sohn, und der Geist in Taubengestalt verkündete das untrügliche Wort“ (Kontakion aus der Liturgie der Theophania). Oktogonales Baptisterium der Arianer (Ravenna), das Taufwasser fließt aus dem Schnabel der Geisttaube, links der personifiz. Jordan.
Johannes der Täufer verkündet eine Taufe der Umkehr und Buße mit Wasser: „Kehr um, denn das Himmelreich ist nahe“ (Mt 3,1). Wie der Prophet Elija einen Mantel aus Ziegenhaaren mit einem ledernen Gurt trug (2 Kön 1,8), so trägt Johannes ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gurt um die Hüften (V.4). Bei Jesu Verklärung erscheinen auf dem Verklärungsberg Mose und Elija mit Jesus in der Mitte. Auf die Frage der Jünger, ob Elija vor dem Messias kommen müsse, antwortet Jesus: „Elija ist schon gekommen, doch sie haben ihn nicht erkannt“ (Mt 17,10-12). Der Täufer geht „mit dem Geist und mit der Kraft des Elija dem Herrn“ voran (Lk 1,17) wie vom Propheten Maleachi (3,23f) verheißen. Im Judentum ist es „Brauch, zu jeder ‚mila‘ [Beschneidung] auch den Propheten Elia einzuladen. Es steht dann immer der schönste Sitz für ihn bereit. Denn Elia verkündet doch den achten Tag [der Beschneidung]. Wie die Geburt des Johannes der von Jesu vorangeht“ (Friedrich Weinreb, Innenwelt des Wortes im Neuen Testament, 1988, 89). Der ein halbes Jahr von Jesus geborene Täufer verkörpert den Alten Bund, Jesus den Neuen, beides sind aber nicht zwei Bünde, sondern einer in zwei Phasen: der Alte steht im Bundeszeichen des ‚siebten Tages‘ (Sabbat), der auf den ‚achten Tag‘ jenseits der Sieben-Tage-Schöpfung verweist. Die Beschneidung am „achten Tag“ (Gen 21,4) ist auch Zeichen des Bundes, aber das Wegnehmen der ‚Hülle‘ (Vorhaut) ist noch äußerlich. Mit dem Messias kommt die Taufe mit dem Heiligen Geist und mit Feuer, die Johannes ankündigt (Lk 3,16), als eine innere Beschneidung des Herzens (Röm 2,28f; Phil 3,3; Kol 2,11-13). Die Knabenbeschneidung präfiguriert die Taufe in oktogonalen Becken und die Auferstehung am ‚achten Tag‘. Jesus lässt sich von Johannes (= Gott ist gnädig) mit Wasser taufen nicht nur als Zeichen seiner demütigen Ergebenheit in Gottes Willen (Mt 3,15), sondern auch, damit der Täufer als Zeuge des Lichts (Joh 1,7) und Stimme in der Wüste (Joh 1,23) ihn mit Israel bekanntmacht (Joh 1,31): „Mitten unter euch steht der, den ihr nicht kennt und der nach mir kommt“ (Joh 1,26). Mose und Elija als Repräsentanten von Gesetz und Propheten bezeugen durch ihr Schrifttum (Joh 5,45-47) und bei der Verklärung Jesus als Sohn Gottes, Johannes der Täufer durch seine ganze Existenz schon vor der Geburt (Lk 1,41) bis zu seinem Martyrium (Mt 14,3-12; Lk 3,19f; 16,16).
Bild: Die orthodoxe Weihnachtikone bezieht die Dimension der dunklen Erde in Gestalt der Geburtshöhle in das Weihnachtsgeschehen mit ein. Der die Weisen aus dem Morgenland nach Bethlehem führende Stern erstrahlt vor der (Todes-)Finsternis der Felsenhöhle. Die Windeln, in die das Jesuskind gewickelt ist, sind schon die Leinenbinden dessen toten Christus, der ins Grab gelegt wird. Die Hebammen (unten rechts im Ausschnitt) baden das Neugeborene; der Krug ist Zeichen der Gottesmutter (im rotgoldenen Oval), weil aus ihr das „Wasser des Lebens“ – der Gottessohn – hervorgeht. Sie ist die lebensspendende Quelle. Links unten ist der heilige Josef in Gedanken über das Wunder der jungfäulichen Zeugung und Geburt versunken. Darüber bringen die drei Weisen, die hier keine Könige sind, ihre kostbaren Geschenke dar. Ochs und Esel stehen für die Juden- und die Heidenchristen. Im Kind wird der Schöpfer selbst Geschöpf. Kathedrale von Spili auf Kreta.
Die orthodoxe Christenheit feiert da, wo sie den gregorianischen Kalender übernommen hat, das Weihnachtsfest am 25. Dezember und die Theophania oder Epiphanie (Erscheinung des Herrn) 13 Tage später am 6. beziehungsweise 7. Januar. Ursprünglich war Epiphanie nur auf die Taufe Jesu bezogen, zur Abwehr von Häresien (Leugnung der Menschheit Christi) wurde das Geburtsmotiv angelagert. Die Offenbarung der Göttlichkeit Christi ist mit dem Motiv des Lichts verbunden, bei den Weisen aus dem Morgenland das Licht des Sterns mit seinen acht Zacken, bei der Taufe Jesu im Jordan der Lichtstrahl der „herrlichen Gnade“ (Eph 1,6) des als Taube herabkommenden Heiligen Geistes. Hinzukommt die Offenbarung der Herrlichkeit Jesu bei seinem ersten programmatischen Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein auf der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11). Dieser dreifachen göttlichen Lichtherrlichkeit entgegen steht die unheilvolle Dunkelheit der Nacht, die Finsternis der (orthodoxen) Geburtshöhle (als Grab) und das „Schattenreich des Todes“ (Mt 4,16). „Die Menschwerdung bedeutet Herabstieg Gottes in die Niederungen der Finsternis. Mit dem Geborenwerden beginnt für Christus die Passion, während der Menschheit das göttliche Licht aufstrahlt“ (Günter Spitzing, Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole, Art. Geburt Christi, 124). Das neugeborene Christkind liegt auf Weihnachtikonen straff gewickelt auf einem Sarkophag: „Bis heute bedeutet die Weihnachtskrippe zugleich den Geburtssarkophag. (…) Die Geburtshöhle weist bereits hin auf die Hadeshöhle, die Welt der Toten“ (127f). Krippe und Grab gehen ineinander über, Weihnachten und Ostern sind Aspekte des einen Heilsmysteriums. Die Liturgie des Weihnachtstages ruft Christus an: „Der Du in einer Höhle geboren und in einer Futterkrippe gebettet zu unserer Rettung…“ Die Höhle in der dunklen Tiefe der Erde „stellt die bildliche Verkörperung der Lehre von der ‚Entäußerung‘ (Kenosis) dar: Christus hat, indem er in die äußerste Dunkelheit der Höhle hinabstieg, durch seine Geburt als Mensch auf alle Göttlichkeit verzichtet“ (128). Tiefenpsychologisch steht das Symbol der Höhle für das Unbewusste und „das weibliche Prinzip mit seinem lebensspendenden und bedrohlichen Aspekten“ (ebd.)
Bild: Das Fest der Namensgebung Jesu wird heute am 3. Januar gefeiert (vgl. Lk 2,21). Der „Engel des Herrn“ nennt den Namen „Jesus“ (= „JHWH rettet“) bei Lukas Maria (Lk 1,31), bei Matthäus Josef (Mt 1,25): „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“, sagt der Engel den Hirten auf den Fluren Bethlehems“ (Lk 2,11). Der Jesuitenorden hat den Namen Jesus übernommen: Gesellschaft Jesu. Jesus-Monogramm IHS (Anfangsbuchstaben von griech. Jesus) in der Jesuitenkirche Luzern.
Petrus sagt: „Es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12). Nach einem der ältesten christlichen Hymnen hat sich Jesus erniedrigt und war „gehorsam … bis zum Tod am Kreuz“, deshalb hat ihn Gott „über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen“ (Phil 2,8f). Mose erhält am brennenden Dornbusch die Offenbarung des Namens Gottes in Form des unaussprechlichen Tetragramms JHWH (Ex 3,14). Die fünf Bücher Mose (in der Bundesstruktur 1–4) haben das Ziel, den gebrochenen Bund wiederherzustellen; Gershom Scholem schreibt: „Die Tora ist der Name Gottes, weil sie ein lebendiges Gewebe, einen ‚Textus‘ im präzisen Verstande darstellt, worin der eine wahre Name, das Tetragrammaton, in verborgener und indirekter Weise eingewebt ist und in dem er auch direkt gleichsam als Leitmotiv des Gewebemusters immer wiederkehrt“ (Zur Kabbala und ihrer Symbolik, 62). Dieses Gewebemuster zeigt sich in den Zahlenwerten der Buchstaben JHWH, 10-5-6-5 = 26, unter anderem in vier der zehn Stammbäume der Genesis: „Diese vier bringen die anderen sechs mit sich, wodurch die zehn wiederum mit der Struktur der realen vier und der sechs als sich daraus ergebender Zustände gebildet wird. Die Vier ist ja vor dem Hintergrund 3 + 2 + 1 = 6 zu sehen“ (Weinreb, Schöpfung im Wort, 142f). Der Stammbaum Gen 5,1-32 zählt von Adam bis Noah zehn Geschlechter, Gen 11,10-18 zählt fünf; der 5. Name Peleg (Gen 10,25) bedeutet ‚teilen’, ‚spalten’: „Es ist hier auch der Name Herr, der sich spaltet: in den ersten Teil ‚Jah’ und den folgenden Teil, der die Neigung zeigen wird, sich dem ersten Teil zu verbinden“ (ebd. 312). Entsprechend folgen zwei weitere Stammbäume: Von Regu bis Isaak sind es sechs und von Jakob bis Mose wieder fünf Geschlechter. „Der Name ‚Herr‘ erweist sich also als das Muster für die Einteilung dieser 26 Geschlechter. (…) Der Name ‚Herr‘ drückt der Zeit seinen Stempel auf, gibt so der Geschichte, dem Geschehen Sinn und Bedeutung und formt die Struktur des Geschehens“ (147). Wie der Name des Ewigen mit den gesegneten Geschlechtern in der Zeit mitgeht bis zur Geburt Jesu – der lukanische Stammbaum Jesu (Lk 3,23-38) zählt von Gott über Adam bis Josef 78 (= 3 x 26) Geschlechter –, so geht Jesus mit den zu den Völkern ausgesandten Jüngern mit: „Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). So erweist sich Jesus Christus für alle Zeiten als derjenige, dem man „den Namen Immanuel geben (wird), das heißt übersetzt: Gott ist mit uns“ (Mt 1,23).
