Impulse zu den Bildwelten der Bibel


Warum hängt Ostern ab von der ersten Vollmondnacht im Frühling?

Bild: Die Wiederkehr (‚Auferstehung‘) des periodisch verschwindenden Mondlichtes zur vollen Größe im Bild des Vollmondes ist Symbol der Wiederherstellung aller Dinge in der Erlösung; christlich wird Ostern seit dem ersten Konzil von Nizäa (325) am ersten Sonn-tag nach dem Vollmond gefeiert, „der auf die Frühlings-Tagundnachtgleiche folgt oder mit ihr zusammenfällt. Der Sonntag erinnert an die Auferstehung Christi am ersten Tag der Woche, während der Vollmond nach der Frühlings-Tagundnachtgleiche an den jüdischen Ursprung des Festes am 14. Nissan erinnert, aber auch an die kosmische Dimension der Auferstehung, da die Frühlings-Tagundnachtgleiche an den Zeitpunkt erinnert, an dem die Länge des Tages die der Nacht übertrifft und die Natur nach dem Winter wieder zum Leben erwacht“ (Intern. Theologische Kommission: Jesus Christus, Sohn Gottes, Erlöser. 1700. Jahrestag des ökumenischen Konzils von Nizäa 325–2025, 45).


Sieben ist die Zahl einer Mondphase, der ‚siebte Tag‘ oder Sabbat war ursprünglich der Vollmondtag (Vollmondsabbat; vgl. Jes 1,13; Am 8,5). Israel soll des Sabbats ‚gedenken‘, sachor (Ex 20,7) und ihn ‚hüten‘, schamor (Dtn 5,11); ersteres hängt mit dem ‚Männlichen‘, sachar, und dem Tag, letzteres mit dem ‚Weiblichen‘ und der ‚Nacht‘ zusammen. In der symbolischen Vollgestalt des kosmischen Prinzips des ‚Weiblichen‘, dem Frühlings-Vollmond, ist Luna dann als Schechina, als Gegenwart Gottes in seinem Volk. Sie ist auch die Sabbat-Braut bei der Heiligen Hochzeit in der Nacht vom Freitag zum Sabbat, wie sie die Kabbalisten begehen; Gershom Scholem schreibt: „In der Sabbath-Nacht vereinigt sich der König [= JHWH] mit der Sabbath-Braut und, indem jenes heilige Feld befruchtet wird, gehen aus ihrer mystischen Vereinigung die Seelen der Gerechten hervor“ (Zur Kabbala und ihrer Symbolik, 1973, 187). Israel feiert Ostern, Pessach, in Erinnerung an die Befreiung aus ‚Ägypten‘ als Symbol der dem Tod verfallenen Welt in der Nacht vom 14. auf den 15. Nissan (Ex 12,2; 2025 am 13. April), den ersten Frühlingsmonat, wenn die Nacht vom Vollmond ganz erhellt ist; an diesem Datum wird auch des Opfers des Sohnes von Abraham, Isaak, auf dem Berg Mori-jah (= JHWH ist mein Lehrer), gedacht. Die „eine Nacht des Wachens“ umfasst dabei vier Nächte: 1. Die Nacht bei der Erschaffung der Welt durch das Licht (Tagundnachtgleiche im Frühling); 2. die Nacht, in der dem 100-jährigen Abraham Isaak geboren wird, den er als 37-Jährigen gehorsam opfert; 3. die Nacht, in der Gottes (linke) Hand die Erstgeborenen ‚Ägyptens‘ tötet, während die rechte Hand Israel umhegt, „damit erfüllt werde, was die Schrift sagt: ‚Mein erstgeborener Sohn – das sind die Israeliten‘ (Ex 4,22)“; 4. die Nacht der Befreiung der Welt durch den König Messias (vgl. Clemens Thoma, Memoria der Rettung – Feier des Glaubens im Judentum, in: Angelus A. Häußling [Hg.], Vom Sinn der Liturgie. Gedächtnis unserer Erlösung und Lobpreis Gottes, 1991, 45-61, 52f). In der christlichen Osternacht wird in den Lesungenan die alttestamentlichen Heilsereignisse er-innert; die Befreiung durch den Messias wird als Opfertod am Kar-Freitag (‚sechster Tag‘) und der Auferstehung am ‚achten Tag‘ (Sonn-tag) nach dem Sabbat als Beginn der Neuschöpfung jenseits der Zeit (Luna: Sieben Tage) gefeiert.

 

Warum reitet Jesus auf einem Esel und nicht auf einem Pferd?

Bild: Der Esel „ist für einen Kampf und gar für einen Krieg ungeeignet. Wer auf einem Esel reitet, gibt damit eindeutig zu erkennen, dass er mit friedlichen Absichten kommt. Der Esel ist zudem das Reittier der armen Leute“ (Kardinal Kurt Koch, DT, 10. April 2025, 13). Jesus ist auf der Seite der „Armen (im Geiste)“, womit die erste der acht Seligpreisungen beginnt: Ihnen „gehört das Himmelreich“ (Mt 5,3). Diesen Armen, auch Kleinen und Unmündigen, die sein „leichtes Joch“ auf sich nehmen, offenbart sich der Sohn, der „gütig und von Herzen demütig“ ist, um ihnen die „Ruhe“ (des Friedens) zu verschaffen (Mt 11,25-30). Juden tragen mit der Thora das „Joch des Himmelreiches“, Christen das leichte Joch: das Kreuz.


