Impulse zu den Bildwelten der Bibel

Warum sollen die Gläubigen auf den Gottessohn Jesus hören?

Bild: Das Hochfest „Verklärung des Herrn“ feiert die Kirche am 6. August, in der Mitte des Sommers. Auf dem Berg der Verklärung (‚Tabor‘ = Nabel) erscheinen mit Jesus auch Mose und Elija, die Repräsentanten von Thora und Prophetie und damit des Alten Bundes, der jetzt in Jesus seine Erneuerung und Vollendung erfährt. Deshalb ruft die Stimme des Vaters vom Himmel aus der „Wolke“ den drei von Jesus auserwählten Jüngern zu: „Das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe; auf ihn sollt ihr hören“ (Mt 17,5; ähnlich Mk 9,7; Lk 9,35; vgl. Dtn 18,15). Jesus, Moses und Elija erscheinen den drei Jüngern „in strahlendem Licht“ (Lk 9,31f), und die Stimme spricht aus der „Wolke“ als Zeichen der Anwesenheit Gottes (V.35). Glasfenster Verklärung Jesu mit Elija (rechts) und Moses (links), Dom zu Regensburg.


Die ‚Verklärung‘ (Metamorphosis, Transfiguration) Jesu auf dem Gipfel eines hohen Berges stellt einen Höhepunkt der Offenbarung von Jesu Gottessohnschaft in den drei synoptischen Evangelien dar (Mt 17,1-9; Mk 9,2-8; Lk 9,28-36). Nach Thomas M. Kiesebrink ist die Erzählung von der Verklärung „sicher einer der rätselhaftesten Berichte im NT. (…) Gemäß [Klaus] Berger ist die ‚Verklärung Jesu … eine typische mystische Erfahrung‘“ (Jesus als Mystiker?, 2022, 299-332: Die Verklärung, 299). Umstritten ist, ob es sich bei der Perikope um einen „authentischen Erfahrungsbericht“, einen „Visionsbericht“, eine „Legende“, eine „vordatierte Ostererzählung“, eine „Epiphanie“ oder eine „Theophanie“ handelt (304). Als alttestamentliche Vergleichstexte gelten insbesondere die Sinai-Theophanie in Ex 24 und 34: Moses steigt auf den Berg mit einigen Auserwählten; er steigt vom Sinai mit dem Tafeln der Bundesurkunde herab, wobei die Haut seines Gesichts strahlt (Ex 34,29f). Auf dem Sinai erscheint die „Herrlichkeit des Herrn“ in einer „Wolke“, die den Berg sechs Tage lang bedeckt: „Am siebten Tag rief der Herr mitten aus der Wolke Mose herbei. Die Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn auf dem Gipfel des Berges zeigte sich vor den Augen der Israeliten wie verzehrendes Feuer“ (Ex 24,16f). Dass sich in Ex 24,2 Moses Gott nähern kann, nicht aber das Volk, Aaron und andere, liegt für Philo von Alexandrien daran, „dass nur Mose über einen prophetischen Geist verfügt, der sich über die geschaffene Welt erhoben hat, um sich mit der göttlichen Wirklichkeit aufs Engste zu verbinden“ (326). Philo selbst schreibt: „Denn das prophetische Bewusstsein, zur gleichen Zeit, wenn es gottergriffen und gotterfüllt ist, ist der Einheit (Monade) ähnlich, da es in keiner Weise mit Dingen vermischt ist, die Gemeinschaft haben mit der Zweiheit. Wer sich wahrhaft in die Natur der Einheit aufgelöst hat, (von dem) wird gesagt, dass er sich Gott nähert in einer Art familiärer Beziehung; da er nämlich alle sterblichen Seinsweisen zurückgelassen hat, wird er in die göttliche Seinsweise hineinverwandelt, so dass er gottverwandt wird und wahrhaft göttlich“ (zit. ebd. 326). Im Hören auf Jesu „Worte des ewigen Lebens“ (Joh 6,69) werden die Gläubigen verwandelt in „Kinder Gottes“ (Joh 1,12f). Jesus spricht in  der „Autorität“ (auctoritas) Gottes, abgeleitet von augeo, das heißt „mehren, vermehren, heranwachsen-lassen, fördern, Macht gewinnen lassen, Gedeihen schenken, erhöhen“ (Ferdinand Ulrich, Virginitas Foecunda, 2021, 7).

 

 

Warum lädt Jesus keine Sünder zum heiligen Abendmahl ein?

Bild: Bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Paris am Freitagabend (26. Juli), die über weiter Strecken eine Woke-LGBTQI-Party zu sein schien, hat vor allem die Persiflage des „letzten Abendmahls“ durch Dragqueens und einen fast nackten Sänger (als Dionysos) Christen weltweit empört. Die französische Bischofskonferenz beklagt die „Szenen, in denen das Christentum verspottet und verhöhnt wurde“. Die Veranstalter rechtfertigten ihre Inszenierung mit dem Gedanken der Inklusion: Niemand solle (von den Spielen?) ausgeschlossen werden. Dabei wurden im Vorfeld der Spiele knapp 13.000 Obdachlose aus dem Großraum Paris weggebracht, sie hätten sonst das Pariser Stadtbild während der Spiele gestört: Man will gern grandios erscheinen, es aber nicht wirklich sein. Ausschnitt aus der in Restauration befindlichen „Kopie“ von Leonardo da Vincis „Letztem Abendmahl“ in der Abteikirche von Tongerlo, Provinz Antwerpen.


In der Mitte der Thora sagt Gott: „Seid heilig; denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig“ (Lev 19,29). Dasselbe fordert Jesus in der Bergpredigt, die mit acht Seligpreisungen eröffnet wird: „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist“ (Mt 5,48). Die evangelische Pfarrerin Anke Prunkbaum sagt dagegen im „Wort zum Sonntag“ (ARD, 27. Juli 2024): Die „Buntheit ist für mich DAS Bild der Menschheitsfamilie und meine christliche Vorstellung davon: Wir Menschenkinder sind Gottes Kinder. Verbunden in einer vielfältigen Gemeinschaft.“ Sind denn alle Menschen heilig oder vollkommen wie der Vater im Himmel? Wozu dann die Taufe, der Aufruf Jesu zur „Umkehr“ (Mk 1,15), die Mahnung des Paulus: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist“ (Röm 12,2)? In 2 Kor 4,3f sagt der Apostel: „Der Gott dieser Weltzeit [= der Teufel] hat das Denken der Ungläubigen verblendet.“ Jesus selbst erklärt: „Wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“ (Mt 12,49). Adam erfüllt diesen Willen nicht; er fällt mit Eva auf das Versprechen der „Schlange“ herein, „ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse“ (Gen 3,5) – und wird vom heiligen Paradies mit dem Baum des (ewigen) Lebens ausgeschlossen (3,22-24). Als einziger des ‚verdorbenen‘ Menschengeschlechts kennt der „gerechte“ Noah, die zehnte Generation nach Adam, den Willen Gottes und baut die rettende Arche, teba, das „Wort“ (Gottes), bevor die große Flut alle Sünder hinwegrafft (Gen 6–8) – ein Bild der rettenden Taufe (1 Petr 3,20f). Nach dem erneuten Sündenfall ist es dann Abram, die zehnte Generation nach Noah, der Gottes Forderung erfüllt: „Sei tamim“ (Gen 17,1), das heißt „‚vollkommen‘, ‚ganz‘, ‚fehlerlos‘, ‚makellos‘“ im Sinn der Wiederherstellung der ursprünglichen Gottebenbildlichkeit, wo der Mensch als A-dam, als „Gott im Blut“ (dam), noch Gott „gleich“ (dome) ist. Diese Wiederherstellung geschieht mit der Beschneidung am „achten Tag“ (Gen 17,17) und dann der Taufe: Durch sie werden aus „Kinder des Zorns“ (Eph 2,3) „Kinder des Lichts“ (Eph 5,8) „in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24). Vom königlichen Hochzeitsmahl wird ausgeschlossen, wer nicht getauft ist und nicht das weiße Hochzeitskleid oder Taufkleid trägt (Mt 22,11-14) – weiß gemacht im Blut des Lammes als Bräutigam (Offb 7,14).

 

Warum ist das Lamm Gottes der Sinn der Schöpfung?

Bild: Zu den Meisterwerken von europäischem Rang gehört der Flügelaltar der flämischen Brüder Hubert und Jan van Eyck (Dijk) in der Sant-Bavo-Kathedrale in Gent (früher Johanneskirche). Hauptthema des aus 18 Tafeln bestehenden Altars (1432) ist die Anbetung des Lammes aus der Johannes-Apokalypse durch vier Gruppen von Engeln und Heiligen. Im Zentrum der unteren Mitteltafel steht auf einem roten Altar das weiße Christuslamm; aus dessen Brustwunde strömt Blut hervor, das von einem Kelch aufgefangen wird. Umgeben ist es von weißgekleideten knienden Engeln mit bunten Flügeln, die mit Weihrauchgefäßen inzensieren; sie präsentieren die Leidenswerkzeuge Kreuz, Dornenkrone, Geißelsäule und Ysopstengel. Über allem schwebt die Taube des Heiligen Geistes in blauem Halbkreis, von ihm gehen goldene Strahlen aus. Angebetet wird einzig Gott oder sein göttliches Wort, das als am Kreuz geschlachtetes Lamm Gottes „hinwegnimmt die Sünde der Welt“ (Joh 1,29).


