(wird wöchentlich fortgesetzt)
Übersicht (um zu einem Bibel-Impuls zu gelangen, bitte klicken)
1. Warum reinigt Jesus den heiligen Tempel von Händlern?
2. Ist das „Fegefeuer “ ein theologisch sinnvoller Gedanke?
3. Warum geht von Jesu Leichnam im Grab kein Todesgeruch aus?
4. Warum nimmt Gott nur das Opfer Abels an?
5. Warum verrät Judas seinen Meister durch einen Kuss?
6. Sind jetzt alle Menschen „Kinder Gottes“?
7. Warum wäscht Jesus seinen Aposteln die Füße?
8. Warum lässt sich Jesus von den Frauen salben?
9. Vereint Jesus in sich göttlichen und menschlichen Willen?
10. Ist die Erdmutter Pachamama Typus der Gottesmutter Maria?
11. Warum will Jesus alle Menschen zu Heiligen machen?
12. Warum gehen dem einen Reich Gottes vier Weltreiche voraus?
13. Stimmen aztekische und christliche Religion überein?
14. Sind Judentum und Christentum „Buchreligionen“?
15. Warum verweist Jesu erste Ankunft (Advent) auf seine Wiederkunft?
16. Warum ist Maria die Schönste von allen Frauen?
17. Warum geht der Täufer Johannes dem Messias voraus?
18. Warum ist das Einhorn Symbol der Fleischwerdung Christi?
19. Warum ist das Licht der Weihnacht auch das der Osternacht?
Bild: Jesus vertreibt gleich zu Beginn seines Wirkens im Johannesevangelium (2,13-22) die Händler aus dem zentralen Kultheiligtum Israels, weil Gottes heiliger Tempel keine „Markthalle“ sein soll (V.16), sondern „Haus des Gebetes“. Nach seinem Traum von der Himmelsleiter sagt der Patriarch Jakob: „Wie ehrfuchtgebietend ist doch dieser Ort! Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels“ (Gen 28,17) – der Vers stand früher über Kirchenportalen. Deckenfresko im Eingangsbereich der Kirche St. Verena in Rot an der Rot (Oberschwaben).
Jesu Kommen in die Welt zielt nicht auf die Abschaffung des jüdischen Tempelkultes, des jüdischen Gesetzes (Thora), des Sabbats oder der Knabenbeschneidung als Bundeszeichen, sondern auf deren Vollendung durch Erfüllung und Errichtung des Neuen und ewigen Bundes in seinem „Blut“ (Mt 26,28). Dieser Neue Bund bezieht auch die Nicht-Juden mit ein, weshalb durch Christi Opfertod und Auferstehung der Tempelsymbolkomplex in die Feier der Eucharistie transformiert wird, die Beschneiung am „achten Tag“ in die Taufe (in oktogonalen Becken) und der Sabbat in den Sonntag als (ewiger) „achter Tag“ – jenseits der Sieben-Tage-Schöpfung. Während der Gottesbund Israels mit der zeitlichen Schöpfung zusammengehört, gründet der Neue Bund Jesu in seiner todüberwindenden Auferstehung als Neuschöpfung, als Ewigkeit oder Himmel. Der unvergängliche Geist-Tempel seines Auferstehungsleibes (Joh 2,19-22) wird repräsentiert durch die eine Kirche aus Juden und Heiden, die auf dem „Schluss-Stein“ Christus Jesus errichtet zu einem „heiligen Tempel im Herrn“ heranwächst: „Durch ihn werdet auch ihr zu einer Wohnung Gottes erbaut“ (Eph 2,21f). Die renovierungsbedürftige Kirche St. Mariä Heimsuchung in Stuttgart hat sich 2017 zu einem provisorischen Experimentierfeld für neue Ideen der „Nutzung“ erklärt, zu einer Spielwiese und einem Experimentierfeld für Theater, Café, Galerie, Marktplatz, Treffpunkt, Veranstaltungen, Geselligkeit… Gleichzeitig wurden darin noch Sonntagsmessen gefeiert. Der Sakralraum war also nicht formal profaniert, sondern de facto entweiht, offenbar weil die Kirchenverantwortlichen den Unterschied zwischen heilig und profan, Kirche und Welt leugnen. Für Jesus ist hingegen der Tempel als Haus seines himmlischen Vaters gerade in seiner Heiligkeit der Bezugspunkt seines öffentlichen Wirkens, seiner Pilgerreisen und seiner Lehre: „Der Eifer für dein Haus verzehrt mich“ (Ps 69,10; Joh 2,17). „Der leidenschaftliche Eifer des Herrn entbrennt immer dann, wenn Israel in Gefahr steht, seine Identität zu verlieren. Es ist also letztlich ein Eifer, der nicht vernichten, sondern retten will“ (Ludger Schwienhorst-Schönberger). Ohne Heiligkeit verliert die katholische Kirche nicht weniger als ihre Identität.
Bild: Seit dem 15. Jh. nahmen die Fegefeuervorstel-lungen in Kirchen und auf Gemälden ständig zu, bis sie im 18. Jh. ihren Höhepunkt erreichten. Noch Mitte des 20. Jh.s wurde darüber gepredigt, dann brach die überkommene Vorstellung von den „letzten Dingen“ ab: Alles wurde fraglich und ist es bis heute geblieben – Via purgatoria in Monopoli (südl. von Bari), Hafen-
stadt an der Adria, wo sich nahe der Kathedrale die barocke Chiesa des Purgatorio befindet, in der viel- fach die Vergänglichkeit des Lebens dargestellt wird.
Martin Luther und Jean Calvin haben die im Mittelalter aufgekommene Vorstellung vom „Fegefeuer“ oder „Reinigungsfeuer“ (purgatorius ignis) als „Gaukelwerk“ verworfen beziehungsweise als nicht schriftgemäß abgetan, während sie das Konzil von Trient (auf seiner letzten Sitzung am 3. Dezember 1563) bekräftigt hat. Bei Luther wurden die verstorbenen Seelen in eine Art „Tiefschlaf“ bis zur Erweckung am „Jüngsten Tag“ für das Jüngste Gericht versetzt, wo der Erzengel Michael sie mit der Posaune herausruft (vgl. Offb 20,12ff); bei Calvin waren ewiges Heil und ewige Verdammnis von Ewigkeit von Gott ohnehin „vorherbestimmt“. Während das Neue Testament nur wenige Hinweise auf die „Hölle“ hat, erwähnt der Koran sie an 175 Stellen. Das Beispiel vom armen Lazarus vor der Tür des reichen Mannes zeigt, wie der Arme nach seinem Tod getröstet und „von den Engeln in Abrahams Schoß getragen“ wird, während der Reiche in der Unterwelt „qualvolle Schmerzen“ „in diesem Feuer“ erleiden muss (Lk 16,19-25). „Außerdem ist zwischen uns und euch ein tiefer, unüberwindlicher Abgrund, so dass niemand von hier zu euch und von dort zu uns kommen kann, selbst wenn er wollte“ (V. 26). In den Ostkirchen dominiert die österliche Heilsverheißung für die gesamt Schöpfung in der Erwartung einer Gesamterlösung einschließlich des Teufels (Apokatatstasis ton panton), was auf Origenes († 253) zurückgeht, während Augustinus die „Allerlösung“ und „Wiederherstellung“ (Apg 3,21; 1 Kor 15,25) heftig bekämpft und ihre Verurteilung in der Westkirche durchgesetzt hat. Die oft mit monströsen Gewaltphantasien durchsetzten Vorstellungen von Hölle und Fegefeuer als „Verherrlichung“ der „Gerechtigkeit“ Gottes waren bis zur Aufklärung auch gesellschaftlich akzeptiert, seitdem wurden sie mehr und mehr als pathologisch de-legitimiert. Theologisch gültig aber bleibt der Gedanke, dass nur gereinigte Seelen in die Nähe Gottes kommen können, der „verzehrendes Feuer“ ist (Heb 12,29). „Was man mit dem Fegefeuer meint, ist das Feuer der Liebe Gottes: Im Angesicht Gottes leidet man daran, dass man dieser Liebe nicht gerecht geworden ist. Das Fegfeuer ist das reinigende Feuer der Liebe Gottes“ (Kardinal Walter Kasper, Interview, Herder-Korrespondenz 3/2019, 20f).
Bild: Jesu siebtes „Zeichen“ im Johannesevangelium ist die Erweckung des toten Freundes Lazarus, von dem schon Todesgeruch ausgeht, „denn es ist bereits der vierte Tag“ (11,39); dennoch ruft ihn Jesus heraus und lässt seine Binden lösen (V. 43f). In den Binden sah man die Fesseln der Begierde, die den Menschen versklaven und ans Irdische binden. Jesus, der mit dem wohlriechenden Geist Gesalbte, ist hingegen nur „drei Tage“ im Grab: Gott lässt den, der „die Auferstehung und das Leben“ ist (11,25), die „Verwesung nicht schauen“ (Ps 16,10; Apg 2,31) – byzantinisches Mosaik, Dom v. Monreale bei Palermo.
