Impulse zu den Bildwelten der Bibel

Warum sollen die Jünger Jesu Salz der Erde sein?

Zum Bild: In plastischen Wandreliefs auf der Wand eines Tempels treten die Pharaonen auch selbst als Bauherren auf; dargestellt wird, wie der König als religiöses Ritual das Fundament legt, den Sand als Baumaterial herbeischafft, die Bausteine trägt und schließlich das vollbrachte Werk mit einer großen Menge Natron oder Salz von bösen Geistern reinigt. Das Böse darf nicht in den heiligen Tempel, sondern muss ausgefiltert werden. Das gilt auch für einen gesunden Wasser-Salz-Haushalt des menschlichen Körpers (als „Tempel des Heiligen Geistes“, 1 Kor 6,19), für den die beständige Aufnahme von Wasser und Salz lebensnotwendig ist. Gesteuert wird diese Aufnahme von den beiden Nieren, die das Blut filtern und mit den beiden Lungenflügeln korrespondieren. Gott prüft „auf Herz und Nieren“ (Ps 7,10; Offb 2,23), weil diese beiden Organe auf der Bewusstseins-Ebene erlauben, beständig zwischen gut (oder vollkommen) und böse zu unterscheiden. Relief, Tempel Karnak.


Das ‚Salz‘ (von lat. salus: Göttin der Gesundheit und des Heils) wird aus dem Salzwasser durch Sonne und Wind herauskristallisiert. Christus sagt seinen Jüngern, sie sollen „Salz der Erde“ sein (Mt 5,13f), wobei das Salz aber nicht „schal“ oder „dumm“ werden darf (als Bild für laue Christen); sonst wird es „hinausgeworfen und von den Menschen zertreten“, weil es „zu nichts mehr taugt“ (ebd.). Das Wort ‚dumm‘ oder ‚töricht‘ (morai) taucht wieder auf im Gleichnis von den fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen; den Törichten fehlt es an Öl für das Feuer, um dem Bräutigam entgegenzugehen (Mt 25,1-13). Andrei Pleşu weist auf den Zusammenhang von Salz und Opfer hin: „Die ganze Symbolik des Opfers hängt mit Geschmack und Geruch zusammen. ‚Alle deine Speiseopfer sollst du salzen, und dein Speiseopfer soll niemals ohne Salz des Bundes deines Gottes sein…‘ (3. Mose 2,13). Dieses Gesetz findet ein kräftiges Echo im Neuen Testament: ‚Es muss ein jeglicher mit Feuer gesalzen werden …‘“ (Mk 9,49; Das Schweigen der Engel, 2007, 167f). Erst durch das feurig-scharfe Salz des Geistes wird auch Gottes Wort Gottes ‚schmackhaft‘. Das Geistfeuer reinigt, entzündet und erleuchtet, es erwählt, heiligt und verwandelt, ja es verwundet und ‚tötet‘ all das, was der göttlichen Liebe widerspricht: die Sünde als Lieblosigkeit. In den ‚40 Tagen‘ zwischen Ostern und Himmelfahrt belehrt Jesus seine Jünger, was Apg 1,4 mit dem griech. Begriff synalizomenos verdeutlicht: „Salz mit ihnen essend“. Salz befähigt die das irdische Leben erhaltenden Speisen dazu, das Beste ihres Geschmacks herzugeben, der über das Irdische hinaus auf das Himmlische weist. So kann auch für Speisen damit geworben werden, dass sie himmlisch oder paradiesisch schmecken. Allerdings geht das Paradies auch durch eine bestimmte Speise oder durch das Versagen der Filterfunktion der Nieren für das ‚Gift‘ der ‚Schlange‘ verloren: „Die Nieren regulieren die Transformation des Wassers in Blut, das sich in Richtung des Geistes wandelt, und die Transformation des Salzes in Feuer, das sich in Licht wandelt“ (Annick de Souzenelle (Le Symbolisme du corps humain, 1999). Gott prüft daher auf Herz und Nieren. Bis heute erhält ein Paar, das den Bund fürs Leben schließt, Brot und Salz geschenkt. ‚Brot‘, hebr. lechem, hat im Hebräischen dieselben Konsonanten/Komponenten wie melach für ‚Salz‘ und chalom für ‚Traum‘.

 

Warum wurde Paulus der große Apostel der Völker?

Bild: Paulus verfolgt als Pharisäer die „Jünger des Herrn“ und ist mit der Steinigung des Stephanus einverstanden (Apg 8,1a). Erst in der Christophanie vor Damaskus, wo ihm der Auferstandene in den Jüngern seiner Kirche erscheint, fällt es ihm „wie Schuppen von seinen Augen“ (Apg 9,1-22). Das Primäre ist die Ordnung, das Sekundäre eine charismatische Durchbrechung der Ordnung, „das Primäre sind die Zwölf, das Sekundäre ist Paulus“ (Erik Peterson, Ekklesia, 2010, 83). „Nur als Durchbrechung der kirchenrechtlichen Ordnung existiert das paulinische Apostolat. (…) Die charismatische Ordnung … schließt das Kirchenrecht nicht aus, sondern setzt es voraus“ (64). Beim ersten „Apostelkonzil“ zur Heilsnotwendigkeit der Beschneidung (Apg 15,1-15).  hat Petrus zunächst die offene Haltung des Paulus gegenüber Heidenchristen unterstützt (Apg 15,9). Bei der Frage der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen hat er dem Druck der Judenchristen allerdings nachgegeben, wofür ihn Paulus kritisiert (Gal 2,11-14). Am 25.1. feiert die Kirche das Fest Pauli Bekehrung. Paulus-Statue auf dem Petersplatz, Rom.


Paulus leitet seine großen Briefe mit dem Hinweis auf seine Berufung zum Apostel ein (Röm 1,1; 1 Kor 1,1), „nicht von Menschen oder durch einen Menschen, sondern durch Jesus Christus und durch Gott, den Vater, der ihn von den Toten auferweckt hat“ (Gal 1,1). Gegenüber der Gemeinde in Korinth besteht er auf seinem Apostelsein: „Ihr seid ja im Herrn das Siegel meines Apostelamtes“ (1 Kor 9,2). „Das, woran man den Apostel erkennt, wurde mit großer Ausdauer unter euch vollbracht: Zeichen, Wunder und machtvolle Taten“ (2 Kor 12,12). Das Apostelamt ist aber nicht nur Würde, sondern auch Bürde: „Ich glaube nämlich, Gott hat uns Apostel auf den letzten Platz gestellt, wie Todgeweihte; denn wir sind zum Schauspiel geworden für die Welt, für Engel und Menschen. Wie stehen als Toren da um Christi willen, ihr dagegen seid kluge Leute in Christus. Wir sind schwach, ihr seid stark; ihr seid angesehen, wir sind verachtet“ (1 Kor 4,9f). Auch Paulus setzt stets Petrus und die Zwölf voraus, so wenn er formuliert: Der Auferstandene „erschien dem Kephas, dann den Zwölf“ (1 Kor 15,5). Wenn es weiter heißt: „Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Apostel“ (V.7), setzt er hier einen weiteren Apostelbegriff voraus, wo er dann sich auch selbst einordnen kann: „Als letztem von allen erschien er auch mir, dem Unerwarteten, der ‚Missgeburt‘. Denn ich bin der geringste von den Aposteln; ich bin nicht wert, Apostel genannt zu werden, weil ich die Kirche Gottes verfolgt habe“ (V.8f). Nach seiner Christus-Erscheinung vor Damaskus ging er drei Jahre später „nach Jerusalem hinauf, um Kephas kennenzulernen“ (Gal 1,18). Vierzehn Jahre später geht er erneut nach Jerusalem, um sich seine Verkündigung von den Alt-Apostel und „Säulen“ Jakobus, Kephas und Johannes bestätigen zu lassen, „ich wollte sicher sein, dass ich nicht vergeblich laufe oder gelaufen bin“ (Gal 2,1f.9). Er selbst weiß sich berufen zum Aposteldienst unter den Heiden, die nicht beschnitten sind, und wird so zum Völkerapostel, während „Petrus die Kraft zum Aposteldienst unter den Beschnittenen gegeben“ wurde (V.8).