Jesu Weg führt ihn von der ‚Mondstadt‘ Jericho (hebr. jereach = Mond) nach Jeru-salem, dem Mittelpunkt des Lebens, wo das ‚Ganze‘ (schalom), auch der ‚Friede‘, gesehen wird: das Reich des Friedens oder Reich Gottes. Unmittelbar vor seiner Ankunft und seinem Einzug als Messias und ‚König des Friedens‘ macht Jesus im Gleichnis von den anvertrauten Talenten deutlich, was es heißt, Gottes Gaben zu empfangen und in der Kraft des Heiligen Geistes fruchtbar werden zu lassen – oder eben nicht (Lk 10,11-37). Wie an Weihnachten die Engel verkünden: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“ (Lk 2,14), so rufen die Menschen beim Einzug: „Im Himmel Friede und Herrlichkeit in der Höhe!“ (Lk 19,38). Das gefällt nicht allen: „Meister, bring deine Jünger zum Schweigen“ (V.39). Jesus antwortet, wenn nicht sie jubeln, schreien die toten Steine Jerusalems, dessen Zerstörung er weinend ankündigt: „Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest, was dir Frieden bringt“, aber „du hast die Zeit der Gnade nicht erkannt“ (Lk 19,41-44). Jesus ist der wahre ‚Friedensbringer‘, der wahre ‚Salomo‘ (von schalom); von ihm sagt König David: „Setzt meinen Sohn Salomo auf mein Maultier und führt ihn hinab zum Gihon“ (1 Kön 1,33). Ein Maultier ist das Produkt der Kreuzung aus einer Hauspferdestute mit einem Hauseselhengst. ‚Pferd‘, sus, 60-6-60, steht für die Triebnatur;  ‚Esel‘, chamor, hat die gleich Sttruktur wie chemer, Lehm, als „Ausdruck der Materie dieser Erde und des Körpers“ (F. Weinreb, Schöpfung im Wort, ³2012, 262). Das den Körper tragende Knochenskelett ist Ausdruck für die ‚männliche’ Geistseele, der Körper aus ‚Lehm‘ (Esel) steht für die ‚weibliche’ Fleischseite: „Der ganze Leib in dieser Welt ist somit der weibliche Teil gegenüber der Seele als dem männlichen Teil des ganzen Menschen“ (264). Chamor, 8-40-200, hat den Zahlenwert 248; das entspricht nach jüdischer Überlieferung der Zahl für das Skelett, das den Menschen trägt. 248 ist auch der Wert von Abraham, 1-2-200-5-40, nach dem mit dem Bund der Beschneidung eingefügten Buchstaben He (= 5) (Gen 17,5). Die Beschneidung als Wegnahme der ‚Hülle‘ des Fleisches ist Vorausbild der Taufe auf Jesu Kreuz und Auferstehung als „Beschneidung, die man nicht mit Händen vornimmt“ (Kol 2,11), nämlich die des Geistes am ‚verhüllten‘ Herzen (Röm 2,29; 2 Kor 3,14f).

 

Warum besuchen immer weniger den Sonntagsgottesdienst?

Bild: „Die Kirchenaustrittszahlen erschüttern mich, aber die Gottesdienstzahlen am Sonntag erschüttern mich noch mehr“, erklärte der Münchener Kardinal Reinhard Marx anlässlich der Vorstellung seines Buches „Kult. Warum die Zukunft des Christentums uns alle betrifft“ (April 2025). Im Buch heißt es: „Die eigentliche Existenzkrise der Kirche ist das Auseinanderfallen von Kultgemeinschaft und Kirchenmitgliedschaft.“ Und weiter: „Liturgie erschien in den letzten Jahren nur als innerkirchliches Thema, das ist nicht richtig. Eine Religion, ein Glaube, wird nur Zukunft haben, wenn er im Kern ein Ereignis feiert in der Begegnung mit Gott.“ Kern des Kirchenjahres sind die Drei Österlichen Tage. Gottesdienstbesuch Palmsonntag in Axum, Äthiopien


Der Sonntag hat in Deutschland als ‚Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung‘ einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Der wird ausgehöhlt, wenn heute je nach Region immer weniger Christen einigermaßen regelmäßig am Sonntagsgottesdienst teilnehmen.  Mit Blick auf die zwei Prozent der evangelischen Kirchenmitglieder an einem durchschnittlichen Sonntag in ihrer Kirche fordert die evangelische Pfarrerin Hanna Jacobs (Hildesheim), den Sonntagsgottesdienst als „ein Relikt vergangener Zeiten“ abzuschaffen (Schafft den Gottesdienst am Sonntag ab!, in: Die Zeit, Beilage Christ & Welt, 8. Mai 2024). Ihre Hoffnung, so „aus der Bedeutungslosigkeit herauszufinden“, dürfte trügerisch sein, denn es hieße letztlich, die Kirche selbst als bedeutungslos abzuschaffen. Diese Forderung und dieser Ausfall zeigen, dass es versäumt wurde, den wahren Sinn des Sonntags spirituell zu erschließen. Ohne das Wachhalten der geistigen Ur-Bestimmung des Menschen verliert er sich im sonntagslosen ‚Alltag‘ oder im säkularisierten ‚Weekend‘ einer geistlosen Konsum- und Freizeitgesellschaft. Der frühchristliche Barnabasbrief (um 130 oder früher) spricht von dem Sabbat, den Gott gemacht hat, als „Anfang des achten Tages“, „den Anfang einer anderen, neuen Welt. Deswegen begehen wir auch den achten Tag, den Sonntag, uns zur Freude als ersten Tag. Denn an diesem Tag ist Jesus auferstanden von den Toten und den Jüngerinnen und Jüngern erschienen und in den Himmel hinaufgestiegen“ (vgl. Klaus Berger/ Christiane Nord, Das Neue Testament und frühchristliche Schriften, 2005, 235-263, 257; Kap. 15). Nach Paul Evdokimov ist der Sonntag „auch Vorausnahme und Verkündigung der Wiederkunft, wenn das ganze All im Feuer der endlichen Verklärung ewige Eucharistie wird“ (Das Gebet der Ostkirche, 1986, 33). Im Apostolischen Schreiben Dies Domini über die Heiligung des Sonntags (1998) von Papst Johannes Paul II. heißt es: Der Sonntag „ist die Botschaft, dass die Zeit, die vom Auferstandenen und vom Herrn der Geschichte bewohnt wird, nicht der Sarg unserer Illusionen, sondern die Wiege einer stets neuen Zukunft ist, die Gelegenheit, die uns gegeben wird, um die flüchtigen Augenblicke dieses Lebens in Samen der Ewigkeit umzuwandeln. Der Sonntag ist eine Einladung, nach vorne zu schauen“ – und zwar im „brennenden Verlangen“ des Heiligen Geistes und der Braut Kirche nach der „herrlichen Wiederkehr“ des himmlischen Bräutigams Christus (81; 85; vgl. Offb 22,17).

 

Warum befreit die Wahrheit des Glaubens, nicht die der Vernunft?

„Die Wahrheit wird euch frei machen“ – das Wort aus von Joh 8,32 befindet sich an einem Uni-Gebäude in Freiburg/Br. Die dort gelehrte „Wahrheit“ der Vernunft hat mit der Heilswahrheit in Joh 8 im Kontext einer Blindenheilung nicht viel zu tun: Es geht um die Öffnung des inneren Auges (der Kontemplation) für das ewige „Licht, das jeden Menschen erleuchtet“ (Joh 1,9): Es kommt mit Jesus in die Welt gegen die „Lüge“ oder „Finsternis“. Diese lieben die Menschen mehr „als das Licht, denn ihre Taten waren böse. (…) Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht“ (Joh 3,19.12) – und damit auch zum Leben im Glauben.