Für Paulus ist Jesus der „strahlend“ und in gewisser Weise auch „duftend“ von den Toten Auferstandene, der „die Herrlichkeit des Bleibenden“ gebracht hat (2 Kor 3,11; Röm 5,2). Durch den „Siegeszug Christi“ verbreitet sich der „Duft der Erkenntnis Christi“, „Christi Wohlgeruch … unter denen, die gerettet werden“, „Lebensduft, der Leben verheißt“, während „unter denen, die verlorengehen“, derselbe Duft als „Todesgeruch“ erscheint (2 Kor 2,14-16). Auferstehung setzt den irdischen Tod voraus, wovon der „irdisch gesinnte Mensch“ nichts wissen will, auch nichts von Christi Kreuz als Offenbarung der „verborgenen Weisheit“ Gottes; sie erscheint ihm als bloße „Torheit“ (1 Kor 2,7.14). Weisheit (lat. sapientia) hat es mit dem ‚Schmecken’ (sapere) und ‚Riechen’ zu tun. Vom Rauchopferaltar gegenüber der Bundeslade im Jerusalemer Tempel strömte der Duft ganz bestimmter Sorten Kräuter auf, und zwar vom „Platz in der Mitte“ als Ausdruck der Einheit von Seele und Leib – jenseits der endlichen Zweiheit. Im Hebräischen ist ‚Duft’ (reach) fast dasselbe Wort wie ‚Geist’ (ruach). Im aufsteigenden „Wohlgeruch“ des von Gott angenommenen Brandopfers kehrt der Mensch zurück zu Gott, erfährt er die große Freude des Nach-Hause-Kommens aus dem Verlorensein in der „Fremde“ (Gottferne) oder dem Totsein bei den unreinen „Tieren“ (vgl. Lk 15,18-32). Das Hohelied der Liebe besingt die „Urblume“ Chabazeleth von Scharon, die Schoschona der Täler, auch „Rose“ oder „Lilie“ genannt (Hld 2,1). Im Wort Schoschana steckt schana (verändern, Jahr, älter werden, auch neu), schosch ist die Wurzel von schesch (300-300), ‚sechs’: Die zwei Dreiheiten der ersten sechs Schöpfungstage, die sich in den sechs weißen und sechs roten Blütenblättern der Schoschana zeigen. In der Welt der Zweiheit ist alles veränderlich, doch es gibt verborgen auch die ein-farbige Urblume, von der der Duft des Erlösers schon vor der Schöpfung (am „ersten“ = „achten“ Tag’) aufsteigt: Der erste und letzte Buchstabe von Chabazelth ergeben als ‚Schalen’ cheth (= 8), bezel bedeutet „im Schatten von Gott“. Der Segen des am 8. Tag Auferstandenen bringt den Lebensduft/ Wohlgeruch der Urblume vom Ursprung.
Bild: Der am Anfang der Bibel erzählte Brudermord hat viele Deutungen gefunden; Augustinus machte daran seine Lehre von den zwei Reichen fest: die civitas Dei, repräsentiert durch die heilige Kirche, und die civitas terrena, repräsentiert durch den weltlichen Staat. Das erste Reich besteht in der Gottesliebe bis hin zur Selbstverleugnung, das zweite in der Weltliebe bis hin zur Gottesverleugnung. Die Kirche umfasst alle Gerechten und Heiligen ab Abel und ist deshalb die „Ekklesia ab Abel“ (Lumen gentium 2), dagegen sind die Sünder „den Weg Kains gegangen“ (Judasbrief 1,11) – Ausschnitt aus dem grandiosen Fußbodenmosaik (800 m²) in der romanischen Kathedrale Santa Maria Annunziata der Adria-Hafenstadt Otranto im Süden von Apulien.
Nach dem Fall aus dem (überweltlichen) Paradies fängt die biblische Weltgeschichte an mit Mord und Totschlag, Lug und Trug, Täuschung und Machtmissbrauch: Kain erschlägt seinen jüngeren Bruder Abel aus Neid, weil Gott dessen Lamm-Opfer annimmt, sein Opfer der Früchte der Erde aber nicht (Gen 4,3-8). Gottes Verhalten wird nicht näher erklärt und erscheint so willkürlich. Aber Kain heißt (Götzen-)„Diener der Erde“, hebr. Oved Adamah (V. 2), das heißt, er repräsentiert die sterbliche Körper- oder Blutseele (hebr. Nephesch). Der Zahlenwert von Kain, 100-10-50, ist 160 = 4 x 40 analog zu Zelem, 90-30-40 = 160: (Götzen-)Bild. A-dam ist in Zahlen 1-4-40; durch den Fall wird die Eins (Aleph) verborgen, der Mensch ist dann nur noch dam (4-40) = „Blut“. Er wird zum „Blut-Menschen“ (heb. Isch Damim) oder zum verdorbenen „Fleisch“ (Gen 6,12), dessen Lebenszeit auf „120 Jahre“ begrenzt wird (Gen 6,3): 120 = 3 x 40 ist wie die Zwölf (vgl. Uhrzeit) die Zahl des Innerweltlichen. Im Judentum erreicht das Mädchen ihre „Mündigkeit“ mit „12 Jahren“ und wird zur Bat-Mitzwa, „Tochter des Gebotes“, der Junge wird erst mit „13 Jahren“ Bar-Mitzwa, „Sohn des Gebotes“. Die 13 entspricht dem Wort für Eins, Echad, 1-8-4, ebenso dem für Liebe, Ahawah, 1-5-2-5 = 13. Den einen Gott lieben kann nur die unsterbliche Geistseele, hebr. Neschamah, die im 10. und kleinsten Buchstaben Jud (männliches Samenkorn als Symbol für Gottes Wort) und im „Männlichen“, hebr. Sachur, 7-20-6-200 = 233 repräsentiert ist analog zum „Baum des Lebens“ (= 233). Abel, hebr. Hevel, 5-2-30 = 37 (Überstieg über die Zahl 6 x 6 = 36), bedeutet „Hauch“ im Sinn von geeinte „göttliche Seele“. Er dient nicht der Erde, sondern opfert als Schafhirte das Tier als Symbol des menschlichen Körpers. So ist er ein Vorausbild für Christus, den „guten Hirten“, der am Kreuz die „Beschneidung“ gibt, „die man nicht mit Händen vornimmt“ und die im Sich-Lossagen „von seinem vergänglichen Körper“ besteht (Kol 2,11). Kains Gesicht fiel, hebr. naphal, 50-80-30 = 160 (Gen 4,5), Abel schaute auf zu Gott (V. 7). An seine Stelle tritt Seth, von Adam gezeugt mit „130 Jahren“(Gen 5,3). Er ist Stammvater aller Gerechten, „von Kain stammen alle bösen Sünder der Welt ab“ (Sohar).
Bild: Jesus weist bei seinem Abschiedsliebesmahl mit der Fußwaschung der Jünger als Zeichen seiner restlosen Hingabe und Selbsterniedrigung auch auf den kommenden Verrat hin; der Lieblingsjünger lehnt sich an Jesu Brust und fragt: „Herr, wer ist es?“ Jesus antwortet mit dem Zeichen des Eintauchens des Brotes, das er Judas reicht: „Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn“ (Joh 13,21-27). In der Analogie zwischen den 12 Aposteln, den 12 Tierkreiszeichen und dem Körper entspricht Judas dem 8. Zeichen Skorpion/Geschlechtsteile – Cenacolo in der Kirche Santa Croce in Florenz.
Der Name Jehudah Isch Kariot bedeutet: „Mensch der (Ehe-)Trennung“ (hebr. Kritut) zwischen diesseitiger und jenseitiger Welt. Dagegen hat Gott im „Bund des Feuers“ der Liebe (Berith-Esch, vgl. Bereschith: „im Anfang“) beides verbunden, was der Mensch nicht trennen darf (vgl. Mt 19,6). Jehudah Kariot, 10-5-6-4-5 20-20010-6-400, hat den Wert 666 (vgl. Offb 13,18): die Zahl der bloßen Diesseitigkeit des „sechsten Tages“ ohne Überstieg zum siebten und (ewigen) achten Tag (= Sonntag) in der Auferstehung, was der Weg Jesu ist, der sich am Freitag (6. Tag) zur Erlösung der Welt am Kreuz aus Liebe hingibt, um der Menschheit den Weg zum (Feuer-)„Himmel“ (hebr. Schamajim, lies: Esch-Majim: Feuer-Wasser) zu bahnen. Judas glaubt an die „Macht der Machbarkeit“ und „trennt sich (Kerat) von der Liebe Gottes (Chesed), stößt sie von sich“, was sich auch in seinem „Kuss“ zeigt: So bedeutet ‚Küssen’, hebr. Naschak, „auch ‚stoßen’ oder sich für den Kampf rüsten“; gleichlautend, aber anders geschrieben bedeutet es zudem „’beißen’, ‚quälen’ oder ‚bedrücken’“ (Uwe Markstahler, Das Neue Testament im Licht der jüdischen Tradition, 121). Psychologisch gilt: „Jeder Kuss ist ein domestizierter Biss“ (Gotthard Fuchs, CiG 44/2012, 491). Nach Friedrich Weinreb verbirgt sich hinter dem Judas-Kuss der Biss der Paradiesschlange: „Im Hebräischen hat Küssen, wenn es nur Diesseitiges erstrebt und damit eigentlich vom Jenseitigen sich lösen möchte, der Etymologie nach die Bedeutung des Beißens (‚naschak‘ und ‚naschach‘)“. Auch die Erschaffung des Menschen geschieht nach der jüdischen Überlieferung durch einen Kuss: „,Kuss’ ist einerseits das Verlangen nach Einswerdung, andererseits zugleich Verrat. Denn man verurteilt das Andere dadurch zugleich zum Tode: Jakob küsst Rachel. Mit dem Kuss ist das kommende Kind gemeint, und das kommende Kind macht Vater und Mutter überflüssig. Es verdrängt sie. Es kommt eine andere Zeit, eine andere Welt. (…) ,Naschek, 50-300-100 = 450, küssen; das ist 10 x 45 (,adam’, 1-4-40)“ (Das Opfer in der Bibel, 382). Küssen bedeutet so ‚Vielheit machen’ (wie beim Zerbeißen) und ‚fortpflanzen’: Judas geht den Weg der Schlange der irdischen Fruchtbarkeit und des Erfolgs, Jesus den Kreuz-Weg des Einswerdens in der Liebe.
