Übersicht (um zu einem Bibel-Impuls zu gelangen, bitte klicken)
Warum suchen die Sterndeuter nach dem König der Juden?
Warum gibt die Gottesmutter Maria Jesus einen Apfel?
Warum ist Jesus der Erstgeborene der Schöpfung?
Warum wird Maria „unbefleckt“ von Anna empfangen?
Aus welcher Himmelsrichtung kommt Jesus (wieder) in die Welt?
Will Jesus seine Jünger zu Kapitalisten machen?
Warum teilen die fünf klugen Jungfrauen ihr Öl nicht solidarisch?
Warum ist Heiligenverehrung für die Kirche wesentlich?
Warum erhalten Adam und Eva von Gott Tierfelle als Kleidung?
Warum gibt es keine weiblichen Bischöfe?
Warum kommt Pontius Pilatus ins christliche Credo?
Warum offenbart sich die Jungfrau Maria vorwiegend Kindern?
Warum verlangt Jesus ein Hochzeitsgewand für die Feier?
Warum ist Jesus nicht auf sexuelle Weise fruchtbar?
Warum ist der heilige Franziskus ein „zweiter Christus“?
Ist Jesu Sühnopfer am Kreuz der wahre Jom Kippur?
Warum feiert die Kirche das Fest Mariä Geburt?
Bild: Die verheißene Wallfahrt der Völker nach Jerusalem als ‚Nabel der Welt’ beginnt schon mit dem Zug der Weisen aus dem Morgenland, die auch für die drei (damals bekannten) Kontinente stehen: Europa, Asien und Afrika. „Zahllose Kamele bedecken dein Land… Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold, und verkünden die ruhmreichen Taten des Herrn“ (Jes 60,6). Jeru-salem heißt. Schau des Friedens (schalom), der Vollkommenheit. Vollkommen ist etwas dann, wenn Innen und Außen, Wesen und Erscheinung übereinstimmen: Im fleischgewordenen Gottessohn, der keinen irdischen Königspalast braucht wie König Herodes, entdecken die heidnischen Weisen (Priester und Astronomen/ Astrologen) die ewige, wahrhaft königliche Weisheit Gottes; sie ist das „Bild seiner (Gottes) Vollkommenheit“ (Weish 7,26). Krippendarstellung in der Wallfahrtskirche Weggental in Rottenburg a. N.
Während Israel die Bibel als Buch hat, haben die (Heiden-)Völker die Schöpfung als Buch, das heißt vor allem die Sterne (Engel) als Buchstaben zum Lesen der Himmelsbotschaften. Nach dem heiligen Bonaventura (ca. 1217–1274) „gibt es ein zweifaches Buch, das ‚innen geschriebene’, nämlich die ewige Weisheit oder den Plan Gottes selbst, und ein ‚außen geschriebenes’, nämlich die sichtbare Welt. Da es nun schon ein Geschöpf gab, welches ein inneres Wahrnehmungsvermögen besaß, und damit das innere Buch lesen konnte, nämlich den Engel, und ein Geschöpf, das nur ein äußeres Wahrnehmungsvermögen hatte, nämlich das Tier, so bedurfte es zur Vollendung des Kosmos eines Geschöpfes, das mit einem doppelten Wahrnehmungsvermögen ausgestattet war, zur Erkenntnis des innen wie außen geschriebenen Buches – das heißt der göttlichen Weisheit und ihrer Werke. Weil in Christus die ewige Weisheit und ihr Werk in einer Person geeint sind, darum heißt er ‚das innen und außen beschriebene Buch’ (Offb 5,1; vgl. Ez 2,9) zur Wiederherstellung der Welt“ (Breviloquium, II, 11). Für Juden sind Heiden vor allem ‚Sternendiener’. Der im Heidentum weit verbreitete Glaube an die Schicksalsmacht der Sterne erscheint als Götzendienst, abgekürzt als akum (für awodath kochabim umasaloth: Dienst an den Sternen und Tierkreiszeichen). Der Mensch glaubt sich dann unabänderlich der Macht der Zeit unterworfen. Die Sterndeuter aus dem Osten glauben dagegen an den Einbruch der Ewigkeit in die Zeit; deshalb suchen sie den neugeborenen „König der Juden“ (Mt 2,2), denn Hebräer (iwri) kommen aus einer anderen Welt. Ihre Suche führt sie zuerst nach Jerusalem zu Herodes, dem irdischen ‚König der Juden’, der die Schriftgelehrten befragt, wo der Geburtsort des Messias (neuer David) sei. Erst die Verbindung vom äußeren Lesen in der Sternenschrift und vom inneren Lesen in der Offenbarung führt zu der ewigen Weisheit, die im Krippenkind inkarniert ist. Ihre kostbaren Gaben verweisen auf das Königtum (Gold), Priestertum (Weihrauch) und Prophetentum (Myrrhe zur Heilung), das den Menschen ursprünglich ausmacht und das ihm in der Taufe wieder geschenkt wird.
Bild: Darstellungen von Jesus und Maria sind oft voller Anspielungen auf Paradies und Sündenfall: Jesus mit dem Apfel ist der neuen Adam, Maria die neue Eva; von ihr sagt das Konzil: „Im Glauben und Gehorsam gebar sie den Sohn des Vaters auf Erden, und zwar ohne einen Mann zu erkennen, vom Heiligen Geist überschattet, als neue Eva, die nicht der alten Schlange, sondern dem Boten Gottes einen vom keinem Zweifel verfälschte Glauben schenkte“ (Lumen gentium 63). So kehrt der Glaube Ave Marias um, was Eva verkehrt hat, indem sie dem Lügenwort des gefallenen Engels (Schlange, Teufel) glaubte (Gen 3,4-7). Die Jungfrauengeburt ist Urbild der Taufgeburt jedes Gläubigen, was die ‚Erbsünde’ tilgt und das geistliche Paradies neu erschließt. Schöne Madonna, Eingangsportal der Kirche in der Benediktinerabtei Marienberg im Vinschgau bei Burgeis (Südtirol).
Der Apfel kommt in die Paradiesgeschichte wie Ochs und Esel zur Krippe (Jes 1,3), nämlich zufällig, aber mit tieferem Sinn. ‚Apfel’ und ‚Böses’ sind im Lateinischen dasselbe: malum (Böse mit langem a). Der Apfel spielt auf den ‚Apfelbaum’ im Paradies an, der wegen der „Feigenblätter“ (Gen 3,7) aber ein Feigenbaum ist. „Dass die Feige dieses Prinzip des Baumes der Erkenntnis verkörpert, kommt wahrscheinlich auch in den vielen kleinen ‚Kernen’ in der Erscheinungsform dieser Frucht zum Ausdruck, die den Drang zur Vielheit, zur großen [irdischen] Fruchtbarkeit darstellen. Man sieht darum in der Tat des Menschen, vom Baum der Erkenntnis zu essen, auch die Tat des Geschlechtsaktes“ (F. Weinreb, Schöpfung im Wort, 895). Als neuntes Schöpferwort hört der männlich-weibliche Mensch: „Seid fruchtbar und mehret euch“ (Gen 1,28). gleichzeitig erhält Adam das erste Gebot, nicht vom Fruchtbaum der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen, um nicht zu sterben (Gen 2,16). Der erste Auftrag meint die Fruchtbarkeit in einem himmlischen, geistlichen, bleibenden Sinn, das erste Verbot bezieht sich auf die Fruchtbarkeit in einem irdischen, sexuellen, sterblichen Sinn wie bei den ebenfall am sechsten Tag erschaffenen Land-Tieren. In gewisser Weise muss der Mensch aber doch vom Erkenntnisbaum essen, denn „dadurch entsteht die Menschheit. Der Mensch erzeugt die folgende Generation und nimmt den Tod auf sich. Das drückt sich überall aus, wo von ‚erschaffen’ die Rede ist. Aber so kann der Mensch angesichts des Todes als Folge des ‚seid fruchtbar und mehret euch’ Gott ‚umsonst’ dienen. Der Begriff ‚erschaffen’ [hebr. bara, 2-200-1] geht, wie es das Wort auch ausdrückt, über die ‚Zwei’, also auch über das Passieren der Schwelle des Todes, um nach der 490 [7 x 70] dieser Welt in die 500 der kommenden zu gelangen“ (896). Die 500 jenseits der 400 (= ursprünglich kreuzförmiges Taw als letzter hebräischer Buchstabe) ist unsichtbar, himmlisch und wieder wie die Eins = Aleph. Der Auferstandene erscheint „500 Brüdern“ zugleich (1 Kor 15,6). „Seid fruchtbar und mehret euch“, pru urebu, 80-20-6 6-200-2-6 = 500: Ziel ist die geistliche Fruchtbarkeit.