Nach Friedrich Weinreb ist das Lamm „Ausgangspunkt der ganzen Schöpfung. Der Widder, den Abraham am moriah findet (1. Mose 22,13), ist vom Beginn der Schöpfung her dort schon vorbereitet, erzählt die Überlieferung. Dieses Lamm ist der Sinn der Schöpfung“ (Das jüdische Passahmahl, o. J., 264). Joseph Ratzinger erwähnt, dass das Lamm Gottes erwählt wurde „vor der Erschaffung der Welt“ (1 Petr 1,20; Offb 13,8), und „dass jüdische Überlieferung das Abrahamsopfer auf den 25. März datiert. Dieser Tag wurde … aber auch als Tag der Weltschöpfung angesehen – als der Tag, an dem Gottes Wort verfügte: ‚Es werde Licht!‘ Schon früh wurde er schließlich auch als der Sterbetag Christi und endliche auch als der Tag seiner Empfängnis betrachtet. (…) Dass von diesen kosmischen Bildern her den Christen die weltumspannende Bedeutung Christi auf unerhörte Weise sichtbar war und damit auch die Größe der im Glauben geschilderten Hoffnung verstehbar wurde – das leuchtet ein. Es scheint mir klar, dass auch wir diesen kosmischen Blick zurückgewinnen müssen, wenn wir das Christentum wieder in seiner ganzen Weite verstehen und leben wollen“ (Der Geist der Liturgie, 2000, 87). Mit der jüdischen Überlieferung betont Weinreb, dass das Blut des Osterlammes, das beim Exodus Israels mit einem Ysopzweig als Rettungszeichen an die Türpfosten zu streichen war (Ex 12,22; vgl. Joh 19,29), und das Blut der Beschneidung „dasselbe“ sind: „Dieses Blut kündet vom Unsichtbaren, das im Haus erkannt wird und das alsdann die Türe zeichnet, die Daleth, die Vier. Abraham hat diese Beschneidung erfahren. Von da an ist sein Haus durch das Lamm gezeichnet, und seine Tür öffnet sich als Verbindung zur Welt des Verborgenen [= Eins]. Dieser Zusammenhang wird unterstrichen durch die Mitteilung, dass der Besuch der drei [himmlischen Gäste bei Abraham – Gen 18,1-33] auf den Zeitpunkt Ostern fällt; von diesem ‚pessach’ wird auch gesagt, dass das Blut des Lammes das der Beschneidung ist“ (Wunder der Zeichen – Wunder der Sprache, 1999, 46). Von den 22 Urzeichen des hebr. Alphabets stehen die zwölf „einfachen“ auch für die zwölf Tierkreiszeichen, das erste, der Widder, ist repräsentiert im 5. Buchstaben He (= 5 = 4–1), der Abram und Sarai mit dem Beschneidungsbund von JHWH ihrem Namen eingefügt wird (Gen 17,5.15). So werden sie verwandelt in Abraham und Sarah.

 

Warum ist Jesu durchbohrtes Herz der Quell des Lebens?

Bild: Am Freitag in der Woche nach Fronleichnam feiert die katholische Kirche das Hochfest Heiligstes Herz Jesu; Richard Gutzwiller sieht in Jesu Herz das prophetische Wort vom „neuen Herzen“ realisiert: „Er hat das neue Herz. Und die andern haben es, insoweit und insofern als sie an ihm Anteil haben, als sie, paulinisch gesprochen, ‚in Christus’ leben. So ist sein Herz, sein königliches Herz, die Mitte aller Herzen. Von ihm strahlt die Kraft der Liebe auf die andern aus. Von ihm werden sie alle angezogen [Joh 12,32]. In ihm haben sie Bestand“ (in: Josef Stierli, Cor Salvatoris, 1954, 221-247, 233). Von ihm gilt: „In ihm sind alle Schätze der Weisheit und Erkenntnis verborgen“ (Kol 2,3). Es ist der Quell zur Reinigung von Sünde und Unreinheit“ (Sach 13,1; vgl. Sach 12,10 mit Joh 19,37) und der Quell des Heiligen Geistes nach Joh 7,38: „Aus seinem Innern werden Ströme von lebendigem Wasser fließen“ (vgl. Joh 19,34). An diesem Herzen ruht hörend der Lieblingsjünger Jesu (Joh 13,23); Klosterkirche Heiligkreuztal (Oberschwaben).


In den alten Kulturen ist das Herz die heilige Mitte der Person, ihr innerster verborgener Urgrund, das Kostbarste und Wertvollste überhaupt. Die Azteken schnitten deshalb bei ihren Menschenopfern das Herz aus dem Leib heraus und hielten es bluttriefend und noch lebendig schlagend der Sonne entgegen, um den Sonnengott zu nähren und zu stärken im allnächtlichen Kampf mit der Mondgöttin, was allein den Kosmos in Gang hielt. Von daher stand das Herz „im Zentrum der aztekischen Religion“ (E. Matos Moctezuma, Templo Mayor, der große Tempel der Azteken, in: Azteken, 2003, 48-55, 50). Für die Alten Ägypter war beim Wiegevorgang im Totengericht das Herz ebenfalls das entscheidende Organ: Es wurde unter der Leitung des Jenseitsgottes Osiris gegen die Straußenfeder der Göttin Ma’at als Verkörperung der Weltordnung von Wahrheit und Gerechtigkeit abgewogen. „Bei positivem Ergebnis wird er (der Verstorbene) als Gerechtfertigter in das Gefolge des Sonnengottes aufgenommen.“ Ihm wurden Herzskarabäen mit Unschuldsbeteuerungen mit ins Grab gegeben (Hartwig Altenmüller, Zu den Jenseitsvorstellungen des Alten Ägypten, in: Suche nach Unsterblichkeit, 1992, 6-25, 15). Auch bei den Sumerern, in Indien, im Buddhismus und im Islam ist das Herz Symbol des Menschen (vgl. Wolfgang Schneider, Die Herzenswunde Gottes, 2008, 233-242). Nach Dtn 4,29 muss der Mensch immer neu „mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele“ Gott suchen und nicht nur sein Fleisch beschneiden, sondern durch den Geist Gottes auch sein Herz (Dtn 30,6). Gott gießt seinen Geist in die Herzen, mehr noch: er schenkt ein „neues Herz“, in das er einen „neuen Geist“ legt und so bewirkt, „dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Gebote achtet und sie erfüllt“ (Ez 36,25-27). Christlich erfolgen Reinigung und Erleuchtung der „Augen eures Herzens“ (Eph 1,18) durch Glauben und Taufe. Nur wer ein reines, ‚unbeflecktes’ Herz hat, kann den heiligen Gott sehen (Mt 5,8) und so lieben, dass er in Liebe mit ihm eins ist (vgl. Joh 10,30; 17,21). Die in Ez 11,19f; 18,31; 36,25f angekündigte Reinigung und Verwandlung des Herzens in seiner affektiven Tiefe hat sich nach Ludger Schwienhorst-Schönberger in Jesus erfüllt: „In ihm ist jene Verwandlung des menschlichen Herzens Wirklichkeit geworden, die von den Propheten verheißen wurde“ (Mein geliebter Sohn bist du, in: CiG 45/2020).

 

Warum ist der christliche Gott dreifaltig und nicht vierfaltig?

Bild: Am ersten Sonntag nach Pfingsten feiert die katholische Kirche den Sonntag der Dreifaltigkeit als Höhepunkt und Abschluss der Offenbarung; die Ostkirche feiert ihn schon am Pfingstmontag und am Sonntag danach das Allerheiligenfest. Ihr zentrales Bild der Dreifaltigkeit ist der Besuch der drei Engel bei Abraham im Hain von Mamre zur Ankündigung der ‚übernatürlichen‘ Geburt des ‚Sohnes der Verheißung‘ Isaak (Gen 18; Gal 4,23). Die Bewirtung der jugendlichen ‚drei Männer‘ gilt als Gotteserscheinung und „verhüllte Selbstdarstellung der Dreieinigkeit“ (Spitzing, Art. Pfingsten, in: Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole, 273). Um einen Tisch herum sitzen unter einem Baum „links Gott Vater, in der Mitte Christus, rechts der Heilige Geist“; das von Abraham und Sarah gebrachte Essen „ist typologisches Vorbild der Eucharistie“. Dreifaltigkeitsikone, orthodoxe Dreifaltigkeitskirche (Griechenkirche) in Wien.


