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Warum ist die Inkarnation des Logos ein Hochzeits-Mysterium?
Warum ähneln sich Chanukka und Weihnachten?
Warum kommt Jesus als ewiges Wort jungfräulich zur Welt?
Bild: Ein gehörnter Teufel mit Tierfell, Dreizack und gewandet mit den Farben des Höllenfeuers gehört in Rottenburg am Neckar, einer der Hochburgen der alemanischen Fasnet, ebenso zum närrischen Treiben wie gruselige alte Hexen, die (mit den Zuschauerinnen) ihr Unwesen treiben, sowie in dämonische (Tier-)Masken kosümierte „Narrenhäs-träger“ aller Art. Sie stehen nicht nur für die „dunkle“ und kalte Jahreszeit, die mit dem Erstarken der Frühlingssonne „ausgetrieben“ wird. Sie verkörpern auch die ganze „verkehrte Welt“ (diesseits des Glaubens), die in der „Nacht vor dem Fasten“ (der vorösterlichen Buß- und Reinigungszeit) für kurze Zeit die Oberhand gewinnt, um dann mit der „Fasnetsverbrennung“ kurz vor Beginn des Ascher-mittwochs ihr kurzes teuflisches Dasein wieder zu verlieren. In einer Zeit, wo die (christliche) Religion dahinschmilzt wie die Gletscher in den Alpen, ist vielen nicht mehr klar, welches Spiel an Fasnet (Fasching, Karneval) da eigentlich gespielt wird.
Nicht nur die „Meenzer“ singen an Karneval inbrünstig die Endlos-Schleife vom Geborensein am Rosenmontag in Mainz am Rhein – und dass sie „verloren“ sind am Aschermittwoch: „Denn Rosenmontagskinder müssen närrisch sein.“ Danach dürfte die „fünfte Jahreszeit“, die als solche den Eindruck erweckt, sie sei die Quint-essenz des Lebens, niemals enden. Aber so ganz erst gemeint ist im Fasching ja nichts: Man erfreut sich an der „Leichtigkeit“ des Seins, an der schönsten Buntheit, die jeden so lässt, wie er gerade ist, im ausgelassenen Frohsinn und schrankenloser Geselligkeit – wo alle irgendwie „eins“ zu sein scheinen. Aber es ist eben alles nur Schein und kein Sein, eine „verkehrte Welt“, die die „richtige Welt“ und insbesondere die kommende oder jenseitige Welt ausblendet, vergessen lässt, zur falschen Welt macht. Die „glückselige Fastnacht“ hat an und für sich genug, was sollte es darüber hinaus noch Besseres geben? Der Aschermittwoch bringt die andere Wirklichkeit wieder ins Spiel: „Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück“ (Gen 3,19) – so hört Adam nach dem Sündenfall die Stimme Gottes in seinem Innern und mit ihm alle fortan sterblich geborenen „Adamiten“, das heißt Menschenkinder. Adam selbst, der Erste, ist nicht sterblich geboren, sondern aus der Erde durch Gottes Geist zum lebendigen „Bild Gottes“ gestaltet (Gen 2,7), das Anteil am Himmel (der Engel) hat: „Gott hat den Menschen zur Unvergänglichkeit erschaffen und ihn zum Bild seines eigenen Wesens gemacht. Doch durch den Neid des Teufels kam der Tod in die Welt, und ihn erfahren alle, die ihm angehören“ (Weish 2,23f). In einer evolutiven Welt gibt es kein unvergängliches Leben; aber der Mensch gehört ursprünglich nicht zu dieser nur irdischen, „vierten“ Welt des Tuns (wie nicht nur Judentum, sondern auch die Nayajo-Indigenen Nordamerikas sagen). „Unsere Heimat aber ist im Himmel“ (Phil 3,20), das heißt in der „ersten“ Welt oder nach diesem sterblichen Leben hier auch in der „fünften“ Welt: der wahren Quint-essenz. Darauf weist der „Baum des (ewigen) Lebens“ hin, der zusammen mit dem Erkenntnisbaum von Gut und Böse in der Mitte des Gartens Eden (= Wonne) steht (Gen 2,9). Der Baum des Lebens, Ez HaChajim, 70-90 5-8-10-10-40, hat in der Summe den Wert 233, der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, Ez haDaath tob wara, 70-90 5-4-70-400 9-6-2 6-200-70, hat den Wert 932, das Verhältnis von 233 zu 932 