Bild: Bei der Herausführung Israels aus der ‚Knechtschaft’ in ‚Ägypten’, begleitet durch Wunder und „Plagen“ (Geburtswehen), soll Moses im Namen Gottes zum Pharao sagen: „Israel ist mein erstgeborener Sohn. Lass meinen Sohn ziehen, damit sie mich verehren können“ (Ex 4,22f). Der Pharao hat zuvor alle neugeborenen Knaben töten lassen, nicht die Mädchen (Ex 1,22); dasselbe macht Herodes bei der Geburt Jesu (Mt 2,16). Der ‚männliche Erstgeborene’ vermittelt zwischen Gott als Ursprung und dem Menschen auf Erden; es zu töten heißt, die (männliche = vertikale) „Er-innerung“ des Geistes (Joh 14,26) oder das „lebendige Gedächtnis der Kirche“ (KKK 1099f) zum Verschwinden zu bringen. Aber gerade dadurch geschieht die Befreiung aus der Zeit. Am 28. Dezember feiert die Kirche das „Fest der Unschuldigen Kinder“ (richtig wäre: Knaben). Kindermord von Bethlehem (Ausschnitt), Vatikan.
Im Hymnus des Kolosserbriefes (1,15-20), der Jesus als den Mittler der Schöpfung und der Erlösung preist, ist Jesus „der Erstgeborene der ganzen Schöpfung“ (V.15) und „der Erstgeborene der Toten“ (V.18). Im Weihnachtsevangelium nach Lukas heißt es, Maria „gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen“ (2,7). Das bedeutet nicht, dass Maria auch noch Zweit- oder Drittgeborene hätte. Vielmehr hat im Hebräischen der „Erstgeborene“, bechor, 2-20-200, die Struktur 222, ebenso berech, 2-200-20, für ‚Segen’ und Cherub, 20-200-2, die Kerubim als „Gesicht des Menschen“. Diese Struktur 222 bedeutet, dass sich der Segen „auf beide Welten, Himmel und Erde, und nicht ausschließlich auf den Himmel oder ausschließlich auf die Erde“ bezieht (F. Weinreb, Leben in Freiheit, 112; Der Weg durch den Tempel, 435). In Jesus als Sohn des Himmels oder „Sohn des Höchsten“ (Lk 1,32) ist der Bund als Verbindung von Erde und Himmel, des „Sichtbaren und des Unsichtbaren“, wiederhergestellt; denn durch ihn wollte Gott alles versöhnen: „Alles im Himmel und auf Erde wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut“ des Bundes (Kol 1,16.20). Auch an Weihnachten, dem „Hochfest der Geburt des Herrn, wird sein Tod und seine Auferstehung von den Toten verkündet wie in jeder Messfeier. Umgekehrt ist die jungfräuliche Geburt des Erstgeborenen auch schon österliches Zeichen. Denn durch die Überwindung des Todes ist die Zeit in Bibel und Liturgie ‚aufgehoben’. Deshalb können die Engel schon an Weihnachten den „Frieden“ (hebr. schalom) Gottes auf Erden verkünden, den Jesus erst als der Auferstandene bringt (Joh 14,27; 20,19.21). Im Judentum vermittelt der Priestersegen „die Ausgewogenheit zwischen Liebe und Grenze sowie zwischen Innerlichkeit und Äußerlichkeit“, das heißt zwischen Oben und Unten, Himmel und Erde; das Resultat „ist Frieden – ein Wort, das im Judentum ebenfalls als Gottesname gilt“(G. Strenger,Die Kunst des Betens. Spiritueller Leitfaden zum jüdischen Gebetbuch, 61). Den Namen ihres Erstgeborenen erfahren Maria und Josef vom Engel: Jesus = „JHWH rettet“ (Lk 1,31; 2,11; Mt 1,21).
Zum Bild: Das am 8. Dezember gefeierte Hochfest der ohne Erbsünde empfangenen Jungfrau Maria geht auf Papst Pius IX. zurück, der 1854 die „Unbefleckte Empfängnis“ mit der Bulle „Ineffabilis Deus“ zum Dogma erhob. Darin heißt es mit Bezug auf das Protoevangelium Gen 3,15, der „Feindschaft“ zwischen dem Nachwuchs der Frau und der Schlange: Während Eva durch den Fall zur „Sklavin der Schlange“ wurde, hat Maria „das giftige Haupt der grausamen Schlange zertreten und der Welt das Heil gebracht“. – Verkündigung des Dogmas, Vatikan.
Anna, hebr, chana = Gnade, ist in den Apokryphen die Mutter Marias und empfängt sie „unbefleckt“ ohne Erbsünde, weil Maria von Anfang an von Gott erwählt ist, die „neue Eva“ zu sein – als wahre Frau noch vor dem Sündenfall. „Der Tod kam durch Eva, das Leben durch Maria.“ Dieser auf Hieronymus, Augustinus und andere Kirchenväter zurückgehende Kernsatz der Mariologie steht im Zentrum der Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils über Maria (Lumen gentium 56). Ihr Ja-Wort im Glauben gegenüber dem Gotteswort des Verkündigungsengels bedeutet eine wirkliche Mitwirkung am Heil Christi, des Hauptes der Kirche, dass nämlich „die Gläubigen in der Kirche geboren würden, die dieses Hauptes Glieder sind“ (Augustinus, LG 53). „Daher blickt die Kirche auch in ihrem apostolischen Wirken mit Recht zu ihr auf, die Christus geboren hat, der dazu vom Heiligen Geist empfangen und von der Jungfrau geboren wurde, dass er durch die Kirche auch in den Herzen der Gläubigen geboren werde und wachse“ (LG 65). Für diese Herzensgeburt muss das Herz aber rein sein, denn ein unreines Herz kann Gott nicht schauen (Mt 5,8). Rein ist das Herz durch den wahren Glauben, denn durch ihn wohnt „Christus in eurem Herzen“ (Eph 3,17). Marias Glaube ist vollkommen, weil sie ein ganz und gar „unbeflecktes Herz“ hat, denn sie blieb als Gottesmutter „von jedem Makel der Erbsünde unversehrt bewahrt“ (LG 59). So ist sie „Typus der Kirche unter der Rücksicht … der vollkommenen Einheit mit Christus“ (LG 63). Wenn schon alle Getauften „einer“ sind in Christus (Gal 3,28), dann umso mehr Maria; denn „unsere Taufgeburt ist eine Nachbildung jener Geburt, die uns in der Überschattung des Geistes aus der Jungfrau den Erlöser geschenkt hat“ (Hugo Rahner). Durch die Ursünde (Erbsünde) geht das Paradies der Einheit mit Gott und der ‚Paradiesfrieden’ verloren, durch die Taufe wird es wieder erschlossen. In der ‚Welt’ herrscht dagegen die Zweiheit der durch den Fall ‚feindlich’ gewordenen Gegensätzen (Gen 3,15): Himmel und Erde, Geist und Körper („Fleisch“), das ‚Männliche’ (Innere) und das ‚Weibliche’ (Umhüllende). Durch Maria „voll der Gnade“ kommt die Urharmonie (Urfrieden) zurück: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erden ist Friede“ (Lk 2,14).