Das Alte Testament spricht von den drei Erzvätern Abraham, Isaak und Jakob, aber den vier Erzmüttern Sarah, Rebekka, Lea und Rachel; denn die ungerade Zahl drei steht für das ‚Männliche‘ und das ‚Himmlische‘, die gerade Zahl vier für das ‚Weibliche‘ und ‚Irdische‘ (‚Mutter Erde‘ ist das Vierte Element). Gottes Dreifaltigkeit ist aber noch verborgen und wird erst mit der Menschwerdung des „Sohnes Gottes“ offenbar. Carl Gustav Jung hat vom psychologischen Standpunkt her bei den von ihm initiierten Eranos-Tagungen in Ascona (Lago Maggiore) angeregt, die Trinität unter Einbeziehung Marias oder des ‚erdhaften Faktors der Materie‘ zur „Quaternität“ zu ‚ergänzen‘. Alfons Rosenberg, der vom Judentum konvertiert war, sah bei einer dieser Tagungen Jung im Traum „eingehüllt in die Aura des Dämonischen“; Jung antwortete darauf selbstkritisch, er müsse sich „fragen, ob ich nicht wirklich ein Dämon bin“. Bei dieser Tagung hatte er seine Theorie „von der Ergänzung der Trinität zu einer Quaternität vorgetragen, die großes Aufsehen erregte“; rührte er doch damit „an das Fundament des abendländisch-christlichen Weltverständnisses“. Rosenberg wehrte sich dagegen, dass „die Dreiheit durch die Hinzufügung eines vierten Prinzips, sei es Maria, sei es der Satan [!] oder des Menschen schlechthin, zur Vierheit ‚ergänzt‘ werden müsse. Ich war, gemäß der Tradition, der gegenteiligen Ansicht, dass nämlich die Dreiheit neben der Vierheit als deren Gegenprinzip bestehen könne und müsse“ (Die Welt im Feuer. Wandlungen meines Lebens, 1983, 144-146). In der christlichen Eschatologie wird der Himmel am Ende zum Ort der beseligenden Gottesschau; Thomas Marschler schreibt: „‘Himmel‘ bedeutet Einbezogenwerden des Menschen in die Liebe des Vaters durch Christus im Heiligen Geist, Vollendung der trinitarischen Selbstmitteilung Gottes an die Kreatur“ („Himmel“ aus der Perspektive christlicher Eschatologie, in: zur debatte 4/2015, 14-16, 16). Die apostolische Sendung zu allen Völkern ist möglich und notwendig, um ihnen mit der trinitarischen Taufformel das Sakrament des Glaubens zu spenden (vgl. Mt 28,19), „das die Teilnahme am Leben des dreieinigen Gottes bewirkt, indem es dem Menschen die heiligmachende Gnade als übernatürliche Gabe schenkt. Durch sie wird er berufen und ‚befähigt‘, am unerforschlichen Leben Gottes teilzuhaben“ (Johannes Paul II, Lasst euch vom Geist bewegen, 9).

 

 

Warum sendet Jesus seinen Geist am 50. Tag nach Ostern?

Bild: Durch das pfingstliche ‚Sprachenwunder‘ (Apg 2,6-12) wird die beim ‚Turmbau zu Babel‘ zerstreute eine Sprache erneuert. Zur ‚Ernte‘ an Pfingsten schreibt F. Weinreb: „Am 49. Tag erfolgt also das letzte Abschneiden und dann, am 50. Tag, geschieht das Erscheinen Gottes auf dem Sinai, das Offenbarwerden der Worte Gottes. Dann wird der Sinn von allem offenbar, dann erscheint Gott hier in dieser Welt. Die alte Welt, die des siebten Tages, hat sich am 49. Tag vollendet, und nun also beginnt mit dem 50. Tag die neue Welt. (…) In der Welt des siebten Tages wird die Verbindung zwischen Mann und Frau, und damit zwischen jedem Gegensatz, mit dem Wort ‚arissa‘ ausgedrückt, was ‚Verlobung‘ bedeutet. Man weiß, dass man füreinander bestimmt ist, doch man weiß zugleich auch, dass das wirkliche Zusammensein erst in einem nächsten Stadium, bei der Eheschließung, stattfinden wird. Und diese Eheschließung erfolgt in der folgenden Welt. Diese Welt ist nur die Vorbereitung darauf, sie ist der Weg zur Einswerdung...“ (Schöpfung im Wort, 257). Heidelberg, Jesuitenkirche Heilig Geist, Altarbild Pfingsten (Ausschnitt).


Pfingsten, pentecoste, der ‚50. Tag‘ nach Ostern, ist christlich der ‚Geburtstag‘ der Kirche, aber auch die „Geburtsstunde des geistigen Schriftverständnisses“; Ludger Schwienhorst-Schönberger sagt: „Das geistige Schriftverständnis wird zusammen mit der Kirche am Tag des Pfingstfestes geboren. In der Gestalt feuriger Zungen kommt der Heilige Geist über die einmütig im Gebet versammelte Gemeinde in Jerusalem, und zwar auf einen jeden der dort Versammelten (Apg 2,3)“ (Geistiges Schriftverständnis, in: IKaZ 52 [2023] 4-20, 9). Die Pfingstpredigt des Petrus „enthält im Kern alle Elemente des geistigen Schriftverständnisses: Sie ist inspiriert, das heißt, sie wird durch den Heiligen Geist im Menschen (Petrus) angestoßen; sie ist nicht das Ergebnis einer in der Schule gelernten Methode der Schriftauslegung; sie erschließt zentrale Texte der Heiligen Schrift im Hinblick auf die Jesus-Geschichte, ist also der Sache nach eine christologische Auslegung des Alten Testaments. Ihre Hermeneutik ist eine Hermeneutik der Kontinuität, und doch wird etwas Neues ausgesagt. Zwischen der Schrift und der Jesus-Geschichte entsteht eine Dynamik wechselseitiger Erschließung: Die Schrift erschließt die Jesus-Geschichte (Apg 2,22-24) und umgekehrt erschließt die Jesus-Geschichte die Schrift“ (9f). Die Schrift in Gestalt der Thora wird Mose am jüdischen Pfingstfest Schawuot (= Wochenfest, Erntedankfest; Ex 34,22) von Gott feierlich als ‚Brautgabe‘ der Offenbarung des Wortes Gottes übergeben als Angebot des ‚hochzeitlichen‘ Bundes (Ex 19–24); Friedrich Weinreb schreibt: „Es ist der 50. Tag nach 7 Wochen, den 7 × 7 Tagen, das mathan Thora, das Geben der Thora, das Offenbarwerden, Sichtbarwerden des Wortes. Das Wort, das bis dahin unsichtbar, verborgen war, bricht plötzlich durch. Und man erkennt Gott im Wort: Das mathan Thora ist bei jedem Menschen und immer im Moment des 50. gegenwärtig. In jedem Moment, wo beim Menschen der Übergang von der 49 zur 50 stattfindet und die 50. Pforte, die Sefirah binah, die Einsicht, durchschritten wird, kommt das nathan Thora, die Einsicht. Das bedeutet also: Das Wort wird gegeben, und Gott zeigt sich im Wort“ (Die zwölf Stämme, 2024, 189). Gegeben wird mit der schriftlichen Thora auch die mündliche Thora (Überlieferung), beides gehört untrennbar zusammen. Gott schließt diesen Bund „aber nicht mit euch allein…, sondern ich schließe ihn [auch] mit denen, die heute nicht hier bei uns sind“ (Dtn 29,13f). Nach der jüdischen Überlieferung ist mit dem „Erhalt der Tora … der Berg Sinai plötzlich ergrünt. Deshalb schmücken jüdische Gemeinden bis heute den Ort, von dem aus die Tora empfangen wird, nämlich den Toraschrein, mit grünen Pflanzen und Blumen. In manchen Gemeinden sieht man dann viel Palmengrün, immergrüne Bäumchen, prächtige Zitrusbäume oder wie in einigen italienischen Synagogen sogar wunderschöne Rosenarrangements“ (Levi Israel Ufferfilge, Bilder jüdischen Lebens, in: Bibel heute 1/2023, Jüdische Feste, 14f). Die Kirche betet mit Psalm 104,30: „Sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu“ (GL 312,2).

 

 

Warum wird Jesus 40 Tage nach Ostern im Himmel inthronisiert?