NachWladimir Iljitsch Lenin (1870–1924), eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow, anerkennt der Materialist „die objektive Wahrheit, die uns durch die Sinnesorgane zugänglich wird“ (Materialismus und Empiriokritizismus. Kritische Bemerkungen über eine reaktionäre Philosophie, 1908). Aus dieser materialistischen ‚Wahrheit‘ folgt: „Recht ist, was der proletarischen Klasse nützt.“  „Die Lüge ist ein legitimes Mittel gegen den Klassenfeind.“ „Massenerschießungen sind ein legitimes Mittel der Revolution. Und: „Kommunismus ist Atheismus“, also Feindschaft gegenüber dem (christlichen) Glauben. Atheisten haben Millionen von Menschen ihren falschen Ideen geopfert (Mao Zedong 80 Mio., Hitler 50 Mio., Stalin 25 Mio.). Weil durch die Ursünde des ersten Adam Verstand/Vernunft geschwächt sind (KKK 505), kann die Wahrheit immer auch in ihr Gegenteil verkehrt werden: in Unwahrheit oder Lüge. Diese hat zum Urheber letztlich den Teufel als „Vater der Lüge“ (Joh 8,44) (KKK 407). US-Präsident Donald Trump konnte nicht zuletzt durch Lügen nach 2017 auch 2024 wieder die Macht erringen. Die unveränderliche, absolute Wahrheit ist überzeitlich ewig, während es in der vergänglichen Zeit nur Annäherungen an das Licht der Wahrheit mit jeweils perspektivischen Verzerrungen, einschränkenden Wahrnehmungen, kontext-, sprach- und zeitabhängigen Begrenzungen, irrtümlichen Täuschungen, ideologischen Verblendungen und illusorischen Mutmaßungen der menschlichen Vernunft gibt. Auch der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt durch ‚Versuch und Irrtum‘ bedeutet nicht, dass irgendwann ewige, unveränderliche Wahrheiten erkannt werden, sondern dass immer nur begrenzte Modelle der (vergänglichen) Wirklichkeit erstellt werden, die diese mehr oder weniger zutreffend beschreiben. Ewige Wahrheiten kann nur Gott dem Menschen zu seinem Heil offenbaren. Augustinus schreibt in seinen Bekenntnissen, dass jeder, wenn er ihn fragt, „ob ihm die Wahrheit oder die Lüge lieber ist“, ohne Zögern antwortet: „die Wahrheit!“ Ebenso will jeder selig sein. „Denn das selige Leben ist die Freude an der Wahrheit. Das ist die Freude, die von Dir kommt, der Du die Wahrheit (Ps 27,1) bist, Du Gott, Du meine Erleuchtung, Du Heil meines Angesichts, Du mein Gott (Ps 42,12). Dieses selige Leben streben alle an. Dieses Leben, das einzig selig ist, wollen alle, denn alle wollen die Freude an der Wahrheit“ (Conf. X, 33). Zwar gebe es viele Lügner und Betrüger, aber niemand wolle selbst betrogen werden: „Auch sie lieben die Wahrheit, da sie nicht betrogen sein wollen.“ Jesu Wahrheit aber verlangt den Glauben.

 

Warum ruft Jesus den Menschen zur Umkehr und Buße?

Bild: Jesus ruft den Menschen zur Umkehr, weil „das Reich Gottes (in ihm schon) nahe“ ist (Mk 1,15). Das Gleichnis vom barmherzigen Vater und verlorenen Sohn zeigt, was Umkehr ist: Gewissenserforschung (der am Tiefpunkt angelangte Sohn geht in sich), Reue und Bekenntnis der eigenen Schuld: „Ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein“ (Lk 15,17-21). Bevor der Vater als Dank für seine Heimkehr das Fest der Versöhnung feiern kann, erhält der Sohn seine verlorene Sohnes-würde zurück, symbolisiert im „Ring“ und im „besten Gewand“, wörtlich: „erstes Gewand“ (Lk 15,22). Die Kirchenväter sahen darin den Hinweis auf das ‚Lichtkleid‘ der Herrlichkeit des Menschen im Paradies vor dem Sündenfall, das die Getauften mit dem weißen Taufkleid zurückerhalten: „Durch die Taufe sind wir mit Jesus in Licht gekleidet und selber Licht geworden“ (Benedikt XVI., Jesus von Nazareth I, 2007, 358). Der Vater umarmt den heim-kehrenden Sohn: Rembrandt,Eremitage St.Petersburg,


Im Gleichnis gehört dem älteren Bruder, der immer beim Vater war, „alles“ (Lk 15,31; vgl. Röm 9,4f). Umso mehr hätte er sich über die Heimkehr und Heimholung des jüngeren Bruders mit dem Vater und den Engeln im Himmel freuen und am Festmahl dazu teilnehmen sollen (V.32). Das aber tut er trotz dringlicher Bitte des Vaters gerade nicht. Papst Johannes XXIII. hat das Gleichnis auf das Verhältnis von Juden und Christen bezogen und von den Juden als „älteren Brüdern“ gesprochen. Der Philosoph Robert Spaemann (1927–2018) macht deutlich: „Das Festmahl ist aber erst wirklich gelungen, wenn er (der ältere Bruder) daran teilnimmt. Wenn der wiedergekehrte verlorene Sohn ihm sagen würde: ‚Du kannst ruhig bleiben, wo du bist, das Fest ist auch ohne dich ganz schön‘, dann hätte ihn der Vater wohl nicht wieder aufgenommen. Der Gedanke, das Problem durch die Gründung einer zweiten Familie zu lösen, hat mit dem Neuen Testament nichts zu tun. Das Bundesvolk wird im Alten Testament auch als Braut dargestellt und Gott als eifersüchtiger Bräutigam. Die Braut soll nicht fremdgehen. Aber auch Gott ist kein Bigamist, dem es genügt, wenn die beiden Familien ‚im Gespräch sind‘“ (Gott ist kein Bigamist, FAZ, 20. April 2009). Spaemann kritisiert damit die Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen (2009), in der nicht nur jede Judenmission ‚missbilligt‘, sondern auch behauptet wird, es gebe neben dem „Bundesvolk“ Israel ein zweites Volk Gottes aus den (Heiden-)Völkern und einen zweiten Bund. Dieser trete neben den ersten, ersetze ihn aber nicht; beide seien vollgültige, von Gott gewollte Heilswege, weshalb es für Juden keinen Grund gebe, „an Jesus zu glauben und sich taufen zu lassen“. Der Neue Bund ist aber kein zweiter Bund, sondern die Erneuerung und Vollendung des einen Bundes: Das Verhältnis von Altem und Neuem Bund ist das von Vorläufigkeit und Endgültigkeit. Auch nach Benedikt XVI. stehen die beiden Brüder im Gleichnis für Judentum und Heidentum, genauer: für die ‚Gesetzesfrommen‘, für die Gott „vor allem Gesetz (ist); sie sehen sich in einem Rechtsverhältnis zu Gott, und da sind die mit ihm im Reinen. Aber Gott ist größer: Sie müssen sich vom Gott-Gesetz zum größeren Gott, zum Gott der Liebe bekehren. Dann werden sie ihren Gehorsam nicht aufgeben, aber er wird aus tieferen Quellen kommen und von daher größer, offener und reiner, aber vor allem auch demütiger sein“ (Jesus von Nazareth I, 251).