Bild: Wie im Judentum die Knabenbeschneidung am „achten Tag“ erfolgen muss, so wurde die Taufe in oktogonalen Becken gespendet wegen Jesu Auferstehung am „achten Tag“ (Sonn-tag = erster Tag). Die Taufe ist Gegenbewegung („Neugeburt“ im „Geist“) zum Sündenfall durch die (Fruchtbarkeits-) Schlange, die den Menschen zum verdorbenen „Fleisch“ macht (Gen 6,12), das gierig ist nach Lust, Besitz und Erfolg – achteckiges Taufbecken mit Sündenfallszene im Dom von Siena (Toskana).
Der Münchner Kardinal Reinhard Marx hat zum Auftakt der Interkulturellen Woche (23. Sept. 2019) betont, dass „jeder Mensch, egal welcher Hautfarbe, welche Religion und oder welches Geschlecht er hat, Kind Gott ist“. Nach der „Eucharistie für alle“ (beide Konfessionen), Priesterweihe für alle (beide Geschlechter) jetzt auch Gotteskindschaft für alle. Die Bibel sieht das anders. Sie unterscheidet und trennt zwischen heilig (Israel) und profan (Ägypten, vgl. Ex 11,7), heilig (Tempel) und unheilig (außerhalb der Mauer: Ez 42,20), Licht (hebr. Or, 1-6-200) und Finsternis (hebr. Choschek, 8-300-20 = 328) im Sinn von „Vergessenheit“ (= 328) Gottes, zwischen dem Kleid des göttlichen Lichts und dem haarigen „(Tier-)Fell“ nach dem Fall (Gen 3,21) oder der „Haut“ (hebr. Or, 70-6-200). Mit dem Sündenfall ist der Mensch tierähnlich und sterblich geworden, statt unsterblich und gottähnlich dank der Gnade zu sein. In der Taufe zieht der Mensch den „alten Adam“ aus und Christus als Lichtgewand oder „neuen Menschen“ an, „der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“ (Eph 4,24). Damit ist eine Verwandlung im Sein gemeint, der Getaufte ist eine „neue Schöpfung“ (2 Kor 5,17; Gal 6,15) dank der Auferstehung Christi von den Toten (Röm 6,1-14). „Von Natur aus“ sind alle Menschen hingegen „töricht“ (Weish 13,1) und „Kinder des Zorns“, beherrscht „von den Begierden unseres Fleisches“ (Eph 2,3), nicht „Kinder des Lichts“, sondern der Finsternis (Eph 5,8), ja „Kinder des Teufels“, des „Vaters der Lüge“, statt der Wahrheit (Joh 8,44f), in aller selbstherrlichen Schlangenklugheit doch „arm“, „blind“ und „nackt“ (Gen 3,7; Offb 3,17). „Zorn“ (griech. Orgä) ist hebr. Roges, 200-6-3-7 = 216 = 6 x 6 x 6 analog zu Gevurah (= 216), „kriegerische, tyrannische Kraft“. Im Sefiroth-Baum der Zehn göttlichen Urpotenzen ist Gevurah die zweite der sieben unteren Kräfte auf der linken (Gerichts-)Seite und repräsentiert den 2. Urtag (Trennung der Wasser oben und unten); ihr Gegensatz ist die Sefira Chesed (Gnade, Liebe) auf der rechten Seite, zugleich 1. Urtag (Urlicht). Die „Kinder des Lichts“ haben dazu wieder Zugang, die des „Zorns“ nicht.
Bild: Petrus an der Spitze der zur Fußwaschung aufgereihten Apostelschar kann nicht begreifen, was Jesus an ihm tut (Joh 13,6-10). Im Matthäus-Evangelium bekennt Petrus einerseits Jesus als Messias, so dass dieser ihn zum „Felsen“ der Kirche ernennt und ihm díe Schlüssel des Himmelreichs übergibt (16,16-19); andererseits will er Jesu Weg zu Kreuz und Auferstehung verhindern, weshalb Jesus ihn hart als „Satan“ (= Hinderer) zurechtweist, der nicht will, „was Gott will, sondern was die Menschen wollen“ (16,22f) – byzantinisches Fresko in der Basilika di San Pietro am höchsten Punkt der Adria-Stadt Otranto, wo Petrus nach seiner Landung in Italien seine erste Predigt gehalten haben soll.
Der Sklavendienst der Fußwaschung (Joh 13,1-17) wird am Gründonnerstag bei der Feier der Einsetzung der heiligen Eucharistie vom Bischof (Priester) nachvollziehend vergegenwärtigt. Er versinnbildet die vollkommene „Selbstverdemütigung“ Jesu, der sich als „Meister und Herr“ (V.13) zum Diener aller erniedrigt, worin sich der tiefste Sinn der Fleischwerdung des Schöpferwortes sinnbildlich ausdrückt. Nur weil der dreieine Gott in sich selbst die reine Demut ist, weil jede der drei göttlichen „Personen“ ganz dem anderen hingegeben ist, kann es zur Menschwerdung kommen, die bis zum Sklaventod am Kreuz geht, was in der antiken Welt als die größte Erniedrigung eines Menschen galt. Ein früher Hymnus sagt es so: Jesus „war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,6-8). Demütige Selbsterniedrigung und Gehorsam sind die Gegenbewegung zur hochmütigen Selbsterhöhung und zum Ungehorsam des Adam im Sündenfall (vgl. Mt 23,12), der seitdem der menschlichen DNA eingeschrieben ist. Indem Jesus „von Herzen demütig“ ist (Mt 11,29), stellt er die verlorene Gottebenbildlichkeit des Menschen wieder her. Denn „Bild Gottes“ ist er nur im Maße, wie er dem demütigen Gott der Liebe gleicht. Diese Liebe lässt Gott seinen eigenen Sohn nicht ‚verschonen’ (Röm 8,32), sondern in den Tod geben zur Rettung der hochmütigen Welt. Im Demuts-Zeichen des Kreuzes wird ihr vor Augen geführt, worin wahre menschliche Größe besteht: Nicht im Festhalten an der eingebildeten (Selbst-)Herrlichkeit, sondern „in Demut schätze einer den anderen höher ein als sich selbst“ (Phil 2,3). Nur in der Demut als „Humilitas“ (Lk 1,48) ist das Herz nicht versteinert, sondern als „guter Humus“ hörbereit für Gottes lebenschaffendes Wort (Mk 4,8.20). Der wieder demütige Mensch wird mit dem demütigen Jesus erhöht, darf mit ihm auf seinem Thron sitzen (Offb 3,21) und teilhaben am größten aller Namen (Phil 2,9): dem Gottesnamen „JHWH rettet“ (= Jesus; vgl. Offb 3,12).
Bild: Die drei Frauen, die am frühen Morgen des „ersten Tages der Woche“, das heißt am Sonntag als „achten Tag“ (nach dem Sabbat als „siebten Tag“), mit wohlriechenden Ölen zum Grab Jesu kommen, um die Totensalbung vorzunehmen, erfahren von einem „jungen Mann mit einem weißen Gewand“, dass der Gekreuzigte auferstanden ist (Mk 16,1-6): „Ich fand den, den meine Seele liebt“, kommentierte dazu Hippolyt aus Rom mit dem Hohelied (3,4). Nach der Drei-Zeugen-Regel (Dtn 19,15) braucht es zwei oder drei Personen, um einen Sache zu bezeugen, hier die Auferstehung Jesu – Ausschnitt eines Freskos in der Heilig-Kreuz-Kirche auf dem hl. Berg Südtirols, dem Kloster Säben oberhalb von Klausen, als Ursprung der Diözese Brixen (heute Benediktinerinnenabtei).