 

Warum ist Jesu Taufe der Sieg über den Chaos-Drachen?

Bild: Jesu Auferstehung am ‚achten Tag‘ vollendet den Bund Gottes mit der Menschheit, der mit Adam beginnt und im Sündenfall gebrochen, in der Erlösung am Kreuz wiederhergestellt wird. Jesu vergossenes Blut ist das „Blut des Bundes“ Mt 26,28; Ex 24,8; Mk 14,24); der in diesen Bund hinein Getaufte ist eine „neue Schöpfung“ (2 Kor 5,17; Gal 6,15). Die erste Schöpfung durch das vollmächtige Wort Gottes setzt den Sieg über den Chaos-Drachen voraus, der in Jesu Taufe ebenfalls vollendet wird. Denn der Lebensraum der fruchtbaren Erde entsteht erst durch Zurückdrängen des „uranfänglichen Chaos“ im Symbol von Finsternis und Wasser. „So ist die Schöpfung nach Gen 1,1 – 2,3 ein nach Raum und Zeit geordneter Kosmos“ beziehungsweise „eine dem Chaos abgerungene Ordnung“: „Ihre Leitidee ist nicht: ‚Vom Nicht-Sein zum Sein‘, sondern: ‚Vom Chaos zum Kosmos‘“ (L. Schwienhorst-Schönberger, Die Ordnung der Zeit im AT, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 28 [2013], 3-20, 8-10). Taufe Jesu, Petersdom, Kapelle des Taufbrunnens, Vatikan  (Carlo Fontana, 1697).


Jesu Auferstehung, Hadesfahrt und Himmelfahrt sind keine Spazierfahrt, sondern Kampf gegen die bösen Mächte und Gewalten, „um das All zu beherrschen“ (Eph 4,8-10; Hebr 1,2; Ps 68,19). Photina Rech verweist mit den Kirchenvätern besonders auf das Drachenkampf-Motiv bei der Taufe Jesu, die seinen Abstieg im Kreuzestod vorwegnimmt: „Der Abstieg des Herrn ging bis in den Abyssos der Hölle zum Kampf mit dem Drachen auf Leben und Tod. Aber der im Sterben siegende Gott steigt zum Vater auf und führt die neue Schöpfung, die erlöste Menschheit mit sich empor ins Licht“ (Inbild des Kosmos II, 1966, 303-394: Wasser, 322-324, 323f). Für Benedikt XVI. nimmt die Taufe Jesu im Jordan ebenfalls schon den Abstieg in den Hades im Kreuzestod vorweg; ihm zufolge zeigt die Ikone der Taufe Jesu „das Wasser wie ein flüssiges Grab, das die Form einer dunklen Höhle hat, die ihrerseits das ikonographische Zeichen für den Hades, die Unterwelt, die Hölle ist. Das Hinabsteigen Jesu in dieses flüssige Grab, in dieses Inferno, das ihn ganz umschließt, ist so Vollzug des Abstiegs in die Unterwelt: ‚Hinabgestiegen in die Wasser, hat er gebunden den Starken‘ (vgl. Lk 11,22), sagt Cyrill von Jerusalem“ (Jesus von Nazareth I, 2007, 46). Biblische Aussagen über Oben und Unten beziehen sich auf die Höhe und Tiefe der menschlichen Existenz, sind also existentiell und nicht räumlich gemeint. Daniel Krochmalnik schreibt: „Der zweite Vers der Bibel erinnert an den Kampf zwischen dem Himmelsgott und dem widerspenstigen Fluss- oder Seedrachen in den mesopotamischen und kanaanäischen Mythen. Den biblischen Sängern und Sehern war dieser Hintergrund noch als Metaphorik vertraut“ (mit Verweis auf Jes 51,9f; Ps 74,13f; Ijob 26,12f; Jer 5,22; Ps 104,7-9). „Schöpfung bedeutet in der Bibel geradezu den Sieg Gottes über das Meerungeheuer. (…) Erst der Sieg über das chaotische Urelement schuf Raum für die Weltordnung und den Menschen“ (Im Garten der Schrift. Wie Juden die Bibel lesen, 2006, 38). Die Taufe als ‚Absage an den Satan‘ (vgl. GL 573.8) und damit den „Drachen“ (Offb 12,9) ist Neuordnung der inneren Triebstruktur, wofür der ‚Drache‘ oder die „alte Schlange“ auch stehen.

 

Warum ist Jesus als beschnittener Jude der Retter der Welt?

Zum Bild: Im Wunder der Jungfrauengeburt Jesu als österlichem Zeichen ist die jungfräuliche Wiedergeburt in der Taufe auf Jesu Tod und Auferstehung am ‚achten Tag‘ (= Sonntag nach dem Sabbat als ‚siebtem Tag‘) vorgebildet.  Der ‚achte Tag‘ nach Weihnachten ist der 1. Januar, an dem bis zur Kalenderreform 1969 das Fest „Beschneidung des Herrn“ mit Namensgebung gefeiert wurde; heute ist es das Hochfest der Gottesmutter Maria. Die Beschneidung wird christliche als Vorausbild der Taufe verstanden, beide sind Zeichen des Bundes. Nach Friedrich Weinreb ist die (innere) Beschneidung „das Öffnen eines Fensters, vielleicht eines Tores, das die Sicht auf den achten Tag erlaubt“; sie „ermöglicht, dass man selbst, in seinem Inneren, schon den achten Tag erlebt“ (Innenwelt des Wortes, 88). Maria als „Königin des Friedens“, die der „alten Schlange“ (= ‚Erbsünde‘) den Kopf zertritt (Gen 3,15; Offb 12,9), vor der (leider noch eingerüsteten) Kathedrale Notre Dame in Ho-Chi-Minh-Stadt (Saigon) in Süd-Vietnam.


Acht Tage nach seiner Geburt wird das im Stall von Bethlehem jungfräulich geborene Kind beschnitten und erhält den Namen Jesus, das heißt JHWH rettet (Lk 1,31f; 2,11.21). Die Beschneidung am ‚achten Tag‘ ist Zeichen für Gottes Bund mit Abraham (Gen 17). Das Blut der Beschneidung wird mit dem Blut des Lammes beim Auszug aus ‚Ägypten‘, was in der Osternacht Lesungstext ist, zusammengesehen; so heißt es im Midrasch Pirkei von Rabbi Eliezer: „’Alle, die Ägypten verließen, waren beschnitten’ (Josua 5). Sie nahmen das Blut der Beschneidung und das Blut des Pessachlammes und strichen es auf die Pfosten ihrer Türen“ (zit. nach Gesa Ederberg, „Durch dein Blut sollst du leben.“ Der liturgische Gebrauch von Ez 16: die Bedeutung des Blutes für den Bund mit Gott, in: Johannes Heil/ Stephan J. Kramer (Hg.), Beschneidung: Das Zeichen des Bundes in der Kritik. Zur Debatte um das Kölner Urteil, 2012, 199-204, 201). Die Beschneidung ist dabei „die Voraussetzung für die (männliche!) Kultfähigkeit“ (ebd. Hanna Liss, 59). Der ein halbes Jahr vor Jesus geborene Johannes der Täufer verkündet den Retter der Welt: das „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29). Das Neue Testament sieht in Johannes den Elija redivivus (vgl. Mt 11,14; 17,12f; Mk 9,11-13; Lk 1,17); seine Taufe mit Wasser ist Vorbereitung für die endgültige Taufe mit dem Feuer des Heiligen Geistes (Lk 3,16) und damit für die innere Herzensbeschneidung im Geist (Röm 2,25-29; 5,5; Gal 5,2-6; Kol 2,11). Vom Propheten Elija wird die Zeremonie der Beschneidung als „Engel des Bundes“ oder „Pate des Bundes“ verborgen geleitet. Weinreb schreibt: „Am achten Tag ist das Äußere gleich dem Inneren, dann ist die neue Welt tatsächlich eingetroffen. Dieser Tag der Beschneidung Jesu wurde im Kalender der Welt der 1. Januar, also Anfang jedes neuen Jahres. Es mag dann als zufällig gesehen werden, dass es dann genau der achte Tag nach dieser einzigartigen Geburt ist. Da es sich dabei auch um die Geburt Gottes im Menschen handelt, könnte auch für den, der durch die ‚mila‘ im Herzen seinen achten Tag erlebt, eine neue Zählung anfangen. Dann erhält er auch seinen Namen, an dem die Welt ihn erkennen kann. Dann besteht er nicht nur durch das Fließen der Zeit, die nach sieben Tagen zu Ende ist. Mit dem achten Tag beginnt für ihn das Leben in Ewigkeit“ (Innenwelt des Wortes im Neuen Testament, 88f).