 

Warum ist die Verkündigung an Maria Anfang der Neuschöpfung

Nach Bernhard von Clairvaux darf der Gläubige mit Blick auf die neue Eva Maria sagen: „‘O Herr, die Frau, die du mir gegeben hast‘, hat mir vom Baum des Lebens gegeben, und ich habe gegessen, und ‚süßer als Honig ist er mir in meinem Mund geworden’ (Ps 119,103)“ (Honig aus dem Felsen, 2021, 40). Rupert von Deutz (gest. 1129) sagt in seinem Kommentar zum Hohelied der Liebe: „Christus selbst ist der Baum des Lebens im neuen Paradies [der Kirche], von dessen Früchte die Gläubigen essen dürfen, die heilige Eucharistie, die vor dem Tod bewahrt.“ Vom Lebensbaum Christus „soll der Mensch essen, mit seinen Mysterien umgehen“ (zit. nach F. Wulf, Geistliches Leben in der heutigen Welt, 1960, 31). Als Immaculata Conceptio, symbolisiert in der weißen Lilie, ist Maria die ‚Schlangenzertreterin‘ par excellence. Martin Schongauer, Colmar.


Die Ostkirche betrachtet das Fest Mariä Verkündigung am 25. März, dem alten Datum der Tagundnachtgleiche als Anfang des Jahres und der Schöpfung, neun Monate von Weihnachten, als Vorwegnahme von Pfingsten: „Das Wirken des Geistes geht auch dem Christusgeschehen voraus und ermöglicht es. So wird das erste ‚Pfingsten‘ in der Verkündigung an Maria gesehen. Maria, von ‚der Kraft des Geistes überschattet‘, wurde als Theotokos, als Gottesgebärerin, Mutter des ewigen Lebens. Die Gottesmutterschaft ist jedoch nicht auf Maria beschränkt, sondern Berufung der ganzen Schöpfung. An Pfingsten entsteht die ‚Mutter Kirche‘, die die Geburt Jesu Christi in der Kraft des Geistes in seiner vollendeten Gestalt vorbereitet“ (Marie-Louise Gubler, Der Heilige Geist in der Orthodoxen Kirche, in: Diakonia 2/2005, 117-119, 117). Durch das ‚Nahen‘ des Heiligen Geistes wird Maria zur Prophetin; Alois Grillmeier schreibt: „Zum patristischen Bild Mariens gehört der Ehrentitel: Maria Prophetin. Die kirchliche Tradition hat ihn zur Anrufung ‚Königin der Propheten‘ gesteigert. (…) Maria ist Prophetin, weil sich in ihr seinshaft und in wesentlicher Weise jenes vollzieht, was im Propheten sich ereignet, wenn er das ‚Wort‘ der Offenbarung vernimmt. (…) Indem sich ihr der Geist ‚naht‘, wird sie zur Prophetin. Ihre geistgewirkte Mutterschaft und ihre charismatische Begnadung gehören also innigst zusammen.“ Die Väter haben „an einem lebendigen Bilde die Gestalt des geistbegnadeten Christen sichtbar gemacht und in lebendiger Erinnerung behalten“. (Maria Prophetin. Eine Studie zur patristischen Mariologie, in: Geist und Leben 30, 1957, 101-115, 101; 113). Papst Franziskus betonte zum Hochfest der Gottesmutter Maria, dem Oktavtag von Weihnachten (1. Januar 2020): „Am Neujahrstag feiern wir diese Hochzeit zwischen Gott und Mensch, die im Schoß einer Frau ihren Anfang genommen hat. In Gott wird für immer unsere Menschheit sein, und Maria wird für immer die Mutter Gottes sein.“ Nach dem italienischen Theologen Giorgio Mazzanti darf „das Symbol der Vermählung nicht auf eine Metapher hin reduziert werden, auch nicht auf eines der vielen nützlichen Bilder, die das Mysterium zum Ausdruck bringen wollen; es ist auch kein Bild, welches das Mysterium nur begleitet… Das Symbol der Vermählung bietet sich dar als Symbol der Symbole und als Herz des Mysteriums, d. h. als Ausdruck der hochzeitlichen Liebe Gottes zur Menschheit“ (zit. nach Gisbert Greshake, Maria-Ecclesia, 2014, 441f).

 

Warum sind im verklärten Jesus Gesetz und Propheten eins?

Bild: Hervaeus von Bourg-Dieu (um 1080–1150) sagt zur Verklärung Jesu (Metamorphosis, Transfiguration) auf dem Gipfel eines hohen Berges zwischen Mose und Elija, den Repräsentanten von Gesetz und Prophetie, einer der Höhepunkte der Offenbarung von Jesu Gottessohnschaft in den drei synoptischen Evangelien (Mt 17,1-9; Mk 9,2-8; Lk 9,28-36): „Am Anfang waren drei zu sehen, am Ende nur noch einer. Solange nämlich das Gesetz, die Prophetie und das Evangelium nur oberflächlich nach dem Buchstaben aufgefasst werden, sieht man drei; sobald sie aber nach ihrem inneren Sinn betrachtet werden, erscheinen sie als Einheit. Denn das Gesetz und die Prophetie dem geistigen Sinn nach genommen sind nichts anderes als die Lehre des Evangeliums“ (zit. nach Henri di Lubac, Typologie – Allegorie – Geistiger Sinn, 1999, 147). Russ.-orth. Kirche, San Franzisko.