Bild: Der frühchristliche Hymnos Akathistos besingt Maria als „Morgenglanz des mystischen Lebens“ und „fruchtender Baum, der die Gläubigen labt“. Der Dichtung zufolge weist Maria den Gläubigen „den Weg zur Weisheit“, führt die Philosophen „an die Grenzen“ und zeigt den Wissensforschern „das Unerforschliche“. Sie ist wie das Kreuz die „Himmelsleiter, darauf Gott herniederstieg“. Gleich zweimal heißt es von ihr, sie habe „das Heiligtum des Paradieses“ erschlossen beziehungsweise wieder zugänglich gemacht, denn: „Du (Maria) bist der Schlüssel zu Christi Königreich.“ „Den gefallenen Adam richtest du wieder auf; von ihren Tränen erlösest du Eva.“ Maria erscheint so als die ursprünglich-heile Schöpfung, die aus der „Wurzel Jesse“ (GL 222,4; vgl. Jes 11,1), der Himmels-Wurzel, dem Erinnerungsschatz der himmlischen Urbilder, hervorgeht: „Eine neue Schöpfung brachte der Schöpfer hervor, die so noch nie war, da er uns erschien, die wir von ihm geschaffen.“ Maria mit dem Jesuskind in der linken und dem Kreuz-Schlüssel in der rechten Hand, Kloster Tana See, Äthiopien.
Die immer beliebter werdende gesungene Festankündigung in der Christmette (analog zum gesungenen österlichen Lichtgesang des Exsultet) ordnet das Heilsgeschehen in die Welt- und Naturgeschichte seit Anfang der Schöpfung ein und setzt den neuen Friedensbringer Jesus in ein spannungsvolles Verhältnis zum politischen Herrscher Augustus (Lk 2,1). Die Herrschaftsideologie des römischen Reiches beanspruchte für den Kaiser eine göttliche Verehrung, der viele Christen, die sich ihr verweigerten, zum Opfer fielen. Der Versuch, das Geschehen der Heiligen Nacht mit genauen Zeitangaben historisch exakt in der Vergangenheit zu verorten, ist problematisch. Herodes (Mt 2,1) starb bereits im Jahr 4 v. Chr.; die Volkszählung beim Amtsantritt des römischen Statthalters Quirinius wird frühestens auf das Jahr 6 n. Chr. datiert. Exakte Datierungen sind nicht das Ziel der Bibel, die genannten Daten, Zahlen und Altersangaben haben meistens einen rein symbolischen und theologischen Sinn. Augustus verfügte über die Macht, die Pax Romana mit Gewalt durchzusetzen. Die Allmacht Gottes tastet die Freiheit des Menschen nicht an, sondern wirbt um die innere Zustimmung des Glaubens wie bei Maria. Sie wird seliggepriesen, weil sie der Botschaft des Engels geglaubt und ihr Ja-Wort dazu gegeben hat im Unterschied zu dem Priester Zacharias (hebr. sachar = ‚männlich‘ und ‚erinnern‘), der nach dem Besuch des Engels Gabriel bis zur wunderbaren Geburt des Täufers Johannes (= Gott ist gnädig) verstummt (Lk 1,20-22.38.45.63f). Johannes wird als Vertreter des Alten Bundes ‚sechs Monate‘ vor Jesus geboren (1,26.56f), so dass beide Bünde zusammen das ganze Jahr und die ganze Zeit umfassen, sie im „Bund“ mit Gottes Ewigkeit verbinden. Damit geschieht das Heilsgeschehen nicht in einer zurückliegenden Vergangenheit, sondern „heute“: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr“ (Lk 2,11). Der Glaube lässt zum Zeitgenossen der biblischen Heilsgeschichte (nicht der Weltgeschichte) werden: „‚In jener Zeit‘ … bedeutet die ‚geheiligte Zeit‘ – in illo tempore – das ‚Jetzt‘, das ‚Gegenwärtige‘. Während der Feier von Weihnachten wohnen wir wirklich der Geburt Christi bei, und der auferstandene Christus erscheint uns wirklich in der Osternacht…“ (Paul Evdokimov, Das Gebet der Ostkirche, 1986, 46). Die Gegenwart des Ewigen in der Zeit erschließt wieder das verlorene Paradieses: „Heut‘ schließt er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis,/ der Cherub steht nicht mehr dafür (davor), Gott sei Lob, Ehr und Preis“ (GL 247). Marias Glaube hat es in der Hand.
Bild: Im Stundengebet am 15. August (Maria Himmelfahrt) heißt es: „Ewiges Wort, dass du Maria als unverderbliche Lade deiner Wohnung erwählt
hast, befreie uns von der Verderbtheit der Sünde.“ Pius XII. führt in der Bulle „Munificentissimus Deus“ (1. Nov. 1950) zur Dogmatisierung der Aufnahme Mariens in die himmlische
Herrlichkeit als biblische Grundlage die ‚Unverweslichkeit‘ des Akazienholzes als Baumaterial für die Bundeslade (Ex 25,10) an sowie den Psalm 132,8:
„Erhebe dich, o Herr, zu deiner Ruhestatt, du und deine heilige Lade!“ Das Hüpfen des Täufers Johannes im Leib seiner Mutter Elisabeth bei der Begegnung mit Jesus im Leib Marias erinnert an
Davids Tanz vor der Bundeslade, denn: „Die Frage Elisabeths in Lk 1,43 (‚Wer bin ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt?‘) entspricht exakt der Frage Davids in 2 Sam 6,9: ‚Wie kann die
Lade Jahwes zu mir kommen?’ (…) Und auch der Weg Marias zu Elisabeth erinnert in vielen Details an den Weg der Bundeslade in 2 Sam 6“ (Karl-Heinz Menke, Fleisch geworden aus Maria, 1999,
35). Auch ein Tabernakel symbolisiert die Bundeslade. Mariens „Entschlafung“, Maria-End-Altar, „Hofkirche“ Luzern.
Die eigentliche ‚Wohnstätte‘ Gottes ist nicht das „von Menschenhand gemachte“ Gotteshaus aus Stein (Apg 7,48), sondern das im wahren Glauben gereinigte Herz (Mt 5,8; Eph 3,17). Dadurch wird die im ‚Sündenfall‘ verunstaltete Gottebenbildlichkeit wiederhergestellt. Als reine Gotteswohnung schlechthin wird Maria bei der Inkarnation des ein- und beiwohnenden Logos vom Heiligen Geist ‚überschattet‘ (Lk 1,35) – wie das Bundeszelt von der „Wolke“ der Gegenwart Gottes: „Mose konnte das Offenbarungszelt nicht betreten, denn die Wolke lag darauf, und die Herrlichkeit des Herrn erfüllte die Wohnstätte“ (Ex 40,35). Daran knüpft Joh 1,14 an: „Das Wort (Logos) ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt (wörtlich: gezeltet), und wir haben seine Herrlichkeit gesehen…“ Maria ist das neue Bundeszelt und die neue Bundeslade mit den Zehn Geboten auf den zwei Bundestafeln (Dtn 10,1-5). Die Zehn auf den zwei Tafeln (5 + 5) hat die gleiche Zahlenstruktur wie der Gottesname JHWH: 10-5-6-5, das heißt 10 = 5 + 5 (Waw = 6 zwischen den beiden He = 5 bedeutet ‚und‘). Die ersten fünf Gebote richten sich auf die Gottesliebe (die zu ehrenden Eltern im 5. Gebot repräsentieren für das Kind Gott). Die zweiten fünf Gebote richten sich auf die Nächstenliebe, beginnend mit dem 6. Gebot: nicht morden (Ex 20,13; 21,12-14). Die Zehn Gebote sind zusammengefasst in den zwei Hauptgeboten der Gottes- und Nächstenliebe (Mt 22,36-40; Röm 13,9f), die zum Eins-Sein führen: Liebe, hebr. ahawah, 1-5-2-5 = 13, und ‚eins‘, echad, 1-8-4 = 13. Zweimal Liebe, zweimal 13, ergibt 26: die Zahl des Tetragramms 10-5-6-5 = 26. Jesus = JHWH rettet (Lk 1,27; 2,11), ist die fleischgewordene Liebe, die nicht nur eins ist mit dem Vater (Joh 10,30), sondern auch mit allen, die im Geist der Liebe ‚jungfräulich‘ wiedergeboren an seinen Namen glauben (Joh 1,12f): „Wie mich der Vater geliebt hat, so liebe auch ich euch. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe (Joh 15,9). Die Jünger hören „das alte Gebot“ (1 Joh 2,7) der Liebe und zugleich „ein neues Gebot“ (Joh 13,34): die Liebe zum „Bruder“ im Glauben (1 Joh 2,7-11). „Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“ (Joh 17,21).
Bild: Die himmlischen Boten verkünden den Hirten auf dem Feld eine „große Freude“ (Lk 2,10), und die von Anfang an ‚makellose‘ Jungfrau Maria wird vom Engel Gabriel bei der Verkündigung des Ratschlusses des Höchsten aufgefordert: „Freue dich“ (Lk 1,28), wie das griechische Wort chaire treffender zu übersetzen wäre (vgl. Zef 3,14 und Sach 9,9). Joseph Ratzinger sagt von daher: „Das Christentum ist von seiner Mitte her Freude, Ermächtigung zum Frohsein – das ‚chaire – freue dich‘, mit dem es beginnt, drückt sein ganzes Wesen aus“ (Theologisches ABC, Art. Evangelium, 70). „Freude entspricht als Grundaffekt dem Glück. In der Heiligen Schrift wird die Freude immer mehr über ihren irdischen Sinn hinaus zum Kennzeichen der nahenden, schon begonnenen und bevorstehenden Erlösung“ (Wolfgang Beilner, Art. Freude, in: Walter Bauer, Wörterbuch zum Neuen Testament, 188-191, 188). Ikone der Verkündigung, Abtei Niederaltaich bei Deggendorf, St. Nikolaus.