 

Warum bedeuten Chanukka und Weihnachten im Grunde dasselbe?

Bild: Fast überall in der ganzen Welt wird heute das „deutsche Weihnachten“ gefeiert mit Weihnachts-Lichterbaum, Weihnachtsliedern, Weihnachtsmann (nur entfernt noch an den heiligen Bischof Nikolaus von Myra erinnernd) und Weihnachtsmärkten, aber meist ohne das neugeborene Christkind in der Futterkrippe im Stall mit seiner jungfräulichen Mutter Maria, so auch in Südostasien. Das Aufstellen eines immergrünen Tannenbaums mit roten Kugeln ist kein „heidnischer Brauch“ als Symbol für irdische Fruchtbarkeit und Lebenskraft (wie es in einem Weihnachtsquiz auf einem Kreuzfahrtschiff hieß), sondern Symbol für den Paradiesbaum in der Mitte des Gartens Eden, der hier zugleich „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ mit roten (= verbotenen) Äpfeln und „Baum des (ewigen) Lebens“ ist wie das Kreuz (vgl. Lk 23,43). Erstmals belegt ist ein solcher Weihnachtsbaum für Kinder im Zusammenhang mit den Paradiesspielen im 15. Jahrhundert im Elsass und in Freiburg. Weihnachtlich geschmückter Tannenbaum in Marina Bay Gardens in Singapur, Insel am Süd-Zipfel der Halbinsel Malaysia.


Das 8-tägige Chanukka- oder Tempelweihfest, beginnend am 25. Kislew (18. Dezember) 5783 ‚seit Gründung der Welt‘, hat denselben Wurzelgrund wie das Weihnachtsfest, beginnend am 25. Dezember, mit dem acht Tage danach (Neujahr) gefeierten Hochfest der vom Geist erfüllten Gottesmutter Maria, deren reiner (jungfräulicher) Leib der neue Geist-Tempel ist (1 Kor 5,19). Entzündet werden nacheinander acht Kerzen (die neunte ist bloßer „Diener“ zum Anzünden, hebr. schamasch, wie Sonne, schemesch). Grund für das Fest ist das Ölwunder nach der Reinigung des Tempels vom heidnischen „Götzendienst“ (im Jahr 164 vor Christus nach dem erfolgreichen Makkabäer-Aufstand gegen hellenisierte Juden und Seleukiden): Nur weniges, noch vorhandenes reines Öl, dessen Herstellung dauert acht Tage braucht, leuchtete bis in den achten Tag, mit dem die neue Welt beginnt (nach den sieben Tagen der Schöpfung). Acht (schmonah) und Öl (schemen) haben den gleichen Stamm; das Öl symbolisiert wie das Feuer den Heiligen Geist, der die „Salbung“ schenkt, „die ihr von ihm (Christus) empfangen habt“ (1 Johr 2,27). Christus, der Messias oder der Geist-Gesalbte ist seinerseits der „König des achten Tages“ (des Sonn-tags der Auferstehung). Er kommt neun Monate nach Mariä Verkündigung, gefeiert am 25. März (Frühlings-Tagundnachtgleiche) in der Dunkelheit der Weihnacht (Wintersonnenwende) durch das Wunder der Jungfrauengeburt zur Welt als das „Licht, das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1,9), der glaubt und so selbst (in der Taufe in acht-eckigen Becken) aus Gott im Geist jungfräulich neu geboren wird (Joh 1,12f). Die Jungfrauengeburt ist ein österliches Zeichen: Das Wunder des Neuanfangs und der Vollendung – wie Chanukka. Neuanfang meint: Rückkehr ins Paradies des Anfangs und Ursprungs als Symbol für den (Geist-)Tempel beziehungsweise der Kirche in der Mitte der Welt: „Schon vom Anfang her ist das Paradies gepflanzt; denn wie jeder weiß, ist die katholische Kirche von Christus, dem Anfang aller Dinge (principium omnium), gegründet worden“, so der Exeget und Mystiker Rupert von Deutz (um 1070-1129; zit. nach Friedrich Wulf, Geistliches Leben in der heutigen Welt. Geschichte und Übung der christlichen Frömmigkeit, 1960, 18-33: Das verlorene und wiedergewonnene Paradies, 25, Anm. 29). Wie der erste Adam ‚jungfräulich‘ aus der Adamah von Gott geformt wird (Gen 2,7), so musste der neue Adam Jesus aus der Jungfrau Maria als neuer Eva geboren werden (Irenäus).

 

Warum erfüllt die Inkarnation den Sinn der Schöpfung?

Bild: Von dem ‚Es werde Licht’ (Gen 1,3) bis zum Ruf der Braut und des Geistes um das Kommen des himmlischen Bräutigams am Ende (Offb 22,17.20) durchzieht die Bibel das „Mariengeheimnis“ als „die radikalste Mitte des Glaubens“: „Die ganze Schöpfung (Maria, Menschheit, Kirche) lebt von Anfang an im liebenden Schöpfer, oder auch umgekehrt: Der liebende Schöpfer wohnt in seiner ihn liebenden Schöpfung“ (Gisbert Greshake, Maria-Ecclesia, 2014, 496). Die Ekklesia ist „zu allererst die ‚Braut Christi’, die das Band der Vermählung auf alle Glaubenden hin ‚auswirft’ (534). Durch eine „überzeitliche Vermählung Gottes mit der Maria-Ecclesia“ erfüllt „sich von Beginn der Schöpfung an der ‚Schöpfungssinn’...: die Vereinigung von Gott und Welt und damit auch die ‚Weltwerdung’ Gottes und die ‚Gottwerdung’ des Menschen. Beides geschieht in Unüberbietbarkeit ... in der geschichtlichen Inkarnation.“  An ihr lässt sich der Sinn der Schöpfung „vollends ablesen“ (527). Rosen-kranzaltar, 1632/40, im Münster U. L. Frau, Radolfzell.