ist 1 zu 4. Mit dem Essen der verbotenen Frucht von der „Vier“ des Irdischen verliert der Mensch den Zugang zur „Eins“ des Himmlischen. Mit der Eucharistie als Frucht vom Kreuz, dem neuen Baum des Lebens, wird ihm der Zugang zum verlorenen Leben wieder eröffnet. In der syro-antiochenischen Liturgie sagt der Priester dem Täufling bei der mit der Taufe gespendeten Erstkommunion: „Die Frucht, die Adam niemals im Paradies gekostet hat [vom Baum des Lebens], wird heute mit Freuden in deinen Mund gelegt“ (zit. nach Bertram Schmitz, Vom Tempelkult zur Eucharistiefeier, 2007, 187, Anm. 9). Zur fruchtbaren Teilnahme an diesem eucharitischen Wandlungs-Geschehen führt der Aschermittwoch jedes Jahr hin. Mit ihm ist daher nicht „alles verloren“, sondern es wird vielmehr alles im „Sohn Gottes“ gewonnen (Röm 8,32).
Bild: Gegenüber einer heute verflogenen Fortschritts-euphorie betont das Judentum: „Mit Ausnahme des 1. Kapitels der Genesis weist die ganze Bibel unaufhörlich auf Sorge, Sünden und Übel dieser Welt hin. Wie Maimonides … gezeigt hat, gelten die Begriffe, die für die Welt bei ihrer Entstehung zutreffen, nicht für die Welt, wie sie ist. Der Schöpfer hatte eine Welt geplant, die gut sein sollte, sehr gut; aber dann geschah etwas Geheimnisvolles, auf das die jüdische Tradition auf vielerlei Weise hinweist, und das Bild der Welt hat sich zutiefst gewandelt. Wo immer die Propheten in der Welt hinblicken, sehen sie ‚Angst und Finsternis, Dunkel der Drangsal‘ (Jes 8,22)“ (Abraham J. Heschel). Jesus hat das in Liebe brennende, reine Herz: Herz-Jesu-Kirche, Freiburg.
Am Tag vor der Bundestagswahl schriebt im „Wort zum Sonntag“ im Tübinger Tagblatt ein evangelischer Glaubensverkünder, Gott habe bereits mit der Erschaffung und Erwählung des Menschen eine „perfekte Wahl“ getroffen. In Psalm 8,5-7 betet der Psalmist voll Staunen: „Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst. Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände, hast ihm alles zu Füßen gelegt.“ Man kann fragen, ob nicht nur angesichts der multiplen Krisen unserer Gegenwart die Erschaffung des Menschen zur ‚Herrschaft‘ eine gute Idee Gottes war. Peter Strasser bezeichnet die Spekulation von Gottfried Wilhelm Leibniz „über die Herrlichkeiten und Wonnen des Kosmos“, um angesichts des Leids und des Bösen in der Welt Gottes Güte und Vollkommenheit zu rechtfertigen, als zynisch, weil sich „die Frage stellt, warum Gott seine creatio ex nihilo – vor der Schöpfung waren ja weder Leid noch Glück ein Thema – nicht hat bleiben lassen. Oder wie es Fjodor M. Dostojewskis Iwan emphatisch ausdrücken wird: Die Tränen eines einzigen Kindes hierorts zerstören die ‚höhere Harmonie‘ des Ganzen“ (Braucht Gott den Teufel?, in: HerKorr-Spezial, Gott – mehr als eine Frage, Okt. 2022, 34-37, 36). Die Figur des Teufels sei aber „im Monotheismus unverzichtbar“; denn: „Nur die autonome Existenz des Teufels, in welcher Ausprägung auch immer, rettet Gott davor, selbst das Teuflische in sich zu tragen“ (ebd.). Der Mensch aber trägt den Teufel (und den Tod: Hebr 2,14) in sich oder den „bösen Trieb“: „Wir sind alle unrein, und all unser gerechtes Tun ist wie schmutzige Lumpen“ (Jes 64,5; vgl. Eph 2,3; Kol 1,21). Jesus sagt: „Von innen, aus dem Herzen des Menschen, kommen die bösen Gedanken: Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft“ (Mk 7,21f). Die Reinigung des unreinen und bösen Herzens ist ein langer Prozess der Umkehr und Verwandlung, die Gottes Gnade unbedingt erfordert (Ez 36,25-28). Einen solchen Menschen des reinen Herzens will & erwählt Gott, denn nur er vermag ihn auch zu schauen (Mt 5,8) – wie Jesus.