„Bald ist Nikolaus‘ Abend da“, singen Kinder voll Vorfreude auf die heiß ersehnten Geschenke. Advent ist die Zeit des Wartens. Johannes der Täufer, der im Gefängnis von Jesu Taten hört, schickt seine Jünger zu ihm und lässt Jesus fragen: „Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?“ (Mt 11,3). Jesus antwortet mit dem Propheten Jesaja (26,19): „Blinde sehen wieder, und Lahme gehen; Aussätzige werden rein, und Taube hören; Tote stehen auf, und den Armen wird das Evangelium verkündet“ (Mt 11,5). Wer würde sich nicht freuen, wenn er wieder sehen und gehen kann, wenn er unrein war und jetzt rein ist, wenn er tot war, und jetzt lebt? „Aber jetzt müssen wir uns doch freuen und ein Fest feiern“, sagt der barmherzige Vater dem daheimgebliebenen Sohn angesichts der Rückkehr des verlorenen Sohnes; „denn dein Bruder war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden“ (Lk 15,32). Weihnachten ist das Fest der unbändigen Freude darüber, dass Gott die verlorene Menschheit heimsucht, dass er seinen eingeborenen Sohn als Retter in die Welt sendet: „Welt ging verloren, Christ ist geboren“, darum: „Freue, freue dich, o Christenheit“ singt das Weihnachtslied „O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit“ (GL 238). Juden glauben nicht an Jesus als den von Gott gesandten Messias, weil die prophetischen Verheißungen scheinbar nicht mit Jesu Leben, Tod und Auferstehung übereinstimmen. Man hat einen königliche Rettergestalt erwartet, keinen „König der Juden“ in einer Krippe (Mt 2,1-11) oder einen leidenden Gerechten (Ps 22) oder Gottesknecht am Kreuz (Jes 53). Der Messias soll aus Davids Stamm sein wie Josef, „Sohn Davids“ (Mt 1,20) (das Josefsjahr endet am 8. Dez. 2021). Er soll aber auch ‚Sohn Josefs‘ sein, der für den sterblichen Körper steht. In den Schriften der Rabbinen kommt gegen Ende des 2. Jh.s n. Chr. die Meinung auf, die Texte zum leidenden Gerechten „bezögen sich nicht auf den davidischen Messias, sondern auf einen anderen Messias niederen Ranges, den sie ‚Sohn Josefs‘ oder ‚Sohn Efraims‘ nennen und der dem wahren Messias voraufgehen, aber im Kampf gegen Gog und Magog umkommen werde“ (J. Nelis, Art. Messiaserwartung, in: Haag [Hg.], Bibellexikon, Sp. 1148). Der Prophet Ezechiel dagegen soll das „Holz Josef“ (Efraim, Israel) und das „Holz Juda“ (David) vereinigen: „Sie werden nicht länger zwei Völker sein und sich nie mehr in zwei Reiche teilen. (…) Dann werden sie mein Volk sein, und ich werde ihr König sein: Mein Knecht David wird ihr König sein, und sie werden alle einen einzigen Hirten haben“ (Ez 37,15-24). Jesus ist der neue David und neue Josef, der über „das Haus Jakob in Ewigkeit“ herrscht (Lk 1,32f).
Bild: Das Fest Chanukka vom 28. November bis 6. Dezember 2021 dauert acht Tage und nicht wie Ostern (Pessach) nur sieben Tage. Gefeiert wird die Wiedereinweihung des Tempels nach der ‚Entweihung‘ durch die „Griechen“ (assyrische Hellenisten), die im Tempel eine Zeus-Statue aufgestellt und die jüdische Religionsausübung verboten hatten. Das ‚koschere‘ Öl für die neue Weihe fehlte; nur ein kleines „Krüglein“ mit Öl war noch vorhanden, das aber nur für einen Tag reichte; durch ein Wunder reichte es aber für acht Tage – so lange, wie es braucht, um neues Öl herzustellen. Der Kerzenständer für Chanukka ist daher nicht siebenarmig wie die Menora, sondern achtarmig (mit einem neunten Arm für das Anzünd-Licht). Christen stecken auf dem Adventskranz vier Kerzen an, bis das ‚fünfte‘ Licht (als Quint-essenz) geboren wird: Christus als das wahre „Licht der Welt“ (Joh 8,12). In Erwartung dieses Lichts singt die Kirche im Advent: „Wohlauf, der Bräutgam kommt, steht auf, die Lampen nehmt./ Macht euch bereit zu der Hochzeit, ihr müsset ihm entgegen gehen“ (GL 554,1). Die fünf klugen Jungfrauen gehen mit ihren brennenden Öllampen dem kommenden Bräutigam entgegen, St. Christina, Ravensburg (Ausschnitt).
Das Fest Chanukka mit acht Lichtern feiert Israels Hoffnung, dass es auch nach Unterdrückung und Zerstörung kein tragisches Ende nimmt. Als der wieder aufgebaute und eingeweihte Tempel knapp 200 Jahre nach der Entweihung von den Römern erneut zerstört wurde, sagten manche Rabbiner, es gebe jetzt keinen Grund mehr, Chanukka zu feiern: Andere aber „haben gesagt: Nein, wir feiern trotzdem noch Chanukka, weil Chanukka ja das Prinzip Hoffnung beinhaltet. Wir hoffen darauf, dass genau wie an Chanukka auch wir es wieder erleben werden, dass der Tempel wieder aufgebaut werden wird. Und wir haben die Hoffnung in die Zukunft. (…) Und das eigentliche Wunder von Chanukka … besteht darin, dass wir überhaupt heute noch überall auf der Welt Chanukka feiern. Das ist das Symbol des jüdischen Überlebens, dass wir trotz der Katastrophen und der Tragödien, die uns in der Welt umgeben, nicht aufgeben“, so der orthodoxen Rabbiner Julian-Chaim Soussan (Domradio Köln, 24. Nov. 2021). Eine wirkliche Erklärung für die Achtzahl wird dabei nicht gegeben. Das hebr. Wort für Salböl, schemen, 300-40-50, entspricht im Stamm dem Wort für acht, hebr. schmonah, 300-40-50-5. Auch der achte der zwölf Söhne Jakobs, Ascher, hat diesen Bezug zum Salböl des Messias-Bräutigams: „Von Ascher kommt das Öl für diese Salbung“ (Weinreb, Schöpfung im Wort, 237). Im Segen des Mose heißt es von Ascher: „In Öl bade er seinen Fuß“ (Dtn 33,24). Wegen dieses engen sprachlichen Bezugs zwischen Salböl und Acht ist der Geist-Gesalbten der „König des achten Tages“ (ebd., 245), das heißt des Sonntags als Tag der Auferstehung (nach dem Sabbat als ‚siebten Tag‘ der vergänglichen Schöpfung). Vom Sonntag her erhalten die Getauften das weiße Kleid oder „erste Kleid“ (Lk 15,22). Denn der in der Taufe Neugeschaffene hat Christus als Gewand angelegt (Gal 3,27), und die Farbe des achten Tages ist weiß. „Er ist mit Christus auferstanden“ und zum „Licht der Welt“ (Mt 5,17) geworden, was das Licht der brennenden Taufkerze anzeigt: „Kind Gottes geworden, mit dem hochzeitlichen Gewand bekleidet [vgl. Mt 22,11], wird der Getaufte zum ‚Hochzeitsmahl des Lammes‘ zugelassen“ (KKK 1244). Bräutigam oder männlicher Verlobter (hebr. chathan, 8-400-50) und Braut (hebr. kallah, 30-20-5) enthalten die 8 und die 50: „Die Bestimmung des Verlobten (ist) der achte Tag“ (438).
Bild: Platon spielt im „Staat“ (Politeia II, 361e – 362a) im Jahr 400 v. Chr. den Gedanken durch, wie es dem vollkommen Gerechten in dieser Welt des Unrechts ergehen müsste; sein Fazit: Er würde verkannt und verfolgt werden, weil die Masse der Menschen sich lieber mit dem bloßen Schein der Gerechtigkeit begnügt, als selbst wirklich gerecht zu sein, so „dass der Gerechte unter diesen Umständen gegeißelt, gefoltert, gebunden werden wird, dass ihm die Augen ausgebrannt werden und dass er zuletzt nach allen Misshandlungen gekreuzigt werden wird…“ Im Buch der Weisheit sind es die „Frevler“, die den Gerechten, der sagt, „Gott sei sein Vater“, aus lauter Übermut „zu einem ehrlosen Tod verurteilen“ (Weish 2,18-21). „Durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören“; die Seelen der Gerechten aber „sind in Gottes Hand“ (Weish 2,24; 3,1). Kreuzigungsgruppe mit Jesus als König am Kreuz, Innichen im Pustertal (Südtirol), Stiftskirche.
In der Versuchungsgeschichte zeigt der Teufel Jesus alle Reiche dieser Welt, die er ihm geben wird, wenn „du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest“; Jesus kontert mit einem Wort aus der Thora: „Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen“ (Mt 4,8-10; Dtn 5,9). Daraufhin lässt der Teufel von Jesus ab, „und es kamen Engel und dienten ihm“ (V.11). Petrus will Jesus von seinem Weg des Kreuzes abhalten, nachdem Jesus das erste Mal ankündigt, dass er „von den Ältesten, den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten vieles erleiden (muss); er werde getötet werden, aber am dritten Tag werde er auferstehen“: „Das soll Gott verhüten, Herr!“ Jesus aber weiß, dass dies gerade der Wille Gottes ist und weist Petrus scharf zurecht: „Weg mit dir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (Mt 16,21-23). Auch hinter den jüdischen Autoritäten, die Jesus töten wollen, steht letztlich der Teufel: „Ihr habt den Teufel zum Vater und wollt das tun, wonach es euren Vater verlangt“ (Joh 8,44); ebenso hinter dem Verrat des Judas: „Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. Jesus sagte zu ihm: Was du tun willst, das tu bald!“ (Joh 13,27). Jesus erklärt bei seiner Gefangennahme Petrus, der mit dem Schwert das Ohr eines Dieners des Hohenpriesters abschlägt, dass der Vater ihm „sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken“ würde, wenn er ihn darum bäte. „Wie würde dann aber die Schrift erfüllt, nach der es so geschehen muss?“ (Mt 26,52-54). Jesu Königreich der Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe ist nicht von dieser Welt, die „unter der Macht des Bösen“ steht (Joh 18,36; 1 Joh 5,19). Aber mit seinem Leiden und seiner ‚Erhöhung‘ (gemeint ist seine innere Thronbesteigung) am Kreuz „wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden“ (Joh 12,31). Dies geschieht nicht in dem Sinn, dass nun die Welt mit einem Schlag vom Bösen und allem Unrecht erlöst und jetzt gut wäre, sondern so, dass nun ein Weg der inneren Verwandlung der Welt eröffnet ist, der zuerst bei jedem Einzelnen mit den Geist-Tugenden Glaube, Liebe und Hoffnung beginnt und in der Feier des Kreuz-Mysteriums in der Eucharistie seine tragende Mitte hat.