Die christliche Tradition sieht Maria, das ‚vornehmste Geschöpf‘, mit der Sophia (Weisheit), dem ‚ersten Geschöpf‘ (Spr 8,22; Sir 24,14), in eins. Nach Hildegard von Bingen ist Maria „die lichtvolle Urmaterie“ und so „mit dem von Gott im Anfang, vor der Zeit, geschaffenen ‚Himmel’ gemeint. Sie ist die vor aller Schöpfung im Voraus Erwählte Gottes“ (Helmut Feld Das Ende des Seelenglaubens, 2013, 298; 304). Gisbert Greshake entfaltet vom Dogma der Unbefleckten Empfängnis (gefeiert am 8. Dezember) Marias her ‚versuchsweise’ die These von einer Vor-Erlösung der ganzen Schöpfung in einem ‚Apriori der Gnade’ vor aller Geschichte und Welt, die in der ‚erstgeschaffenen Weisheit Gottes’ ihre biblische Konkretion findet, mit der Maria „partial identisch“ ist: „Wenigstens in Maria ist die Schöpfung tatsächlich vor-erlöst = vor aller Zeit erlöst, damit der ursprüngliche Plan Gottes (das ‚Apriori’ alles Geschaffenen), nämlich die Vollendung der ganzen Schöpfung im Leben des dreieinigen Gottes, eingelöst werden kann. (…) Nicht nur hat Gott sich endgültig mit dem Menschen ‚vermählt’, auch das geschöpfliche Ja zu Gott wurde immer schon (vor-)gesprochen und macht seither unverbrüchlich das tiefste Wesen von Schöpfung und Geschichte aus. Damit ist endgültige Hoffnung aufgerichtet“ (Maria-Ecclesia, 530; 533). „Entscheidend ist die im Blick auf Christus, dem ‚Gott in Maria’, gegebene Entschiedenheit Gottes zur Gemeinschaft mit den Menschen“ (534). Die Formel ‚Gott in Maria’ stammt von Wilhelm Klein SJ (1889–1996). Nach Klein ist der geschaffene ‚Anfang’ der Schöpfung als personales Freiheits- und Liebesgeschehen Symbol für die Schöpfungsweisheit. Dieses reine Geschöpf des Anfangs bleibt dem Schöpfer und seiner Liebe immerdar zugekehrt (wobei es auch die Möglichkeit zur Abkehr gäbe). Weil die Schöpfung nach Klein „zum Ehebund mit ihrem liebenden Schöpfer geschaffen“ ist, ist sie auch dazu bestimmt, „Logosbraut“ des Logos zu sein und mit ihm ‚einen Leib’ zu bilden: „Das Ja-Wort und Fiat des reinen Geschöpfe, in dem Maria sich empfängt und immer annimmt aus dem liebenden Vater im Wort des Fiat [gemeint ist das: fiat lux von Gen 1!] durch den Geist, verbindet zugleich das erste und allein eigentliche Brautpaar, den ewigen Logos mit dem nicht ewigen, geschaffenen, unbefleckten Geschöpf, in dem er sich sein eigenes geschaffenes Wesen schafft, so dass sie, die jungfräuliche Tochter des Vaters und seine Mutter, und sich ihm ganz sich angelobend, seine Braut wird “ (496).

 

Warum ist das Holz von Krippe und Kreuz bitter und süß zugleich?

Bild: Das Wort ‚Advent‘ bedeutet Ankunft, seine Farbe Violett verweist auf Buße, Umkehr und Leiden. In der Annahme des sterblichen Fleisches der Menschheit erniedrigt Gottes Sohn sich selbst; Bilder und Fresken zeigen das vom Himmel herabsteigende Jesuskind mit dem Kreuz auf seiner Schulter. Der Gegensatz zur Selbsterniedrigung des Sohnes ist der Stolz des Teufels, der sich in der „Schau der eigenen Herrlichkeit“ über Gott erhebt; ihm wird „im Zeichen geoffenbart, dass der Sohn Gottes in geheimnisvoller Vermählung hinabsteigt in den Schoß einer Frau. (…) Es ist Maria, die allumfassende Braut, die ‚Mutter aller Lebendigen‘“ (vgl. Gen 3,20). Auch die Engel sind „eingeladen, dieses Geheimnis als ihren eigenen Quellgrund anzubeten und mit Gott in die Menschwerdung herabzusteigen, um diesem Geheimnis zu dienen“ (Eugen Mederlet, Die Hochzeit des Lammes. Franziskus und die bräutliche Kirche, 1983, 173). Fresko Kloster Neustift, Südtirol.


Der Name Maria, hebr. Mirjam (von mara ‚bitter‘ und jam ‚Meer‘) „spricht von Bitterkeit, und von einem Meer. Vom Namen her ist ein Schicksal zu erwarten, das sich mit dem Bitteren auseinanderzusetzen hat“ (F. Weinreb, Innenwelt des Wortes im Neuen Testament, 1988, 47). Der Name Nazareth enthält hebr. zar, was ‚starre Form‘ bedeutet: „‘Zar‘ ist auch Stamm für die Begriffe Druck, Leid, Schmerz und das Wort ‚mizrajim‘, Ägypten. Das Sein in Ägypten ist schon dem Namen nach ein Leiden, ein Unterdrücktsein“ (ebd.). Auch hebr. gal, 3-30, bedeutet ‚Form, Körper‘ und ist Stamm von Galiläa, galuth (Exil, Verbannung) und Golgotha; hebr. goel, 3-1-30, ist der ‚Erlöser‘: „Hier ist dem Wort für Körper eine Aleph, eine ‚Eins‘ als Mitte, als Kern eingefügt“ (47). Die Zahl 33 führt „zu den 33 Jahre Jesu“ (ebd.) Die Zahl 34 des ‚Erlösers‘ führt zur Wurzel Lamed-Daleth in den Worten leda (Geburt), holed (zeugen) und jeled (Kind) (vgl. ebd. 33). Der Erlöser bringt die ‚Eins‘ oder Einheit in die Vielheit der Welt, wie Mose beim Auszug aus Ägypten das „Holz“ auf Gottes Geheiß in das ‚bittere Wasser‘ (der Zeit) wirft, wodurch es trinkbar und lebensrettend wird (Ex 15,23-25). Die erste ‚Krankheit‘ ist das Erlebnis des bitteren Todes (hebr. mar maweth); die erste ‚Heilung‘, die Gott als Arzt (hebr. rofe) beim Auszug schenkt, ist der Hinweis auf das heilsame Medikament: das „Holz“ (hebr. ez) als Baum des Lebens, christlich das Holz des Kreuzes, wodurch das ‚hochzeitliche‘ Einssein mit Gott wiederhergestellt wird (der Zahlenwert von Baum des Lebens gegenüber dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse ist 233 zu 932 oder 1 zu 4). Die christliche Tradition verstand unter dem ‚bitteren Wasser‘ das Alte Testament im ‚fleischlichen‘ Sinn: „Dem Fleische nach verstanden ist es bitter, heute gar von tödlicher Bitterkeit, und die Seele kann daraus ihren Durst nicht stillen; im geistigen Sinn, den ihm das Holz des Kreuzes mitteilt, ist es die Süßigkeit des Evangeliums selbst: ‚die Bitterkeit des Gesetzes werde besiegt durch die Bitterkeit des Kreuzes‘ [Bruno von Segni]. Seit Tertullian und Origenes wird dieses so einfache und doch so treffende Bild unendlich oft wiederholt“ (Henri de Lubac, Typologie Allegorie Geistiger Sinn, 1999, 153). Nach der Mystikerin und Kirchenlehrerin Caterina von Siena war Jesu vollkommener Gehorsam bis zum ‚bitteren Leiden‘ und Tod am Kreuz (Phil 2,8) die „köstliche, süße und bittere Medizin“ gegen die „verkehrte Eigenliebe“ (Der Dialog. Gespräch mit Gott über seine Vorsehung, 2017, Kap. 154–165).

 

Warum ist der Gekreuzigte der wahre König der Welt?

Bild: Die Mitte als Eins oder ‚fünfter Punkt‘ (Quint-essenz) und die Vierheit bilden die Kreuzgestalt. Aus der geöffneten Herzwunde des gekreuzigten Logos strömen bleibend Blut und Wasser (Joh 19,34) als Zeichen für Taufe und Eucharistie und damit für die durch sie konstituierte Kirche, die so als makellose Braut aus ihrem Bräutigam hervorgeht wie die erste Eva aus dem ersten Adam, um so für immer mit ihm „ein Geist“ und „ein Fleisch“ zu sein (Eph 4,4; 5,30f; Gen 2,21f.24). Die Ikonographie des 1. Jahrtausends stellt am Kreuz nicht den Leidenden dar, sondern den König der Welt als Sieger über Sünde, Tod und Teufel. „Und das ist der Sieg, der die Welt besiegt hat, unser Glaube“ (1 Joh 5,4). Das 1925 eingeführt „Hochfest unseres Herrn Jesus Christus, des Königs des Weltalls“ wird am Ende des Kirchenjahres gefeiert (20. Nov. 22). Crucifixus mit geöffneten, österlich schauenden Augen, Abtei St. Mauritius in Tholey, Saarland.