Als Messiaskönig ist Jesus der Geist-Gesalbte, den der Vater vom Himmel bei der Taufe im Jordan durch die Sendung des Heiligen Geistes beglaubigt (Mk 1,10f). Nach dem Beschluss des Hohen Rates, Jesus zu töten, salbt eine Frau Jesus mit „echtem, kostbaren Nardenöl“: „Sie hat getan, was sie konnte. Sie hat im voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt“ (Mk 14,3.8). Diese Vorwegnahme der Totensalbung als Zeichenhandlung gilt dem messianischen Bräutigam. Im Hintergrund steht das Hohelied der Liebe (1,2): „Köstlich ist der Duft deiner Salben, dein Name hingegossenes Salböl, darum lieben dich die jungen Frauen.“ „Bis dorthin, wo der König an seiner Tafel liegt, gibt meine Narde ihren Duft“ (1,12). „Der Duft deiner Salben ist köstlicher als alle Balsamdüfte …“ (4,10). Duft, hebr. reach, stellt wie Geist, hebr. ruach, die Verbindung zwischen Himmel und Erde her, besonders im Ganzbrandopfer (lat. holocaustum) mit dem aufsteigenden „Wohlgeruch für Gott“, hebr. reach nichoach, 200-10-8 50-10-8-6-8 = 300, wie Ruach Elohim (Geist Gottes) und der Feuer-Buchstabe Schin (= 300). Die dem kommenden Bräutigam mit ihren brennenden Ölgefäßen entgegen gehenden fünf Jungfrauen (Mt 25,1-11) entsprechen dem Gefolge des Königs in Hld 6,8. „Zur Zeit Jesu wird ausweislich der Targumim und Midraschim das Paar des Hoheliedes gedeutet auf Israel und den Messiaskönig.“ Die Jesus salbende Frau (in Mk 14,3) „steht für Israel. Dass Jesus der Christus (eben wörtlich ‚der Gesalbte’) ist, das ist der Inhalt des weltweit verkündeten Evangeliums“ (Klaus Berger, Ehe und Himmelreich, 83; 85). Der Messias ist der „Geliebte“ (ebd. 86), der am Kreuz sein Leben hingibt für die geliebte Kirche als neues Israel (Eph 5,25). Ihr schenkt er am Kreuz erhöht seinen Geist (Joh 19,30), das Salböl der himmlischen Lehre (1 Joh 2,27), das alle Gläubigen mit Taufe und Firmung empfangen. Im Hebräischen haben „Öl“ (schemen), „acht“ (schmonah) und Himmel (schamajim) den gleichen Zahlenwert (390): Der Messias als „König des achten Tages“ führt seine Braut, die seinen „Wohlgeruch für Gott“ verbreitet (2 Kor 2,14f), in sein himmlisches Brautgemach, um mit ihr ewig eins zu sein.
Bild: Bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) veranlasst Maria ihren Sohn dazu, sein „erstes Zeichen“ zu wirken und so seine göttliche „Herrlichkeit“ zu offenbaren, indem er das Wasser zur „Reinigung“ in den sechs Krügen in den besser schmeckenden Wein seiner Liebe verwandelt, so dass das ewige Hochzeitsfest der Menschheit mit Gott stattfinden kann, und zwar in der „Stunde“ des Todes Jesu in der (eucharistischen) Hingabe seines Leibes und „Blutes“ als Brautgabe – Fresko in der Burgkapelle von Hocheppan oberhalb von Bozen (Südtirol).
Das zentrale Anliegen von Maximus Confessor (7. Jh.) war, dass in Jesus nicht nurgöttliche und menschliche Natur „ungetrennt“ und „unvermischt“ vereint sind, wie das Konzil von Chalcedon (451) festgelegt hatte, sondern auch göttlicher und menschlicher Wille. In seiner „Fleischwerdung“ hat Christus sich mit der menschlichen Natur „hochzeitlich“ vermählt; entsprechend ist das „Ein-Fleisch-sein“ (Gen 2,24) der Gatten in der christlichen Ehe Abbild der „Vermählung des Gottessohnes mit der menschlichen Natur“ (Papst Franziskus, Amor laetitia 73). Diese Vermählung war Gottes Wille von Anfang an: „Er hat uns erwählt schon vor der Erschaffung der Welt“ als seine makellose Braut (Eph 1,4; 5,25-32), repräsentiert durch die reine Jungfrau Maria als neue Eva (vgl. 2 Kor 11,2). Während Eva dem Lügen-Wort der falschen Schlange ihr leichtgläubiges Ja-Wort gibt (Gen 3,1-7) und so Würde und Herrlichkeit verliert, wird beides durch Marias gläubiges Ja-Wort gegenüber dem himmlischen Engel (Lk 1,16-38) für die Menschheit wiedererlangt, ermöglicht durch die Gnade Christi („voll der Gnade“: Lk 1,30), den Gott „für uns zur Sünde gemacht“ (2 Kor 5,21) und hingegeben hat. Als „Vor-erlöste“ (unbefleckt Empfangene) ist Maria gar nicht erst mit der Ursünde behaftet worden, sondern die Immaculata geblieben. Auch Jesus „ist ohne Sünde“ (1 Joh 3,5; Hebr 7,26), ja, als das fleischgewordene Wort Gottes unfähig zu sündigen. Ist es doch seine „Speise, den Willen dessen zu tun“, der ihn gesandt hat „und sein Werk zu Ende zu führen“ (Joh 4,34): „Von mir selbst aus kann ich nichts tun; ich richte, wie ich es (vom Vater) höre, und mein Gericht ist gerecht, weil es mir nicht um meinen Willen geht, sondern um den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Joh 5,30). Vor seinem ehrlosen Verbrechertod (vgl. Weish 2,19f) betet Jesus im Garten Getsemani (für uns), nicht sein Wille geschehe, das heißt der Wille des „Fleisches“ in der „Versuchung“, sondern Gottes Wille (Mt 26,39-41). Schon „bei seinem Eintritt in die Welt“ spricht er: „Ja ich komme, um deinen Willen, Gott, zu tun“, „deine Weisung trag’ ich im Herzen“ (Hebr 10,5.7.16; Ps 40,8f).
Bild: Die Marienerscheinung von Guadalupe in Mexiko 1531 auf dem Hügel, wo die aztekische Erdmutter-Gottin Coatlicue („Die mit dem
Schlangenrock“) verehrt wurde, ist ein herausragendes Beispiel für die fruchtbare Verbindung von ‚heidnischer Sehnsucht‘ und ‚christlicher Erfüllung‘ und das „sichtbare Zeichen der Fleischwerdung
des Evangeliums in der Kultur der Völker durch die Aufnahme Mariens“ (DBK-Arbeitshilfe „Fünfhundertjahrfeier Evangelisierung Lateinamerikas (II)“, 1992). Zwischen dem christlichen Kult und den vorchristlichen Kulten besteht durchaus eine „Kultkontinuität“ (J. Ratzinger), wobei letztere aber der
„Reinigung“ von allen Übertreibungen bedürfen – Bild Marias mit Sternenmantel im Kranz der Strahlen der Sonne und auf dem Sichel-Mond stehend (Offb 12,1), wie es auf der Tilma des indigenen Juan
Diego auf wunderbare Weise erschienen ist.
Das Böse zu besiegen und seine Kraft verwandelt zu integrieren, ist dem Menschen von Anfang an aufgetragen. In der Auseinandersetzung mit der „Schlange“ im Paradies hat er vorläufig verloren und ist ein „Sterblicher“ geworden, vom Tod „verwundet“ und gezeichnet (Gen 3,19). Im Wasserbad der Geisttaufe durch das lebenschaffende Gotteswort wird der gefallene Mensch zum jungfräulich Wiedergeborenen „rein und heilig“ (Eph 5,26) und so aufgerichtet zum Kampf „gegen die bösen Geister des himmlischen Bereichs. Darum legt die Rüstung Gottes an …, gürtet euch mit Wahrheit … Vor allem greift zum Schild des Glaubens!“ (Eph 6,12-16). Ein solcher Glaubenskämpfer ist der Drachentöter Georg auf seinem weißen Pferd (= geläuterte Triebnatur). Griech. Jorgios bedeutet: „Der die (mütterliche) Erde bearbeitet.“ „Der babylonische Drache wiederum repräsentiert das die Erde umzingelnde Urmeer, das Urchaos, das den Kosmos gefährdet (psychologisch das ungebändigte Triebleben, das die Vernunft zu überfluten droht). Drachen stehen für die unheilvolle Seite des Chthonischen, des Erdmütterlichen…, die bedrohliche Seite des Weiblichen.“ „Das als Kreuz ausgebildete Lanzenende bedeutet: Georg verdankt seinen Sieg nicht eigener Kraft, sondern der Gottes“ (Günter Spitzing, Lexikon byzantinisch-christlicher Symbole). Für den hl. Irenäus (2. Jh.) präfiguriert die „jungfräuliche“ Mutter Erde (Adamah) im Paradies die jungfräuliche Gottesmutter; durch deren Gottesgeburt wird die nach dem Fall „verfluchte“ und „unfruchtbare“ Erde (Gen 3,17) erlöst. Der zur Erneuerung des Gesichts der Erde ausgesandte Schöpfergeist (Ps 104,30) wird neu fruchtbar in der geisterfüllten Jungfrau, die so die ‚Erdmutter-Göttin’ entthront, zugleich aber ihren religiösen Ursinn rettet. In der Erscheinung von Guadalupe tritt Maria mit dem jugendlichen Gesicht einer dunkelhäutigen Indianerin an die Stelle der jungfräulichen Erd- und Maismutter Tonantzin – cihuacoatl (Mutter-Frau-Schlange) und wird zur „Mutter des wahren Gottes, durch den man lebt“. Die Volksreligiosität in Lateinamerika identifiziert sie mit Pachamama (Pacha: Gesamt des kosmischen Lebens).