Bild: Die in den Psalmen vorgebildete Himmelfahrt Jesu als „Inthronisation des Messiaskönigs“ und „Einzugs Christi ins himmlische Heiligtum“ war ursprünglich kein eigenes Fest, sondern gehörte zum einen Mysterium paschale (Jean Daniélou, Liturgie und Bibel, 1963, 306-321: Christi Himmelfahrt). Ursprünglich umfasste das Osterfest „das ganze Mysterium Christi: Menschwerdung, Leiden, Auferstehung, Himmelfahrt und Geistsendung“ (322). „Himmelfahrt ist das Fest der Inthronisation des Messiaskönigs, wie sie in den Psalmen vorgebildet ist. Der biblische Ort für Christi Himmelfahrt ist also in erster Linie der Psalter“ (306; vgl. Ps 24,7; 67,5.19.34; 110,1). „Ps 24 ist ein Prozessionslied für den Einzug in den Jerusalemer Tempel. Doch schon im Alten Testament war der irdische Tempel ein Abbild des himmlischen Heiligtums (vgl. Ex 25,9.40). Es geht in Ps 24um die Wallfahrt nach Jerusalem, um die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi, in der sich so erfüllt, was im AT angekündigt war und um den Aufstieg jedes einzelnen Menschen zu Gott“ (Psalm 24, Benediktinerinnenabtei Mariendonk).


Nur Lukas berichtet von einer himmlischen Erhöhung des Auferstandenen vor den Augen der Apostel „40 Tage“ nach Ostern in Gottes Herrlichkeit (Apg 1,3). Schon in Lk 24,51f heißt es: „Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben; sie aber fielen vor ihm nieder.“ Die Zahl 40 steht in der Bibel für die Zeit überhaupt. Der 13. Buchstabe Mem hat den Zahlenwert 40; majim ist das Wasser als Symbol der Zeit auf der ‚linken Seite‘ der Systematik gegenüber dem Licht und Feuer auf der rechten Seite (Gen 1,3-8). Die Paradies-Erzählung ist charakterisiert durch die Frau, die mit der Schlange, nachasch (mit männlichem Artikel), einen Dialog führt, während der Mann schweigt und dann passiv die ihm gereichte verbotene Frucht nimmt (Gen 3,1-6). In den Zahlen 4, 40 und 400 (= die Zeit der Jahre Israels in Ägypten: Gen 15,13) äußert sich „stets die ‚Zeit dieser Welt‘“ (F. Weinreb, Schöpfung im Wort, ³2012, 135). Mit der Ursünde Adams als Haupt der Menschheit im Essen vom Baum der Erkenntnis kommt der Tod über die ganze Menschheit (Weish 2,23f; Röm 5,12; 1 Kor 15,21). Die vier Paradies-Flüsse deutet Rupert von Deutz als die vier „Heilsgeheimnisse der Menschwerdung, des Leidens, der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi – ‚ohne den Glauben an sie wird die Welt nicht gerettet‘“. Nach dem II. Vatikanum entfaltet die Kirche im Kreislauf des Jahres „das ganze Mysterium Christi von der Menschwerdung und Geburt bis zur Himmelfahrt, zum Pfingsttag und zur Erwartung der seligen Hoffnung und der Ankunft des Herrn“ (Sacrosanctum Concilium 102). Die 40 Tage bis zur Himmelfahrt und die 50 Tage bis zur Sendung des Geistes an Pfingsten folgen dem Schema der Gaben der ‚mündlichen Thora‘ und der ‚schriftlichen Thora‘, was auch dem Wort ‚Manna‘, man, 40-50, entspricht: „Das Wort ‚man‘ wird 40–50 geschrieben. (…) Es ist die 40 der Zeit in dieser Welt, gebunden an die 50 der kommenden Welt. Es will damit sagen, dass dies die Nahrung ist, wie man sie auf dem Weg von der 40 zur 50 braucht, also auf dem Weg durch die Wüste, auf dem Weg vom siebten zum achten Tag. (…) Die Materie muss als Übergang von der 40 zur 50, wie es im Wort Manna ausgedrückt ist, gesehen werden. Dies schließt ein, dass der Kontakt die Materie heiligen, an den Ursprung binden muss. Der Kontakt darf nicht auf den Nutzen bedacht sein, ausgerichtet auf die Erde; er muss, nach dem Vorbild des weisen Schusters, der mit seiner Arbeit Himmel und Erde verband, auf die Befreiung der Materie auf und ihre Einsmachung mit dem Ursprung gerichtet sein“ (Schöpfung im Wort, 841f).

 

 

Warum ist Jesus am Kreuz der wahre Weinstock?

Bild: In Joh 15,1-8 bezeichnet sich Jesus als der wahre Weinstock und seinen himmlischen Vater als den Winzer. Nur wer mit Jesus im Glauben verbunden in ihm bleibt und eins mit ihm ist, kann Frucht bringen, die bleibt (V.16), während getrennt von ihm nichts vollbracht werden kann (V.5). Der Verbindung mit dem himmlischen Ursprung wird wieder hergestellt durch das wahre Opfer: Jesu Demut und Lebenshingabe am Kreuz, was den Vater verherrlicht und die in ihrem Hochmut von sich ‚betrunkene‘ Welt aus Sünde und Tod rettet. So ist der Gekreuzigte der wahre Weinstock und der wahre Baum des Lebens im Gegenüber zum Baum der Erkenntnis von Gut und Böse (Gen 2,9; 3,23f). Seine lebensspendende Frucht ist die heilige Eucharistie in den Gaben von Brot und Wein. Griechische Ikone: Christus mit Kreuznimbus als der himmlische Weinstock (mit aufgeschlagenem Neuen Testament: Joh 15) mit den zwölf Aposteln als lebendigen Rebzweigen.


‚Weinstock‘, gephen, 3-80-50, hat in umgekehrter Reihenfolge dieselbe Struktur wie ‚Schlange‘, nephesch, 50-80-300, und ‚Fall‘ oder ‚fallen‘, nophal, 50-80-30. Durch den vom Wein bewirken Rausch kann man ‚fallen‘ (Friedrich Weinreb, Schöpfung im Wort, ³2012, 79f). Der erste Weinbauer Noah berauscht sich am Wein, so wird seine Blöße aufgedeckt, die sein zweiter Sohn Cham anschaut und damit nach der Ursünde Adams im Essen der verbotenen Frucht einen zweiten ‚Sündenfall‘ begeht, weshalb ihn Noah verflucht (Gen 9,21-25); Weinreb schreibt: „Noach wurde nach der Sintflut ein ‚Mann des Erdbodens‘…, (das) will besagen, dass er sich jetzt auch der materiellen Erscheinung zuwandte, wie es Kain getan hatte. (…) Wer die Frucht ‚heiligt‘, sie also mit dem Wesen verbindet, wer begreift, wozu Gott diesen Weinberg der Welt gemacht hat, der wird im Weinberg dieser Welt leben können und den Sinn davon erkennen. Wer die Frucht aber für sich selbst benutzt, zum Genuss von der Erde, der wird betrunken davon. Der Rausch der Erde übermannt ihn, er verliert die wahren Proportionen aus dem Auge und wird zum Tier, macht sich als Mensch also eigentlich lächerlich… (…) Wer diesen Rausch wählt, entblößt sich eigentlich auch. Genauso bemerkt der erste Mensch, dass er ‚nackt‘ war, nachdem er vom Baum der Erkenntnis genommen hatte. (…) Der Mensch offenbart sich als etwas Materielles, als ein intelligent entwickeltes ‚Tier‘“ (Der Weg durch den Tempel, 2000, 487). Der gefallene Mensch wird verbannt nach ‚Ägypten‘, Mizrajim, dort soll sich alles kausal entwickeln: „Die Frucht wird also in Mizrajim zum Gott. (…) Darum kennt Ägypten … kein korban, 100-200-2-50, kein Näherbringen zum Ursprung. Diese Art Opfer gibt es dort nicht“ (Weinreb, Leben in Liebe, 2022, 224f). Das wahre Opfer lässt den gefallenen Körper wieder aufsteigen zum Ursprung oder Wesentlichen, es heiligt die gefallene Körperwelt in den Zeichen von Brot und Wein (Fleisch und Blut), bringt sie zurück zu Gott: „Wein – falls er geheiligt wird – wird in der Überlieferung als etwas betrachtet, was Kommunikation und Verbindung zwischen den Dingen und Wesen herstellt. Denn etwas heiligen, heißt heil machen, eins machen. Auch der Blutkreislauf verbindet alles und macht es zur Einheit. Das ist auch der Grund für die Verwendung von Wein beim Abendmahl, besonders in der katholischen Kirche. (…) Es ist der Wein, der die Verbindung zwischen Himmel und Erde herstellt und auch zwischen den Menschen. Durch ihn entsteht Einheit, so wie auch durch den Blutkreislauf Einheit zwischen den Organen im Körper entsteht“ (205).

 

Warum bildet Gott Mann und Frau?