‚Ägypten‘ ist Bild für die Welt der vier Exile, nämlich das von Babel, von Persien (Medien), von Jawan (Griechenland) und von Edom (Rom): „Das Hinuntersteigen endet auf der Erde, die das vierte Element ist, und wie Edom, das vierte Exil, auf ‚tönernen Füßen‘ steht. Das Bild wird vom Propheten Daniel im 2. Kapitel gegeben: Ganz oben Gold, dann Silber, dann Kupfer, ganz unten aber Ton, Erde für den Töpfer. Durch die vier Welten steigt der Mensch … hinunter. (…) Exil bedeutet Gefangensein unter Mächten, nicht man nicht verstehen kann“ (F. Weinreb, Traumleben, 154). Die vier Exile haben vier Könige, die das menschliche Tun beherrschen, sie sind „die Herrscher dieser Welt“ (155). Im Neuen Testament ist der Teufel, „der die Gewalt über den Tod hat“ (Hebr 2,14), der „Herrscher dieser Welt“ (Joh 12,31) und „Gott dieser Weltzeit“ (2 Kor 4,4). Gott hat „den Tod nicht gemacht“ (Weish 1,13), sondern den Menschen „zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt…“ (Weish 2,23f). Nach Tertullian hat Gott den Adam geformt „zum Gleichbild Christi, und das besagt ganz konkret: zum Bilde des Gekreuzigten. Und wenn Irenäus uns sagen konnte, dass Christus ‚in den Dingen gekreuzigt‘ sei, so ist der Herr nach Paulus noch in ganz anderer Realität in den Erlösten gekreuzigt (vgl. Gal 3,1)“ (Photina Rech, Inbild des Kosmos I, 1966, 491f). Die Kreuzessignatur des Menschen und des Kosmos ergibt sich aus der 14-Struktur (fünf Wundmale): Christus ist der „Mittler zwischen Gott und den Menschen“ (1 Tim 2,5), „weil er die Gott offenbarende und in Gott heimholende Mitte selber ist. Das Symbol dafür ist das Kreuz – dieses wortkarge Zeichen, das doch die wortgewaltige Fülle des Logos ausstrahlen lässt; den Glanz der Lebensmitte, um die das ganze Weltgeschehen der Natur und Heilsordnung kreist, wie sich um das platonische Himmelskreuz seit Anbeginn der ‚Urtanz‘ der Gestirne drehte! Der gekreuzigte Logos selber ist diese Mitte, und wiederum ist die ‚Weltmitte‘ der gebührende symbolische Ort, an dem er sich offenbart als der Rex gloriae. Auch alte Mythen haben es gewusst, dass das Zentrum der Ort des Königs der Welt ist, der dynamische Punkt, der über unserem Dasein geheimnisvoll waltet. (…) Mitte aber und kosmische Vierheit gehören aufs engste zusammen, da sich aus der Mitte die Orientierung nach den vier Weltecken und Himmelsrichtungen mit Notwendigkeit ergibt“ (ebd.).

 

Warum macht Christi Armut reich?

Bild: „Denn ihr wisst, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe getan hat: Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (2 Kor 8,9). Die Einheit von Fülle und Leere, Reichtum und Armut, Schenken und Empfangen, Macht und Dienst, Sein und Nichts ermöglicht die Liebe in ihrem Wesen, die im Liebesmysterium des Kreuzes sakramental für alle erschlossen wird. Papst Franziskus hat in seiner Botschaft zum Welttag der Armen (alljährlich am zweiten Sonntag vor dem Advent, dieses Jahr am 13. Nov.) den Tag als eine „gesunde Provokation“ bezeichnet, um uns zu helfen, „über unsere Lebensweise und die vielen Formen der Armut der Gegenwart nachzudenken“. Der 2016 ins Leben gerufene Tag soll das Thema Armut als „Herzensanliegen des Evangeliums“ in den Blick rücken. Fresko der Abteikirche Santissima Trinità di Saccargia des ehemaligen, heute völlig zerstörten Kamaldulenser-Klosters in einem Tal im Longudoro (Ort des Goldes) bei Sassari im Norden Sardiniens.


Jesus preist als erstes die selig, die „arm sind im Geiste; denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3). Arm im Geist ist, wer sich nichts auf sich selbst einbildet, sondern weiß, dass er alles von Gott empfangen hat, wie auch Paulus herausstellt: „Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Wenn du es aber empfangen hast, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ (1 Kor 4,7). Der Weltkatechismus hält fest: „Der Herr beklagt die Reichen, weil sie im Überfluss der Güter ihren Trost finden [Lk 6,24]. ‚Der Stolze strebt nach irdischer Macht, während der Arme im Geist nach dem Himmelreich sucht‘ (Augustinus, serm. Dom. 1,1,3). Wer sich auf die Vorsehung des himmlischen Vaters verlässt, wird von unruhiger Sorge um seine Zukunft befreit [Mt 6,25-34]. Das Vertrauen auf Gott ist eine Vorbereitung auf die Seligkeit der Armen. Sie werden Gott schauen“ (KKK 2547). Franz von Assisi die „Herrin Armut“ geliebt, mit ihr einen Bund geschlossen und sie als Verheißung empfangen, dass den Armen im Geist nicht nur das Himmelreich gehört, sondern dass die als Erben zur eschatologischen Hochzeit geladen sind. Die äußere Armut als Erfüllung eines inneren Gnadengeheimnisses ist bei Franziskus ein bräutliches Geheimnis: „Nur wer die Gestalt der Armut hat, ist Erbe; er hat Zutritt zur Tafel des Königs: irdisch zum Almosen, d. h. ‚zum Tisch des Herrn‘, himmlisch zum Hochzeitsmahl (…). Die Armut ist die irdische Gestalt der göttlichen Liebe. Es ist die Gestalt, in der der Bräutigam seine Braut sucht und mit der er sie ‚investiert‘ [bekleidet] als dem Echtheitszeichen ihrer Liebe. Also ist die Armut wirklich ein Besitz, nach dem man um Christi willen als einzigen Besitz unter dem Himmel trachten soll (…). Nicht als ob die Armut um ihrer selbst willen als eine Leistung wichtig wäre. Sie ist bei Franziskus die Gestalt Christi, des Bräutigams, und deshalb auch die Brautgestalt“ (Eugen Mederlet, Die Hochzeit des Lammes. Franziskus und die bräutliche Kirche, 1983, 165). Maria als ‚Frau‘ unter dem Kreuz ist Jesus als ‚Mann‘, wie Ferdinand Ulrich schreibt, „Ermöglichung seiner schöpferischen Selbstüberbietung. Sie entdeckt ihm seinen Reichtum als Armut, wie er ihr die Armut als Reichtum offenbart“ (Der Mensch als Anfang. Zur philosophischen Anthropologie der Kindheit, 1970, 50).

 

Warum führt die Verdrängung des Todes zur Torheit?

Zum Bild: Memento mori (sei dir deiner Sterblichkeit bewusst) wurde im alten Rom beim Triumphzug eines siegreichen Feldherrn von einem Sklaven beständig gemahnt. Bei der Darstellung von Heiligen findet sich als Attribut oft ein Totenschädel, der den eigenen Tod beständig vor Augen führt, um so weise zu werden. Denn „die Toren sagen in ihrem Herzen:‚Es gibt keinen Gott‘“ (Ps 14,1) – und schließen gerade so einen Bund mit dem Tod (Weish 1,16). Die Mönche stellen sich der eigenen Endlichkeit, um im ‚Mit-Sterben‘ mit Christus auch an der Kraft seiner Auferstehung teilzuhaben (Röm 6,8-11). Im Dorf Karthaus im Schnalstal im Meraner Land erinnert ein modernes Kunstwerk auf dem Markt an die Kartäusermönche, die dort von 1326 bis 1782 über 400 Jahre in ihrem Kloster Allerengelberg in Abgeschiedenheit und Stille nach dem Motto Memento mori lebten und starben.