Bild: Am Vorabend des Hochfestes Allerheiligen löste Luther mit seinen Thesen zu Buße und Ablass 1517 die Reformation aus. Das führte zur Abschaffung der Heiligen- und besonders der Marienverehrung, worin die Reformatoren eine Konkurrenz zur wahren Gottesverehrung sahen. In Wahrheit offenbart sich in den Heiligen und vor allem in Maria die geglückte Selbstmitteilung Gottes in seiner Gnade an den Menschen. Die mit (dem Täufer) Johannes schwangere Elisabeth sagt bei ihrer Begegnung mit Maria, deren heiliger Leib Jesus als Frucht der Gnade austrägt: „Selig ist die, die geglaubt hat, dass sich erfüllt, was der Herr ihr sagen ließ“ (Lk 1,45) – barocke Darstellung in der früheren Königskirche von Portugal, der Kathedrale von Viseu (bei Coimbra).
Johannes Scheffler, der bedeutendste deutsche Barockmystiker, der bei seiner Konversion zum katholischen Glauben 1653 nach dem spanischen Mystiker Johannes ab
Angelis den Namen Angelus Silesius annahm und zum Gegenreformator in Schlesien wurde, dichtet in einem seiner fast 1700 geistlichen Epigramme: „Die Heiligen alle sind ein Heiliger allein,/ Weil sie ein Herz, Geist, Sinn in einem Leibe sein“ (Cherubinischer Wandersmann, V,7).
Ebenso wird im Judentum von dem einen Gerechten gesagt, dass er nicht numerisch eins ist,
sondern „weil jeder Gerechte sich mit allen anderen als ein Ganzes denken soll, spricht der Talmud von einem Gerechten“. Andererseits wird der Gerechte „Einer genannt, der Einheit wegen,
mit der er sich mit allen Stufen von der Erde bis zum Himmel vereint, das heißt vom Ende aller Stufen, die die irdische Stofflichkeit sind und dem letzten Buchstaben Taw entsprechen, bis
zum Himmel, der die oberste Stufe ist und dem Aleph entspricht. Und deswegen heißt der Gerechte das All, weil er Himmel und Erde zugehört.“ In der Erhebung oder Erhöhung der untersten
Stufen der (gefallenen) Wirklichkeit nach oben „besteht das wahre Wesen des vollkommenen Gottesdienstes“ (Gershom Scholem, Von der mystischen Gestalt der
Gottheit). Das Taw (Zahlenwert 400) wurde noch im ersten christlichen Jahrhundert kreuzförmig geschrieben und mit dem Kreuz Christi identifiziert.
In Kreuzestod und Auferstehung vereint und versöhnt Jesus Himmel (1) und Erde (4), die unsichtbare und die sichtbare Welt (Kol 1,15.20) oder Alpha und Omega, Aleph und Taw, so dass er sagen kann:
„Ich bin das Alpha und das Omega, der Anfang und das Ende“ (Offb 21,6). In seiner „Kreuzesnachfolge“, angefangen mit der Taufe, wird der Mensch wieder zu dem, was er „in Heiligkeit und
Gerechtigkeit“ ursprünglich sein soll: „Bild Gottes“ (Eph 4,24). In den Heiligen wird „die Verwandlungskraft der Gnade erkennbar“, in ihnen „ehrt Gott sich noch viel mehr selbst“: „Die Grundidee
der christlichen Anthropologie leuchtet daher auf in der Verschränkung von Menschwerdung Gottes und der gnadenhaften Vergöttlichung und Heiligung des Menschen (participatio divinae naturae)“ (Kardinal Gerhard Ludwig Müller).
Bild: Der „Sonnenstein“ der Azteken stellt in der Mitte den Sonnengott Tonatiuh dar, der durch sein Selbstopfer zur Sonne geworden ist, um seinem Volk Licht und Leben zu spenden. Die vier Vierecke um die Mitte herum symbolisieren vier vorangegangene Reiche („Sonnen“), verbunden jeweils mit einem der vier Weltelementen. Die fünfte Sonne des Aztekenreichs bedarf, um jeden Tag neu aufzugehen, des angemessen Dankes durch beständige (Menschen-)Opfer, besonders am Fest des Entzündens des „Neuen Feuers“ auf dem Gipfel eines heiligen Berges nach einem Zyklus von 52 Jahren, wo die Zyklen von Sonnenkalender (365 Tage) und Ritualkalender (260 Tage) am selben Tag zusammen kommen – Ausschnitt aus der Video-Präsentation „Azteken“ im Stuttgarter Linden-Museum anlässlich der Landung des Konquistadors Hernán Cortés in Mexiko vor 500 Jahren am 8. November 1519.
In den Visionen des Propheten Daniel wird vor den „Hochbetagten“ (= Gott) auf einem Flammenthron „ein Menschensohn“ geführt, dem unvergängliche Herrschaft, Würde und Königtum über alle Völker gegeben werden: „Sein Reich geht niemals unter“ (Dan 7,13f). Mit diesem „Menschensohn“ identifiziert sich Jesus, der die Sünden vergibt und die Nähe des Reiches Gottes ankündigt (Mt 9,6; 19,28; 26,64; Joh 1,51; 13,31). Dem ewigen Gottesreich gehen bei Daniel „vier große Tiere“ voraus in der Gestalt eines Löwen, Bären, Panthers und eines alles fressenden Monsters mit Zähnen aus Eisen und zehn Hörnern (Dan 7,3-8). „Diese großen Tiere, vier an der Zahl, bedeuten vier Könige, die sich auf der Erde erheben werden“ (V.17). Das vierte Reich „wird die ganze Erde verschlingen, sie zertreten und zermalmen“ (V.23). Gott wird über diese (heidnischen) Reiche Gericht halten und die Herrschaft „dem Volk der Heiligen des Höchsten“ geben (V.27). Auch der babylonische König Nebukadnezar träumt von vier Weltreichen, doch die Weisen seines Landes können den Traum nicht deuten, nur Daniel ist dazu in der Lage im Verbund mit „Gott, der Geheimnisse offenbart“ (2,28.47). Die vier Reiche bilden ein Standbild mit dem Haupt aus Gold, der Brust aus Silber, Körper und Hüften aus Bronze, Beinen und Füßen zum Teil aus Eisen, zum Teil aus Ton. „Ohne Zutun von Menschenhand“ löst sich ein Stein von einem Berg gegen die Füße und zermalmt sie; so wird das Standbild zu „Staub“, während der Stein zu einem großen Berg wird und die ganze Erde erfüllt (2,31-35). Der Stein ist das von Gott errichtete fünfte Reich, „das in Ewigkeit nicht untergeht“ (2,44). Die Kirchenväter identifizieren die Errichtung „ohne Zutun von Menschenhand“ mit der jungfräulichen Geburt Jesu. Die Vierzahl steht immer für das Irdische oder die Welt, die im Fünften (Quint-essenz) auf höherer Ebene vereint wird (vgl. Spitze der Pyramide); die irdischen Reiche selbst finden keine Einheit (vgl. 2,41-43). Im Allerheiligsten des Tempels als „Quelle aller Heiligkeit“ und Einheit sind die Gegensätze der vier Urelemente (Feuer, Luft, Wasser, Erde) aufgehoben im ‚Einen‘ oder „fünften Element, das keinen Namen hat und den vier anderen Elementen gegenübersteht“ (Friedrich Weinreb).
Bild: Die 1324/25 im Hochtal von Mexiko gegründete aztekische Hauptstadt Tenóchtitlan war in ihrem Grundriss kreuzförmig: Das Zentrum bildete der sakralen Tempelbezirk, wo sich die 45 Meter hohe Doppel-Pyramide Huei Teocalli (Templo Mayor) erhob; zwei horizontale Straßen oder Achsen kreuzten sich am Punkt des Altars. Sie standen „für das große kosmische Kreuz, und der erste Altar war das Herz der neuen Siedlung. Nach dem mesoamerikanischen Glauben war das Herz das fundamentale Zentrum eines jeden Lebewesens“ (Leonardo López Luiján, Im Zentrum des Universums, in: Damals 10/2019) – Darstellung in der Landesausstellung „Azteken“ im Linden-Museum in Stuttgart (bis 3. Mai 2020).