Bild: Nach Theophilus von Antiochien (2. Jh.) sind die am „vierten Tag“ erschaffenen „beiden großen Lichter“, die unveränderliche Sonne und der veränderliche Mond, „Träger und Bilder eines großen Mysteriums“: „Die Sonne nämlich ist das Bild Gottes, der Mond das Bild des Menschen, und wie die Sonne an Kraft und Glanz den Mond bei weitem übertrifft, so übertrifft Gott bei weitem den Menschen“ (Ad Autolycum II,15). Weil der Monats-Zyklus von Luna dem weiblichen Menstruationszyklus entspricht, gilt Luna als „Urgrund aller Geburt“ (Joh. Lydos). Der Mensch wird „männlich und weiblich“ (allegorisch für Vernunft und Sinnlichkeit) als „Bild Gottes“ erschaffen (Gen 1,26), Eva aus Adams Rippe (Gen 2,21f) als Bild der Mondsichel, hin auf die „hochzeitliche“ Einheit der Gegensätze (Gen 2,24). Schalldeckel der Renaissance-Kanzel, ehem. Klosterkirche Bebenhausen b. Tübingen.


In den alten Kulturen ist die Geschlechtersymbolik immer auch mit der kosmischen Symbolik von Himmel (‚Vater‘) und Erde (‚Mutter‘) oder Sonne (Helios, Sol) und Mond (Selene, Luna) verbunden (in Mexiko werden die Toiletten mit Symbolen für Sol und Luna unterschieden). Das schließt die Symbolik von ‚männlichem‘ Feuer und ‚weiblichem‘ Wasser, von Kriegsgott Mars (Pfeil) und Liebesgöttin Venus (Spiegel), von weißem Tag und schwarzer Nacht ein; in der arabischen Welt tragen daher Mann und Frau meist die Farben weiß und schwarz. Die Farben für Sonne und Mond sind daneben auch Gold und Silber. Franz von Assisi ruft in seinem Sonnengesang die ganze Schöpfung zum Gotteslob auf, allen voran „Bruder Sonne“, „von dir, Höchster ein Sinnbild“, und „Schwester Mond“, aber auch von „Bruder Feuer“ und „Schwester Wasser“ (GL 19,2). Im alten China entsprechen die polaren Urkräfte Yang und Yin den beiden Geschlechtern: „Yang ist das männliche, aktive, zeugende, schöpferische, lichte Prinzip, Yin das weibliche, passive, empfangende, hingebende, verhüllende. Beide sind Gegenstücke, die sich ergänzen, nicht Gegensätze, die sich bekämpfen“ (Helmuth von Glasenapp, Die fünf Weltreligionen, 2005, 145). Yang und Yin entsprechen auch den ungeraden und den geraden Zahlen. Frank Fiedeler unterscheidet drei Bedeutungsebenen: neben der anthropologischen (Männlichkeit und Weiblichkeit) die kosmische (Sonne und Mond) und die funktionslogische (Sein und Werden): „Yin und Yang repräsentieren Zweiheit und Einheit – und damit zugleich die geraden und ungeraden Zahlen –, wie sie sich auch in den Formen der gebrochenen und der ungebrochenen Linie des Yijing (– – und –) [= 2 und 1] darstellen. Auf der anthropologischen Bedeutungsebene steht das Begriffspaar Yin-Yang … vor allem anderen für Weiblichkeit (Yin) und Männlichkeit (Yang). (…) Die Zweiheit konstituiert die Sexualität, die Einheit die Individualität“ (Yin und Yang oder Die absolute Polarität, in: Peter-Cornelius Mayer-Tasch [Hg.], Die Zeichen der Natur. Natursymbolik und Ganzheitserfahrung, 1998, 215-269, 218f). Die Inka verehrten in ihrer Hauptstadt Cuzco in ihrem Allerheiligsten, dem ‚Sonnentempel‘ Coricancha, eine goldene Statuette als Abbild des Sonnengottes und eine silberne als Abbild der Mondgöttin. Beim Verlobungsritus in der Ostkirche ist der Ring für den Bräutigam golden und der Ring für die Braut silbern (Günter Spitzing, Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole, 1989, 243).

 

 

Warum ist die Jungfrauengeburt keine „künstliche Befruchtung“?

Bild: Im Gedicht Wo war Marias Hebamme der Berliner Lyrikerin Anna Hetzer „begegnet einem die Madonna unter anderem als ‚erste Mutter eines Patchworkclans seit dem Olymp“ sowie als ‚erfinderin der künstlichen Befruchtung‘“ (SWP, 19. April 2024). Als „Urgrund aller Geburt“ in der Natur gilt die ‚Mondin‘ oder Luna; in Offb 12,1 steht Maria als neue Eva auf der Mondsichel, weil sie mit ihrer jungfräulichen Geburt des Sohnes Gottes alles Natürliche in der Kraft der Gnade auf die Übernatur übersteigt. So ist ihre Geburt das Urbild der Taufgeburt aus dem Wasser und dem Geist (Joh 1,12f; 3,3-8). Ostern wird gefeiert am ersten Sonn-tag nach dem Frühlings-Vollmond. Die Madonna auf der Mondsichel, Wand-Relief, Dom zu Mainz.


In den alten Kulturen sind Mutterschoß und Grab als ‚Schoß der Erde‘ analog: „Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; nackt kehre ich dahin zurück“ (Ijob 1,21). Dem Wunder der Jungfrauengeburt am Anfang des Lebens Jesu entspricht am Ende Jesu Auferstehung aus dem Höhlengrab in der Zeit des Frühlings, des Wiedererwachens des Lebens in der Natur, in der auch der nächtliche Exodus Israels aus ‚Ägypten‘ als Geburtsprozess gefeiert wird (Dtn 16,1-8). Mit Jesus, dem neuen Adam, wird die neue Schöpfung eröffnet mit der neuen Geburt aus Maria als neuer Eva: „Der Erste Mensch stammt von der Erde und ist Erde; der Zweite Mensch stammt vom Himmel“ (1 Kor 15,47). „Wie wir nach dem Bild des Irdischen gestaltet wurden, so werden wir auch nach dem Bild des Himmlischen gestaltet werden“ (1 Kor 15,49). Gemeint ist damit die Umgestaltung in der Wiedergeburt der Taufe aus dem Wasser und dem Feuer des Geistes (Lk 3,16; Röm 6,3-11). Der Weltkatechismus sagt: Das göttliche Leben der Taufe „wird jungfräulich empfangen, denn es wird dem Menschen gänzlich durch den Geist geschenkt. Der bräutliche Charakter der Berufung des Menschen zu Gott ist in der jungfräulichen Mutterschaft Marias vollkommen verwirklicht“ (KKK 505). Nach Gisbert Greshake durchzieht das „Mariengeheimnis“ die ganze Bibel vom „Es werde Licht“ (Gen 1,3) bis zum Ruf der Braut und des Geistes um das Kommen des himmlischen Bräutigams am Ende (Offb 22,17.20) als „die radikalste Mitte des Glaubens“: „Die ganze Schöpfung (Maria, Menschheit, Kirche) lebt von Anfang an im liebenden Schöpfer, oder auch umgekehrt: Der liebende Schöpfer wohnt in seiner ihn liebenden Schöpfung“ (Maria-Ecclesia, 2014, 496). Die Kirche oder Ekklesia ist „zu allererst die ‚Braut Christi’, die das Band der Vermählung auf alle Glaubenden hin ‚auswirft’“ (534). Es besteht eine „überzeitliche Vermählung Gottes mit der Maria-Ecclesia“, wodurch „sich von Beginn der Schöpfung an der ‚Schöpfungssinn’ erfüllt: die Vereinigung von Gott und Welt und damit auch die ‚Weltwerdung’ Gottes und die ‚Gottwerdung’ des Menschen. Beides geschieht in Unüberbietbarkeit wie unableitbarer Radikalität (Kreuzeshingabe!) in der geschichtlichen Inkarnation.“ Erst vom fleischgewordenen Logos lässt sich der Sinn der Schöpfung „vollends ablesen“ (527). Die christliche Tradition sieht in Maria das ‚vornehmste Geschöpf‘ und setzt es mit Sophia (Weisheit), dem ‚ersten Geschöpf‘ (Spr 8,22; Sir 24,14), in eins.

 

Warum erhält Mose von Gott die Zehn Gebote auf zwei Steintafeln?

Bild: Die Zählung der Zehn Worte (Gebote) geht im Judentum von den zehn Fingern mit zwei Händen aus, also fünf + fünf: Die Gebote sind „an zehn Fingern abzählbar, aus den wie ein Buch geöffneten beiden Händen ablesbar, in beiden Herzkammern einschreibbar…“ (D. Krochmalnik). Die Zehn Gebote der Gottes- und Nächstenliebe (5 + 5) sind der ‚Kern‘ der Thora, des Buches des Bundes: „Der Herr verkündete euch seinen Bund: Er verpflichtete euch, die Zehn Worte zu halten, und schrieb sie auf zwei Steintafeln“ (Dtn 4,13); es gibt zwei Text-Fassungen: Ex 20,2-17; Dtn 5,6-21. Auch nach dem Zerbrechen der zwei Tafeln durch Mose wegen des Bundesbruchs Israels (Tanz ums goldene Kalb) werden nach der Versöhnung von Gott erneut „auf die Tafeln die Zehn Worte“ geschrieben (Dtn 10,4; vgl. Ex 34,28). Zehn Gebote auf dem Giebel der Großen Synagoge (drittgrößte Synagoge der Welt) zwischen den zwei Türmen im maurisch-romanischen Stil (erbaut 1893).