„Unser Leben währt siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, sind es achtzig. (…) Unsere Tage zu zählen, lehre uns! Dann gewinnen wir ein weises Herz“ (Ps 90,10.12). In dem neuen Buch von Oliver Burkeman „4000 Wochen: Das Leben ist zu kurz für Zeitmangement“ heißt es: „Die Zeit reicht nicht aus – niemals. Gerade einmal 4000 Wochen haben wir auf der Erde, und das auch nur, wenn wir um die achtzig werden. Kein Wunder, dass wir unaufhörlich versuchen, möglichst viel in diese kurze Zeit hineinzupressen. Dabei verlieren wir genau die Dinge aus dem Blick, die uns wirklich wichtig sind und uns vor allem glücklich machen.“ Für die Bibel besteht das ganze Glück des Menschen darin, ein weises und reines Herz zu gewinnen, um Gott, den ewigen Quell des Lebens, schauen zu können (Mt 5,8). Hiob sagt während seiner ‚Passion‘ und ‚unbegreiflichen Heimsuchung‘, die ihn seine Sterblichkeit und den Tod meditieren lässt: „Schneller als das Weberschiffchen eilen meine Tage, der [Schicksals-]Faden geht aus, sie schwinden dahin. Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist. Nie mehr schaut mein Auge Glück. … suchen mich deine Augen, dann bin ich nicht mehr da“ (Ijob 7,6-8). Am Ende seines leidvollen ‚Abstiegs in das Totenreich‘ aber kann er sagen: „Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen; jetzt aber hat mein Auge dich geschaut. Darum widerrufe ich und atme auf, in Staub und Asche“ (42,5f). Am Anfang hat Hiob sieben Söhne und drei Töchter sowie 7000 Stück Kleinvieh, 3000 Kamele, 500 Joch Rinder und 500 Esel (1,2f), zusammen 11000, was er alles verliert; am Ende erhält er alles doppelt zurück, also 22000. „Auch bekam er sieben Söhne und drei Töchter“ (42,12f). Seine Lebenszeit wird ebenfalls verdoppelt von 70 auf 140 Jahre (V.16). „Nicht etwa, dass er dann stirbt – nein, biblisch ist das Sterben ein Weitergehen auf dem Weg im Ewigen, wo das Vorige mit dabeibleibt. Das ist der Sinn der Auferstehung“ (Friedrich Weinreb, Die Freuden Hiobs. Eine Deutung des Buches Hiob nach jüdischer Überlieferung, 2006, 319). Die Verdoppelung der 70 besagt: Diesseits und Jenseits, wie auch die 22(000) das vollständige hebräische Buchstaben-Zahlen-Alphabet meint, bis zum letzten, ursprünglich kreuzförmigen Buchstaben Taw (= 400, wie 4, 40 und 4000) als „Ende des Weges der sichtbaren Zeichen und Anfang der unsichtbaren Zeichen“: „Das Zeichen Taw zeigt ins Ewige“ (F.W.).

 

Warum muss die Kirche immer missionarisch sein?

Bild: Die Apostelgeschichte als ‚Missionschronik‘ schildert den missionarischen Weg der jungen Kirche von den Juden in Jerusalem mit den Missionspredigten des Petrus und des Stephanus über die Bekehrung des Paulus und die Klärung der Streitfrage der Notwendigkeit der Beschneidung auf dem ersten Apostelkonzil (Apg 15) bis hin zum missionarischen Wirken des Völkerapostels bei den Heidenvölkern auf seinen Missionsreisen, die ihn am Ende nach Rom ins Zentrum des römischen Reiches und an die „Grenzen der Erde“ bringen (Apg 1,8; 28,16). Getragen wird die christliche Mission von der Kraft des Geistes Gottes, der die geisterfüllte Predigt der Missionare durch Zeichen und Wunder bekräftigt (Apg 5,12-16; 19,11-20) sowie vom Blutzeugnis der ersten Märtyrer Stephanus und Jakobus (Apg 7,54-60; 12,2). Einer der großen China-Missionare war der Südtiroler Styler Missionar Josef Freinademetz (1852–1908), dem in seiner Heimat einige Kirchen geweiht sind; sein Wahlspruch: Liebe ist die einzige Sprache, die alle Menschen verstehen.


Der Begriff der Mission ist schwer belastet, weil die Missionare nicht nur Heil und Segen, sondern oft auch Kolonisation, Entfremdung von der angestammten Kultur, Unterdrückung und Unfreiheit brachten. Die am 12. Mai 2013 zu Beginn des Pontifikats von Papst Franziskus heiliggesprochene Kolumbianerin Laura Montoya y Upegui (26. Mai 1874 – 21. Okt. 1949) gründete 1916 die Kongregation der „Missionarinnen der Unbefleckten Empfängnis Mariens und der heiligen Katharina von Siena“, in der sie selbst 1924 im Alter von 50 Jahren die ewige Profess ablegte. Sie breitete sich rasch in Kolumbien und den umliegenden Ländern aus, auch weil sie die missionierte indigene Bevölkerung in ihrem eigenen Lebensstil und ihrer Kultur beließ, ohne ihr einen europäischen Lebensstil aufzuerlegen. Die Schwestern sollten wie Indios leben und nicht die Indios zu Europäern machen. „Sie haben keine Kirchen, aber sie haben die Natur“, so Mutter Laura, auch dort „ist die Gegenwart Gottes deutlich zu erkennen“. Weil diese Art der Mission die gängigen Muster ihrer Zeit durchbrach und revolutionierte, war Mutter Laura großer Kritik ausgesetzt; sie blieb jedoch bei ihrem Missionsverständnis, das dann auch für das Zweite Vatikanische Konzil maßgeblich werden sollte. Im Dekret über die Missionstätigkeit der Kirche „Ad gentes“ werden besonders jene gelobt, „die an Universitäten oder wissenschaftlichen Instituten durch ihre geschichtlichen oder religionswissenschaftlichen Forschungen die Kenntnis über die Völker und Religionen vertiefen und dadurch den Boten des Evangeliums helfen und den Dialog mit den Nichtchristen vorbereiten“ (AG 41). Mission steht seitdem unter dem Stichwort „Dialog“. Als Grund für die missionarische Tätigkeit der Kirche wird auf den Heilsplan Gottes verwiesen, der „will, dass alle Menschen heil werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen“ (1 Tim 2,4; AG 7). „Die Kirche ist von Christus gesandt, die Liebe Gottes allen Menschen und allen Völkern zu verkünden und mitzuteilen; sie ist sich bewusst, dass noch eine ungeheure missionarische Aufgabe vor ihr liegt. Es gibt zwei Milliarden Menschen – und ihre Zahl nimmt täglich zu –, … die das Evangelium noch nicht oder doch kaum vernommen haben“ (AG 10). Das war 1965, heute sind es fast acht Milliarden Menschen (1,34 Mrd. Katholiken). Auch Deutschland ist wieder „Missionsland“, so Alfred Delp vor über 80 Jahren.

 

Warum predigt der hl. Franziskus auch den Tieren?

Bild: Der heilige Franziskus, dessen Namenstag am 4. Oktober gefeiert wird, ist der Schutzpatron der Tiere, insbesondere der Vögel; denn mit einer Vogelpredigt begannen nach Thomas von Celano seine Predigten an alle belebten und unbelebten Geschöpfe, die er als seine Brüder und Schwestern betrachtete. Während die Menschen säen und ernten, um ihr irdisches Leben zu erhalten und daher auch immer Vorräte sammeln und so Vorsorge tragen, dass der Ertrag der Arbeit auch zum Leben reicht, sorgen die Vögel im Vertrauen auf den Schöpfer nicht, was Jesus als Beispiel vor Augen stellt (Mt 6,26). „Jeder Tag hat seine eigene Plage“ (V.34); statt um Essen und Kleidung muss es dem Menschen zuerst um Gottes Reich und seine Gerechtigkeit gehen, „dann wird euch alles andere dazugegeben“ (V.33). Franziskus predigt dem Wolf von Gubbio, Neapel, Klostergarten.