Bild: Paulus verkündet im Gekreuzigten „das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor aller Zeit vorausbestimmt hat zu unserer Verherrlichung“ (1 Kor 2,7). Die alte Christenheit sah im Kreuz das „grüne Holz“ oder den Baum des Lebens im Paradies, der im Judentum mit der Thora (im geistigen Sinn) als „Weisheit“ identifiziert wird (Spr 3,18). Der jüdische Religionsphilosoph, chassidische Rabbiner und Mystiker Abraham Joshua Heschel (1907–1972) beklagte, dass in der jüdischen Tradition der ‚Geist‘ diskreditiert worden sei: „Alle wissen, dass Judentum eine ‚Last‘ ist. Wer aber weiß noch, dass es auch ‚Freude im Geist und das Paradies der Seele‘ ist, dass ‚der Sabbat ein Vorgeschmack der kommenden Welt‘ ist?“ (Der einzelne Jude und seine Pflichten, 1957) – der Welt, die mit der Auferstehung Jesu am ‚achten Tag‘ (Sonntag) jenseits der vergänglichen Sieben-Tage-Schöpfung schon angebrochen ist.
Die evangelische Religionspädagogin Friedel Kriechbaum findet, die im Kreuz zentrierten christlichen Frömmigkeitstraditionen würde sie „nicht verlocken, Christin zu werden“: „Ist das der Sinn des Kreuzes Jesu: ein Gefolterter im Mittelpunkt des Glaubens? Leid demütig ertragen, fixiert sein auf Schuld und Schuldgefühle – wie könnten daraus Freude und Lust am Leben erwachsen?“ (Gedanken zum christlichen Verständnis des Kreuzes Jesu, in: Meditation 1/2006, 2-5, 2). Demgegenüber fragt Gotthard Fuchs: „Warum nur haben wir ‚das Kreuz, von dem die Freude in die Welt kam‘, wie es in der alten Karfreitagsliturgie hieß, derart einseitig zum Leidenswerkzeug, zum Opfer-, ja Folterinstrument werden lassen? Ob wir im dritten Jahrtausend wieder an das erste anknüpfen: das Kreuz als Triumph, als Lebensbaum, als Thron, als Mandala, als Schmetterlingskreuz?“ (Die Vierung, in: CiG 12/2005, 91). Bei der Kreuzverehrung singt die Ostkirche die Antiphon: „Dein Kreuz, o Herr, verehren wir, und deine heilige Auferstehung preisen und rühmen wir: Denn siehe, durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt...“ Das Kreuz bringt Segen und Leben, Frieden und Heil, Freude und Hoffnung: „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung“ (GL 296). „O heiliges Kreuz, sei uns gegrüßt,/ du einzge Hoffnung dieser Welt“ (Venantius Fortunatus; GL 299,5). Nicht nur dem mitgekreuzigten reumütigen Räuber, sondern allen Gläubigen, die in der Taufe mit Jesus „mitgekreuzigt“ wurden (Röm 6,6), verheißt der Gekreuzigte: „Noch heute wirst du mit mir im Paradies sein“ (Lk 23,43). Das Paradies ist der Ort der „Wonne“ und Lust (an Gott), der übergroßen Freude im Heiligen Geist, den Jesus am Kreuz ‚überliefert‘ (Joh 19,30). Der Geist ist Gottes größtes Freudengeschenk an den Menschen, symbolisiert im wohlriechenden „Freudenöl“ (Jes 61,3). Mit ihm ist jeder Christi gesalbt (und gefirmt) so ist er „ein Christ geworden, das heißt ein durch den Heiligen Geist ‚Gesalbter‘, eingegliedert in Christus, der zum Priester, Prophet und König gesalbt ist“ (KKK 1241). Grund zur überströmenden Freude im Geist gibt das mit Jesus schon gekommene Reich Gottes (Mt 9,15; Joh 16,20-22); es gleicht einem im Acker verborgenen kostbaren Schatz oder einer noch unentdeckten schönen Perle: „Und in seiner Freude verkaufte er alles, was er besaß, und kaufte den Acker“ (Mt 13,44-46).