Aztekische und christliche Religion könnten unterschiedlicher nicht sein: Hier die Fruchtbarkeitsreligion auf der Basis der kosmischen Dualität von Sonne und Mond (Feuer und Wasser), dort ihre Überwindung in der übernatürlichen Fruchtbarkeit durch die Geistgeburt aus dem einen Wort Gottes als „unvergänglichem Samen“ (1 Petr 1,23). Das schließt aber eine ähnliche Symbolik nicht aus: Die Schlange steht für Fruchtbarkeit, der Adler für die Sonne, diese für den Vatergott (Inti), die Erde für die Muttergöttin (Pachamama), der Berg (Pyramide) für Gottesnähe, das Universum ist kreuzförmig (eine Mitte, vier Teile), wobei das Aztekenreich die „fünfte“ (mittlere) Sonne ist, wofür sich der Sonnengott selbst geopfert hat. Der vom Hauptgott Huitzilopochtli auserwählte Ort (Erdaltar) war der Verbindungspunkt zwischen Lebenden, Toten und Göttern: das Zentrum des ganzen Universums und ihr „Herz“. Das beim Menschenopfer herausgeschnittene und zur Sonne „erhobene“ Herz nährte und stärkte diese im kosmischen Kampf gegen die Mondgöttin, um zum neuen Tag wieder aufzugehen (aufzuerstehen). Christlich siegt Jesus am Kreuz über den Satan (Joh 12,31). Dabei wird sein Herz durchbohrt, so dass „Blut“ (Eucharistie) und „Wasser“ (Taufe) hervorströmen (Joh 19,34) zur Nährung und Stärkung seines Volkes (Kirche). Nach Pierre Teilhard de Chardin ist Jesu Herz das „Flammenzentrum des Universums“, „wo das Herz der Welt in die herabsteigende Strahlung des Herzens Gottes konvergiert“ (Lobgesang des Alls). Bei Jesu Kreuzigung zerreißt der Vorhang vor dem Allerheiligsten des Tempels (Mk 15,38) als „Herz“ Jerusalems und Israels. Dort brannte ein „ewiges Feuer“, wie im aztekischen Tempelbezirk, wo es im Zyklus von 52 Jahren einmal gelöscht wurde, um es als „Neufeuer“ auf dem heiligen Berg Tlaloc neu zu entfachen und in die dunkle Stadt und zum Tempel zu tragen. Ähnlich wird in der Osternacht das Feuer am Osterfeuer entzündet und in die dunkle Kirche getragen wird, um die Herzen der Gläubigen neu zu entzünden.
Bild: Die Thora ist der Kern der hebräischen Bibel und gilt als göttliche „Weisheit“ oder „Baum des (ewigen) Lebens“ (Spr 3,18); ebenso ist das Kreuz die endgültige Offenbarung der verborgenen Weisheit Gottes (1 Kor 2,7) und der wahre „Baum des Lebens“ mit der Eucharistie als seiner Frucht (Offb 2,7). Ähnlich wie der hl. Franziskus sagt auch der hl. Bruder Konrad von Parzham (+ 1894 in Altötting): „Das Kreuz ist mein Buch“. Wie die Thora aus den fünf Büchern Mose besteht in der Bundes-Struktur 1 (Genesis) und 4 (Ex, Lev, Num, Dtn), so auch hat der auferstandene Gekreuzigte fünf verklärte „Wundmale“ in derselben Struktur 1 (= Herzwunde mit „Blut“/Eucharistie und „Wasser“/Taufe) und die vier Male an Händen und Füßen (vgl. Osterkerze) – Altarraum der katholischen Pfarrkirche St. Michael in Affalterbach (Ludwigburg).
Die Bibel (= Buch) spielt in Judentum und Christentum eine zentrale Rolle. Dennoch sind beide Religionen keine „Buchreligion“ (so erneut der Alttestamentler Konrad Schmid) wie der Islam mit dem Koran als „O-Ton“ Allahs. Im „Buch“ der „Schrift“ offenbart sich das lebendige „Wort“ oder der „Sohn“ Gottes wie auch im „Buch“ der „Schöpfung“ – jeweils durch den Heiligen Geist. Weil Welt und Menschheit „gefallen“ und die „eine Sprache“ beim hochmütigen „Turmbau zu Babel“ zerstreut ist (Gen 11,1-9), taugt nur noch die hebräische Sprache, wo die Buchstaben zugleich Zahlen sind, als „Werkzeug“ der Schöpfung und als Sinnstruktur (die 22 Buchstaben gliedern sich in 3; 3 + 4; 3 + 4 + 5; 3 = Geist, 4 = Materie, 5 = Vereinigung: 3² + 4² = 5²). Zudem sind die Buchstaben auch Bilder: Aleph = Stierkopf, Beth = Haus, Gimel = Kamel, Daleth = Tür, He = Fenster usw. Die Schöpfung wird als „Haus Gottes“ (Beth-el, vgl. Gen 28,16-19) zur Verehrung des Schöpfers erbaut, weshalb sie erst mit der Errichtung des Zelt-Heiligtums durch Mose „vollendet“ ist (Ex 40,33) – analog zum Zeit-Heiligtum des Sabbat oder 7. Tages (Gen 2,1-3). Auch nach der Zerstörung des ersten und zweiten Tempels bleibt das eine Heiligtum zentraler Bezugspunkt der jüdischen Religion („Klagemauer“ in Jerusalem), dessen Wiederherstellung vom Messias erhofft wird. Christlich hat Jesus durch seine körperliche Auferstehung am „dritten Tag“ (= Sonntag = 8. Tag nach dem 7. Tag) den Tempel als Geist-Heiligtum wieder aufgebaut (Joh 2,19-22), was durch die Feier der Eucharistie durch die Zeiten hin realisiert wird (1 Petr 2,4-10). Nicht der biblische Buchstabe ist entscheidend, sondern der in der Kraft des Geistes „Fleisch“ gewordene und am „8. Tag“ (= 1. Tag: „Es werde Licht“) auferstandene Logos. Dieser endzeitlichen „Wirklichkeit“ oder „Wahrheit“ der „neuen Schöpfung“ gehen mit Schöpfung und Bibel „Schatten“ und „Bild“ voraus (Kol 2,17; Hebr 8,5; 10,1). Diese sind aber nicht mit Christus abgetan, sondern behalten ihre relative Gültigkeit, weil das Ewige in der Zeit immer nur antizipiert werden kann. Es gibt daher keinen linearen Fortschritt in den „Medien“ der Offenbarung vom „Bild“ über „Buchstaben“ zum „Fleisch“ (gegen Eckard Nordhofen, Corpora, 2018).
Bild: Im Gleichnis von den fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen erwarten die fünf klugen die Rückkehr des himmlischen Bräutigams mit einem geisterfüllten brennenden Herzen (im Symbol der Öllampen); die Verweltlichung lässt dagegen das Feuer bei den fünf törichten erlöschen und ihre Liebe erkalten: „Die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm (dem Bräutigam) in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde zugeschlossen“ (Mt 25,10) – Fresko der mittleren der drei Apsiden der Burgkapelle St. Katharina der Wehrburg Hocheppan auf einer steilen Felswand südwestlich von Bozen in Südtirol, wo das Gleichnis unterhalb Marias mit Kind im byzantinischen Stil dargestellt ist (um 1200). Die fünf Törichten mit leeren Ölgefäßen und langen Zöpfen sind prächtig gekleidet in modisch gemusterten Gewändern mit Pelzbesatz nach Geschmack und Geist ihrer Zeit.
Die vier Wochen des Advent sind die Zeit der Vorbereitung auf die ‚erste Ankunft’ (lat. adventus) des Schöpferwortes im Fleisch der Welt durch die Jungfrau Maria. Die liturgischen Texte erinnern zugleich an die ‚zweite Ankunft’ oder ‚Wiederkunft’ Christi in Macht und Herrlichkeit am Ende der Zeit zum gerechten Weltgericht. Wiederkunft und Gericht sind dem Glaubensbewusstsein heute weitgehend entfallen, obwohl in jedem Credo der Glaube daran bekannt wird: Christus ist der „kommende Richter der Lebenden und der Toten“ (2 Tim 4,1). Nicht Gott richtet, sondern der Vater „hat das Gericht ganz dem Sohn übertragen, damit alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren“ (Joh 5,22). Der Sohn wiederum sagt: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ (Mt 7,1), ebenso Paulus: „Richtet nicht vor der Zeit, bis dass der Herr kommt“ (1 Kor 4,5). Gottes Wort, das „kraftvoll und schärfer (ist) als jedes zweischneidige Schwert …, richtet über die Regungen und Gedanken des Herzens; vor ihm bleibt kein Geschöpf verborgen, sondern alles liegt nackt und bloß vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft schulden“ (Hebr 4,12f). Auch das Kind im Stall von Beth-lehem (= Haus des Brotes) liegt „elend, nackt und bloß in einem Krippelein“, er, der angenommen hat „eines Knechts Gestalt, der Schöpfer aller Ding“ (Gotteslob 247.2 und 3). Gott will den Menschen mit seiner demütigen Erniedrigung befreien von allem (richtenden) Hochmut und ihm das Paradies neu erschließen, das er im gläubigen Hören auf das Lügenwort der falschen Schlange verloren hat. Dieser falsche Glaube führt zur falschen Liebe, zur Abkehr von der reinen Liebeshingabe an Christus als dem wahren Bräutigam: Paulus hat als Brautführer die Kirche als reine Jungfrau zu Christus geführt und sie im wahren „Glauben“ mit ihm „verlobt“ (2 Kor 11,2f). Dieser Glaube droht aber einzuschlafen, weil der Bräutigam scheinbar auf sich warten lässt. Deshalb der Ruf des Advent: „’Wachet auf’, ruft uns die Stimme/ der Wächter sehr hoch auf der Zinne…Wohlauf, der Bräutgam kommt“ (GL 554). Er kommt schon jetzt in jeder Eucharistie als „Hochzeitsmahl des Lammes“ in der Demut der Brotsgestalt.