In Christus „wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare… Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand“ (Kol 1,16f). In Hebr 1,3 heißt es vom Sohn Gottes: „Er trägt das All durch sein machtvolles Wort.“ Für den hl. Franziskus ist Jesus dieses Schöpferwort, durch das alles geworden ist (Joh 1,3): „Franziskus hat ein unerhört lebendiges Bewusstsein der Gegenwart Christi in dieser irdischen Welt. Jesus ist das Alpha und das Omega, das ganze, alles aussprechende Wort des Vaters. Alle Geschöpfe sieht Franziskus wie Buchstaben aus diesem Wort. Das erklärt seine eigenartige Ehrfurcht vor jedem geschriebenen Wort. (…) So kann er auch aus jedem Geschöpf Buchstaben aus Christus, dem Worte Gottes, herauslesen. (…) So schaute er im Wasser die Kraft Jesu, der in den Jordan gestiegen ist und das Wasser zu einem Mutterschoß werdenden Lebens befruchtete“ (Eugen Mederlet, Die Hochzeit des Lammes. Franziskus und die bräutliche Kirche, 1983, 12f). Durch seine Christus-Erfahrung war Franziskus eingeweiht in die symbolische Sprache der Schöpfung, konnte er den geistigen Symbolgehalt der sichtbaren Schöpfung deuten: „Sein Naturerlebnis ist mystisch. Es ist ein Christus-Erlebnis; es ist ein Einweihungsweg, ein Schreiten durch die Vorhöfe des Tempels ins Allerheiligste der Gottinnigkeit. (…) Gott spricht sich nicht nur aus in der Heiligen Schrift und in der Glaubensverkündigung der Kirche. Gott spricht sich auch aus in den Geschöpfen und Kräften des ganzen Kosmos. Das Sprechen Gottes aber geschieht durch Christus“ (19). Franziskus macht sich „Vorwürfe, dass er nicht früher schon den Vögeln gepredigt habe. Er erkennt, dass er es den Vögeln schuldig ist, ihnen den Namen Jesus zu bringen, in diesem Namen die Wirkung des Heiligen Geistes in ihnen zu vertiefen und so sie zu erlösen und der Liebe einzuordnen. … wie in der Urzeit sich die Geschöpfe dem begnadeten Menschen [im Paradies] eingeordnet haben“ (24). In der Lebensbeschreibung des Thomas von Celano sagt Franziskus: „Meine Brüder Vögel! Gar sehr müsst ihr euern Schöpfer loben und ihn stets lieben; er hat euch Gefieder zum Gewand, Fittiche zum Fluge und was immer ihr nötig habt, gegeben. (…) Ihr säet nicht und erntet nicht, und doch schützt und leitet er euch, ohne dass ihr euch um etwas zu kümmern braucht. Bei diesen Worten jubelten jene Vögel wunderbarerweise auf in ihrer Art…“( 20).

 

Warum ist das Kreuz der wahre Schlüssel zum Paradies?

Bild: In Äthiopien haben nicht nur die elf Felsenkirchen in Lalibela als Grundriss eine Kreuzform, auch die Stäbe der Amtsträger haben als Abschluss diese Form; zudem werden Kreuze auch in der Form eines Schlüssels gestaltet. In einem Kreuz-Hymnus heißt es: „Du bist des Himmels Schlüssel,/ du schließest auf das Leben,/ das uns durch dich gegeben“ (GL 294,8). Zur Erläuterung des Bildsymbols auf Umschlag und Titelseite des Weltkatechismus von einem christlichen Grabstein (Domitilla-Katakomben, vermutlich 3. Jh.) heißt es von Christus, der in Gestalt des guten Hirten den Gläubigen (das Schaf) auf saftige Weide führt: „Er ruft die Gläubigen durch die Melodie der Wahrheit (Flöte) und lässt sie im Schatten des Lebensbaumes ruhen: des rettenden Kreuzes, das das Paradies öffnet.“ Auf dem Sockel eines Feldkreuzes bei Rottenburg aus dem Jahr 1852 steht zu lesen: „Das Kreutz Christi ist der Schlüssel zum Paradies“. Mit seinem Kreuzestod ist Jesus für alle in seiner Kreuzesnachfolge zur erschlossenen „Tür“ geworden, die ins ewige Leben führt (Joh 10,7.9). Altorientalisch-orthodoxer Pope mit Kreuzstab, Lalibela.


Am Fest Kreuzerhöhung (14. Sept.) wird liturgisch an die ‚Erhöhung‘ der ‚Schlange‘ erinnert, deren Anblick Heil schenkt (Joh 3,14; Num 20,8f). Den Emmaus-Jüngern erschließt der Auferstandene den geistigen Sinn der Schrift im brennenden Herzen (Lk 24,27.32) und erleuchtet so die „Augen eures Herzens“ (Eph 1,18). Die frühe Kirche sah im Kreuz den Schlüssel, um den geistigen Sinn des Alten Testamentes und der ganzen Schöpfung zu erschließen: „Als der Herr ans Kreuz geheftet wurde, das wurde der Welt das Verständnis der Schrift aufgetan“ (Irimbert). „Im Augenblick seines Todes hat er die Augen unseres Geistes geöffnet“ (Gregor der Große; zit. nach Henri de Lubac, Typologie – Allegorie – Geistiger Sinn, 1999, 120f). „Sein Kreuz ist der Schlüssel, einzig und allumfassend. Durch dieses Sakrament des Kreuzes vereinte er die beiden Testamente zu einem einzigen Lehrgebäude…“ (120). Zugleich ist das Kreuz das Symbol des immer schon österlichen Glaubens als Schlüssel zum Verständnis der Heilsgeschichte; denn ‚Schlüssel‘, hebr. mafteach, von petach, Öffnung, Tür, ist eng verwandt mit pesach (Ostern). Weinreb versteht auch die Thora als Schlüssel zum Leben: „Sobald der Mensch vom Baum der Erkenntnis nimmt, ist der Weg zum Baum des Lebens, der Weg zum Tempel, verschlossen. (...) Aber am Ende der ersten sechsundzwanzig Geschlechter [von Adam bis Mose] wird dem Menschen die Offenbarung am Sinai gegeben. Das ist nichts anderes, als dass Gott dem Menschen den Schlüssel gibt, den Baum des Lebens. Hier hast du ihn wieder, sagt Gott, du brauchst ihn nur zu nehmen, dann geht dir der Weg wieder auf“ (Das Opfer in der Bibel, 2010, 107). Christlich wird der Lebensbaum mit dem Kreuz Christi identifiziert, das die Auferstehung impliziert: „Der Kosmos spricht uns vom Kreuz, und das Kreuz enträtselt uns den Kosmos. Es ist der eigentliche Schlüssel aller Wirklichkeit. Geschichte und Kosmos gehören zusammen“ (Joseph Ratzinger, Der Geist der Liturgie, 2000, 156). Letztlich erschließt das Kreuz wieder das verschlossene Paradies im „Osten“ (Gen 2,8), hebr. kedem, 100-4-40 = Ursprung; 144 ist die 13. Fibonacci-Zahl (wo jede folgende Zahl der Reihe die Summe der beiden vorausgegangen Zahlen ist). Die 14. Zahl ist 233, der Zahlenwert von „Baum des Lebens“, dem Kreuz des „neuen Adam“ Christus als wahrem Adam Kadmon (Ursprungs-Mensch).

 

Warum ist Maria keine vierte göttliche Person?