Bild: Als „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29), opfert Jesus sein Leben für die Sünden der Menschheit (Joh 10,17). Er hat sich also nicht umbringen lassen, sondern kommt in die Welt, „um deinen Willen, Gott, zu tun“ (Hebr 10,7). Jesus ist „Urheber und Vollender des Glaubens; er hat angesichts der vor ihm liegenden Freude das Kreuz auf sich genommen, ohne auf die Schande zu achten, und sich zur Rechten von Gottes Thron gesetzt“ (Hebr 12,2). Jesus lässt sich freiwillig festnehmen (Mt 26,53f.56; Joh 18,11): Münster Freiburg, Westportal.
Die Aufforderung Jesu, seinen Feinden nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sondern ihnen mit „Liebe“ zu begegnen (Lk 6,35: „Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt“), durchbricht das Gesetz der Reziprozität zugunsten einer „größeren Gerechtigkeit“ und „Vollkommenheit“ (Mt 5,20.48), die auch die „Barmherzigkeit“ einschließt (Mt 5,7.10; Lk 6,36). Gott gibt ja seinen Sohn zur „Versöhnung“ mit dem „Sünder“ in den Tod, „als wir noch (Gottes) Feinde waren“, und werden so im Glauben gerecht gemacht „gerettet durch sein Leben“ der Auferstehung (Röm 5,11). „Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen“ (Röm 11,32). Das heißt aber nicht, dass der Mensch ‚ungehorsamer Sünder‘ bleiben soll, sondern angesichts der unbegreiflichen Feindesliebe Gottes soll er sich mit Gott versöhnen lassen und sich dazu bekehren, „aus der Macht der Sünde befreit … zu Sklaven der Gerechtigkeit“ zu werden (Röm 6,18). Die Macht der Sünde wirkt besonders durch den Tod: „Der letzte Feind, der entmachtet wird, ist der Tod“ (1 Kor 15,26). Gottes Wort hat voller Erbarmen „in gleicher Weise (wie die Menschen) Fleisch und Blut angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel…“ (Hebr 2,14). Der Teufel ist der „böse Feind der menschlichen Seele“ von Anfang an, „Luzifer, der Todfeind unserer menschlichen Natur“ (Ignatius von Loyola, Exerzitienbuch). Ihn soll der Mensch nicht lieben; ihn liebt auch Gott nicht und auch nicht die, die bis zuletzt in seinem Bann bleiben: „Ist Gott – ich (Paulus) frage sehr menschlich – nicht ungerecht, wenn er seinen Zorn walten lässt? Keineswegs! Denn wir könnte Gott die Welt sonst richten?“ (Röm 3,5f). Auch die Gläubigen waren durch die „Ursünde“ Adams „von Natur aus Kinder des Zorns wie die anderen“ (Eph 2,3), bevor sie durch den Glauben in der Taufe „Kinder des Lichts“ (Eph 5,8) geworden sind. „Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht“ (Joh 3,19). Gott wird Mensch, um den Menschen „aus der Finsternis in sein wunderbares Licht“ zu rufen (1 Petr 2,9). Dieses Licht des Glaubens bedeutet nicht Gewaltverzicht – Jesus treibt die Händler mit Gewalt aus dem Tempel (Joh 2,15) –, auch nicht Verzicht auf das Gericht (Joh 12,31), sondern Durchbrechen der Gewaltspirale zugunsten des Glaubens.