Die Schöpfung beginnt mit einem Beth, der Zwei, im Wort Bereschit, ‚im Anfang‘. In Gen 1 wird im zehnmaligen „und Gott sprach“, in zehn Worten, die Welt der sechs Schöpfungstage (vg. Davidstern) und der acht Schöpfungstaten erschaffen; Joseph Ratzinger schreibt: „So weist die Schöpfungsgeschichte schon voraus auf das Zehnerwort, die zehn Gebote. Sie lässt uns erkennen, dass diese zehn Gebote gleichsam der Widerhall der Schöpfung sind, nicht willkürliche Erfindungen, durch die dem Menschen Zäune gebaut werden gegen seine Freiheit, sondern Einweisung in den Geist, in die Sprache und in den Sinn der Schöpfung, übersetzte Sprache der Welt, übersetzte Logik Gottes, die die Welt erbaute“ (Im Anfang schuf Gott, 1986, 27). Friedrich Weinreb zufolge er-zählen die ‚Zehn Worte‘, „was der Mensch ist und wie er seine Bestimmung erreicht. Darum sind sie von Gott selbst auf steinerne Tafeln geschrieben. Nur Gott kann, aus seiner Welt heraus, angeben, was die Struktur des Menschen ist. Diese Normen müssen unbedingt aus einer anderen Welt kommen. Wären sie von Menschen geschrieben, hätten sie nur auf dieses Leben und auf diese Welt Bezug“ (Schöpfung im Wort, ³2012, 752). Der ‚Stein‘, ewen, 1-2-50, bezeichnet dabei das, was „in aller Veränderlichkeit unveränderlich bleibt. In dieser Welt ist etwas, das bleibt, das ‚ewig‘ ist, in den Bildern der Materie nicht anders auszudrücken als in dem härtesten, unter allen Umständen unveränderlich bleibenden Sammelbegriff ‚Stein‘. Für den Ausdruck in dieser Welt waren diese Worte von Gott auf Tafeln des härtesten, von niemand anderem als von Gott selbst beschreibbaren Edelsteins eingraviert worden“ (753). Der ‚Grundstein der Schöpfung‘, ewen scheti-jah, der vor der Bundeslade im Allerheiligsten liegt, ist die Mitte oder „der ‚Nabel‘ der Welt“ (185; 537). Die Steintafeln bestehen ausdrücklich aus zwei Teilen, einer Zweiheit als harmonische Einheit der Gegensätze wie beim Buchstaben Aleph (א), wo ein Jod (= 10) oben rechts durch die Diagonale eines Waw (= 6) mit einem Jod (= 10) unten links verbunden ist, das aber um 90° gedreht und so in zwei Fünfen aufgespalten ist: „Das eine Jod, die Zehn von oben, ganz, das andere Jod, die Zehn von unten, geteilt in 5 und 5, die beiden 5 vom Waw, vom Menschen als Verbinder verbunden. Das ist der Bund, das Bündnis Gottes“ (Weinreb, Buchstaben des Lebens, ²1990, 99). Wie sich beim Aleph die beiden Zehner spiegeln und mit der Diagonale als Waw den Gottesnamen JHWH, 10-5-6-5, bilden in der Bedeutung von 10 (oben ganz) = 5 + 5, so auch bei den ‚Zehn Worten‘ auf den zwei Tafeln: 5 + 5: „Die ‚Fünf‘ von oben spiegelt sich in der ‚Fünf‘ von unten und bildet mit ihr eine Einheit“ (Weinreb, Schöpfung, 753).

 

Warum ist Jesus am Kreuz der „Urheber des Lebens“?

Bild: Petrus rechtfertigt in seiner Predigt vor dem jüdischen Volk das Heilungswunder an einem Gelähmten im Tempel mit dem Hinweis auf seinen Glauben an den Namen Jesu: „Der Glaube, der durch ihn kommt, hat ihm vor euer aller Augen die volle Gesundheit geschenkt“ (Apg 3,16). „Den Urheber des Lebens habt ihr getötet, aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt (V.15). Der Name Jesus (Jehoschua) bedeutet: JHWH rettet; deshalb sagt Petrus: „Es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden sollen“ (Apg 4,12). Kurzform des Namens Jesus in der Kirche Il Santissimo Nome di Gesù (Der allerheiligste Name Jesu), Rom, erbaut von 1558 bis 1584, Mutterkirche des 1534 durch Ignatius von Loyola gegründeten Jesuitenordens mit dem Jesus-Namen im Zentrum.


Das Leben hat kein Mensch aus sich, jeder muss es von anderen (ab alio) als Gabe empfangen. Leben kommt von Leben: „Omnis cellula e cellula“ – so lautet der Grundsatz der Abkünftigkeit alles (zellulären) Lebens von dem Pathologe Rudolf Virchow (1821–1902). Der Begriff ‚Leben‘ umfasst körperliches, seelisches und geistiges Leben. Biologisches Leben strebt danach, sich fortzupflanzen; der Mensch sucht zudem nach dem Sinn seines Lebens, seiner Bestimmung oder Berufung. Dass auf der materiellen Basis der Erbinformation (Gene) aus anorganischem ‚Baumaterial‘ – im Wesentlichen Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff – Leben entsteht, ist nach wir vor ein Wunder. Die ‚ersten Replikanten‘ entstanden vermutlich vor vier bis 3,4 Milliarden Jahren, so Martin Bleif: „Was damals wirklich ablief, wissen wir (noch) nicht“ (Das Tier in uns. Die biologischen Wurzeln der Menschlichkeit, 2021, 246). Die Moleküle des Lebens setzen sich aus drei Komponenten zusammen, der DNA, der RNA und den Proteinen, die aus langen Ketten von 20 unterschiedlichen Bausteinen bestehen. DNA und RNA bestehen wiederum aus je drei Komponenten: den vier Nukleinbasen, einem Zuckermolekül und einem Phosphatmolekül. Weil sich nach den Prinzipien der Thermodynamik „chemische Systeme von der Struktur zum Chaos, von der Ordnung zur Unordnung“ verändern (248), braucht es „das biochemische Paradies, einen Ort, der Schutz bietet, der Energie zur Verfügung stellt und den Nachschub von entsprechenden Baumaterialien liefern kann. Über diesen fast mythischen Ort streiten die Gelehrten noch“ (251). Biblisch ist das Paradies der Garten Eden als Ort der Einheit von Sein und Werden, der Fruchtbarkeit ohne sexuelle Zeugung; denn das „Erkennen“ der Frau durch den Mann findet erst jenseits des Gartens statt (Gen 4,1). Auch Jesus zeugt am Kreuz als neuem Baum des Lebens nicht auf sexuelle Weise. Vielmehr gibt er als Bräutigam sein Leben hin für seine geliebte Braut Kirche, damit sie – „heilig … und makellos“ (Eph 5,27) – in der Kraft des am Kreuz ‚überlieferten‘ Geistes (Joh 19,30) aus ihrem jungfräulichen Taufschoß unsterbliche „Kinder Gottes“ gebiert oder „Kinder des Lichts“ (Eph 5,8). Dazu wird der ewige Logos, das „Licht der Welt“ (Joh 1,9; 8,12), Fleisch und stirbt am Kreuz, damit alle Gläubigen durch seinen Heilstod die Fülle von Licht und Leben haben (Joh 1,16; 10,10).

 

Warum ist Jesu Herzwunde die Quintessenz?

Bild: Dass der ‚ungläubige‘ Thomas seine Hand (1 Daumen – 4 Finger) in die fünf verklärten Wundmale des auferstandenen Jesus legen darf (Joh 20,24-29), wird meist als Hinweis auf die Identität des Gekreuzigten mit den Auferstandenen verstanden? Der Sinn der fünf Wundmale erschließt sich vielmehr zahlensymbolisch; denn die Herzwunde als ‚fünfte‘ Wunde ist die Quint-essenz (quinta essentia = fünfte Essenz) des Ganzen, die wiedergefundene ‚Eins‘ des Geistes gegenüber der ‚Vier‘ der Materie. Kreuzigung aus Axum, Äthiopien, mit dem Totenschädel Adams.