Bild: Die Krönung (coronatio) der Madonna am 22. August (in der Orthodoxie nach dem julianischen Kalender am 28. August, Abschluss des Kirchenjahres) ist „die Erfüllung der Braut-Menschheit. Der Tradition zufolge wird die auf den Händen von Engeln in den Himmel erhobene Jungfrau und Mutter zur Braut. Sie wird gekrönt von der Hand des Bräutigams. Sie stellt die erfüllte Menschheit dar. Sie repräsentiert die Anfänge eines jeden von uns“ (Annick de Souzenelle, Le Symbolisme du corps humain, 1999, Kap. XX). Die mariologisch interpretierte Schulamith, die Braut des Hohen Liedes, das Hochzeitslied des Königs (Ps 45,10-16) sowie die Erhebung der Bundeslade (Ps 132,8; Offb 11,19) werden zur biblischen Grundlage für die ‚Himmelfahrt’ und Krönung Mariens. Kathedrale in Axum im Norden Äthiopiens.


Der feierliche Krönungsakt durch die göttliche Dreifaltigkeit vollzieht sich „unter dem Jubel der Engel, der Heiligen und Seligen sowie des ganzen mitschwingenden Kosmos“ (Heinrich und Margareth Schmidt, Die vergessene Bildersprache christlicher Kunst, 1981, 223). Carl Gustav Jung hat die Umdeutung der Trinität zur Quaternität im Anschluss an die 1950 erfolgte Verkündigung des Dogmas von der ‚Aufnahme‘ (assumptio) Mariens mit Leib und Seele in den Himmel gefordert. Gisbert Greshake hat dazu erwogen, ob sich die Ikonologie des Mittelalters „durch die Darstellung der Krönung Mariens ein quaternäres Symbol zurechtgemacht und es sozusagen sachte an die Stelle der Trinität geschoben“ habe, wobei die Quaternität für Jung ein „Archetypus (ist), der universal vorkommt“, was auch bedeute, dass das Quaternitäts-Schema „dem trinitarischen Denken die Fessel der Wirklichkeit dieser Welt anlegt“ (Maria-Ecclesia, 2014, 581). Jung identifiziere mit dem „korrumpierenden Prinzip der Welt“ oder des Stofflich-Irdischen das „Böse“ (ebd.), was „kaum vom christlichen Glauben mitvollzogen werden kann, (doch) dürfte er vermutlich darin Recht haben, das vierte Moment des Quaternitätssymbols dem ‚Erdhaften‘ zuzuordnen“. Greshake bejaht, dass das Sein der Trinität durch die assumptio Mariae „in einem natürlich sehr analog zu nehmenden Sinn ‚ergänzt‘“ wird, doch „bedeutet dies keine Verabschiedung oder Relativierung des Trinitarischen“ (ebd.). Alex Stock (1937–2016) bringt das Verhältnis Marias zur Trinität so auf den Punkt: „Die Himmelskönigin Maria ist kaum anders denn als Integral des weiblichen Strangs der weltreligiösen Gottesgeschichte zu begreifen. Aber dies konnte nicht bedeuten, die Trinität zu einer Quaternität zu erweitern. Die Trinität blieb der äußerste Exzess des Monotheismus. Die christliche Himmelskönigin ist assumpta, in den Gottesraum aufgenommen: ‚assumpta est Maria in caelum, gaudet exercitus Angelorum.‘ – ‚Aufgenommen ist Maria in den Himmel; es freut sich der Engel Heer.‘“ „Die Welt, gerettet, kulminiert in einer Frau: ‚die du nach Gott die höchste bist‘“ (Poetische Dogmatik. Gotteslehre, 2007, Bd. 3: Bilder, 361f). Maria repräsentiert ebenso das Gottesvolk des Alten Bundes wie das himmlische Jerusalem: „Braut“ und „Frau des Lammes“ (Offb 21,9). Das Lamm in der Mitte der vier Urwesen der Thronwagen-Vision  (Ez 1; Offb 4,6-11; 5,7f) ist vorausgebildet im ersten Tierkreiszeichen Widder; denn Stier, Löwe, Adler (Geistseite zu Skorpion) und Engel/Mensch (Wassermann) sind die mittleren Zeichen der Quadranten des Tierkreises.

 

Warum ist das Ende Mariens ähnlich wir ihr Anfang?

Bild: Die Orthodoxie spricht nicht von der „Himmel-fahrt Mariens“ oder von ihrer „Aufnahme mit Leib und Seele in den Himmel“ wie die katholische Kirche (Dogma seit 1950), sondern von der „Heimholung der Gottesgebärerin“ oder der „Entschlafung Mariä“. Das entsprechende Fest, das größte Marienfest, wird seit Anfang des 7. Jahrhunderts in Konstantinopel am 15. August gefeiert, nach dem Julianischen Kalender am 28. August und damit am Ende des Kirchenjahres, das in der Orthodoxie am 1. September beginnt; es ist damit das letzte Hochfest im Jahreskreis. Dargestellt wird der Tod Mariens, wie sie im Kreis der zwölf Apostel entschläft und Christus ihre Seele – eingewickelt wie ein kleines Kind in Windeln – in Empfang nimmt und, umgeben von Engeln, zum Himmel mit sich emporträgt. Kloster Kroustallenia, Kreta, bei Ierapetra im Südosten der Insel.


„Maria war das Werkzeug der Menschwerdung Gottes – und sie ist auch der erste Mensch, bei dessen Tod deren Bedeutung für die Menschen sichtbar wird – die Vergöttlichung des Menschen nach seinem Tod“ (Günter Spitzing, Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole, 1989, Art. Heimholung Mariä, 151). Die Vergöttlichung (Theosis) oder Verähnlichung des Menschen mit Gott entspricht seiner ursprünglichen Erschaffung als „Bild und Gleichnis Gottes“ (Gen 1,26) im Anfang. Die Ursünde von Adam und Eva im Garten Eden macht den gottähnlichen Menschen tierähnlich: „Weil er sich durch ein Tier verführen ließ, machte (Gott) ihn den Tieren gleich“ (Ephräm der Syrer). Das zeigt sich in dem animalischen „Tierfell“, das die beiden Stammeltern von Gott nach dem Sündenfall erhalten (Gen 3,21). Ursprünglich trägt der Adam paradisus das Lichtkleid der göttlichen Herrlichkeit (doxa), das „erste Kleid“, das der verlorene Sohn nach seiner Heimkehr zum Vater wieder erhält (Lk 15,22). Durch die Ursünde hat der Mensch „‘die Herrlichkeit Gottes verloren‘ (Röm 3,23), ist [er] der ‚Ähnlichkeit‘ mit ihm beraubt“ (KKK 705). Das „Fell“ oder die „Tierhaut“ (hebr. or, 70-6-200) als (neues) Kleid von Gott wird im Hebräischen gleich geschrieben, aber verschieden ausgesprochen wie ‚blind‘ (iwer); im Vergleich zum ‚Licht‘, hebr. or, 1-6-200, wird der erste Buchstabe Aleph (= 1) ersetzt durch Ajin (= 70 = Vielheit): „Der Mensch ist mit dem Nehmen der Frucht vom Wachsen des Wissens [= Baum der Erkenntnis] körperlich blind geworden. Er sieht mit seinen Augen dann nur noch das Äußere. Der Mensch im [ursprünglichen] Leib sieht aber alles. Nicht in der Sequenz von Raum und Zeit, sondern in einer Einheit“ (Friedrich Weinreb, Leiblichkeit, 1987, 43). Mit Jesus als neuem Adam und Maria als neuer Eva erhält der Mensch seine ursprüngliche Natur zurück, was durch Taufe (Anziehen des weißen Lichtkleides) und Eucharistie (Frucht vom Kreuz-Baum des Lebens) an alle Gläubigen vermittelt wird. Der Mensch kann dadurch „der verderblichen Begierde, die in der Welt herrscht“, entfliehen und wieder „an der göttlichen Natur Anteil erhalten“ (2 Petr 1,4). Das ist bei Maria im höchsten Maß der Fall, weshalb sie am Anfang „ohne Erbsünde“ empfangen und am Ende von ihrem Sohn in den Himmel aufgenommen wird. Sie hat den Himmel auf die Erde geholt und wird als ‚neue Erde‘ in den ‚neuen Himmel‘ aufgenommen.