Bild: Mit den Bildern des Hohenliedes der Liebe wird Maria besungen als „die Schönste von allen, von fürstlichem Stand, kann Schönres nicht malen ein englische [engelsgleiche] Hand: Maria mit Namen; an ihrer Gestalt all Schönheit beisammen Gott selbst wohlgefallt“ (Gotteslob 889). Das Lied wurde 1927 von dem lothringischen Priester, Volksliedsammler und Volkskundler Louis Pink aufgezeichnet, womit er auch den Ton der Bulle von Papst Pius IX. von 1854 zur Dogmatisierung der Erbsündlosigkeit Marias traf (gefeiert am 8. Dezember), in der es heißt, Maria sei sozusagen „die Wesensgestalt der Schönheit und Unschuld selbst“. Die 2. Strophe besingt sie als „sehr starke Heldin, mit englischem Schritt/ der höllischen Schlange den Kopf sie zertritt“ – Mariendarstellung mit Dominikus (links) und Katharina von Alexandrien (rechts) von Guido di Pietro, genannt il Beato Angelico (der gesegnete Engelsgleiche), Mönch und bedeutender Maler der italienischen Frührenaissance.
In der Bulle „Ineffabilis Deus“ (Der über alles Aussprechen erhabene Gott) von Papst Pius IX. zur Dogmatisierung der „ohne Erbsünde“ (unbefleckt) empfangenen Gottesmutter Maria von 1854 wird die Jungfrau mehrfach als ‚Schlangenzertreterin’ gepriesen: „So hatte auch die heiligste Jungfrau, die ganz innig und unzertrennlich mit Ihm (Christus) verbunden ist, mit Ihm und durch Ihn ewige Feindschaft mit der giftigen Schlange; sie triumphierte über diese in vollkommenster Weise und zertrat so deren Kopf mit makellosem Fuß.“ „Und zweifellos hat ja Maria der Schlange das giftige Haupt zertreten.“ Als „neue Eva“ hat Maria „der Schlange kein Gehör“ geschenkt; Eva dagegen „hörte leider auf die Schlange, verlor ihre ursprüngliche Unschuld und wurde Sklavin der Schlange“, und mit ihr all ihre Nachfahren: „Wie der (Adam/Mensch) von der Erde irdisch war, so sind es auch seine Nachfahren. Und wie der (neue Adam/Christus) vom Himmel himmlisch ist, so sind es auch seine Nachfahren“ (1 Kor 15,48). Mit dem Sündenfall aufgrund der Versuchung durch die ‚Fruchtbarkeitsschlange’ ist der Mensch erst irdisch und sterblich geworden; im überweltlichen Paradies hätte er ohne den Fall die Frucht vom Baum des ewigen Lebens genießen dürfen, das heißt von Gottes unvergänglichem Samen-Wort, „das lebt und das bleibt“ (1 Petr 1,23). Im wahren Glauben durch die Gnade gewinnt er wieder Anteil an Gottes Wort. Maria aber hat von Anfang an die Fülle der Gnade (Lk 1,28) aufgrund des Sieges ihres Sohnes über ‚Sünde, Tod und Teufel’. So erfüllt sich an ihr auch die erste Verheißung der Erlösung, das „Protoevangelium“ von dem Zertreten des Kopfs der Schlange als Sinnbild des Bösen beziehungsweise der ambivalenten Triebnatur des Menschen (Gen 3,15). Als ‚geisterfüllte Braut’ ihres Sohnes ist die Jungfrau Maria Inbegriff des übernatürlich „fruchtbaren Lebens“ und das Gegenbild zur „(geistarmen) Immanenz“ eines „tierischen“, „erdverfallenen Lebens“ des „geistlosen Fleisches“ (vgl. Uwe Markstahler, Das Neue Testament im Licht der jüdischen Tradition, 51-56). Während die Schlange der „falsche Bräutigam“ (Annick de Souzenelle) ist, gilt Marias Ja-Wort ganz dem wahren, göttlichen Bräutigam vom Himmel: Jesus.
Bild: Eine wichtige adventliche Gestalt ist Johannes der Täufer im Kamelhaarmantel. Er verweist bder Taufe Jesu im Jordan auf den von der Himmelsstimme als geliebter Sohn ausgewiesenen Messias, der hier den ‚Abstieg’ ins Totenreich vorwegnimmt, um der Menschheit die Feuertaufe mit der Kraft des Geistes von oben zu bringen: „Ich taufe euch mit Wasser, Er wird euch mit Feuer taufen“ (Mt 3,11; Lk 3,16). Johannes ist der Freund des Bräutigams, der sich über den gekommenen Messias freut: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam“ (Joh 3,29). Die Braut ist die am Kreuz erworbene Menschheit in Gestalt der ‚makellosen’ Kirche; ihre Vermählung geschieht in der Verbindung von Feuer (hebr. esch) und Wasser (hebr. majim) zum ‚Himmel’ (schamajim = esch-majim), der sich bei der Taufe Jesu öffnet – Wandgemälde im Heiligtum der berühmten Michaelsgrotte auf dem Monte Sant’ Angelo in Gargano (Nord-Apulien).
Das Neue Testament identifiziert Johannes den Täufer mit Elija (vgl. Mt 11,14; Mk 1,6; Lk 1,17). Nach jüdischen Verständnis leitet Elija verborgen die Zeremonie des Bundes der Beschneidung (Berith Mila); diese hat drei Teile: 1. das Abschneiden der Vorhaut (Orlah), die in den Staub geworfen wird; 2. die ‚Spreizung des Fleisches’, damit es zur wahren, seinsmäßigen (ontologischen) Fruchtbarkeit zurückkehrt (Priah; Peri = Frucht); 3. das blutige Opfer als Aussaugung des Blutes (Mtzitzah). Dabei symbolisiert das Blut hier die dunkle Leibseele (Nephesch) im Gegenüber zur lichten Geistseele (Neschamah), die beide im Bescheidungsbund zu verbinden sind als Einheit von ‚unten’ und ‚oben. „Der Tradition zufolge ist es die Aufgabe Elijas zu verhindern, dass das Licht noch einmal von satanischen Finsternissen bedeckt wird; darum bedeckt der Prophet selbst [bei der Zeremonie] unsichtbar das Licht mit einem Schleier. Er wird erst entfernt werden, wenn der Messias kommt“ (Annick de Souzenelle Le symbolisme du corps humain, Kap. IX). Des Täufers „Gewand aus Kamelhaaren“ (Mt 3,4; Mk 1,6) verweist auf das animalische „Fellgewand“, das der gefallene Adam mit dem Essen vom Erkenntnisbaum als ‚Umhüllung’ bekommt (Gen 3,21). Der Täufer ist zwar der ‚Größte’ aller von einer Frau Geborenen, aber als solcher doch ‚kleiner’ als der „Kleinste im Himmelreich“ (Mt 11,11), wozu die Geisttaufe den Weg eröffnet, die in der Knabenbeschneidung „am achten Tag“ ihr Vorausbild hat. Bei der Beschneidung und Geisttaufe wird eben diese ‚Umhüllung’ entfernt. Der Täufer sagt über den Messias: „Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden“ (Joh 3,30). „Der Mensch im Fellgewand, die Vorhaut des Wortes, verschwindet, und das Licht Christus erscheint. Die Beschneidung der Adam-Menschheit ist erfüllt“ (Souzenelle, Kap. XI). Der Täufer verkündet Jesus als das „Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29). Das Beschneidungsblut entspricht dem Blut des Paschalammes, das beim Auszug aus Ägypten an die Türpfosten zu streichen war, um vom Gerichtsengel verschont zu bleiben (Ex 12,13). Die Tür, hebr. daleth = Vier/Welt wird so wieder mit der verborgenen Welt des Himmels und der Einheit (im Symbol der Eins) zum „Bund“ verbunden.
Bild: Die Symbolik des Einhorns, das heute bei kleinen Mädchen ein belieber Verkaufsschlager geworden ist, ist heute weithin unbekannt. Die vom Heiligen Geist ‚überschattete’ Jungfrau Maria ist die Braut des Hohenliedes, der neue Tempel, die Bundeslade als Wohnstätte Jahwes: Sie trägt in freudiger Erwartung und ‚guter Hoffnung’ den Erlöser der Welt in ihrem Schoß, den Gott „weiter gemacht hat als die Himmel, denn dieser hat seinen eigenen Schöpfer aufgenommen“ (Madonna Platytera): das ewige Wort, durch das alles geworden ist (Joh 1,3) – Mystische Einhornjagd, Erfurter Dom (um 1420).