Die Thora als Buch des Bundes und religiös-kulturelles Herz des Judentums besteht aus den fünf Büchern Mose nach der Struktur 1 (= Genesis) zu 4 (= Exodus bis Deuteronomium). Am Ende der Genesis ziehen das „Haus Jakob“ mit insgesamt „70 Personen“ – „die Frauen“ nicht mitgezählt – nach Ägypten hinab zu Josef, der sie aus der Hungersnot befreit (Gen 46,26f). Die „Siebzig“ werden in Ex 1,5 wieder genannt. ‚Ägypten‘ ist das ‚Exil‘ des gefallenen Menschen; Friedrich Weinreb schreibt: „Die Verbindung zwischen der ‚Eins‘ und der ‚Vier‘ ist [in Ägypten] durchschnitten. Dagegen sind die Kinder Israels offenbar noch so, wie sie waren. Die Überlieferung weist darauf hin, dass ihre Namen, mit denen Genesis endigt, zu Beginn von Exodus sofort wieder genannt werden und dass damit die Verbindung zwischen der ‚Eins‘ und der ‚Vier‘ hergestellt ist, im Gegensatz zu Pharao, der Josef offenbar nicht mehr kennt. Ägypten, das das Band der Eins durchschnitten hat, ist somit die Kraft der materiellen Entwicklung, die sich vom Ursprung [= Eins] gerade wegentwickeln möchte. Es ist der Körper im [Schlangen-]Gift des Rausches, der ihm vormacht, er werde, wenn er sich immer weiter entwickle, eine solche Kraft freisetzen, dass er damit als ein Gott über die Erde herrschen könne“ (Schöpfung im Wort, ³2012, 674). Die Schlange im Paradies verheißt dem Menschen, er werde sein „wie Gott“, wenn er von der verbotenen Frucht des Baumes der Erkenntnis isst (Gen 3,5). In der Folge ist der ‚vergiftete‘ Mensch dem Tod verfallen. Abram erhält mit dem Bund der Beschneidung am ‚achten Tag‘ als Zeichen des Glaubens von Gott den 5. Buchstaben He (= 5) in seinem Namen eingefügt und wir so zu Abraham (Gen 17,5.12); damit wird die Gegenbewegung zurück zum Ursprung eingeleitet. Der Exodus der „600 000 Mann“ (Ex 12,37) befreit den am ‚sechsten Tag‘ (Freitag) geschaffenen und gefallenen, von der ‚Entwicklungskraft‘ beherrschten Körper und macht ihn (wie die Beschneidung) fähig zur Darbringung des ‚Opfers‘, korban, als ‚Näherbringen‘ des Körpers zu Gott; das zeigt prototypisch die ‚Bindung‘ Isaaks durch Abraham auf dem späteren Tempelberg Mori-jah  (Gen 22,1-15). Jesus, der neue Isaak, hat am Kreuz das vollkommene ‚Ganzbrandopfer‘ dargebracht und so den Exodus zum befreiten Körper in der Auferstehung am ‚achten Tag‘ vollendet. Die Frucht seines Opfers am Kreuz als neuem Baum des Lebens ist die Eucharistie als „Gegengift“ (Gregor von Nyssa): Umkehr des Sündenfalls.

 

 

Warum ist der Gekreuzigte das Alpha und Omega der Welt?

Bild: Rabbi Nachum Twersky von Tschernobyl (18. Jh.) zufolge werden die Thora-Gelehrten „auch Bauleute genannt, weil sie das ganze Gebäude der Welt aufrichten und erhalten“, indem sie die Einheit von Unten mit Oben oder der Materie mit dem Geist wiederherstellen und so das Welt-Fundament heben, das durch „die Taten der Bösen“ gefallen ist; der Sündenfall im Essen Adams vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse habe „die göttlichen Buchstaben der Welt auseinander“ gerissen „und das Letzte vom Ersten getrennt“ (Gershom Scholem, Von der mystischen Gestalt der Gottheit, 1973, 130). Das Auseinanderreißen der Buchstaben Taw (400) und Aleph (1) gleicht dem Bruch des Bundes im Prinzip 1–4, der im Tod Jesu am ‚Zeichen‘ – was Taw bedeutet –  des Kreuzes (1 Mitte – 4 Enden) in der Aufrichtung des neuen und ewigen Bundes wiederhergestellt wird (vgl. die fünf roten Wachsstifte für die fünf Wundmale des Gekreuzigten im Verhältnis 1:4 auf der Osterkerze mit A und O). Osterkerze, Jesuitenkirche in Heidelberg.


Nach Rabbi Nachum von Tschernobyl erscheint in der ganzen Thora die ‚Gestalt‘ (oder das Bild) Gottes: „Alle Buchstaben der Tora sind aufgrund ihrer Formen … allesamt die Gestalt Gottes …, denn wenn auch nur ein Buchstabe der Torarolle fehlt oder zu viel darauf geschrieben steht …, ist diese Torarolle ohne Wert, weil sie nicht die Gestalt Gottes verkörpert“ (zit. nach Lawrence Kushner [Hg.], Jüdische Mystik, 2003, 75). Bevor der sprechende Gott die Welt durch sein Wort der Weisheit erschafft und sein Gesetz der Liebe dem Welttext wie einer lesbaren Buchrolle einschreibt, konzipiert er zuerst den Bauplan als Heilsplan der Welt, „nicht in unausgesprochenen Worten, sondern in Zeichen, die die zu schaffende Welt vorweg symbolisierten. Diese präkonzipierten symbolischen Welt-Zeichen waren die Buchstaben“ (Wilhelm Schmidt-Biggemann, Geschichte der christlichen Kabbala, Bd. I, 2012, 13). Daraus folgt: „Deshalb waren die Buchstaben, in denen die Welt vorgedacht worden war, älter als die Welt. Die Welt wurde erst, als Gottes Wort durch seinen Schall den Raum der Welt schuf. Die Sprache, die Gott Adam im Paradies offenbarte, war von Beginn an zugleich auch Schrift. Deshalb waren die geoffenbarten Buchstaben keine konventionellen Zeichen, die die menschliche Sprache repräsentieren, sondern göttlichen Ursprungs und gingen der menschlichen Sprache voraus. Sie hatten einen himmlischen, erbaulichen Sinn, und weil sie göttliche Vor-Zeichen der Welt waren, hatten auch ihre Formen einen spezifischen Offenbarungs-Sinn. Diese Theorie galt insbesondere für den geschriebenen göttlichen Namen, das heilige Tetragramm“ (13f). Die 22 Urzeichen und Urzahlen des hebräischen Zahlenalphabets werden somit als Offenbarung und Instrumente der göttlichen Schöpfung durch das Wort verstanden. Jesus, das fleischgewordene Wort, ist als der Gekreuzigte der von den „Bauleuten“ (Thora-Gelehrten) verworfene „Eckstein“ als Grundstein, ewen schethi-jah, der Welt (Ps 118,22; Apg 4,11). Henri de Lubac schreibt: „‘Als der Herr ans Kreuz geheftet wurde, da wurde der Welt das Verständnis der Schrift aufgetan‘ [Irimbert]. (…) Mit seinem Ruf ‚es ist vollbracht‘ [joh 19,30], herab von diesem Galgen, symbolisiert vom letzten Buchstaben des hebräischen Alphabets [= Taw], gibt Jesus der ganzen Schrift ihre Erfüllung, ‚insofern er dadurch das ganze Geheimnis der Erlösung des Menschen offenbart, die sich verborgen findet in den zweiundzwanzig Büchern des Alten Testaments‘ [Helinand]“ (Typologie Allegorie Geistiger Sinn, 1999, 120). 22 ist die Zahl der hebr. Urzeichen.

 

 

Warum ist Ostern am 1. Sonntag nach dem Frühlings-Vollmond

In der jüdischen Mystik ist Luna das Symbol der Schechina, der Einwohnung Gottes in seiner Schöpfung, das heißt laut Gershom Scholem: „Gott selbst in seiner Allgegenwart und Aktivität in der Welt und insbesondere in Israel. Gottes Präsenz, das, was die Bibel sein ‚Antlitz‘ heißt, ist im rabbinischen Sprachgebrauch seine Schechina“ (Zur Kabbala und ihrer Symbolik, 1970, 140). Die Kirchenväter sahen die Kirche im Bild von Luna, das aber – wie diese selbst – immer auch ambivalent bleibt, denn – so Hugo Rahner – alles „Gebären und Gedeihen der Erde im Rhythmus der mütterlichen Selene“, der ‚Möndin‘, endet „doch stets mit neumondlicher Finsternis“ (Griechische Mythen in christlicher Deutung, 1984, 141). Für die frühen Christen war aber klar, dass „das Licht der Sonne Christus an die dunkle Erde weitergegeben wird durch die mütterliche Mittlerschaft in Maria und der Kirche“; so kann die Erde wieder werden, was sie im Anfang ist: blühender,(geistig) fruchtbarer Garten Eden, Paradies.