Bild: Die Trauerkultur in Deutschland ist gegenwärtig einem Wandel unterworfen. Immer mehr Menschen lassen die Asche der sterblichen Überreste in einer Urne unter einem Baum beisetzen, statt über ihrem Grab den Baum des Kreuzes als Zeichen der Hoffnung und des Trostes aufzurichten. Die ‚Rückkehr‘ zur Natur (von lat. nasci = geboren werden) scheint trostvoller als die Erinnerung an die eigene Taufe und den christlichen Glauben. In Irland und im keltischen Kulturraum wurden steinerne Hochkreuze mit biblischen Szenen und einem Ring um die Kreuzmitte aufgestellt, weniger an Grabstätten als vielmehr an hl. Orten, wobei es nach den vier Himmelsrichtungen immer vier Hochkreuze gab: ein Westkreuz, ein Ostkreuz, ein Südkreuz und ein Nordkreuz; dazwischen befand sich die Mitte der heiligen Stätte, so dass es sich um ein kosmisches Meditationsbild handelte (Meditation = in medio ire: in die Mitte gehen). Westkreuz im Friedhof der Klosterruine von Monaster-boice (gegr. im 6. Jh.) zwischen Dublin und Belfast.
Friedhöfe erinnern nicht nur an die Verstorbenen, sondern auch an die eigene Endlichkeit. Jedes Geborene muss notwendig auch wieder sterben, nur die Todesstunde ist ungewiss (Mors certa – hora incerta). Das Buch der Weisheit stellt heraus: „Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand…, ihre Hoffnung ist voll Unsterblichkeit“ (Wesih 3,1.4). Wo die Hoffnung auf Auferstehung zu einem ewigen Leben bei Gott schwindet, sind Friedhöfe und Grabsteine nur Orte einer „weltlichen Traurigkeit“, die „zum Tod“ führt (2 Kor 7,10). Es gibt aber nach Paulus auch eine „gottgewollte Traurigkeit“, die eine „Sinnesänderung zum Heil“ verursacht (ebd.). Denn die von Jesaja verheißene Frohbotschaft des Gesalbten Jahwes, der „ein Gnadenjahr des Herrn“ ausrufen wird, „damit ich alle Trauernden tröste“ (Jes 61,1-3), ist in Jesus Wirklichkeit geworden: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt…“ (Jes 61,1), was Jesus bei Lukas in seiner ‚Antrittspredigt‘ zitiert und auf sich bezieht: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“ (Lk 4,18.21). Der Gesalbte bringt den Trauernden Zions Schmuck „anstelle von Schmutz, Freudenöl statt Trauergewand, Jubel statt der Verzweiflung“ (Jes 61,3). Mit dem wohlriechenden ‚Freudenöl‘ des Heiligen Geistes sind alle Getauften gesalbt: Der so Gesalbte ist „ein Christ geworden, das heißt ein durch den Heiligen Geist ‚Gesalbter‘, eingegliedert in Christus, der zum Priester, Prophet und König gesalbt ist“ (KKK 1241). In der Taufe sind die Gläubigen mit dem Geist-Gesalbten Christus mitgestorben und auch schon im mystischen Sinn mitauferstanden (Röm 6,5-8). Das (Grab-)Kreuz symbolisiert beides: Tod und ewiges Leben. Paulus kann daher mit Jesaja und Hosea jubeln: „Verschlungen ist der Tod vom Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel“ (1 Kor 15,54f; Jes 25,8; Hos 13,14). In Jesu Auferweckung hat sich Gott als „der Vater des Erbarmens und der Gott allen Trostes“ erwiesen: „Er tröstet uns in all unserer Not, damit auch wir die Kraft haben, alle zu trösten, die in Not sind, durch den Trost, mit dem auch wir von Gott getröstet werden“ (2 Kor 1,3f). Der in die Herzen der Gläubigen ausgegossene Geist Gottes ist der Tröstergeist, dessen Kommen Jesus verheißen hat (Joh 14,16f) und um den die Kirche immer neu bittet: „Komm, o Tröster, Heilger Geist,/ Licht, das uns den Tag verheißt,/ Quell, der uns mit Gaben speist“ (GL 349,1).
Bild: Jenseits von Eden zeugen Adam und Eva als erstes zwei Söhne: Kain und Abel, der eine ‚Bauer‘, das heißt ‚Diener der Erde‘ (hebr. obed adamah), auch ‚Götzendiener‘, der andere ‚Hirte‘ von Schafen (Gen 4,1f) und Vorausbild des von seinen ‚Brüdern‘ erschlagenen Messias (Hebr 11,4). In der Hauptschrift der jüdischen Mystik, dem Sohar, heißt es: „Von Kain stammen alle bösen Sünder der Welt ab.“ Ähnlich versteht Augustinus Kain als Prototyp der vielen irdischen Weltreiche (civitas terrena) und der falschen Eigenliebe, Abel dagegen als Prototyp des einen himmlischen Gottesreiches (civitas dei) oder der wahren Gottesliebe. Das Opfer Abels als Geistseele ist das, was Gott erwartet und annimmt, das des Kain nicht. Abel und Kain bringen ihr Tier- u. Pflanzenopfer dar, Relief am Eingangsportal des Ulmer Münsters.
Opfern, hebr. korban, heißt: den Körper Gott näherbringen oder hochbringen (griech. ana-phora). Nach der Rettung aus der Sintflut im Schiff der Arche (hebr. teba = Wort) bringt Noach das ‚geistige‘ Brandopfer dar mit dem „Wohlgeruch“ (hebr. reach nichoach, analog ruach = Geist) für Gott (Gen 8,20f). Im Opfer geht es um die Wiederherstellung der Verbindung mit dem Ursprung und so um die wesentliche Dimension des Menschen; Weinreb schreibt: „Während der Mensch in dieser Welt lebt…, während er hier atmet und handelt, wacht und schläft, wird sein Körper durch das ‚esch‘ [Feuer] vom Himmel in Brand gesetzt, und der Geruch, der vom Körper aufsteigt, ist dann die ‚reach nichoach‘, von der Gott sagt: Das ist eigentlich der Sinn der Schöpfung. Gott hat [bei der Schöpfung den Geist] ausgeatmet, um das einzuatmen. Wenn das geschehen ist, brennt der Körper hier auf dem ‚misbeach‘ [Altar] weiter, das ganze Leben über. Das Leben endet jetzt also nicht mehr in dieser Sphäre des ‚esch‘. Wenn das einseitige [horizontale] ‚majim‘ [Wasser der Zeit] überwunden ist, gibt es kein Kommen und Gehen mehr. Der Ursprung ist mit dem Endziel, ‚esch‘ ist mit ‚majim‘, zur Einheit verbunden. Du bist also in einer anderen Welt.“ (Der Weg durch den Tempel, 392). Die Verbindung der Gegensätze von Esch und Majim, Feuer und Wasser, Anfang und Ziel ist die heilige Vermählung von Geist und Materie, Schöpfer und Schöpfung, wodurch dann der jenseitige „Himmel“ entsteht, hebr. schamajim, gelesen als esch-majim: Feuer-Wasser. Im ‚Feuerhimmel‘ (lat. em-pyreum) der ewigen Liebesgemeinschaft mit Gott steht der Mensch gleichsam „im Feuer“, doch – sofern er von Gott geheiligt ist – ohne zu verbrennen, wie das Beispiel der Jünglinge im „Feuerofen“ beim Propheten Daniel zeigt (Dan 3,24.40.49; vgl. Weish 3,6f). Das Brandopfer nimmt diese eschatologische, vergöttlichte Daseinsweise schon vorweg: Es antizipiert auf Erden den Himmel oder den ‚achten Tag‘ (Sonntag der Auferstehung). Abel und Kain stehen wie Jakob und Esau für die Geistseele und das ‚Fleisch‘. „Das Trachten des Fleisches führt zum Tod“ – Kain wird zum Brudermörder –, „das Trachten des Geistes aber zu Leben und Frieden“ (Röm 8,6). „Wer vom Fleisch bestimmt ist, kann Gott nicht gefallen“ (V.8).
Bild: Friedwälder wurden in dem Maße möglich, wie sich die Feuerbestattung anstelle der Erdbestattung durchsetzte; heute ist sie mancherorts schon die übliche Form der Beerdigung. Der christliche Glaube an die Auferstehung des ‚Fleisches‘ vom Tod hat verhindert, statt des Leichnams nur die Asche des verbrannten Körpers der Erde zu übergeben. Die Gräber von verstorbenen Märtyrern und Heiligen ohne ihre tatsächlichen ‚Gebeine‘ hätten sicher nicht die Anziehungskraft, die sie noch heute für zahllose Pilger haben. Die Gebeine des hl. Augustins überführte der König der Langobarden, Liutprand (1. Hälfte 8. Jh.), von Sardinien in seine Residenz Pavia in Norditalien, wo in der Krypta der romanischen Basilika St. Pietro in Ciel d’Oro schon der enthauptete heilige Philosoph Boethius bestattet war. Sarkophag als Altar in der Mitte der Hauptapsis über Augustins Grab, verziert mit 95 Figuren und 50 Marmorreliefs (14. Jh.) zum Leben des im Jahr 430 verstorbenen Kirchenvaters.