Philo von Alexandrien (1. Jh.) gebraucht die Schlüsselbegriffe „nüchterne Trunkenheit“ und „heilige Hochzeit“, um die Gottergriffenheit und Erleuchtung sowie den gotterfüllten ekstatischen Zustand dessen zu charakterisieren, der sich (vorübergehend) der göttlichen Sphäre des Lichts und der Gottesschau nähert bis hin zur „unio mystica“ (Thomas M. Kiesebrink, Jesus als Mystiker?, 2022, 176f; 186-193). Damit einher geht auch eine äußere „Verwandlung ins Göttliche“, so im Blick auf Moses und auf Abraham als „Seher“ (321-325): „Der Einblick in die geistige Welt führt bei Mose schließlich zu einer Verbesserung des Denkvermögens, zu einer Stärkung der Seelenkräfte und zu einer äußeren Veränderung des Leibes. Hier geht Philo über die Erwähnung des strahlenden Angesichts in Ex 34,29-35 hinaus. Durch die neu gewonnenen Seelenkräfte gewinnt der ganze Körper von Mose ein strahlendes Aussehen. Wie in Virt 217 [De virtutibus] bewirkt die Berührung mit dem Göttlichen eine Verschönerung und Stärkung der geistigen und körperlichen Existenz. Diejenigen, die den verwandelten Mose erblicken, müssen ihre Augen abwenden. Der Glanz, der von Mose ausgeht, ist sonnengleich. Der Lichtglanz, der sonst Gott zugeschrieben wird, ist gewissermaßen auf Mose übergegangen. Die Lichtstrahlen, die von dem verborgenen Wesen Gottes ausgehen und einen direkten Anblick seines Wesens verhindern, gehen nun von Mose selbst aus. (…) Die von Mose geschaute göttlichen Wirklichkeit manifestiert sich in seiner verwandelten Gestalt und löst bei den Betrachtern großes Erstaunen aus“ (325). Nach Adrian Wypadlo kann „kein antiker Text … angeführt werden, in dem die in Mk 9,2-8 verarbeiteten Erzählmotive in solcher Dichter vorliegen wie in VitMos [De vita Mosis] II 69f und Quaest in Ex [Quaestiones in Exodum] II 29, so dass im hellenistischen Judenchristentum die Entstehung der Verklärungsperikope vermutet werden kann“ (322, Anm. 1040). Weil der Mensch in der Nähe Gottes nach Philo ‚gottverwandt wird und wahrhaft göttlich‘, ergibt sich daraus auch eine Verbindung zu der Aussage, dass Jesus der „geliebte Sohn“ des himmlischen Vaters ist (Mk 9,7). Kiesebrink schreibt: „Jesus muss nicht in den Himmel aufsteigen, um dort in unmittelbarer Nähe des göttlichen Thrones und – umgeben von Engeln – verwandelt zu werden. Vielmehr kommt der Himmel zu ihm auf die Erde, und die Verwandlung vollzieht sich – sichtbar vor den Augen der Jünger – im irdischen Bereich“ (329f).

 

 

Warum wird an Aschermittwoch alles gewonnen?

Bild: Ein gehörnter Teufel mit Tierfell, Dreizack und gewandet mit den Farben des Höllenfeuers gehört in Rottenburg am Neckar, einer der Hochburgen der alemannischen Fasnet, ebenso zum närrischen Treiben wie gruselige alte Hexen, die (mit den Zuschauerinnen) ihr Unwesen treiben, sowie in dämonische (Tier-)Masken kosümierte „Narrenhäs-träger aller Art. Sie stehen nicht nur für die „dunkle“ und kalte Jahreszeit, die mit dem Erstarken der Frühlingssonne „ausgetrieben“ wird. Sie verkörpern auch die ganze „verkehrte Welt“ (diesseits des Glaubens), die in der „Nacht vor dem Fasten“ (der österlichen Buß- und Reinigungszeit) für kurze Zeit die Oberhand gewinnt, um dann mit der „Fasnetsverbrennung“ kurz vor Beginn des Ascher-mittwochs ihr kurzes teuflisches Dasein wieder zu verlieren. In einer Zeit, wo die (christliche) Religion dahinschmilzt wie die Gletscher in den Alpen, ist vielen nicht mehr klar, welches Spiel an Fasnet (Fasching, Karneval) da eigentlich gespielt wird.


Nicht nur die „Meenzer“ singen an Karneval inbrünstig die Endlos-Schleife vom Geborensein am Rosenmontag in Mainz am Rhein – und dass sie „verloren“ sind am Aschermittwoch: „Denn Rosenmontagskinder müssen närrisch sein.“ Danach dürfte die „fünfte Jahreszeit“, die als solche den Eindruck erweckt, sie sei die Quint-essenz des Lebens, niemals enden. Aber so ganz erst gemeint ist im Fasching ja nichts: Man erfreut sich an der „Leichtigkeit“ des Seins, an der schönsten Buntheit, die jeden so lässt, wie er gerade ist, im ausgelassenen Frohsinn und schrankenloser Geselligkeit – wo alle irgendwie „eins“ zu sein scheinen. Aber es ist eben alles nur Schein und kein Sein, eine „verkehrte Welt“, die die „richtige Welt“ und insbesondere die kommende oder jenseitige Welt ausblendet, vergessen lässt, zur falschen Welt macht. Die „glückselige Fastnacht“ hat an und für sich genug, was sollte es darüber hinaus noch Besseres geben? Der Aschermittwoch bringt die andere Wirklichkeit wieder ins Spiel: „Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück“ (Gen 3,19) – so hört Adam nach dem Sündenfall die Stimme Gottes in seinem Innern und mit ihm alle fortan sterblich geborenen „Adamiten“, das heißt Menschenkinder. Adam selbst, der Erste, ist nicht sterblich geboren, sondern aus der Erde durch Gottes Geist zum lebendigen „Bild Gottes“ gestaltet (Gen 2,7), das Anteil am Himmel (der Engel) hat: „Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören“ (Weish 2,23f). In einer evolutiven Welt gibt es kein unvergängliches Leben; aber der Mensch gehört ursprünglich nicht zu dieser nur irdischen, „vierten“ Welt des Tuns (wie nicht nur Judentum, sondern auch die Nayajo-Indigenen Nordamerikas sagen). „Unsere Heimat aber ist im Himmel“ (Phil 3,20), das heißt in der „ersten“ Welt oder nach diesem sterblichen Leben hier auch in der „fünften“ Welt: der wahren Quint-essenz. Darauf weist der „Baum des (ewigen) Lebens“ hin, der zusammen mit dem Erkenntnisbaum von Gut und Böse in der Mitte des Gartens Eden (= Wonne) steht (Gen 2,9). Der Baum des Lebens, Ez HaChajim, 70-90 5-8-10-10-40, hat in der Summe den Wert 233, der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, Ez haDaath tob wara, 70-90 5-4-70-400 9-6-2 6-200-70, hat den Wert 932, das Verhältnis von 233 zu 932 ist 1 zu 4. Mit dem Essen der verbotenen Frucht von der „Vier“ des Irdischen verliert der Mensch den Zugang zur „Eins“ des Himmlischen. Mit der Eucharistie als Frucht vom Kreuz, dem neuen Baum des Lebens, wird ihm der Zugang zum verlorenen Leben wieder eröffnet. In der syro-antiochenischen Liturgie sagt der Priester dem Täufling bei der mit der Taufe gespendeten Erstkommunion: „Die Frucht, die Adam niemals im Paradies gekostet hat [vom Baum des Lebens], wird heute mit Freuden in deinen Mund gelegt“ (zit. nach Bertram Schmitz, Vom Tempelkult zur Eucharistiefeier, 2007, 187, Anm. 9). Zur fruchtbaren Teilnahme an diesem eucharitischen Wandlungs-Geschehen führt der Aschermittwoch jedes Jahr hin. Mit ihm ist daher nicht „alles verloren“, vielmehr wird mit Jesus als Sohn Gottes alles gewonnen (Röm 8,32).