Bild: Bis zur Entdeckung Amerikas waren die Weltkarten nicht am Norden ausgerichtet, sondern buchstäblich am Osten (oriens) ‚orientiert’. Oben (Osten) lag Asien, unten links Europa (Norden) und unten rechts Afrika (Süden). Das irdische Paradies war der Gipfel eines hohen Berges im Mittelpunkt als „Nabel der Welt“ (Ez 38,12): ebenso urzeitliche wie endzeitliche Heimat des Menschen. Das Bild ist aus einer armenischen Handschrift, weshalb der Name Armenia zweimal blau unterstrichen ist.
Der Advent (Ankunft) verweist zugleich auf die Wiederkunft Christi am Ende der Zeit. Die Szene von Jesu Himmelfahrt 40 Tage nach Ostern endet mit der Aussage der Engel, dass Jesus „ebenso wiederkommen (wird), wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen“ (Apg 1,11). Zusammen mit Psalm 68,34: „der über die Himmel aufstieg gen Osten“ (hebr. kedem: Osten, Frühestes, Ursprung, die Einheitsübersetzung übersetzt „uralt“) wurde daraus geschlossen, dass Jesus als „Sonne der Gerechtigkeit“ (Mal 3,26) als aufgehendes Lichts vom Osten her kommen wird, die frühen Christen ihre Gebete und ihre Hoffnung gen Osten richteten und die Kirchen geostet wurden. Schon bei der ersten Ankunft spielt die Sonne und ein Psalm eine Rolle: In Psalm 19,6 beginnt die Sonne als Bräutigam wie ein frohlockender Held seine Jahresbahn im Frühling und tritt aus seinem Brautgemach hervor. Das wurde von der Inkarnation im Augenblick der Verkündigung an Maria verstanden, gefeiert am 25. März, dem alten Datum der Frühlings-Tagundnachtgleiche und des Schöpfungsanfangs, wenn die Sonne ganz im Ostpunkt aufgeht; neun Monate später ist dann Weihnachten am Punkt der Wintersonnenwende. Wie die erste Ankunft ein ‚hochzeitliches’ Mysterium der „Ein-Fleisch-werdung“ ist (vgl. Eph 5,31), so auch die Wiederkunft, wie das Gleichnis von den fünf klugen und fünf törichten Jungfrauen zeigt (Mt 25,1-13). Das bekannte Adventslied von Philipp Nicolai „Wachet auf“ (GL 554) von 1599 greift dieses Gleichnis der Endzeitrede Jesu auf, das seinerseits an das Hohelied der Liebe erinnert, das der Schluss-Stein der hebräischen Bibel ist, wo ein großes Gefolge von Frauen und Mädchen den Bräutigam-König zur Hochzeit begleitet (Hld 8,6): „‘Wachet auf‘, ruft uns die Stimme/ der Wächter sehr hoch auf der Zinne,/ ‚wach auf, du Stadt Jerusalem.‘/ Mitternacht heißt dieses Stunde;/ sie rufen uns mit hellem Munde:/ ‚Wo seid ihr klugen Jungfrauen?/ Wohlauf, der Bräutgam kommt,/ steht auf, die Lampen nehmt. Halleluja./ Macht euch bereit zu den Hochzeit,/ ihr müsset ihm entgegengehn.‘“ Das Ziel des wachsamen Entgegengehens zur Hochzeit mit dem göttlichen Bräutigam ist das endzeitliche Paradies „im Osten“ (Gen 2,8) als Wiederherstellung des Ursprungs.
Bild: Märtyrer, die ihr Leben für Christus hingegeben haben, wurden in der frühen Kirche als Heilige verehrt; Bischof Martin von Tours (4. Jh.) war der erste, dem als Nicht-Märtyrer diese Ehre zuteil wurde. Martin Luther hat die Heiligenverehrung abgeschafft: Christen sind jetzt „zugleich Heilige in der Hoffnung und real Sünder“ (simul iustus in spe et peccator in re). In den lutherischen Kirchen blieb sein Bild oder Relief übrig, gewissermaßen das einzige ‚Heiligenbild’ – spätgotische Martinskirche (vollendet 1613) im schwäbischen Metzingen bei Reutlingen
Das Gleichnis vom anvertrauten Geld (Mt 25,14-30) könnte als Grundlage des Kapitalismus verstanden werden könnte: „Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird auch weggenommen, was er hat“ (V.29). Der Mensch soll seine ihm von Gott anvertrauten „Talente“ nicht vergraben, sondern vermehren, zum Beispiel durch Verzinsung auf der Bank (V.27), was bei ‚Null Zinsen’ auch keine Option mehr ist. Die Kirche hat aus dem spätantiken und frühmittelalterlichen Bußwesen den Ablass entwickelt, um die ‚starre’ Buße gewissermaßen flexibler zu machen. Für die bereuten, gebeichteten und vergebenen Sünden wurden die zeitliche Bußstrafen ganz nachgelassen oder verkürzt, zunächst im Diesseits, seit der entwickelten Vorstellung eines ‚Reinigungsfeuers’ auch im Jenseits, wobei diese ‚Gnade’ käuflich erwerbbar war, durch ‚Beichtbriefe’ auch in Form einer verbrieften Gnade für alle Gelegenheiten. Vorausgesetzt ist dabei der ‚Gnadenschatz’ der Kirche aufgrund der Verdienste Christi und der Heiligen. Durch die beständige Ausweitung des gesellschaftlich akzeptierten Systems zur Finanzierung kirchlicher Vorhaben kam es in der Frühen Neuzeit zu einer Hyperinflation an Gnade und einer „Gnadenblase“ (so der Historiker Georg Habenicht). Luthers Kritik am Ablass richtete sich nicht etwa gegen eine Sündenvergebung gegen Geld (wie heute von Lutheraner immer noch behauptet wird), auch nicht gegen den Ablass als solchen, sondern gegen seinen Missbrauch. Mit seiner Umdeutung des „et – et“ (und – und) von Gnade und Werk in ein „solus“ (allein die Gnade, der Glaube, Christus, die Schrift) kam es faktisch zu einen „Totalablass“ und damit zum Systembruch: Gnade war jetzt „umsonst“. Die schon bei Augustinus zugespitzte Lehre von der ‚Vorherbestimmung’ zur ewigen Seligkeit oder Verdammnis führte bei Anhängern von Johannes Calvin (1509–1564) zum Glauben, äußere wirtschaftliche ‚Fruchtbarkeit’ oder Erfolg sei ein Zeichen der inneren ‚Gnadenwahl’: die Geburtsstunde des Kapitalismus. Die Verbindung von Geld und Gnade gibt es seit dem Konzil von Trient (Mitte 16. Jh.) nicht mehr, den Ablass schon.
Bild: Nach dem Jesuiten Stefan Kiechle ist Christ „nicht, wer Mitglied der Institution ist und an deren Aktivitäten teilnimmt, sondern wer glaubt und betet, wer aus der Schrift lebt, wer solidarisch ist und Schwachen hilft“ (6. Nov. 2020). Anders Cyrill von Jerusalem: „Nachdem ihr nun an dem Gesalbten Anteil erhalten habt, werdet ihr mit Recht Gesalbte [= Christen] genannt.“ „Durch die Taufe gliedert er (Gott) uns dem Leib seines Christus, des Gesalbten, ein“ (KKK 2782). Den fünf törichten Jungfrauen ist das Öl ausgegangen – Liebfrauenkirche Ravensburg.