„Am 1. Nissan, wenn die Mondsichel gerade aufzuleuchten beginnt und sichtbar wird, sagt Gott zu Mose und Aaron: ‚Das ist der Beginn eurer Erneuerungen‘ (Exodus 12)“ (Friedrich Weinreb, Die zwölf Stämme, 2024, 372). Das jüdische Osterfest ist am ersten Frühlingsmonat Nissan bei Vollmond zu feiern, dem 15. Nissan. Die Wiederkehr (‚Auferstehung‘) des periodisch verschwindenden Mondlichtes zur vollen Größe im Bild des Vollmondes ist auch Symbol der Wiederherstellung aller Dinge in der Erlösung (Jes 30,26). Christlich wird Ostern wegen der Auferstehung Jesu am „achten Tag“ (nach dem Sabbat) am ersten Sonn-tag nach dem Frühlings-Vollmond gefeiert; Joseph Ratzinger sagt: „In der Welt der Religionen erscheint der Mond mit seinen wechselnden Phasen häufig als Symbol des Weiblichen, besonders aber als Symbol der Vergänglichkeit. So entspricht die kosmische Symbolik des Mondes dem Geheimnis von Tod und Auferstehung, das im christlichen Pascha begangen wird. Wenn der Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond als Osterdatum erscheint, verbinden sich die Symbolik von Sonne und Mond: Vergänglichkeit ist hineingehalten ins Unvergängliche. Tod wird zur Auferstehung und mündet in ewiges Leben hinein“ (Der Geist der Liturgie, 2000, 88). Die Überwindung des Todes geschieht schon mit der Menschwerdung des Sohnes Gottes in der Nacht von Weihnachten, wie Hugo Rahner schreibt: „Wenn in der Weihnacht Christus als ‚Sol novus‘ geboren wird, wenn er aus dem Dunkel der Osternacht aufsteigt als wahrer ‚Sol invictus‘, so steht nun neben ihm jene hohe Frau, von der die Christen in der Apokalypse lasen, die da angetan ist mit der Sonne, und den Mond zu ihren Füßen hat [Offb 12,1]. Maria hat die Sonne geboren, und die Kirche wird erleuchtet von dem Glanz des Osterlichts, wenn die Neugetauften aus dem Mutterschoß des mit feurigem Wasser gefüllten Taufbeckens heraufsteigen, um dem plenilunium [Vollmond] der kommenden Auferstehung entgegenzugehen. Maria ist also die geistige Luna dieser weihnachtlichen Vereinigung, und die Kirche ist der wahre österliche Vollmond, der ‚Urgrund aller Geburt‘ im christlichen Sinne. (…) Taufe und Herrengeburt sind letztlich ein einziges Mysterium. Die Sonne Christus kam in die Nacht des Mutterschoßes herab, auf dass in der Taufnacht aus dem Mutterschoß des von der Ostersonne befruchteten Wassers die Christen geboren würden“ (Griechische Mythen in christlicher Deutung, 146; 148).

 

 

 

Warum wird Jesus am „sechsten Tag“ (Freitag) gekreuzigt?

Bild: Nach Irenäus von Lyon kam Jesus als Messias am Karfreitag „zur Passion, einen Tag vor dem Sabbat, dem sechsten Schöpfungstag, an dem auch der Mensch gebildet wurde, indem er ihm die zweite Erschaffung, die ihn dem Tod entriss, durch seine Passion schenkte“ (Adversus haereses 5,23,2 – Gegen die Häresien, 1995). Dabei sind Adam und Eva „genau am selben Tag … gestorben, an dem sie auch gegessen haben [Gen 2,17; 3,1-6] und Schuldner des Todes geworden sind, weil es sich an einem einzigen Schöpfungstag abspielte“; als dann Jesus „den ganzen Menschen von Anfang bis Ende in sich rekapitulierte (zusammenfassend wiederholte), da rekapitulierte er auch seinen Tod. Daran ist deutlich erkennbar, dass der Herr an jenem Tag aus Gehorsam gegen den Vater den Tod auf sich nahm, an welchem Adam im Ungehorsam gegen Gott gestorben ist. Der Tag, an dem er gestorben ist, ist derselbe wie der Tag, an dem er gegessen hat“ (ebd.). Kreuzigung Jesu zwischen Maria und dem Lieblingsjünger, Kloster am Tana See, Äthiopien. Oben im Himmelsbereich Sonne und Mond, in der Mitte rechts der Vorhang des Tempels, der zerreißt (Mk 15,38), am Fuß des Kreuzes der Schädel Adams auf Golgotha (= „Schädelhöhe“); das „Blut des Bundes“ (Mt 26,28) fangen Engel in Kelchen auf.


Die jüdische Überlieferung erzählt Stunde um Stunde, wie sich die Erschaffung des ersten Adam am sechsten Schöpfungstag vollzogen hat. In der 6. Stunde fängt Adam „an, den Dingen der Welt schemoth, 300-40-6-400, Namen, zu geben“ (Friedrich Weinreb, Der Sinn des Tuns, 2023, 269; vgl. Gen 2,19f). Diese 6. Stunde bringt damit die Gefahr des Sich-Aufblähens des Menschen, als sei er selbst Gott: „Darum heißt es: Am Tag vor Pesach, vor Ostern, muss in dieser 6. Stunde alles chamez, 8-40-90, alles Gesäuerte, aus dem Haus entfernt werden [Ex 12,15]“ (269f). Bei den Synoptikern fällt der Karfreitag auf das Paschafest: Von der 6. bis zur 9. Stunde der Kreuzigung – Jesus übergibt seinen Geist in die Hände seines Vaters (Lk 23,46; Ps 31,6) – bricht „eine Finsternis über das ganze Land herein… Die Sonne verdunkelte sich“ (Lk 23,44) – und scheint stillzustehen wie bei Josua: „Er lässt Sonne und Mond still stehen, das heißt, er lebt aus der Ewigkeit (Josua 10,12-14)“ (Weinreb, Die zwölf Stämme, 2024, 83). Die Erlösung am sechsten Tag im Tod des neuen Adam Jesus am Kreuz (als neuem Baum des Lebens) ist vorgebildet in der Erschaffung des ersten Adam mit der Einhauchung der Geistseele, nechama (Gen 2,7). Jesus haucht seinen Geist am Kreuz aus – wörtlich: er „überliefert“ ihn (Joh 19,30). Am „achten Tag“ (Sonntag) nach der Kreuzigung am „sechsten Tag“ (Freitag), am „ersten Tag der Woche“, haucht der Auferstandene seinen Aposteln diesen Geist des Lebens ein zur Vergebung der Sünden (Joh 20,19.22f), insbesondere der Ursünde Adams (Erbsünde), die in der Taufe getilgt wird. Deren Ort ist ursprünglich die Feier der christlichen Osternacht, die eröffnet wird mit der Lichtfeier und dem österlichen Lobgesang (Exsultet), der von Adams „glücklicher Schuld“, felix culpa, singt, weil sie einen so „großen Erlöser“ gefunden hat. Der Freitag, franz. vendredi, ist der „Tag der Venus“; der Fruchtbarkeitsstern hat mit dem „Kupfer“, nechoscheth, und der kupfernen „Schlange“, nachasch, zu tun: „Die ‚kupferne Schlange‘ (4. Mose 21,9) ist also das Kupfer des Kupfers. Man erkennt, dass hier [beim Kupferaltar im Tempel] sogar die Dinge aus Kupfer sind: Das, was in der Zeit verführt, ist hier von besonderer Bedeutung. Darum ist das Kupfer auch das Metall des sechsten Tages. Der sechste Tag, der Freitag, der Tag der Venus, ist der Tag, an dem das Kupfer verführt [zum Sündenfall]. Die ‚nachasch‘ verführt am sechsten Tag“ (Weinreb, Der Weg durch den Tempel, 2000, 388f).

 

 

Warum ist Gottes Wort verhüllt?

Bild: Die Thora-Rolle enthält schwarze Buchstaben auf weißem Pergament. Jeder Buchstabe zählt; wenn einer fehlt oder falsch geschrieben wurde, ist ganze Rolle unbrauchbar. Gott offenbart sich in seinem Wort, das nicht einfach mit den Konsonanten-Buchstaben als „Körper“ der Sprache identisch ist. Es braucht dazu die gesprochenen Vokale als „Geist“ der Sprache sowie die Sprachmelodie und Betonung als „Geistseele“: Ebenso braucht die „geschriebene Thora“ zum Verständnis die „mündliche Thora“ (Überlieferung). Der eigentlich geistige Sinn ist aber auch dann noch verhüllt bis zum Kommen des Messias. Dann werden die Spatien als ‚weiße Buchstaben‘ zwischen den schwarzen Buchstaben lesbar, was den „messianischen Charakter der Offenbarung“ der Thora beschwört (Moshe Idel, Alte Welten – Neue Bilder, 2012, 384). Dann geschieht der Aufstieg zum ‚Weißen‘, zur „neuen Thora“ (Jes 51,4).