 

Warum erwählt Gott mehr als nur einfach einen „Menschen“?

Bild: Gegenüber einer heute verflogenen Fortschritts-euphorie betont das Judentum: „Mit Ausnahme des 1. Kapitels der Genesis weist die ganze Bibel unaufhörlich auf Sorge, Sünden und Übel dieser Welt hin. Wie Maimonides … gezeigt hat, gelten die Begriffe, die für die Welt bei ihrer Entstehung zutreffen, nicht für die Welt, wie sie ist. Der Schöpfer hatte eine Welt geplant, die gut sein sollte, sehr gut; aber dann geschah etwas Geheimnisvolles, auf das die jüdische Tradition auf vielerlei Weise hinweist, und das Bild der Welt hat sich zutiefst gewandelt. Wo immer die Propheten in der Welt hinblicken, sehen sie ‚Angst und Finsternis, Dunkel der Drangsal‘ (Jes 8,22)“ (Abraham J. Heschel). Jesus hat das in Liebe brennende, reine Herz: Herz-Jesu-Kirche, Freiburg.


Am Tag vor der Bundestagswahl schriebt im „Wort zum Sonntag“ im Tübinger Tagblatt ein evangelischer Glaubensverkünder, Gott habe bereits mit der Erschaffung und Erwählung des Menschen eine „perfekte Wahl“ getroffen. In Psalm 8,5-7 betet der Psalmist voll Staunen: „Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst. Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt.“ Man kann fragen, ob nicht nur angesichts der multiplen Krisen unserer Gegenwart die Erschaffung des Menschen zur ‚Herrschaft‘ eine gute Idee Gottes war. Peter Strasser bezeichnet die Spekulation von Gottfried Wilhelm Leibniz „über die Herrlichkeiten und Wonnen des Kosmos“, um angesichts des Leids und des Bösen in der Welt Gottes Güte und Vollkommenheit zu rechtfertigen, als zynisch, weil sich „die Frage stellt, warum Gott seine creatio ex nihilo – vor der Schöpfung waren ja weder Leid noch Glück ein Thema – nicht hat bleiben lassen. Oder wie es Fjodor M. Dostojewskis Iwan emphatisch ausdrücken wird: Die Tränen eines einzigen Kindes hierorts zerstören die ‚höhere Harmonie‘ des Ganzen“ (Braucht Gott den Teufel?, in: HerKorr-Spezial, Gott – mehr als eine Frage, Okt. 2022, 34-37, 36). Die Figur des Teufels sei aber „im Monotheismus unverzichtbar“; denn: „Nur die autonome Existenz des Teufels, in welcher Ausprägung auch immer, rettet Gott davor, selbst das Teuflische in sich zu tragen“ (ebd.). Der Mensch aber trägt den Teufel (und den Tod: Hebr 2,14) in sich oder den „bösen Trieb“: „Wir sind alle unrein, und all unser gerechtes Tun ist wie schmutzige Lumpen“ (Jes 64,5; vgl. Eph 2,3; Kol 1,21). Jesus sagt: „Von innen, aus dem Herzen des Menschen, kommen die bösen Gedanken: Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft“ (Mk 7,21f). Die Reinigung des unreinen und bösen Herzens ist ein langer Prozess der Umkehr und Verwandlung, die Gottes Gnade unbedingt erfordert (Ez 36,25-28). Einen solchen Menschen des reinen Herzens will & erwählt Gott, denn nur er vermag ihn auch zu schauen (Mt 5,8) – wie Jesus.

 

 

 

Warum kommt erst mit dem Kreuz übergroße Freude in alle Welt?

Bild: Paulus verkündet im Gekreuzigten „das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor aller Zeit vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung“ (1 Kor 2,7). Die alte Christenheit sah im Kreuz das „grüne Holz“ oder den Baum des Lebens im Paradies, der im Judentum mit der Thora (im geistigen Sinn) als „Weisheit“ identifiziert wird (Spr 3,18). Der jüdische Religionsphilosoph, chassidische Rabbiner und Mystiker Abraham Joshua Heschel (1907–1972) beklagte, dass in der jüdischen Tradition der ‚Geist‘ diskreditiert worden sei: „Alle wissen, dass Judentum eine ‚Last‘ ist. Wer aber weiß noch, dass es auch ‚Freude im Geist und das Paradies der Seele‘ ist, dass ‚der Sabbat ein Vorgeschmack der kommenden Welt‘ ist?“ (Der einzelne Jude und seine Pflichten, 1957) – der Welt, die mit der Auferstehung Jesu am ‚achten Tag‘ (Sonntag) jenseits der vergänglichen Sieben-Tage-Schöpfung schon angebrochen ist.