Zu den religiösen Grundvollzügen gehört das Pilgern zu besonderen Gnaden- und Erscheinungsstätten, die durch nichtalltägliche Erfahrung des übernatürlich Heiligen ausgezeichnet sind (wie Quellen, Bäume, Steine, Bilder, Gräber). Nach dem Hochfest Allerheiligen am 1. November gedenken katholische Christen Allerseelen, was verbunden ist mit einem Friedhofsbesuch. Die oberdeutsch-schweizerische Reformation (1524f) verfügte in der Zusammenstellung der Grundsätze des neuen Glaubens als erstes die Abschaffung des Marienkults, der Heiligenverehrung und der Wallfahrten, sodann des Seelenkults (Messopfer für die Verstorbenen im Fegefeuer) und die Feststellung der Nicht-Existenz des jenseitigen Reinigungsortes (Purgatorium). Stattdessen wurde für die Seele eine Art ‚Tiefschlaf ’ bis zum Jüngsten Gericht angenommen, Martin Luther spricht von einem „tieffen, starcken, süssen Schlaff“ (vgl. Helmut Feld, Das Ende des Seelenglaubens, 2013, 421). Dagegen sind für katholische Christen die Heiligen als Lebende bei Gott, wo sie weiterhin wirksam bleiben und deshalb um ihre Fürbitte angerufen werden können. Jesus sagt auf die Fangfrage, mit wem eine Frau, die mit sieben Männern verheiratet war, bei der Auferstehung von den Toten zusammen sein wird, dass „nach der Auferstehung … die Menschen nicht mehr heiraten werden“ und dass der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs „doch nicht der Gott der Toten, sondern der Lebenden“ ist (Mt 22,23-32). Wie die heiligen Erzväter und Erzmütter bei Gott lebendig sind, so erst recht auch alle in Christus verstorbenen Heiligen, deren sterbliche Überreste, als Reliquien verehrt, von Pilgern leibhaft aufgesucht werden, um den eigenen Anliegen vor Gott zu größerer himmlischer Unterstützung zu verhelfen. Das „heilige Grab“ schlechthin ist die ‚Grabeshöhle‘ der Auferstehung Jesu in Jerusalem. Der heilige Bernhard von Clairvaux (12. Jh.) hat für die Heilig-Land-Pilger seiner Zeit geistliche Betrachtungen zu den heiligen Stätten angestellt, wobei von allen „das Grab [Jesu] gewissermaßen den ersten Platz“ einnimmt; denn: „Das Gedächtnis seines Todes bewegt mehr zur Frömmigkeit als das Gedächtnis seines Lebens. Ich glaube, weil dieses schmerzlicher, das andere freundlicher erscheint… Das Leben Christi ist für mich die Regel des Lebens, sein Tod Erlösung vom Tod. Sein Leben belehrte unser Leben, sein Tod vernichtete unseren Tod. Das Leben war freilich mühselig, der Tod aber kostbar: Beides war jedoch sehr notwendig!“ (Honig aus dem Felsen, 2021, 182).
Bild: Der Sonntag der Weltmission (24. Okt.) erinnert alle Christen daran, wozu sie gesandt sind: allen Völkern das in Jesus gekommene Heil, die Gotteswürde des Glaubens, neu zu bringen. Dazu passt die Heilung des blinden Bettlers Bartimäus („Sohn des Geehrten“). Er schreit laut nach Jesus und will befreit werden von seiner Blindheit (Mk 10,46-52). Diese hat mit „Jericho“ (V.46) zu tun hat: Hebr. reach ist der Duft, jareach der Mond, der seine Gestalt ständig verändert, der nie gleich bleibt so wie alles, was nur zeitlich ist. In der Zeit zu leben, umhüllt vom ‚Duft‘ des ‚Mondes‘, das ist: in der ‚Nacht‘ sein, ein ‚Bettler‘, der seine Not nur noch laut herausschreien kann (wie in Edvard Munchs Bild „Der Schrei“). Jesus sieht diese Not und die Sehnsucht, den Glauben des Armen, der sich in seinem Schrei artikuliert. So kann er ihm das Licht (für das innere Augen) schenken, das er ist. Jesu Kreuzesschrei, Passau, Dom St. Stephan.
Unmittelbar vor dem Einzug nach Jerusalem und damit vor seiner eigenen Passion begegnet Jesus noch einmal der Not des Menschen in Gestalt des blinden Bettlers bei Jericho: der Mondstadt, des Werdens und Vergehens im Fließen der Zeit. Jesus („JHWH hilft“) ist gekommen, damit der in Blindheit und Armut, in Sünde und Tod verlorene Mensch, der sich doch nach dem Ewigen, nach der Fülle des Seins sehnt, wieder das sein kann, wozu ihn Gott berufen hat: Bild und Gleichnis des Höchsten zu sein, das Anteil hat an seinem ewigen Licht und Leben. Jesus, Sohn und Wort des Vaters, ist dieses Licht und Leben, das „wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1,9), das „Licht der Welt“ (Joh 8,1), das die Blinden sehend und die Sehenden blind macht: „Wenn ihr blind wärt“, sagt er den Pharisäern, die die Heilung des Blindgeborenen durch Jesus in Frage stellen, „hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde“ (Joh 9,41). Ihr Gottesglaube ist eigentlich Unglaube; denn Gott ist für sie in der ‚Ferne‘, im ‚Himmel‘, aber nicht im Herzen, nicht im zeitlichen Leben und Sterben hier und jetzt erfahrbar. So gleichen die Pharisäer den gottlosen „Frevlern“ im Buch der Weisheit (1,16 – 2,24), die glauben, dass ihr Leben „kurz und traurig“ ist und es gegen den Tod „keine Arznei“ gibt (2,1), die „die Schöpfung auskosten“ wollen bis zum Äußersten (V.6) und am „Gerechten“, „der in Armut lebt“ (V.12), ihr Mütchen kühlen und „seine Geduld erproben“ wollen, indem sie ihn „zu einem ehrlosen Tod“ verurteilen: „So denken sie, aber sie irren sich; denn ihre Schlechtigkeit hat sie blind gemacht.“ (2,19-21). Bartimäus hingegen weiß, dass ihm die Einsicht, die Erkenntnis, das Erleben des Ewigen fehlt. Und er weiß, wer Jesus ist: der Sohn von König David (des „Geliebten“) aus Bet-lehem, dem „Haus des Brotes“, der nach Jeru-salem geht, der „Schau des Friedens“, des Sehens des Ganzen oder Gottes. So wirft er seinen „Mantel“ weg, die Umhüllung des ‚Duftes‘ des ‚Mondes‘, und läuft zu Jesus, dem Sein (hebr. howe), das hilft. So wie Bartimäus jetzt laut schreit, so wird Jesus in ‚Jerusalem‘, das zu ‚Jericho‘ geworden ist, „mit lauten Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten“ vor den bringen, „der ihn aus dem Tod retten konnte“ (Hebr 5,7): „Jesus aber schrie laut. Dann hauchte er den Geist aus“ (Mk 15,37). Denn er weiß, dass ihn der Vater immer (er-)hört. So ist er „der Urheber und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12,2), der als Gekreuzigter alle in seine Nachfolge ruft, auch und gerade Bartimäus (Mk 10,52).
Bild: Die Kirchen und zuvor der eine Tempel in Jerusalem sind Gottes Wohnstätte, wo sein „Name“ und seine „Herrlichkeit“ wohnt (1 Kön 8,29.48; Ez 43,1), die in Jesus Christus sichtbar erschienen ist (Joh 1,14). Der Auferstandene ist in seiner verklärten Leiblichkeit der wahre Tempel, wo Gott „im Geist und in der Wahrheit“ angebetet wird (Joh 2,20-22; 4,23f). In seinem eucharistischen Leib ist Christus in seiner Kirche gegenwärtig, die er zu seinem lebendigen „Leib“, seinem universalen „Haus“ und seiner geliebten „Braut“ erbaut (Eph 2,19-22; 5,25-31; 1 Petr 2,4-9). Daran erinnern das Jahresgedächtnis einer Kirchweihe, das katholischerseits am dritten Sonntag im Oktober (17. Okt. 21), begangen wird. Die pilgernde Kirche ist dabei ebenso beständig auf dem Weg, wie sie auch das Ziel ihres Pilgerns, das himmlische Jerusalem, schon antizipiert. Wallfahrtskirche Madonna della Corona auf der östlichen Seite des Monte Baldo bei Spiazzi in der Nähe zum Gardasee.
Gottes Wohnort ist im „Himmel“ (1 Kön 8,30.43.49; Ps 103,19). Aber schon Mose muss nach dem ihm gezeigten himmlischen Muster ein Heiligtum als Wohnstätte auf Erden errichten und „vollenden“, damit Gott mit seiner „Herrlichkeit“ in der „Mitte“ seines Volkes wohnen kann (Ex 25,9; 40,33f). Diese Ein-wohung bleibt verhüllt durch die „Wolke des Herrn“ (Ex 40,34-38), die Israels Pilgerschaft durch die „Wüste“ am Tag anführt, während Gott in der Nacht in einer „Feuersäule“ vorausgeht, „um ihnen zu leuchten. So konnten sie Tag und Nacht unterwegs sein“ (Ex 13,21). Das Ziel der 40-jährigen Wanderung ist das Gelobte Land, wo „Milch und Honig fließen“ (Ex 3,8), „ein Land mit Weizen und Gerste, mit Weinstock, Feigenbaum und Granatbaum, ein Land mit Ölbaum und Honig, ein Land, in dem du nicht armselig dein Brot essen musst, in dem es dir an nichts fehlt“ (Dtn 8,8f). Das mutet wie ein Schlaraffenland an, aber das von Mose herausgeschlagene lebensspendende „Wasser aus dem Felsen der Steilwand“ (Ex 17,6f; Dtn 8,15) ist ein Vorausbild des Messias (1 Kor 10,4), und der „Honig aus dem Felsen“ (Dtn 32,13) ist Bild für Gottes Wort und Geist (Unter dem Titel „Honey from the Rock“ schildert der zum katholischen Glauben konvertierte Roy H. Schoeman die Konversion von 16 Juden). In der europäischen Neuzeit ist der Mensch das „Maß aller Dinge“ und tritt an die Stelle Gottes. Ebenso tritt „die Erde an die Stelle des Himmels, das Weltbild, das bisher theozentrisch war, wird erst jetzt anthropozentrisch und geozentrisch: das Irdische, bisher mit Misstrauen und Geringschätzung betrachtet, wird erst jetzt legitim, Realität, schließlich alleinige Realität“, so der Kulturhistoriker Egon Fiedell (Kulturgeschichte der Neuzeit, zit. nach Wolfgang Koch, Marianisches bei Goethe, 2021, 181f). „Und während die Erde in den astronomischen Experimenten und Systemen zum winzigen Lichtfleck herabsinkt, wird sie in den Herzen und Köpfen der Menschen zum alles beherrschenden Zentrum, zum allein Wichtigen, allein Wirksamen, allein Bewiesenen, allein Wahren, zum Mittelpunkt des Weltalls.“ Die ‚weibliche‘ Mutter Erde (Adamah) als Ort der Einwohnung und Beiwohnung Gottes in seinem heiligen Wort und Geist ist biblisch zwar überaus wichtig, aber dies nur im „Bund“ mit dem ‚männlichen‘ (Feuer-)Himmel, der sich gnädig auf die Erde herabneigt, um mir ihr ‚hochzeitlich‘ eins zu sein.