Das Öl, das im Gleichnis von den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen, letzteren ausgeht, um dem wiederkommenden Bräutigam entgegen gehen zu können (Mt 15,1-13), meint nicht einen Besitz, den die frühen Christen gemeinsam haben (Apg 2,44). Es symbolisiert die Sehnsucht des Herzens, angefacht vom Heiligen Geist, der auch „Salböl“ heißt (1 Joh 2,20.26). Ohne sein Feuer kann niemand dem göttlichen Bräutigam entgegengehen. In der frühen Exegese wird die Fünfzahl der Jungfrauen auch auf die äußeren und inneren Sinne bezogen. Nach Origenes (185–um 254) sind die ‚törichten’ Jungfrauen jene, die, als „die Stimme der Engel … die schlummernden Sinne wecken wollen“, nicht „auf geziemende Weise ihre Lampen“ herrichteten: „Denn waren sie auch Törichte, so verstanden sie doch, dass sie mit Licht dem Bräutigam entgegengehen müssten, alle Lampen der Sinne entzündet tragend…“. Das Wort ‚töricht’ (griech. morai) wird auch für das „schal“ oder „dumm“ gewordene Salz als Bild für die lauen Christen gebraucht, das „hinausgeworfen und von den Menschen zertreten wird“, weil es „zu nichts mehr taugt“ (Mt 5,13). Wie den Klugen die einzelnen Tugenden, „die ihrem Wesen nach Christus (selbst) sind“, im Hören und Tun des Wortes Gottes folgten, „so folgten auch die Sinnesvermögen einander“ und erlangten die Weisheit durch den rechten Gebrauch der fünf Sinne. Wenn das Wort Gottes „einen der Sinne weise gemacht und ihn zur ‚Jungfrau’ umgebildet hat“, dann hat es „notwendig auch seine Weisheit in den andern Sinnen“ ausgegossen: „Darum ist es undenkbar, dass bei jemand einige der fünf Sinne ‚klug’, die andern ‚töricht’ seien, sondern auf alle Fälle sind entweder alle fünf weise oder alle töricht. Alle diese Sinne nun nehmen ihre ‚Lampen’, wenn sie annehmen, dass das Wort Gottes und der Sohn Gottes der Bräutigam der Kirche ist, und so ‚gehen sie hinaus’ aus der Welt und aus den Irrtümern der vielen Götter und ‚ziehen’ dem Erlöser ‚entgegen’, der immerdar bereit ist, zu diesen Jungfrauen zu kommen, um vereint mit denen aus ihnen, die würdig sind, zur seligen Braut, der Kirche, einzugehen.“
Bild: Die Einzigkeit des Mittlers Christi schließt „im geschöpflichen Bereich eine unterschiedliche Teilnahme an der einzigen Quelle in der Mitwirkung nicht aus, sondern erweckt sie“ (Lumen gentium 62). Das gilt besonders für alle Heiligen, erst recht für Maria in ihrer „einzigartigen Heiligkeit“ (LG 56). Die Reformatoren haben die Heiligenverehrung dagegen als Konkurrenz zur Gottesverehrung abgeschafft; dabei bezeugt sie gerade die Wirksamkeit der Gnade – die Heiligen in gold-weißen Gewändern hinter den hl. drei Königen ziehen zum Christkind auf dem Schoß seiner Mutter, Sant’ Apollinare Nuovo, Ravenna.
Gott will die Heiligung des Menschen (1 Thess 4,2), dass er „vollkommen“ ist (Mt 5,48) und seine Gerechtigkeit „weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer“ (Mt 5,20). Denn als (Tod-)Sünder beziehungsweise sterbliches „Fleisch“ kann der Mensch keine Gemeinschaft mit dem heiligen Gott habe, der „verzehrendes Feuer“ ist (vgl. Dtn 4,24; Lev 19,2; Hebr 12,29; 1 Joh 3,3-10). Gott liebt den Menschen nicht so, wie er gerade ist, nämlich bestimmt vom „Fleisch“, sondern so, dass er sich vom Heiligen Geist bestimmen lässt (Röm 8,8; vgl. Gal 5,19-25). Das tut er, wenn er Jesus nachfolgt, der in seinem Gehorsam „bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2,6) ganz dem Geist folgt, der ihn von Anfang an „antreibt“ (Mk 1,12). So ist er ganz heilig und gerecht „ohne Sünde“ (1 Joh 3,5; Hebr 7,26). Nach dem II. Vatikanum wird „als ‚allein Heiliger’ gepriesen“, weil er „Urbild jeder Vollkommenheit“ ist: „Urheber und Vollender“ der Heiligkeit des Lebens (LG 39; 40). Weil er das am Kreuz ‚geschlachtete’ Osterlamm ist, betet ihn die ganze Schöpfung als Gott an (Offb 5,12-14). In seinem Blut haben die Blutzeugen des Glaubens ihre Gewänder „weiß gemacht“ (Offb 7,14), das heißt ihr Leben vollendet und in Christus gekrönt, mit dem sie ganz ‚eins’ geworden sind (vgl. Gal 3,20). „Die Heiligen sind die Lebendigen, und die Lebendigen sind die Heiligen“ (Origenes). In den acht Seligpreisungen als Auftakt der Bergpredigt weist Jesus den Weg zum Leben und zur Seligkeit (Mt 5,3-10), wobei die Zahl acht auf die Auferstehung (am 8. Tag) hinweist. Im Dekret über die Missionstätigkeit Ad gentes (Nr. 5) heißt es: Die Kirche „setzt die Sendung Christi selbst fort, der den Armen frohe Botschaft zu bringen gesandt war, und entfaltet sie die Geschichte hindurch. Deshalb muss sie unter der Führung des Geistes denselben Weg gehen, den Christus gegangen ist, nämlich den Weg der Armut, des Gehorsams, des Dienens und des Selbstopfers bis zum Tode hin, aus dem er dann durch seine Auferstehung als Sieger hervorging.“ Entsprechend wandelten „alle Apostel“ und auch alle Heiligen. „Oft auch erwies sich das Blut der Christen [Martyrium] als Same“ für neue Christen (AG 5).
Bild: Die Symbolik des Kleides (= Körpers) zieht sich durch die Bibel vom Anfang bis zum Ende. In der Taufe als Mitsterben und Mitauferstehen mit Jesus erhalten die Täuflinge ein „weißes Kleid“ als Teilhabe an dem „einen“ Christus in dem „einen“ neuen Leib der Auferstehung (Gal 3,28; Eph 4,4). In der Eucharistie werden alle Empfänger des Sakraments im Glauben zu dem einen mystische Leib Christi, der Kirche. Ihr Vorausbild ist die erste Eva im Paradies (vgl. 2 Kor 11,29) noch im „Urstand“ der Heiligkeit und Gerechtigkeit und damit auch in der göttlichen Ur-Schönheit – Christus als Schöpfer zieht Eva nach dem Fall das Fell eines sterblichen Tieres über die Ohren, Relief am Eingangsportal des Ulmer Münsters.