Die evangelische Religionspädagogin Friedel Kriechbaum findet, die im Kreuz zentrierten christlichen Frömmigkeitstraditionen würde sie „nicht verlocken, Christin zu werden“: „Ist das der Sinn des Kreuzes Jesu: ein Gefolterter im Mittelpunkt des Glaubens? Leid demütig ertragen, fixiert sein auf Schuld und Schuldgefühle – wie könnten daraus Freude und Lust am Leben erwachsen?“ (Gedanken zum christlichen Verständnis des Kreuzes Jesu, in: Meditation 1/2006, 2-5, 2). Demgegenüber fragt Gotthard Fuchs: „Warum nur haben wir ‚das Kreuz, von dem die Freude in die Welt kam‘, wie es in der alten Karfreitagsliturgie hieß, derart einseitig zum Leidenswerkzeug, zum Opfer-, ja Folterinstrument werden lassen? Ob wir im dritten Jahrtausend wieder an das erste anknüpfen: das Kreuz als Triumph, als Lebensbaum, als Thron, als Mandala, als Schmetterlingskreuz?“ (Die Vierung, in: CiG 12/2005, 91). Bei der Kreuzverehrung singt die Ostkirche die Antiphon: „Dein Kreuz, o Herr, verehren wir, und deine heilige Auferstehung preisen und rühmen wir: Denn siehe, durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt...“ Das Kreuz bringt Segen und Leben, Frieden und Heil, Freude und Hoffnung: „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung“ (GL 296). „O heiliges Kreuz, sei uns gegrüßt,/ du einzge Hoffnung dieser Welt“ (Venantius Fortunatus; GL 299,5). Nicht nur dem mitgekreuzigten reumütigen Räuber, sondern allen Gläubigen, die in der Taufe mit Jesus „mitgekreuzigt“ wurden (Röm 6,6), verheißt der Gekreuzigte: „Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Das Paradies ist der Ort der „Wonne“ und Lust (an Gott), der übergroßen Freude im Heiligen Geist, den Jesus am Kreuz ‚überliefert‘ (Joh 19,30). Der Geist ist Gottes größtes Freudengeschenk an den Menschen, symbolisiert im wohlriechenden „Freudenöl“ (Jes 61,3). Mit ihm ist jeder Christi gesalbt (und gefirmt) so ist er „ein Christ geworden, das heißt ein durch den Heiligen Geist ‚Gesalbter‘, eingegliedert in Christus, der zum Priester, Prophet und König gesalbt ist“ (KKK 1241). Grund zur überströmenden Freude im Geist gibt das mit Jesus schon gekommene Reich Gottes (Mt 9,15; Joh 16,20-22); es gleicht einem im Acker verborgenen kostbaren Schatz oder einer noch unentdeckten schönen Perle: „Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker“ (Mt 13,44-46).

 

Warum lässt Jesus sich nicht von seinen Feinden umbringen?

Bild: Als „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29), opfert Jesus sein Leben für die Sünden der Menschheit (Joh 10,17). Er hat sich also nicht umbringen lassen, sondern kommt in die Welt, „um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,7). Jesus ist „Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt“ (Hebr 12,2). Jesus lässt sich freiwillig festnehmen (Mt 26,53f.56; Joh 18,11): Münster Freiburg, Westportal.


Die Aufforderung Jesu, seinen Feinden nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sondern ihnen mit „Liebe“ zu begegnen (Lk 6,35: „Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt“), durchbricht das Gesetz der Reziprozität zugunsten einer „größeren Gerechtigkeit“ und „Vollkommenheit“ (Mt 5,20.48), die auch die „Barmherzigkeit“ einschließt (Mt 5,7.10; Lk 6,36). Gott gibt ja seinen Sohn zur „Versöhnung“ mit dem „Sünder“ in den Tod, „als wir noch (Gottes) Feinde waren“, und werden so im Glauben gerecht gemacht „gerettet durch sein Leben“ der Auferstehung (Röm 5,11). „Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen“ (Röm 11,32). Das heißt aber nicht, dass der Mensch ‚ungehorsamer Sünder‘ bleiben soll, sondern angesichts der unbegreiflichen Feindesliebe Gottes soll er sich mit Gott versöhnen lassen und sich dazu bekehren, „aus der Macht der Sünde befreit … zu Sklaven der Gerechtigkeit“ zu werden (Röm 6,18). Die Macht der Sünde wirkt besonders durch den Tod: „Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod“ (1 Kor 15,26). Gottes Wort hat voller Erbarmen „in gleicher Weise (wie die Menschen) Fleisch und Blut angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel…“ (Hebr 2,14). Der Teufel ist der „böse Feind der menschlichen Seele“ von Anfang an, „Luzifer, der Todfeind unserer menschlichen Natur“ (Ignatius von Loyola, Exerzitienbuch). Ihn soll der Mensch nicht lieben; ihn liebt auch Gott nicht und auch nicht die, die bis zuletzt in seinem Bann bleiben: „Ist Gott – ich (Paulus) frage sehr menschlich – nicht ungerecht, wenn er seinen Zorn walten lässt? Keineswegs! Denn wir könnte Gott die Welt sonst richten?“ (Röm 3,5f). Auch die Gläubigen waren durch die „Ursünde“ Adams „von Natur aus Kinder des Zorns wie die anderen“ (Eph 2,3), bevor sie durch den Glauben in der Taufe „Kinder des Lichts“ (Eph 5,8) geworden sind. „Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht“ (Joh 3,19). Gott wird Mensch, um den Menschen „aus der Finsternis in sein wunderbares Licht“ zu rufen (1 Petr 2,9). Dieses Licht des Glaubens bedeutet nicht Gewaltverzicht – Jesus treibt die Händler mit Gewalt aus dem Tempel (Joh 2,15) –, auch nicht Verzicht auf das Gericht (Joh 12,31), sondern Durchbrechen der Gewaltspirale zugunsten des Glaubens.

 

Warum ist Gottes Einwohnung in Israel der Inkarnation analog?

Bild: Nach Adin Steinsaltz wird die unterste, zehnte Sefira Malchut (Königreich) im Sefirot-Baum , „wenn Malchut in der Welt enthüllt wird, … ‚Schechina‘ genannt, das Aufleuchten des Göttlichen in der Wirklichkeit der Welt, als innerer Lebensgeist von allem, was ist.“ Schechina ist die „‘Einwohnung‘, die Gegenwart der Heiligkeit in der Welt“ (Die dreizehnblättrige Rose, 2011, 231). Nach F. Weinreb lebt die Schechina „in dieser Welt in Verbannung, sie leidet hier. Das zeigt, dass dieses Konkrete so wichtig ist, dass Gott – um es zu Stande zu bringen und in Stand zu halten – seine ‚schechinah‘ hierherschickt. Es ist dieselbe Geschichte, die im Neuen Testament als die Ankunft von Jesus in dieser Welt und seinem Leiden hier erzählt wird“ (Der Weg durch den Tempel, 2000, 280). Modell des Allerheiligsten des Zweiten Tempels auf Campus des Jerusalemer Israel-Museums.