Bild: Der Vergleich der Schwierigkeit eines Reichen, in das Himmelreich einzugehen, mit einem Kamel, das leichter durch ein Nadelöhr geht, bleibt wegen seiner offensichtlichen Absurdität im Gedächtnis haften. Klaus Berger sieht darin ein Beispiel für Jesu „Humor“ als „Vater seiner Weisheit“ (Ein Kamel durchs Nadelöhr? Der Humor Jesu, ²2019). Die jüdische Weisheit baut allerdings auf der Sprache und den hebräischen Buchstaben auf. Danach ist ‚Kamel‘ das Bild für den 3. Buchstaben Gimmel und ‚Nadelöhr‘ das Bild für den viertletzten Buchstaben Kof mit dem Zahlenwert 100, das heißt der Eins auf der Ebene der Hunderter. Gimmel hat den Wert drei, so dass der Vergleich in Zahlen übersetzt lautet: die Drei geht eher in die Eins als die Vielheit (Materie) in die Einheit (Gottesreich) – geradezu ein trinitarisches Geheimnis.
Der Reichtum wird in der Bibel nicht an sich kritisch bewertet, sondern nur als mögliche Versuchung des Menschen, daran sein Herz zu hängen und sein Leben zu orientieren. Denn materieller Reichtum ist vergänglich und erfordert viel ‚Sorge‘ um seine Sicherung. Wahrer (innerer) Reichtum, der ‚Schatz im Himmel‘, ist dagegen unzerstörbar (Mt 6,19-21). Der reiche Mann, der Jesus nach dem Weg zum ewigen Leben fragt, weiß, dass das Halten der Zehn Gebote der von Gott selbst festgesetzt Weg des Lebens ist; gleichwohl spürt er auch, dass dabei noch etwas Wichtiges fehlt, nämlich die innere Beziehung zu Gott, der Glaube als ein Liebesverhältnis, nicht als eine Geschäftsbeziehung (Mt 19,16-26). Der Mann gleicht daher dem biblischen Hiob, der ebenfalls reich ist, zehn Kinder hat und alle Gebote penibel beobachtet. Nachdem jeder seiner sieben Söhne jeder in seinem Haus ein Gastmahl feierte und dazu auch die drei Töchter eingeladen wurden, war Hiob beunruhigt: „Vielleicht haben meine Kinder gesündigt und Gott gelästert in ihrem Herzen.“ Vorsorglich bringt er deshalb „so viele Brandopfer dar, wie er Kinder hatte“ (Ijob 1,4f). Sein Gottesverhältnis ist in diesem Sinn durch und durch „untadelig und rechtschaffen“ (V.1). Die Zehnzahl der Kinder verweist eigentlich aber auf die verborgene höhere Einheit der Liebe; erst sie ist die wahre „Erfüllung des Gesetzes“ Röm 13,10) und macht empfänglich für den „Reichtum seiner (Gottes) Herrlichkeit“ (Röm 9,23). Hiobs Gottesverhältnis ist dagegen von der Angst und Sorge um die vollständige Gebotserfüllung geprägt. Erst im Durchgang durch seine ‚Todesmeditation‘ lernt er, worauf es wirklich ankommt und worin der Glutkern des Gesetzes besteht; so kann er am Ende sagen: „Vom Hörensagen nur hatte ich von dir (Gott) vernommen; jetzt aber hat mein Auge dich geschaut“ (Ijob 42,5). Ijob erhält jetzt von Gott einen viel größeren Reichtum als vorher: Sieben Söhne und drei Töchter, die schöner waren als alle; statt 11000 jetzt 22000 Tiere (14000 Schafe, 6000 Kamele, 1000 Rinder und 1000 Esel), wobei 22 die Zahl der Buchstaben des Alphabets ist. Seine Lebenszeit verdoppelt sich ebenfalls: von 70 auf 140 Jahre, weil jetzt auch die ‚andere Welt‘ des ‚Himmels‘ integriert ist (Ijob 42,12-17). Jesus berufen den reichen Jüngling in seine Nachfolge des ‚Armseins‘ im Geist (= Demut), um ihm den „bleibenden Schatz im Himmel“, das „Hundertfache“ zu erschließen (Mt 19,21.29). Er aber ging „traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen“ (Mt 19,22).
Bild: In zahlreichen Marienheiligtümern finden sich Gnadenbilder, die Maria als dunkelhäutige bis schwarze Frau darstellen. Am bekanntesten ist die Ikone der Schwarzen Madonna von Tschenstochau (15. Jh.), in Polen nationales Symbol und heiligste Reliquie des Landes. Bekannt ist auch die Schwarze Madonna vom Kloster Einsiedeln bei Zürich (15. Jh.), ein spätgotisches, vom Ruß der Kerzen und Lampen geschwärztes Gnadenbild, das 1803 in der ursprünglichen Farbe restauriert wurde, wegen des Unmuts der Bevölkerung darüber aber wieder schwarz übermalt wurde. „Morenita“ (die „Dunkelhäutige“) heißt die Jungfrau von Guadalupe in Mexiko-Stadt, die am 9. Dezember 1531 dem damals 57-jährigen getauften Indigenen Juan Diego Cuauhtlatoatzin erschien, was die Mission in Lateinamerika erst erfolgreich machte. Ganz schwarz ist auch Maria von Loreto bei Ancona: hier Kopie aus der Wallfahrtskirche Montecastello in Tignale am Westufer des Gardasees.
Während die Reformatoren die Marienverehrung bekämpften und damit die Brücke zwischen Natur und Übernatur abbrachen, ist sie für die katholische und orthodoxe Kirche stets bedeutsam geblieben, besonders in den Marienmonaten Mai und Oktober (Frühjahr und Herbst). Die Erlösung ist nicht denkbar ohne die Schöpfung, die sie erneuert und vollendet. Die geisterfüllte jungfräuliche Gottesmutter verkörpert als ‚neue Eva‘ und ‚Urbild der Kirche‘ in vollkommener Weise die Neuschöpfung, die aus der Wiedergeburt des Geistes hervorgeht (2 Kor 5,17; Gal 6,15), ohne den Bezug zur grundlegenden Sieben-Tage-Schöpfung aufzugeben. Der seiner Berufung zum Dichter folgende Johann Wolfgang Goethe hatte dafür auch als pietistisch erzogener Protestant durchaus einen Sensus; ging es ihm doch darum, eine höhere Wirklichkeit gerade in der Natur aufscheinen zu lassen. Die eindrückliche Schilderung der dunkelbrau-golden und geheimnisvoll-zart lächelnden Moreneta vom Montserrat bei Barcelona, die ihm sein Freund Wilhelm von Humboldt zuschickte, erinnerten den Weimarer Dichterfürsten an den Vers im Hohelied der Liebe: nigra sum sed formosa – „Schwarz bin ich, doch schön, Töchter Jerusalems“ (Hld 1,5). Von Humboldt erwähnte dabei auch, dass die katholische Kirche der Moreneta vom Montserrat den Sieg zuschrieb bei der großen Seeschlacht von Lepanto gegen die türkischen Osmanen unter Leitung des (unehelichen) Sohnes von Kaiser Karl V., Juan de Austria, am 7. Okt. 1571 (vor genau 450 Jahren, woran das Rosenkranzfest erinnert). „Karl V., der die Moreneta zu neun verschiedenen Malen besucht habe, sei mit einer an ihrem Altar geweihten Kerze in der Hand gestorben“ (Wolfgang Koch, Marianisches bei Goethe, 2021, 123f). Auch Ignatius von Loyola kam nach seiner folgenreichen Bekehrung zur Moreneta auf den Montserrat, und zwar am Fest der Verkündigung Mariä 1522, wo er direkt vor seiner Lebensbeichte die ganze Nacht als eine Schildwache vor dem Bildnis, teils knieend, teils stehend, zubrachte. Zwölf Jahre später traf sich Ignatius mit seinen Pariser Gefährten an Maria Himmelfahrt (15. 8. 1534) auf dem Montmartre zur Gründungsversammlung der „Gesellschaft Jesu“. Die schwarze Hautfarbe der Braut im Hohelied verweist auf ihre Schuld, denn sie konnte ihren Weinberg nicht vor den ‚roten Füchsen‘ hüten (V.6). Gleichwohl bleibt sie doch „schön“ und „makellos“ (Hld 4,1.7), „wie der [schwarze] Mond so schön“ (Hld 6,10) – dank der lichtvollen Liebe ihres göttlichen Bräutigams.
Bild: Der Mensch ist „nicht der Nabel der Welt“, sagt Ilse Müllner (So wichtig sind wir nicht, in: HerKorr Spezial Verlorenes Paradies, Okt. 2020, 9-11). Das stimmt aber nur für den ‚gefallenen‘ Menschen; ursprünglich hätte er es sein sollen – und im gekreuzigten Christus soll er es wieder werden. Denn ‚Nabel‘ oder ‚Ursprungs-Mitte‘ ist der (verlorene) Ort des Ein-Seins untereinander und mit Gott. „Die Erfahrung des einen Nabel der ganzen Welt, die Mystik, die Frucht der Kontemplation, ist der einzige echte Einigungsort aller Menschen und aller Religionen; in ihm sind wir alle ein mystischer Leib und ein Geist“ (Detlef Witt, Der Omphalos, in J. Kaffanke, Spirituelle Blütenlese I, 41). – Bauchnabelkreuze sind in den alten Kulturen sehr verbreitet, hier Neu Guinea.