Dafür, dass der Mensch im Vergleich zum behaarten Tier nackt ist, gibt es evolutionsbiologisch keine stimmige Erklärung. Ein Vorteil besteht lediglich darin, dass die bessere Transpiration die Ausdauer beim Erjagen von Beutetieren erleichtert. Dem stehen die Nachteile des Frierens und der dauernden Sorge um angemessene Kleidung gegenüber. Im Paradies ist das erste Menschenpaar „nackt, aber sie schämten sich nicht voreinander“ (Gen 2,25). Die Scham kommt erst, als mit dem Sündenfall die zwei Augen aufgehen (3,7), das eine Oculus contemplationis sich aber schließt. Die Schurze aus Feigenblättern (3,7-11) verbergen die Nacktheit vor sich und vor Gott, das heißt die fehlende „Herrlichkeit“ der Unsterblichkeit, nicht. Auch die ihnen von Gott gemachten „Röcke aus Fellen“ bekleiden nicht wirklich (3,21). Drückt sich doch darin der Verlust der Gottähnlichkeit aus, die jetzt zur Tierähnlichkeit und Sterblichkeit geworden ist. Gottähnlich ist der Mensch als der Eine vor dem Genuss der Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse: dem Baum der Zweiheit (Vielheit) im Gegenüber zum Baum des (ewigen) Lebens (Gen 2,9). Das haarige Fell (hebr. or, 70-6-200) symbolisiert die Vielheit; die mit dem Licht (hebr. or, 1-6-200) der herrlichen Gnade bekleidete Nacktheit symbolisiert die Einheit. Im österlichen Sieg über Sünde, Tod und Teufel am Kreuz hat Jesus, der seiner Kleider ‚beraubt’ wird (Joh 19,23f), das ursprüngliche ‚Kleid’ wieder erworben, nach dem sich Paulus sehnt: „Im gegenwärtigen Zustand seufzen wir uns sehnen uns danach, mit dem himmlischen Haus überkleidet zu werden. So bekleidet, werden wir nicht nackt erscheinen. Solange wir nämlich in diesem Zelt [= Körper] leben, seufzen wir unter schwerem Druck, weil wir nicht entkleidet, sondern überkleidet werden möchten, damit so das Sterbliche vom Leben verschlungen werde“ (2 Kor 5,2-4). Jesu Sieg über den Tod erschafft das ‚neue Kleid’ seines himmlischen Lichtleibes der Auferstehung (1 Kor 15,45-54). Gesät wird ein schwacher, verweslicher Leib als „nacktes Samenkorn“, auferweckt ein unsterblicher, pneumatischer Leib in Herrlichkeit (1 Kor 15,37.42-44).
Bild: Maria aus Magdala ist (nach Joh 20,11-18) die erste Zeugin der Auferstehung Jesu. Von daher wollen Frauen heute auch das Weihesakrament erhalten können, zumal Paulus in Röm 16,7 von der ‚Apostolin’ Junia spricht. Die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands hat den alten Titel ihrer Zeitschrift „Frau und Mutter“ im Sept. 2020 entsprechend in „Junia“ umbenannt und gleichzeitig deren Aufnahme in den Heiligenkalender gefordert. Unklar bleibt, ob Junia nicht doch männlich Junias heißt – der Auferstandene erscheint als „Gärtner“ Maria Magdalena, diese symbolisiert die „Braut“ aus dem Hohelied der Liebe: Sylvesterkapelle (ausgemalt 1472) des Münsters Unserer Lieben Frau, Konstanz.
Die Gruppe der „zwölf“ von Jesus erwählten Apostel steht für das Haupt und Fundament der katholischen Kirche. Diese versteht sich von der Eucharistie her als eine sakramentale Kirche, in der es notwendig auch das Weihe-Sakrament (Ordo) gibt. Eph 2,20 sagt den Getauften: „Ihr seid auf das Fundament der Apostel und Propheten gebaut; der Schlussstein ist Christus Jesus selbst.“ Vom himmlischen Jerusalem als „Frau“ und „Braut“ des „Lammes Gottes“ (= Jesus) wird gesagt: „Die Mauer der Stadt hat zwölf Grundsteine; auf ihnen stehen die Namen der zwölf Apostel des Lammes“ (Offb 21,14). Die Zwölf Apostel sind die Entsprechung des neutestamentlichen Gottesvolkes zu den zwölf Stämmen Israels, die auf die zwölf Tierkreiszeichen verweisen: Israel verkörpert als Bundesvolk die ‚Braut’ des Schöpfers (Jes 62,5; vgl. 61,11). Ebenso steht die Kirche stellvertretend für die ganze Schöpfung; auch sie soll von „das Sklaverei [der Sünde] und Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (Röm 8,21). Bis zur endgültigen „Erlösung unseres Leibes“ (V.23) liegt die ganze Schöpfung „in Geburtswehen“ (V.22). Wie die Schöpfung somit weiblich ist und den Charakter der Ant-wort hat auf das ‚männliche’ Samen-Wort des Schöpfers (Logos), so sind auch Israel und die Kirche grundlegend weiblich. Das ‚Voraus’ des Schöpfers gegenüber seiner Schöpfung und Kirche repräsentieren die Apostel und in ihrer Nachfolge die Bischöfe (in Einheit mit dem Petrusdienst des Papstes) und die Priester als Bischofs-Mitarbeiter bei der Eucharistie als „Hochzeitsmahl des Lammes“ (Offb 19,9). Nach Paulus nennt ist ‚Apostel’ ein ‚Abgesandter’ der Gemeinde (2 Kor 8,33; Phil 2,25), er spricht aber auch von den zwölf ‚Uraposteln’ (1 Kor 12,28f; 15,5). Karl-Heinz Menke verweist auf den ‚hochzeitlichen’ Bund Gottes mit Israel und Christi mit der Kirche als Grund der Schöpfung: „Das Zueinander der Geschlechter ist deshalb kein austauschbares, sondern ein sakramentales Symbol.“ „In Gen 1–2 ist die Geschlechterdifferenz nicht Zufälliges, sondern Ausdruck des Schöpferwillens und deshalb eine sakramentale Wirklichkeit“ (Sakramentalität,³2018, 82).
Bild: Der Statthalter Pontius Pilatus will Jesus wegen erwiesener Unschuld freilassen, lässt dann aber lieber den Mörder Bar-Abbas (Sohn des Vaters) frei, weil das Volk es so will (Mt 27,15-21.26). Er selbst will mit all dem nichts zu tun; er lässt sich daher Wasser bringen und wäscht sich vor allen Augen seine Hände in „Unschuld“ (Mt 27,24). Obwohl es gerade seine Aufgabe als Richter wäre, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterschieden, hält er sich lieber heraus – aus einem Zyklus spätgotischer Fresken in der Kirche S. Maria della Misericordia, Ascona, Tessin (Schweiz).
„Gelitten unter Pontius Pilatus“ heißt es im Glaubensbekenntnis. Am Anfang und Ende des Lebens Jesu stehen Figuren der Zeitgeschichte. Herodes (73–4 v. Chr.) ließ wie der ägyptische Pharao die neugeborenen Knaben der Hebräer töten, um einen vermeintlichen Rivalen zu beseitigen (Mt 2,16; Ex 1,22). Der kaiserliche Statthalter in der Provinz Judäa, Pontius Pilatus (reg. 26–36), ließ Jesus auf Druck der jüdischen Autoritäten geißeln und kreuzigen. Jesus wird an Pilatus ‚überliefert’ (Mt 27,2), der ihn an die Soldaten überliefert. Zuvor hatte Judas Jesus an die jüdischen Autoritäten durch einen Kuss ‚verraten’ (Mt 26,48f), das heißt ‚überliefert’ (Verräter, lat. traditor). Das Johannesevangelium ‚überliefert’ einen Dialog zwischen Pilatus und Jesus, der sich als wahrer ‚König’ zu erkennen gibt: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18,37). Die Antwort des Pilatus „Was ist Wahrheit?“ (V.38) lässt diesen als Skeptiker, Agnostiker und Relativist erscheinen. Jesus hingegen offenbart sich als „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6). Wahrheit ist hebr. emeth, 1-40-400; lässt man die Eins/Alpeh weg, wird daraus meth oder meweth = Tod; lässt man bei Adam, 1-4-40, die Eins/Aleph weg, wird daraus dam = Blut. Eins/Aleph ist das Symbol Gottes als Quell des lebendig machenden Geistes der Wahrheit; die Zahlen 4,40,400 stehen für die Welt der Materie und des Todes. Der Mensch gehört der geistigen und der körperlichen Welt an und soll beide Welten verbinden, deshalb wird er am ‚sechsten’ Tag erschaffen: Der sechste hebr. Buchstabe Waw ist ein Haken I, der Oben und Unten, Himmel und Erde im ‚Bund’ verbindet. Pilatus sagt: „Seht, da ist der Mensch“ (Joh 19,5) und verurteilt Jesus am „Rüsttag des Paschafestes, ungefähr um die sechste Stunde“ (19,14), das heißt am (Kar-)Freitag (= sechster Tag) zum Tod am Kreuz. Dort verbindet der „erhöhte“ Jesus durch sein „Blut des Bundes“ (Mt 26,28) Himmel und Erde, 1 und 4 (Joh 12,32).