Für den jüdisch-orthodoxen Religionsphilosophen Michael Wyschogrod (1928–2015) ist durchaus denkbar, in der Menschwerdung des Logos oder der Weisheit in Jesus „die Steigerung der Lehre von der Einwohnung Gottes in Israel“ zu sehen (zit. nach Walter Homolka, Der Jude Jesus – eine Heimholung, 2020, 162). Die Inkarnation ist für Wyschogrod „nicht grundsätzlich antithetisch zum Judentum“; gleichwohl erachtet er sie doch als nicht akzeptabel, weil „das, was dem jüdischen Volk als Ganzem zukommt, im Christentum einem einzelnen zugeschrieben wird. Das sei der Differenzpunkt zwischen Judentum und Christentum“ (Hans Hermann Henrix, Jesus Christus im jüdisch-christlichen Dialog, in: Stimmen der Zeit 1/2006, 43-56, 50). Als der neue Adam ist Jesus kein ‚Einzelner‘, sondern der ‚Stammvater‘ des neuen, durch Glauben und Taufe als ‚Neuschöpfung‘ (2 Kor 5,17) erlösten Menschengeschlechts. Im Judentum geschieht die Einwohnung des einen Gottes dort, wo die Zweiheit und Gegensätzlichkeit der Welt ‚aufgehoben‘ ist: in dem einen Tempel in Jerusalem als ‚Mitte‘ und ‚Mittler‘ zwischen Gott und der Welt. Er ist der (sakramentale) Ort des Heiligen als In-eins von unsichtbarer und sichtbarer Welt, Geist und Sinnlichkeit – von Gott selbst erbaut mit dem Grundstein Schethi-jah vor der Bundeslade als innerster Mitte; Friedrich Weinreb schreibt: „Das Haus steht immer als Prinzip in der Mitte überhaupt. (…) Eine Mitte (ist) immer das Zentrale, Wichtigste…, die Achse, um die sich alles bewegt, wodurch alles seinen Ort und seinen Sinn findet. In dieser Welt ist die Mitte der Ort Israel, das ‚Land‘, die ‚Welt‘, die Erde Israel. Und davon ist die Mitte der Ort, die Stadt Jerusalem. In dessen Mitte steht der Berg des Hauses, und in dessen Mitte dann das ‚Haus‘. Und in diesem Haus ist das Heilige wieder die Mitte. Und im Heiligen ist die Mitte das Heilige vom Heiligen. Dort, im Heiligen vom Heiligen, wohnt Gott zwischen den beiden Cherubim auf dem Deckel der Lade des Bundes. Des Bundes von Gott und Mensch, von Himmel und Erde. Diese Mitte des Lebens, siebenfach, enthält als letztes, als Achtes, Gottes schechinah, sein Wohnen, sein Ruhen zwischen den beiden Cherubim“ (Das jüdische Passahmahl, ³2023, 269). Jesus ist als der am ‚achten Tag‘ (Sonntag) Auferstandene der „König des achten Tages“ (Weinreb) und der neue, reine Tempel der Einwohnung Gottes für alle, die an Jesu Namen glauben und den Vater im Geist und in der Wahrheit anbeten (vgl. Joh 2,21f; 4,23).

 

Warum ist die Inkarnation des Logos ein Hochzeits-Mysterium?

Bild: Zur Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) kommt Jesus mit seiner Mutter Maria als der verborgene wahre Bräutigam: Wer die Braut hat, ist der Bräutigam, sagt Johannes der Täufer (Joh 3,29), der auf Jesus als Lamm Gottes hingewiesen hat, der am Kreuz die Sünde der Welt hinwegnimmt (Joh 1,29). In seiner Hingabe am Kreuz erwirbt sich Jesus als wahres Osterlamm mit seinem Blut des Bundes zur Vergebung der Sünden (Mt 26,28; Ex 24,8) die Kirche als  makellose Braut, mit der er ein Geist und ein Fleisch sein kann (Eph 4,4; 5,27-31); Jesus zur Ehe: Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins (Mt 19,6)


Augustinus deutet die Inkarnation des Logos (Wortes) im Schoß der Jungfrau Maria als ein bräutliches Hochzeits-Mysterium; dabei bezieht er die Bräutigam-Sonne von Psalm 19,6 auf Christus im Kontext seiner Auslegung des Weinwunders auf der Hochzeit zu Kana: „Denn das Wort ist der Bräutigam und die Braut das menschliche Fleisch, und beides der eine Sohn Gottes und zugleich der Sohn des Menschen. Indem er das Haupt der Kirche wurde, war jener Schoß der Jungfrau Maria sein Brautgemach; und dort ging er hervor wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, wie die Schrift vorhergesagt hat: ‚Und gleich einem Bräutigam, der hervorgeht aus seiner Kammer, frohlockt er, zu laufen wie ein Held seinen Weg.‘ Aus dem Brautgemach ging er hervor wie ein Bräutigam und kam eingeladen zur Hochzeit“ (Vorträge über das Evangelium des hl. Johannes, Bd. 1, 1913, 139). In den alten Kulturen sind Sonne und Mond (Sol und Luna) die kosmischen Repräsentanten des männlichen und des weiblichen Prinzips, so auch im alten China mit Yang und Yin. Nach dem Sinologen Frank Fiedeler (1939–2004) hängt das weibliche Yin-Prinzip auch eng mit der Sexualität zusammen. Danach konstituiert das weibliche Yin als Essenz der weiblichen ‚Möndin‘ die Sexualität des Körpers, wie auch nach Parmenides die ‚Mondgöttin Daimon‘ als ‚ersten der Götter‘ den Eros ersonnen hat (Yin und Yang oder: Die Absolute Polarität (Taiji), in: Peter C. Mayer-Tasch [Hg.], Die Zeichen der Natur, 1998, 221). Die Schlange wiederum symbolisiert in China als „das heimtückischste Tier“ den „tiefsten Yin-Geist“ an der Nahtstelle zwischen den zwei Jahreshälften (Hu Hsiang-fan, China – Land zwischen Himmel und Erde, 2008, 28). Paulus versteht die Kirche (von Korinth) als ‚neue Eva‘ und warnt sie gleichzeitig vor der Täuschung durch die Paradiesschlange: „Ich habe euch einem einzigen Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau zu Christus zu führen. Ich fürchte aber, wie die Schlange einst durch ihre Falschheit Eva täuschte, könntet auch ihr in euren Gedanken von der aufrichtigen und reinen Hingabe an Christus abkommen“ (2 Kor 11,2f). Eva, chawah, 8-6-5 = 19, wird von Gott Adams ‚Rippe‘, zela, 90-30-70 = 190, ‚gebaut‘ (Gen 2,21f). Der Metonische Luni-solarzyklus der Angleichung von Sonnen- und Mondjahr dauert 19 Jahre. Luna ist der „Urgrund aller Geburt“ (Joh. Lydos) und des Todes, die neue Eva Maria als Urbild der Kirche steht auf dem Prinzip ‚Schlange‘ (Offb 12,1f): Sie ist der ‚Urgrund‘ der neuen Wiedergeburt in der Taufe.