Vor dem II. Vatikanum haben römische Theologen noch diskutiert, ob Gott den ‚Stammeltern‘ nachträglich einen Bauchnabel anerschaffen hat. Adam aus der Adamah und Eva aus der Rippe sind beide nicht ‚natürlich‘ gezeugt und geboren, sondern ‚Ersten‘, die ‚Prototypen‘. Der Bachnabel bezeugt die Geschlechterdifferenz in Mann und Frau, das Geborensein und Sterbenmüssen. Dass „mein Bauchnabel … davon (spricht), dass ich mich verdankt weiß, dass ich eine Gabe bin, die Gabe zweier anderer“ (Jürgen Kämpf, Das Ich als Gabe zweier anderer, DT 16. Sept. 2021), erscheint eher als idealistische Überhöhung: Auch aus einer Vergewaltigung kann ein neuer Mensch hervorgehen. „Durch die geschlechtliche Differenz ist es möglich, dass sich ein Mensch an einen anderen verschenken kann – er wird zum Geber einer Gabe, die Gabe seiner selbst. Aus dem Sich-gegenseitig-zum-Geschenk-werden kann eine neue Gabe entstehen: die Gabe neuen Lebens. Das Wesen der Liebe, Gabe zu sein, wird durch den Leib sichtbar, so dass Johannes Paul II. vom Leib als Ursakrament spricht“ (ebd.). Der polnische Papst bezeichnet aber nicht den sterblichen, von der Begierde beherrschten Leib (Röm 6,12) als „Ursakrament der Schöpfung“, sondern die „Ehe ‚im Anfang‘“, den „Bund“ als Abbild des Bundes von Schöpfer und Schöpfung, der zugleich „Prototyp“ aller Sakrament des Neuen Bundes ist. Diese verwirklichen ihrerseits den ewigen Liebesplan Gottes, der im hochzeitlichen Ein-Fleisch-Sein von Christus und der Kirche seine „zentrale Wirklichkeit“ und seinen „Höhepunkt“ hat: „So ist der ‚zweite Adam‘, Christus, der mit der Kirche durch das Sakrament der Erlösung durch ein unauflösliches Band – analog dem unauflöslichen Band der Eheleute – mit der Kirche verbunden ist, endgültiges Zeichen desselben ewigen Geheimnisses“ (Die Erlösung des Leibes, 186; 208; 218-220). Im ‚Paradies‘ ist der Mensch am „Nabel der Welt“ (Ez 38,12), in der einenden ‚Mitte‘ der ‚hochzeitlichen‘ Gegensätze, was christlich dann die Mitte des Kreuzes als neuer Baum des Lebens ist: „Dieser Punkt ist der Omphalos der Griechen, der Nabel der Welt unserer Vorfahren, die heilige Treppe so vieler Religionen, die Himmelsleiter. Hier gelangt man vom Himmel zur Erde, von der Erde zum Himmel, hier stehen Raum, Zeit und Ewigkeit miteinander in Verbindung. (…) In jeder Hinsicht hat das Kreuz die Funktion der Synthese und des Maßes…“ (Gérard de Champeaux/ Dom S. Sterckx, Einführung in die Welt der Symbole, 51).
Bild: Am sechsten Tag nach dem Messias-Bekenntnis des Petrus, der „wie der Hohepriester am Kippurfest … den ‚Namen des einzigen Sohnes Gottes‘“ ausruft, beginnt das Laubhüttenfest (im Jahr 2021 vom 20. bis 27. Sept.) – und es ereignet sich die Verklärung Jesu, wo Petrus „drei Hütten“ bauen will (Mt 17,4). Das Laubhüttenfest ist „das Fest der Aufrichtung des messianischen Gottesreiches“; Israels Glaubens-bekenntnis „Höre Israel“ (Dtn 6,5) wird auf Jesus übertragen: „Auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5) [Juan-Miguel Garrigues, Das messianische Israel, in: IKaZ Communio 24 (1995), 209-214]. Die drei biblischen Wallfahrtsfeste Ostern (Pesach), Pfingsten (Schwuoth) und Laubhütten (Sukkoth) haben ihr Zentrum im Tempel in Jerusalem; auch nach dessen Zerstörung im Jahr 70 n. Chr. beten die Juden jeden Tag um die Wiederherstellung des Tempels. Verklärung Christi, Byzantinische St. Nikolaus-Kirche, Abtei Niederaltaich.
Jesus als neuer Geist-Tempel verheißt den aus seinem Innern aufbrechenden Geistquell, und zwar „am letzten Tag des (Laubhütten-)Festes, dem großen Tag“ (Joh 7,37). Die nur mit Laub bedeckten Hütten, die zum Himmel hin offen sind, waren Hinweis auf das Wohnen der „Gerechten im Paradies“ – „und dass das Laubhüttenfest diese Hoffnung wach halte“ (Jean Daniélou). Die Feste Israels dauern sieben Tage wie die Schöpfung, das Laubhüttenfest hat aber noch einen ‚achten Tag‘, der auf die jenseitige, kommende Welt hinweist. Weinreb schreibt: „Das Laubhüttenfest ist in der Ausdrucksweise dieser Welt die Zeit des Endes. Die Welt des siebten Tages hört dann zu bestehen auf. Darum findet während dieses Festes das sogenannte ‚Ausgießen des Wassers‘ statt (Mischnajoth Sukka IV und V). Unter großer Freude wird Wasser in den Tempel gebracht und auf dem Altar ausgegossen. Das heißt also, dass an dieser Stelle, wo Bild und Wesen ‚eins‘ sind, das Wasser, die Zeit, ausgegossen wird, also dort, wo der Körper infolge der Zeit immer wieder wegging, wo er von dieser Welt in die andere überging. Jetzt nimmt die Zeit ein Ende, und das wird an diesem Ort mit großer Freude erlebt“ (Schöpfung im Wort, 744f). Mit dem Bau der Laubhütten, die noch kein festes ‚Haus‘ sind, beginnt man nach Ablauf des 10. Tages am Ende von Jom Kippur; das entspricht der Wanderung der ‚40 Jahre‘ nach dem Auszug aus ‚Ägypten‘, auch dargestellt im Zug von „Ramses“ (200-70-40-60-60 = 430) nach „Sukkoth“ (60-20-400 = 480; Ex 12,37). Dabei ist die Zahl 430 die Zahl der Jahre des Aufenthalts in ‚Ägypten‘ (Ex 12,40; Gal 3,17) sowie die Zahl der sterblichen Körper- oder Blutseele (nephesch, 50-80-300 = 430): Die Differenz zwischen 430 und 480 ist 50, also auch „Pfingsten“ (50. Tag) als Beginn der achten Woche analog zum achten Tag: „Der Auszug bedeutet, dass man den Weg der 50, einen für die Welt unbegreiflichen, unerforschlichen Weg geht. Es ist der Weg jenseits der 40, der Weg in eine andere Welt, in ein anderes Leben. Es ist der Weg jenseits dieses siebten Tages, wobei man in den achten Tag eintritt. Das ist auch das Wesen des Auszugs aus Ägypten. Mit dem Herausgehen aus dem sechsten Tag [= Ägypten], einem Gehen, das nur durch den Eingriff Gottes stattfinden kann, ist im Keim das Kommen in den achten Tag bereits anwesend.Denn der siebte Tag führt zur Einheit“ (900).
Bild: Josef von Ägypten gilt als Vorausbild des Erlösers, vor allem, weil er seine „Brüder“ und seinen Vater Jakob mit Brot vor dem „Hungerstod“ bewahrt und sich mit ihnen, die ihn „verraten“ und „verkauft“ haben, am Ende wieder versöhnt. Josef umarmt Jakob – eine von zehn Elfenbeintafeln mit 14 Episoden aus dem Leben des Patriarchen Josef auf den Wangenpartien der Armstützen der Bischofskathedra von Maximian (498–556), Ravenna Erzbisch. Museum.
Heute wird gern gesagt, alle Menschen seien „Kinder Gottes“ und untereinander „Geschwister“. Das Neue Testament spricht aber auch von „Kindern des Zorns“ (Eph 2,3), ja „des Teufels“ (Joh 8,44). Auch die „geringsten Brüder“ Jesu in seiner Weltgerichtsrede (Mt 25,31-46), die von den Werken der Barmherzigkeit handelt, werden heute selbstverständlich universalistisch auf alle Menschen oder alle Arme bezogen – mit weit reichenden politischen Konsequenzen. Die „geringsten Brüder“ sind aber nicht „Menschen-Brüder“ oder alle „Armen dieser Welt“, sondern „Brüder im Glauben“ (Gerhard Lohfink, Im Ringen um die Vernunft, 2016, 478-494). Nach dem biblischen Befund geht Gottes Liebe zu allen Völkern nicht an der Erwählung Israels und dann der Kirche vorbei, sondern ist dadurch vermittelt: „Der Menschensohn identifiziert sich also in Matthäus 25 mit seinen Jüngern, mit seinen Nachfolgern, mit seinen Jüngergemeinden. So sehr Christus auf der Seite aller Armen steht: Die wichtigste Sache in der Welt ist ihm die Existenz seines Volkes, weil nur über dieses Volk den Armen der Erde wirklich geholfen werden kann. Das ist ein Grundgedanke biblischer Theologie“ (ebd. 488). Hinsichtlich der aktuellen Flüchtlings- und Migrationskrise ist eine Güterabwägung zu treffen. Der Staat muss für Stabilität und Ordnung sorgen und sich an die eigenen Gesetze sowie die allgemeine Rechtsordnung halten. Das erfordert angesichts der notwendigen Hilfen eine schwierige Balance. Zudem ist bei der Gerichtsrede Jesu, die sich ja an Christen richtet, zwischen der Liebe als Gesinnung und der Liebe als Tat zu unterscheiden. Für letzteres gelten die klassischen Vorzugsregeln, wonach „der Nächste“ nicht jeder Mensch ist, sondern der eigene Glaubensbruder. Diese Vorzugsregeln gehören „zum Kern der katholischen Moraltheologie“ und widersprechen auch weder der biblischen Ethik noch dem Liebesgebot; vielmehr sollen sie „dem Anliegen einer bestmöglichen Verwirklichung des Liebesgebotes dienen“ (Eberhard Schockenhoff, Grundlegung der Ethik, 22014, S. 503). „Ohne die Anwendung der Vorzugsregeln könnte niemand leben und würde das gesellschaftliche Leben zusammenbrechen“ (so der Alttestamentler Ludger Schwienhorst-Schönberger). Letztlich ist jeder Bruder und Schwester Jesu, der „den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt“ (Mt 12,50). Dieser Wille Gottes zielt darauf, dass „alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4f) – im Glauben.
Bild: Die Vision vom paradiesisch-friedlichen Miteinander von Mensch und Tier steht am Anfang der Bibel: Adam und Eva bilden die Mitte im Kreis der Kreaturen. Adam übt seine ‚Tierherrschaft‘ als Namensgebung aus (Gen 2,20). Sprache und freie Selbstbestimmung sind die zentralen Kennzeichen des Menschen, der als „Bild Gottes“ zur Gemeinschaft mit dem ewigen Schöpfer berufen ist. Residenz, München.