Bild: Nach der sechsmaligen Marienerscheinung 1917 vor drei kleinen Hirtenkinder wurde Fatima zu einem der größten Wallfahrtsorte der Welt. Die Kinder begriffen nicht, was sie schauten und hörten, doch gerade so wurde ihnen eine himmlische Offenbarung zuteil. Nicht nur Papst Johannes Paul II. hat als großer Marienverehrer Fatima besucht, sondern auch sein Nachfolger, Papst Benedikt XVI., sowie Papst Franziskus, letzterer zur Heiligsprechung von zwei der drei Seherkinder zum 100-jahr-Jubiläum der Erscheinungen am 13. Mai 2017. Zum Glauben gehören die Torheit des Kreuzes, eine kindliche Unbeschwertheit, Neugier und Offenheit sowie eine gewisse Einfalt. Einfältig ist nicht vielfältig: ein Sich-Verlieren in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen – Wallfahrtskirche von Fatima, davor ein monumentaler Rosenkranz mit einem Kreuz.
Das zehnminütige „Sonnenwunder“ am 13. Oktober 1917 in Fatima im Herzen Portugals gegen Ende des Weltkriegs bestätigte die vorangegangenen sechsmaligen Erscheinungen der Gottesmutter Maria vor drei Seherkindern, von denen zwei kurz danach starben: Francisco, Jacinta und Lucia. Mehr als 70 000 Menschen waren ihnen bei zunächst strömendem Regen auf die weite Ebene der Cova da Iria nahe des kleinen Ortes Fatima gefolgt, um sich selbst von der (Un-)Wahrheit der für unglaubwürdig erachteten Erscheinungen zu überzeugen. Die Augenzeugen berichteten hinterher, dass die Wolken beiseite geschoben wurden, die Sonne vollführte eine Art Tanz und schien bedrohlich auf die Erde hin zu stürzen: „Das Licht wechselte in ein schönes Blau, als ob es durch die Buntglas-Fenster einer Kathedrale gekommen sei, und verbreitete sich über die Leute, die mit ausgestreckten Händen knieten, weinten, beteten.“ Auch wenn nicht alle das Wunder sahen, so wurden doch die nassen Kleider aller mit einem Schlag getrocknet. Die Botschaft der Gottesmutter war ein Aufruf zur Umkehr und zum Gebet, sie enthielt aber auch „drei Geheimnisse“: den Hinweis auf Ausbruch eines zweiten Weltkriegs, auf die Bekehrung Russlands und auf die Tötung „eines in Weiß gekleideten Bischofs“. Genau 64 Jahre nach der ersten Erscheinung, am 13. Mai 1981, traf eine Kugel Papst Johannes Paul II. auf dem Petersplatz in den Bauch knapp unter der Hauptschlagader. Der Papst schrieb seine Rettung sofort der Gottesmutter von Fatima zu. Bei seinem Besuch ein Jahr später in Fatima ließ er die Kugel als Zeichen der Dankbarkeit für seine Rettung in die Krone der Marienstatue einarbeiten. 1858 erschien Maria in Lourdes am nördlichen Fuß der Pyrenäen nahe der Höhle Massabielle mit der späteren Heilquelle als weißgekleidete Dame mit Rosenkranz in der Hand insgesamt 18mal dem 14-jährigen Mädchen Bernadette Soubirous. Der Psalmist sagt: „Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge schaffst du dir Lob“ (Ps 8,3; Mt 21,16). Ebenso preist Jesus den Vater, „weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast“ (Mt 11,25).
Bild: Die Unterkleidung des Priesters in der katholischen Kirche ist die (weiße) „Albe“ (vgl. das weiße Taufkleid). Vom Mond aus betrachtet sieht die Erde wie ein strahlender blau-weißer Globus aus, umrahmt von der Schwärze des Weltalls. Wie weiß etwas tatsächlich erscheint, hängt vom Anteil des reflektierten Lichts ab (= Albedo). Schwarz reflektiert etwa fünf Prozent, die Albedo ist 0,05; die Albedo des Mondes, die stark variiert, ist etwa 0,12, die der Erde 0,3, die von Neuschnee 0,8–0,9. Vor dem schwarzen Hintergrund des Alls erscheint selbst noch der Mond silbergrau bis fast weiß. Der Vollmond ist das kosmische Symbol der Auferstehung des Körpers; deshalb wird Ostern am ersten Sonn-tag nach dem Frühlings-Vollmond gefeiert. Darstellungen zeigen das Kreuz oft zwischen ‚männlicher’ Sonne und ‚weiblichem’ Mond (Sol und Luna, Yang und Yin) als Symbol der messianischen Hochzeit Christi mit der Kirche (repräsentiert durch die „Frau“ Maria: Joh 2,4; 19,26) – armenische Buchmalerei.
Das Teuerste einer Hochzeitsfeier ist heute das Brautkleid. Bis zum Zweiten Weltkrieg waren die Brautkleider meist schwarz, weil sie auch noch weiter zu festlichen Anlässen oder als ‚Sonntagsstaat’ genutzt wurden; eine einmalige Nutzung wie heute wäre viel zu teuer gewesen. Das Hochzeitskleid, das Jesus im Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl auch von denen verlangt, die erst als ‚zweite Wahl’ von der Straße und den Zäunen weg eingeladen wurden (Mt 22,11-13), kann man nicht kaufen. Im Reich Gottes als Reich der Vollendung aber braucht es ein besonderes Kleid der Vollendung. Dessen Farbe ist das Weiß, weil Weiß die sieben Farben des Spektrums auf höherer Ebene vereint. Weiß bedeutet „alle Farben zusammen“, so der Thora-Gelehrte Friedrich Weinreb: „Weil die Thora eine Einheit ist, ist die Farbe der Thora das Weiß.“ Auch die ‚roten‘ Sünden müssen „weiß gewaschen werden wie Schnee“ (Das Opfer in der Bibel, 362; zum „Schnee“ vgl. Ps 51,9 und das Weiß der Verklärung: Mt 28,3). Auch die Engel tragen weiße Gewänder (Joh 20,12). Das himmlische Jerusalem ist die von oben herabkommende „Braut“ des wahren Osterlammes, in dessen (roten) Blut die Glaubenszeugen „ihre Gewänder gewaschen und im Blut des Lammes weiß gemacht“ haben (Offb 7,14). In der Apokalypse reitet Jesus, „das Wort Gottes“, im Endkampf auf einem „weißen Pferd“, bekleidet mit einem (vom Blut der Feinde) „blutgetränkten Gewand“. „Die Heere des Himmels folgten ihm auf weißen Pferden; sie waren in reines, weißes Leinen gekleidet“ (Offb 19,11-14). Zum Weltgericht sitzt Christus auf einem „großen weißen Thron“ (Offb 20,11). Der Gegensatz zur liturgischen Farbe weiß an Ostern ist das Rot (hebr. Edom) des Irdischen, womit auch ‚Adam’ (aus der ‚roten Erde’ gemacht) zusammenhängt: „Was Edom (Esau) ist und bedeutet, nämlich ‚rot‘, das besitzt also auch der Mensch Adam. Und trotzdem heißt es immer: Dieses Rot, das an der Königsseite steht, muss dennoch weiß gemacht werden, denn man sieht es nur als Durchgangsphase, nicht als Endziel. Die Endfarbe ist ja doch Weiß. Auch einen Toten kleidet man in Weiß, weil er vollendet ist, er hat alle Farben in sich“ (ebd.).