Bild: Nach Adin Steinsaltz wird die unterste, zehnte Sefira Malchut (Königreich) im Sefirot-Baum , „wenn Malchut in der Welt enthüllt wird, … ‚Schechina‘ genannt, das Aufleuchten des Göttlichen in der Wirklichkeit der Welt, als innerer Lebensgeist von allem, was ist.“ Schechina ist die „‘Einwohnung‘, die Gegenwart der Heiligkeit in der Welt“ (Die dreizehnblättrige Rose, 2011, 231). Nach F. Weinreb lebt die Schechina „in dieser Welt in Verbannung, sie leidet hier. Das zeigt, dass dieses Konkrete so wichtig ist, dass Gott – um es zu Stande zu bringen und in Stand zu halten – seine ‚schechinah‘ hierherschickt. Es ist dieselbe Geschichte, die im Neuen Testament als die Ankunft von Jesus in dieser Welt und seinem Leiden hier erzählt wird“ (Der Weg durch den Tempel, 2000, 280). Modell des Allerheiligsten des Zweiten Tempels auf Campus des Jerusalemer Israel-Museums.
Für den jüdisch-orthodoxen Religionsphilosophen Michael Wyschogrod (1928–2015) ist durchaus denkbar, in der Menschwerdung des Logos oder der Weisheit in Jesus „die Steigerung der Lehre von der Einwohnung Gottes in Israel“ zu sehen (zit. nach Walter Homolka, Der Jude Jesus – eine Heimholung, 2020, 162). Die Inkarnation ist für Wyschogrod „nicht grundsätzlich antithetisch zum Judentum“; gleichwohl erachtet er sie doch als nicht akzeptabel, weil „das, was dem jüdischen Volk als Ganzem zukommt, im Christentum einem einzelnen zugeschrieben wird. Das sei der Differenzpunkt zwischen Judentum und Christentum“ (Hans Hermann Henrix, Jesus Christus im jüdisch-christlichen Dialog, in: Stimmen der Zeit 1/2006, 43-56, 50). Als der neue Adam ist Jesus kein ‚Einzelner‘, sondern der ‚Stammvater‘ des neuen, durch Glauben und Taufe als ‚Neuschöpfung‘ (2 Kor 5,17) erlösten Menschengeschlechts. Im Judentum geschieht die Einwohnung des einen Gottes dort, wo die Zweiheit und Gegensätzlichkeit der Welt ‚aufgehoben‘ ist: in dem einen Tempel in Jerusalem als ‚Mitte‘ und ‚Mittler‘ zwischen Gott und der Welt. Er ist der (sakramentale) Ort des Heiligen als In-eins von unsichtbarer und sichtbarer Welt, Geist und Sinnlichkeit – von Gott selbst erbaut mit dem Grundstein Schethi-jah vor der Bundeslade als innerster Mitte; Friedrich Weinreb schreibt: „Das Haus steht immer als Prinzip in der Mitte überhaupt. (…) Eine Mitte (ist) immer das Zentrale, Wichtigste…, die Achse, um die sich alles bewegt, wodurch alles seinen Ort und seinen Sinn findet. In dieser Welt ist die Mitte der Ort Israel, das ‚Land‘, die ‚Welt‘, die Erde Israel. Und davon ist die Mitte der Ort, die Stadt Jerusalem. In dessen Mitte steht der Berg des Hauses, und in dessen Mitte dann das ‚Haus‘. Und in diesem Haus ist das Heilige wieder die Mitte. Und im Heiligen ist die Mitte das Heilige vom Heiligen. Dort, im Heiligen vom Heiligen, wohnt Gott zwischen den beiden Cherubim auf dem Deckel der Lade des Bundes. Des Bundes von Gott und Mensch, von Himmel und Erde. Diese Mitte des Lebens, siebenfach, enthält als letztes, als Achtes, Gottes schechinah, sein Wohnen, sein Ruhen zwischen den beiden Cherubim“ (Das jüdische Passahmahl, ³2023, 269). Jesus ist als der am ‚achten Tag‘ (Sonntag) Auferstandene der „König des achten Tages“ (Weinreb) und der neue, reine Tempel der Einwohnung Gottes für alle, die an Jesu Namen glauben und den Vater „im Geist und in der Wahrheit“ anbeten (vgl. Joh 2,21f; 4,23).