Für 40 Prozent der Briten sind Menschen- und Tierleben gleich wertvoll. Das ergab eine Umfrage zur „Operation Arche“, mit der ein britischer Ex-Soldat mehr als 150 Hunde und Katzen aus Kabul ausgeflogen hat. Auch im Hauptartikel des Magazins Zeit-Wissen „Neue Ehrfurcht vor altem Wissen“ (Sept./Okt. 2021) wird der Unterschied zwischen Mensch und Tier eingeebnet, der Begriff „Person“ verworfen. Gelobt wird die frühere indigene Naturverbundenheit in Nordamerika, die es heute zu revitalisieren gelte; kritisiert wird dagegen die Bibel, an deren „Anfang“ Strafe und Vertreibung stünden; das steht aber erst im 3. Kapitel. In den ersten beiden Kapiteln der Bibel steht etwas ganz anderes, nämlich dass der Mensch von Gott mit dem göttlichen Fruchtbarkeitssegen beschenkt ist, dass er zu einem paradiesisch-friedlichen Dasein mit dem Schöpfer, untereinander und mit aller Kreatur erschaffen ist, dass die Ur-Harmonie also auch Tier und Pflanze einbezieht (die ersten Menschen sollen Vegetarier sein), und dass der Auftrag zur „Herrschaft“ über die Tierwelt als eine gewisse „Inbesitznahme“ zu verstehen ist im Sinn der Verantwortung des „Guten Hirten“ für seine „Herde“. „Für die letzte Aussage in Gen 1,28 können wir also sagen, dass dort alles andere behauptet wird als ein tiefer Graben zwischen Mensch und untermenschlicher Kreatur. Es geht um paradiesisch-friedliche Einheit, in der sich die Ebenbildlichkeit Gottes für den Menschen im Sinn des priesterschriftlichen Entwurfs zunächst verwirklichen sollte“ (Norbert Lohfink, Unsere großen Wörter. Das Alte Testament zu Themen dieser Jahre, 169). Der Text legitimiere daher weder Bevölkerungsexplosion oder ein Recht auf Ausplünderung aller Rohstoffvorräte, noch eine Massentierhaltung, Artensterben o. ä. Allerdings wird der Mensch auch nicht als Person („Bild Gottes“) einfach in die nicht-personale Lebenswelt eingeordnet, sondern er behält seine herausragende Stellung und Würde, die auf seiner Freiheit und unsterblichen göttliche Geist-Seele (hebr. neschamah) beruht. Kein Tier ist für sein Verhalten moralisch verantwortlich, weil es allein instinktgesteuert ist. Weil Tiere nicht frei sind, sterben sie auch nicht, sondern verenden. Sie sind rein „irdische“ Naturwesen, für die es keine ewige Gemeinschaft mit dem Schöpfer im „Himmel“ gibt, auch wenn einige Theologen inzwischen – vom Zeitgeist beflügelt – entsprechende Überlegungen zum „eschatologischen“ Ziel der Tierwelt anstellen.
Bild: Jesus hat nicht eine neue „Schrift“ hinterlassen, sondern geisterfüllte Männer und Frauen, die das Alte Testament geistig auf ihn hin zu lesen verstehen: „Alles muss in Erfüllung gehen, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich gesagt ist“ (Lk 24,44). Die Schriften „legen Zeugnis über mich ab“ (Joh 5,39). „Wenn ihr Mose glauben würdet, müsstet ihr auch mir glauben; denn über mich hat er geschrieben“ (V. 46). Nur bei der Anschuldigung der Ehebrecherin aufgrund des Gesetzes schreibt Jesus „mit dem Finger“ in den Staub der Erde (Joh 8,6.8), während „der Finger Gottes“ auf die steinernen Gesetzestafeln geschrieben hatte (Ex 31,18). Fresko Maria della Misericordia (15.Jh.), Ascona.
Am Anfang der Religionsgeschichte steht nicht das Wort, sondern das Bild. Gegen den Polytheismus der vielen (symbolisch: 70) Völker, der sich in der Verehrung von Götterstatuen und -bildern manifestiert (Idolatrie), richtete sich der Monotheismus des einen Gottesvolkes Israel. Voraussetzung dafür war nach Eckard Nordhofens religionshistorischer Mediengeschichte Corpora (2019) ein neues Kultobjekt der Verehrung: das Medium der Schrift (Grapholatrie). Als reine Konsonantenschrift fern vom Alltagsgebrauch habe sich die hebräische Schrift dafür besonders geeignet. Sie lässt den transzendenten Gott in seinem Wort im Unterschied zum Bilderkult nur so anwesend sein, dass er sich zugleich vorenthält und entzieht, dass also Medium und Gott nicht identisch sind, und Gott folglich sich nicht für eigene Bedürfnisse funktionalisieren und für eigene Zwecke instrumentalisieren lässt („privativer“ statt „usurpativer Monotheismus“). Allerdings wird bei den „Schriftgelehrten und Pharisäern“ (den „Schriftlern“) diese Differenz wieder aufgehoben, weshalb ein erneuter Medienwechsel notwendig ist, der vom Äußeren zum Inneren, von der Materie zum Geist, von den Lippen zum Herzen: „Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott schauen“ (Mt 5,8). In der Szene von der in flagranti ertappten Ehebrecherin schreibt Jesus zweimal mit dem Finger in den Staub der Erde: So „zerschreibt“ das inkarnierte Gotteswort „den Buchstaben [des Gesetzes], der beinahe getötet hätte. Was für eine Pointe: das einzige Mal, dass Jesus schreibt, zerschreibt die Schrift“ (Corpora, 222). Schon Paulus schrieb: „Denn der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig“ (2 Kor 3,6). Deshalb tritt im Christentum an die Stelle der „Buchwerdung“ (Inlibration) die „Fleischwerdung“ (Inkarnation) des Logos, in den alle Gläubigen einbezogen sind (Joh 1,12-14). So würden die Körper (Corpora) der Frommen zum neuen Medium der Gottespräsenz. Freilich muss erst in der Taufe der „von der Sünde beherrschte Körper vernichtet“ werden (Röm 6,6), weshalb erst mit dem Kreuz der wahre Medienwechsel vollzogen wird, besser: Hierarchiewechsel von den „Ersten“ zu den „Letzten“ und umgekehrt, was die ursprüngliche Ordnung wiederherstellt und so erst den wahren „vernunftgemäßen Gottesdienst“ im Mitvollzug des lebendigen Opfers Jesu ermöglicht: „ut exhibeatis corpora vestra hostiam viventem“ (Röm 12,1).
Bild: Heute bestreiten auch katholische Theologen, dass Jesu Kreuzestod ein Sühneopfer ist für die Sünden „der ganzen Welt“ (1 Joh 2,2; vgl. Röm 3,25): Gott hätte dem Menschen auch „einfach verzeihen können“ (Magnus Striet, Dlf-Sendung, 18. Juli 2021). Reinigung und Erlösung geschehen aber allein durch die ‚Überlieferung‘ des Heiligen Geistes in Jesu Tod: „Wenn ich nicht gehe (sterbe), wird der Beistand nicht zu euch kommen“ (Joh 16,7; vgl. 19,30). Gott kann seinen Geist einzelnen Propheten und Heiligen verleihen; aber um die Menschheit zu retten, bedarf es des erwählten Volkes Israel und dann der einen, universalen Kirche als geisterfüllte Partnerin und Braut des ‚Bundes‘, die für die Gabe von Jesu Geist und Blut empfänglich und dankbar ist. Die gefallene ‚Welt‘ ist für das übernatürliche Licht der Gnade verschlossen (Joh 1,10): Sie liebt „die Finsternis mehr als das Licht“ (Joh 3,19). Das Kreuz ist der Schlüssel zur Öffnung von Paradiestür und -frieden von innen (Lk 23,43) für die Menschen „bonae voluntatis“ (Lk 2,14) – Fresko St. Jakob, Tramin, Südtirol.
Wer sein Ziel nicht erreicht (wie z. B. den Aufbau einer demokratischen Zivilgesellschaft am Hindukusch), der ist gescheitert. Nach dem zum Judentum konvertierten Judaisten Walter Homolka (Potsdam) hat Jesus „nichts Neues“ gebracht: Alles sei im Judentum seiner Zeit schon vorhanden gewesen. Jesu Lehre war „ohne erkennbare Originalität“, Welterlöser oder Messias sei Jesus schon gar nicht gewesen; denn die Welt habe „sich nach dem Opfergang von Golgota nicht zum Besseren verändert“. Jesus ist demnach gescheitert; gleichwohl soll er als Jude ‚heimgeholt‘ werden ins Judentum (Der Jude Jesus – eine Heimholung, 95; 93; 108; 116). Welterlösung wird hier als äußeres Mirakel gedacht. Jesus wird vom Vater in die Welt gesandt, um sie von Sünde und Tod zu erlösen, aber nicht ohne die Mitwirkung des Menschen. Martin Luther dagegen hat den ‚Sündenfall‘ derart ins Extrem gesteigert, dass für ihn der freie Wille des Menschen total korrumpiert und zur Mitwirkung an seinem Heil unfähig war (was die scharfe Kritik des Humanisten und katholische Priesters Erasmus von Rotterdam auf den Plan rief). Bei der Kirchenlehrerin Caterina von Siena (wie zuvor schon bei Augustinus) sagt Gott: „Ich habe euch ohne euch geschaffen … Doch ich werde euch nicht ohne euch erlösen“ (Dialog Kap. 155). Als „die Mutter des Gehorsams“ bezeichnet Caterina die aus dem Licht des Glaubens hervorgehende Liebe (163). Ihr zufolge hat der Gläubige in der Taufe den vom gekreuzigten Jesus „im Feuer der göttlichen Liebe“ gereinigten und vollkommen wiederhergestellten „Schlüssel des Gehorsams“ empfangen, den Adam „in den schmutzigen Kot“ geworfen und „mit dem Hammer des Hochmuts“ verbogen hat. Dabei komme es darauf an, selbst im demütigen Glauben gehorsam zu sein und sich so den durch Adam verlorenen ‚Himmel‘ zu erschließen. Jesu ganzes Leben steht von Anfang an unter dem Glaubensgehorsam bis hin zum Tod am Kreuz (Phil 2,8) und ist deshalb ein einziges großes „Erlösungsgeheimnis“: „Die Erlösung wird uns vor allem durch das am Kreuz vergossene Blut zuteil…“ (KKK 517). Mit dem Hymnus Vexilla regis von Bischof Venantius Fortunatus (6. Jh.) singt die Kirche: „O heiliges Kreuz, sei uns gegrüßt, du einzige Hoffnung dieser Welt“ (KKK 617). „Im Erlösungstod seines Sohnes Jesus Christus ging der Heilsplan Gottes ‚ein für allemal‘ in Erfüllung (Hebr 9,26)“ (KKK 571).