Bild: Zum Erntedank werden die Früchte der Erde und der menschlichen Arbeit auf den Altar gelegt. Die eigentliche Danksagung aber ist die Feier der Eucharistie mit Brot und Wein, die durch Herabrufung des Heiligen Geistes (Epiklese) verwandelt werden in den heiligen Leib und das heilige Blut Christi. Daran erhalten alle gläubigen Getauften Anteil, um so in Christus ganz ‚eins’ und ‚fruchtbar’ zu sein: „Mein Vater wird dadurch verherrlicht, dass ihr reiche Frucht bringt und meine Jünger werdet“ (Joh 15,8). Christus selbst hat sich gleich einem Weizenkorn, das in die Erde fällt, aus Liebe für seine Kirche hingegeben, um so ‚reiche Frucht’ zu bringen (Joh 12,24) – Frucht des himmlischen Geistes, nicht des irdischen Fleisches:
„Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts“ (Joh 6,63). Erntedankaltar in Hechingen mit Brot und Wein in Bezug auf die hl. Eucharistie.
Der Schöpfer-Auftrag „Seid fruchtbar und mehret euch“ (Gen 1,28) ist das erste Wort, das Gott direkt an den von ihm männlich-weiblich geschaffenen Menschen richtet. Menschliches Leben scheint darin seinen Sinn zu finden, dass es sich mehrt wie das der Tiere und so am Leben erhält. Lebenserhaltung ist aber noch kein Lebenssinn. Der Auftrag heißt weiter: „Bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tier, die sich auf dem Land regen.“ Wie aber sollte der Mensch über die Fische in der Tiefe des Meeres und die Vögel in den Höhen des Himmels herrschen? Über einige Landtiere geht das eher, sie wurde zu „Nutztieren“ gemacht, zu „Fleischlieferanten“ in einer „Fleischindustrie“, was heute zu Recht sehr kritisch gesehen wird. Immer mehr melden Theologen auch die Notwendigkeit einer „Tierethik“ an, die bisher viel zu sehr vernachlässigt worden sei. Im geistigen Sinn meint Tierherrschaft auch nicht die äußeren Tiere, sondern die inneren ‚Triebe’: Tierherrschaft ist dann Selbstherrschaft, Selbstbeherrschung. Paulus zählt sie zur „Frucht des Geistes“, zusammen Sanftmut, Treue, Güte, Freundlichkeit, Langmut, Friede, Freude, Liebe, insgesamt neun (3 x 3) Früchte (Gal 5,22f). Dem steht 16 (4 x 4) „Werke des Fleisches“ gegenüber wie Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst usw.: „Wer so etwas tut, wird das Reich Gottes nicht erben“ (Gal 5,19-21). Das Gleichnis von den bösen Winzern (Mt 21,33-46) spricht von den von Gott erwarteten „Früchten“ des Reiches Gottes (V.44); sie werden von den ersten Pächtern des Weinbergs nicht nur nicht erbracht, sie töten auch den gesandten Sohn des Weinbergbesitzers, um die Früchte für sich zu haben (V.39). Die natürliche Fruchtbarkeit, erst recht nicht die durch Unrecht erworbene, ist nicht das, was der Schöpfer mit seinem Auftrag meint, sondern die übernatürliche Fruchtbarkeit des Geistes. Quelle aller geistlichen Fruchtbarkeit ist der Gekreuzigte, aus dessen geöffneter Seite Blut und Wasser hervorströmen, Zeichen der kirchlichen Hauptsakramente Eucharistie und Taufe (Joh 19,30).
Bild: Um das Fest Kreuzerhöhung (14. Sept.) schaut Franziskus auf dem Alverna (Toskana) in einer Vision den Gekreuzigten als sechsflügeligen Seraphen und darin den Weg des Kreuzes als ‚Weg der Schönheit‘: Er erkannte „in der Schönheit der Geschöpfe den Allerschönsten“. Bonaventura (1221–1274), siebter Ordensgeneral, sah in der Sechszahl der Flügel einen Hinweis auf die sechs „Sprossen der Erleuchtung“, die der Gekreuzigte als „Himmelsleiter“ selbst ist (vgl. Joh 1,51) - Schatzkammer des Stephansdoms, Wien.
Als „alter Christus – zweiter Christus“ galt Franz von Assisi schon zu Lebzeiten (1181/82–1226). Er gehört zu den kirchengeschichtlich herausragenden Heiligen als „Zeugen seiner Gegenwart“, in denen sich nach Bernhard von Clairvaux eine ‚mittlere‘ dritte Ankunft (Adventus medius) Christi ereignet nach der ‚ersten Ankunft’ in seiner Fleischwerdung und vor der ‚letzten Ankunft’ in seiner Wiederkunft in Herrlichkeit. Auch in der Eucharistie ist Christus gegenwärtig und am Kommen, doch in den großen Heiligen bezeugt er seine Gnade besonders wirkmächtig. Von Christus erhielt der junge Franziskus den Auftrag, „mein Haus“ wiederherzustellen. Das verstand er zunächst von der Portiunkula-Kapelle im Tal von Assisi, die er eigenhändig wieder aufbaute. Tatsächlich ist aber zuerst das innere ‚Haus‘, der geistige Tempel des Herzens zu reinigen und aufzubauen, bevor mit der Erneuerung des äußeren Baus der Kirche oder gar der großen Kirchenreform begonnen werden kann: „Als Gegenpol zur weit ausgespannten Sendung, die gesamte Kirche zu erneuern, ist es gut, hier auf die eigene Personmitte verwiesen zu werden, den Kreuzesauftrag also nicht nur in seiner universalen Weite, sondern auch in seiner mystischen Tiefe zu verstehen. Wer immer nur nach außen schaut, auf das, was zu bauen und zu reparieren ist, verliert sich leicht in Geschäftigkeit und äußerem Betrieb“ (Leonhard Lehmann, „Geh hin, stelle mein Haus wieder her!“ Überlegungen zum franziskanischen Grundauftrag, in: Geist und Leben 2/1991, 129-141, 138). Papst Franziskus, der als erster Pontifex den Namen des Poverello für sein Pontifikat gewählt hat, um zu anzuzeigen, wie sehr er – wie schon sein Ordensvater Ignatius von Loyola – von dem Heiligen inspiriert ist, spricht oft vom „gemeinsamen Haus“ der Menschheit. Dieses Haus ist heute vielfältig bedroht, besonders von der Klimaerwärmung. Schon die im „Sonnengesang“ gelobte Schöpfung ist „Haus Gottes“: „Hier ist nichts anders als das Haus Gottes und das Tor des Himmels“, sagt Jakob nach seinem Traum von der Leiter, die Himmel und Erde verbindet (Gen 28,18) – ein Vers, der über dem Portal von Kirchen stand.