Schon im alten China ist das Einhorn Chi-li ein heiliges Tier, das die Geburt des großen Konfuzius ankündigt. In Indien wird von einem junge Asketen mit einem Horn auf der Stirn erzählt, dass ihn eine schöne, jungfräuliche Königstochter mit List an den Königshof holte, was später Buddha als Gleichnis für seine letzte, die Menschheit erlösende Wiederverkörperung verwendete. In Asien glauben bis heute viele an die Heilkraft des „Einhorns“ und seine Wirkung als Aphrodisiakum – zum Nachteil vieler gewilderter Nashörner. Im christlichen Kontext wird das Einhorn zum Symbol Christi, der als der Eine vom Gift der Schlange befreit (vgl. „Physiologus“). Das Wortspiel Unicornis unigenitus (Ambrosius) verweist auf das Einhorn als eingeborener Sohn. Die Spätgotik stellt Maria als „verschlossenen Garten“ (gemäß Hld 4,12) dar, in den der Engel Gabriel als Jäger mit dem Horn bei der mystischen Einhornjagd den fleischwerdenden Christus als Ein-horn hinein treibt. Im Hebräischen ist das Einhorn ‚re’em’, gebildet aus den Anfangsbuchstaben für ruach (Luft), esch (Feuer) und majim (Wasser): die drei oberen Welten noch jenseits des 4. Elements ‚Erde’ und des Irdischen, das durch die Zweiheit der Geschlechter geprägt ist: Alles Geborene muss auch sterben und steht unter der Herrschaft des Todes. „Da nun die Kinder Menschen von Fleisch und Blut sind, hat auch er (Christus) in gleicher Weise Fleisch und Blut angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich der Teufel (Diabolos = Entzweier), und um die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen waren“ (Hebr 2,14f). Diese Befreiung geschieht schon mit der Inkarnation; denn was (dann auch in der Taufe) ‚jungfräulich’ geboren wird, erlebt schon die Auferstehung aus dem Schoß der ‚Mutter Erde’: Die Jungfrauengeburt gleicht dem Durchgang des Auferstandenen durch „verschlossene Türen“ (Joh 20,26). Entsprechend wurde das für immer verschlossen bleibende Osttor des neuen Tempels, in das die „Herrlichkeit des Herrn“ wieder einzieht (Ez 43,2-4; 44,2), als Vorankündigung der jungfräulichen Fleischwerdung des Sohnes Gottes als Schöpfer-Wort verstanden: „… und wir haben seine Herrlichkeit gesehen“ (Joh 1,14).
Bild: In einem Troparion (liturgische Dichtung) der Vorfeier von Weihnachten in der orthodoxen Kirche heißt es: „Bereite Dich Bethlehem, offen steht allen Eden./ Rüste Dich Ephrata;/ denn der Jungfrau entsprosst in der Höhle des Lebens Baum./ Ihr Schoß ward offenbar als geistiges Paradies./ In ihm wurzelt der göttliche Spross./ Wenn wir von ihm essen, werden wir leben,/ wir werden aber nicht sterben wie Adam./ Christus wird geboren,/ um das einst gefallene Bild Gottes wieder aufzurichten.“ Die dunkle Erdhöhle ist Grab und Geburtsschoß zugleich, die Krippe gleicht hier einem „Sarko-phag“ (= Fleischfresser). Denn der Abstieg aus dem himmlischen Bereich in den irdischen ist ein Descensus ins Totenreich, auf den der Ascensus, der Aufstieg mit der erlösten Menschheit („Adam“) folgt – Weihnachtikone, Kathdrale von Spili, Kreta.
Weihnachten ist das beliebteste Fest der Christenheit, besonders in Deutschland. Einige Theologen propagieren daher ein „Weihnachts-Christentum“, wo so sperrigen Themen wie blutiger Kreuzestod, Sühnopfer für die Sünden oder Auferstehung von den Toten in den Hintergrund treten. Das ist aber ein großes Missverständnis; denn das Weihnachtsfest ist ganz nach dem Osterfest gebildet, gewissermaßen ein Osterfest in der Winterzeit, ausgerichtet am Lauf der Sonne und nicht am Mond wie Ostern am ersten Sonntag nach dem Frühlings-Vollmond. Die „dunkelste Zeit des Jahres“, die Wintersonnenwende, ist nach dem julianischen Kalender am 25. Dezember: „Der spätantike Kult des ‚unbesiegbaren Sonnengottes’ (sol invictus) trug dazu bei, Christus als die wahre Sonne der Gerechtigkeit [Mal 3,20] zu verkünden“ (Gotteslob 235). Wahrscheinlicher ist allerdings, dass der Weihnachtstermin von der Tagundnachtgleiche am 25. März abgeleitet ist, der für den Anfang des Jahres und der Schöpfung steht. Die Fleischwerdung des Schöpferwortes an diesem Tag (Fest Mariä Verkündigung) und dann neun Monate später seine lichtvolle Geburt zielen darauf, den Menschen als Bild Gottes wunderbar zu erneuern und die Schöpfung zu vollenden. Deren Aufgabe ist es von Anfang an, dem Schöpfer oder seiner ewigen Weisheit eine „Wohnstätte“ zu bereiten, wie die Sophia bei Jesus Sirach (24,11) sagt: „In der Stadt, die er (Gott) ebenso liebt wie mich, fand ich Ruhe, Jerusalem wurde mein Machtbereich.“ Die Adventszeit besingt die königliche Ankunft des Erlösers analog zu seinem Einzug in Jerusalem: „… die Zweiglein der Gottseligkeit steckt auf mit Andacht, Lust und Freud; so kommt der König auch zu euch, ja Heil und Leben mit zugleich“ (GL 218: Macht hoch die Tür). Maria ist der reine Tempel und wie das himmlische Jerusalem die jungfräuliche Braut, die den göttlichen Sohn als „Licht der Welt“ empfängt und in die „Nacht“ der gefallenen Welt hinein als Erleuchtung gebiert: „Werde Licht, Jerusalem, dein Licht ist uns erschienen“ (GL 260). Das Lichtwerden in der Gegenwart des Ewigen ist die Auferstehung, das Fleischwerden bedeutet der Abstieg ins Reich des Todes.
Bild: Josef und Maria mit dem neugeborenen Jesusknaben auf einem weißen Esel reitend fliehen nach Ägypten, wo einst Josef, der Lieblingssohn von Jakob/Israel, sein Volk aus der ‚Hungersnot’ gerettet hat, weil er in rechter Weise ‚Vorräte’ an Getreide anlegte und so wie Gott vorgesorgt hat: Er konnte sich er-innern und so die von Gott kommenden Träume des Pharao deuten (Gen 41). Auch Josef von Nazareth (hier im ‚bunten Rock’ Josefs und von weißen Tauben umflogen) kann Träume deuten, sich an Gottes Handeln er-innern und so selbst gerecht handeln – lebensgroßes Wandmosaik im Innenhof der berühmtesten koptischen Kirche („Hängenden Kirche“) im koptischen Viertel von Kairo, Ägypten.
Josef, der ‚Verlobte’ und somit „Mann Marias“ (Mt 1,16), ist „gerecht“ (V.19), weil er im Traum wachsam ist, auf das vom „Engel des Herrn“ Gebotene hört und es tut: Er nimmt Maria als seine Frau zu sich und ihren Sohn (V.24), ohne dessen Vater zu sein (V.25); und er flieht mit beiden nach Ägypten, weil König Herodes nach dem Leben aller männlichen Neugeborenen trachtet aus Angst um seine Herrschaft wie Pharao am Anfang der Geschichte des Mose (Mt 2,13f; Ex 1,22). Im Hebräischen ist ‚männlich’ und ‚erinnern’ dasselbe Wort (sachar); es steckt auch im Namen ‚Zacharias’, des Vaters des Täufers Johannes, der im Tempel von Jerusalem seinen priesterlichen Dienst tut (Lk 1,5.9f) und sich eigentlich der ewigen Heilstaten erinnern müsste, die Gott auch „heute“ tut: „Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren“ (Lk 2,11). Zwar erhört Gott des Zacharias’ Gebet um einen Sohn, der dann „die Ungehorsamen zur Gerechtigkeit führen“ wird (Lk 1,13.17). Weil er aber dem Engel nicht wirklich glaubt, verstummt er (V.20). Josef hingegen redet durch sein gerechtes Handeln: Er verstößt Maria nicht in der falschen Annahme, ihr Kind sei das eines römischen Soldaten und so ein ‚Bastard’ (so der jüdische Talmud), sondern er nimmt Mutter und Kind zu sich und so Gottes ‚Zumutung’ auf sich. Dem Kind gibt er den vom Engel genannten sprechenden Namen Jesus: JHWH rettet, „denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen“ (Mt 1,21). Diese Erlösung geschieht durch die Er-innerung der ewigen Heilstaten Gottes in Israels Geschichte, das heißt im „Heute“, angefangen mit der Schöpfung. Vor der Sintflut werden den Menschen nur noch „Töchter“ geboren (Gen 6,1), das heißt, sie konnten sich nicht mehr an ihren himmlischen Ursprung und Vater er-innern im Heiligen Geist, der bei Noah als Taube zum Ursprung zurückkehrt (Gen 8,8-12; vgl. Mt 3,16; Joh 14,26). Das letzte Wort Josefs von Ägypten an seiner Brüder ist: „Gott wird euer gedenken“ (Gen 50,24). Nach Abraham, Isaak und Jakob ist Josef der Vierte, der Adam Kadmon, der auf das vierte Element Erde kommt, aber sich nicht verführen lässt wie Adam, sondern keusch = gerecht bleibt (Gen 39,9f).