Bild: Dem jüdischen Neujahrsfest Rosch Ha-Schana (Kopf des Jahres, der Veränderung), 2020 am 19. September, folgt eine zehntägige Reue, Buß- und Fastenzeit der Umkehr (hebr. Teschuwa): „Teschuwa ist die Rückkehr zu unserem ursprünglichen, göttlichen Selbst“ (Gabriel Strenger, Jüdische Spiritualität in der Tora, 414). Die Umkehr drückt die Sehnsucht aus, dass Gott die Gläubigen in die Zeit oder besser Ewigkeit „vor der Veränderung“ zurückbringt. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn kehrt dieser nach seiner Zeit bei den „Schweinen“ ebenfalls zum Ursprung zurück und erhält vom barmherzigen Vater das „erste Kleid“ (Lk 15,22), das heißt das ursprüngliche weiße Lichtkleid des Paradieses vor dem Fall in die Zeit. Das Neujahrsfest mündet in den Jom Kippur (dieses Jahr am 28. September), den strengsten Fast- und Abstinenztag, der an fünf Gottesdiensten in weißen Kleidern (Totenkleidern, Kleidern der Vollendung) gefeiert wird; nach der Sündenvergebung bricht Jubel aus und wird das Schofarhorn geblasen – Der Engel der Ewigkeit bläst bei der Schöpfung das Schofarhorn: Marc Chagall, Fraumünster Zürich, gelbes Zionsfenster rechts neben dem grünen Christusfenster: der Gekreuzigte am (grünen) Baum des ewigen Lebens.
Der Jom Kippur (Tag der Bedeckungen, der Sühnungen) ist der höchste jüdische Feiertag: „Im siebten Monat [Tischri: September/Oktober], am zehnten des Monats, sollt ihr euch [sexuelle] Enthaltung auferlegen und keinerlei Arbeit tun… Denn an diesem Tag entsühnt man euch, um euch zu reinigen. Vor dem Herrn werdet ihr von allen euren Sünden wieder rein. Dieser Tag ist für euch ein vollständiger Ruhetag…“ (Lev 16,29-31). An diesem Tag vollzog der Hohepriester im Allerheiligsten des Tempels den Ritus der Bundeserneuerung durch das siebenmalige Spritzen von Opferblut gegen die Vorderseite der Deckplatte der Bundeslade mit den Zehn Geboten: „So soll er das Heiligtum von den Unreinheiten der Israeliten, von all ihr Freveltaten und Sünden entsühnen, und so soll er mit dem Offenbarungszelt verfahren, das bei ihnen inmitten ihrer Unreinheiten ihren Sitz hat. Kein Mensch darf im Offenbarungszelt sein, wenn er in das Heiligtum eintritt, um die Sühne zu vollziehen…“ (Lev 16,16f). Der eine Hohepriester in dem einen Heiligtum im weißen Leinengewand an dem einen Tag repräsentiert den einen Gott, der Israel durch den kultischen Sühneritus mit sich versöhnt, die ‚roten’ Sünden „weißer als Schnee“ macht (Ps 51,9; vgl. Mt 28,3). Bei Paulus tritt der Gekreuzigte an die Stelle des Versöhnungsritus am Jom Kippur: „Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben“ (Röm 3,25). Die Reinigung durch das Opferblut von Böcken und Stieren wie der Jerusalemer Tempel mit seinem Opferritus waren nur „Abbild und Schatten“ (Hebr 8,5; 9,24) für die wahre (innere) Reinigung: „Wieviel mehr wird das Blut Christi, der sich selbst kraft ewigen Geistes Gott als makelloses Opfer dargebracht hat, unser Gewissen von toten Werken reinigen, damit wir dem lebendigen Gott leben. Und darum ist er der Mittler eines neuen Bundes; sein Tod hat die Erlösung von den im ersten Bund begangenen Übertretungen bewirk, damit die Berufenen das verheißene ewige Erbe erlangen“ (Hebr 9,14f). Christus hat „die Reinigung von den Sünden bewirkt“ und so den alles andere weit überragenden Namen geerbt (Hebr 1,3f).
Bild: Nach dem jüdischen Kalender wird im sechsten Monat Ellul (im Zeichen „Jungfrau“) täglich das Schofar-Horn (Widderhorn) geblasen, das an die Schöpfung erinnert. In der Orthodoxie beginnt das Kirchenjahr am 1. September mit dem „Tag der Schöpfung“; das erste Fest im neuen Jahr ist Mariä Geburt. Das Kirchenjahr endet mit dem Hochfest Maria Entschlafung (Himmelfahrt) am 28. August (nach dem Julian. Kalender). Nach dem apokryphen Jakobusevangelium ist Maria als Tempeljungfrau aufgewachsen (Mariä Tempelgang), was ihre enge Beziehung zum Haus Gottes (als Bild der Kirche) zum Ausdruck bringt. Schon als Dreijährige wird Maria von ihren Eltern Joachim und Anna zum Tempel des Herrn gebracht, wo der Priester sie in Obhut nimmt, sie küsst, segnet und spricht: „Groß gemacht hat der Herr deinen Namen unter allen Geschlechtern. An dir wird am Ende der Tage der Herr sein Lösegeld den Kindern Israel offenbaren.“ Gegeben wird noch der Hinweis: „Maria aber war im Tempel des Herrn, wie eine Taube mit ganz wenig Speise sich beköstigend, und empfing Nahrung aus der Hand eines Engels“ – Darbringung Marias im Tempel, Kathedrale Heraklion.
Bei allen Heiligen feiert die Kirche ihren Todestag als Geburtstag ins ewige Leben, bei Maria und Johannes dem Täufer auch ihren Geburtstag, weil er schon das Mysterium der Erlösung vorwegnimmt. Vom Fest Maria Geburt (8. September) leitet sich das Datum für das Hochfest ihrer „unbefleckten Empfängnis“ ab (8. Dezember). Als künftige Gottesmutter ist Maria schon im Schoß ihrer Mutter Anna (hebr. chana = Gnade) vor jedem Makel der Erbsünde bewahrt, „erwählt vor der Erschaffung der Welt“ (Eph 1,4), die reine Wohnstatt des Sohnes Gottes zu werden. Nach Origenes führt die gläubige Aufnahme des ewigen Samen-Wortes Gottes dazu, dass die Empfangenden „ver-jungfräulicht“ werden und durch Jesu Unterweisung auch seine „Reinheit“ erhalten. Im Alten Testament galten Frauen in der Zeit ihrer Monatsblutung sieben Tage lang als kultisch unrein (Lev 15,19-33; 20,18). Die Alttestamentlerin Dorothea Erbele-Küster kritisiert, dass nach Ezechiel 36,17 die Frau nicht nur „temporär während der Menstruation unrein“ ist, sondern „zum Symbol für die Unreinheit schlechthin“ wird (Kult(un)fähigkeit des geschlechtlichen Körpers, in: Bibel und Kirche 1/2012, 26-29). Weil der Mensch jenseits von Eden sterblich und damit vom Gott des Lebens getrennt ist, gibt es die Sexualität (Engel kennen sie nicht). Mit der Todüberwindung der Auferstehung am (ewigen) „achten Tag“ wird die Welt wieder im biblischen Sinn rein: „Wenn der Mensch vom Baum der Erkenntnis zugunsten des Körperlichen nimmt, entsteht das, was wir einen ‚Zyklus‘ nennen. (…) Und diese Tatsache des Zyklischen nennt man ‚nidda‘… ‚Nidda‘ bezeichnet die Welt, die ‚unrein‘ ist, weil sie zyklisch ist; sieben Tage lang ist sie unrein. Das bedeutet, vom Uranfang aller Dinge und durch alle sieben Phasen hindurch ist die Welt unrein, ‚tuma‘, und erst in der achten Phase, am Abend des siebten Tages, wenn der siebte Tag vorbei ist, wird sie rein. (…) ‚Tuma‘ dauert sieben Tage und erst am achten Tag ist der Eintritt in den Tempel möglich“ (F. Weinreb, Das Opfer in der Bibel, 720f). Als makelloser geisterfüllter ‚neuer Tempel’ hat Maria im Glauben schon Anteil am 8. Tag der Auferstehung ihres Sohnes.