Bild: Zur Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11) kommt Jesus mit seiner Mutter Maria als der verborgene wahre Bräutigam: „Wer die Braut hat, ist der Bräutigam“, sagt Johannes der Täufer (Joh 3,29), der auf Jesus als „Lamm Gottes“ hingewiesen hat, der am Kreuz „die Sünde der Welt hinwegnimmt“ (Joh 1,29). In seiner Hingabe am Kreuz erwirbt sich Jesus als wahres Osterlamm mit seinem „Blut des Bundes“ zur Vergebung der Sünden (Mt 26,28; Ex 24,8) die Kirche als „makellose“ Braut, mit der er „ein Geist“ und „ein Fleisch“ sein kann (Eph 4,4; 5,27-31); Jesus zur Ehe: „Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins“ (Mt 19,6)
Augustinus deutet die Inkarnation des Logos (Wortes) im Schoß der Jungfrau Maria als ein bräutliches Hochzeits-Mysterium; dabei bezieht er die Bräutigam-Sonne von Psalm 19,6 auf Christus im Kontext seiner Auslegung des Weinwunders auf der Hochzeit zu Kana: „Denn das Wort ist der Bräutigam und die Braut das menschliche Fleisch, und beides der eine Sohn Gottes und zugleich der Sohn des Menschen. Indem er das Haupt der Kirche wurde, war jener Schoß der Jungfrau Maria sein Brautgemach; und dort ging er hervor wie ein Bräutigam aus seiner Kammer, wie die Schrift vorhergesagt hat: ‚Und gleich einem Bräutigam, der hervorgeht aus seiner Kammer, frohlockt er, zu laufen wie ein Held seinen Weg.‘ Aus dem Brautgemach ging er hervor wie ein Bräutigam und kam eingeladen zur Hochzeit“ (Vorträge über das Evangelium des hl. Johannes, Bd. 1, 1913, 139). In den alten Kulturen sind Sonne und Mond (Sol und Luna) die kosmischen Repräsentanten des männlichen und des weiblichen Prinzips, so auch im alten China mit Yang und Yin. Nach dem Sinologen Frank Fiedeler (1939–2004) hängt das weibliche Yin-Prinzip auch eng mit der Sexualität zusammen. Danach konstituiert das weibliche Yin als Essenz der weiblichen ‚Möndin‘ die Sexualität des Körpers, wie auch nach Parmenides die ‚Mondgöttin Daimon‘ als ‚ersten der Götter‘ den Eros ersonnen hat (Yin und Yang oder: Die Absolute Polarität (Taiji), in: Peter C. Mayer-Tasch [Hg.], Die Zeichen der Natur, 1998, 221). Die Schlange wiederum symbolisiert in China als „das heimtückischste Tier“ den „tiefsten Yin-Geist“ an der Nahtstelle zwischen den zwei Jahreshälften (Hu Hsiang-fan, China – Land zwischen Himmel und Erde, 2008, 28). Paulus versteht die Kirche (von Korinth) als ‚neue Eva‘ und warnt sie gleichzeitig vor der Täuschung durch die Paradiesschlange: „Ich habe euch einem einzigen Mann verlobt, um euch als reine Jungfrau zu Christus zu führen. Ich fürchte aber, wie die Schlange einst durch ihre Falschheit Eva täuschte, könntet auch ihr in euren Gedanken von der aufrichtigen und reinen Hingabe an Christus abkommen“ (2 Kor 11,2f). Eva, chawah, 8-6-5 = 19, wird von Gott Adams ‚Rippe‘, zela, 90-30-70 = 190, ‚gebaut‘ (Gen 2,21f). Der Metonische Luni-solarzyklus der Angleichung von Sonnen- und Mondjahr dauert 19 Jahre. Luna ist der „Urgrund aller Geburt“ (Joh. Lydos) und des Todes, die neue Eva Maria als Urbild der Kirche steht auf dem Prinzip ‚Schlange‘ (Offb 12,1f): Sie ist der ‚Urgrund‘ der neuen Wiedergeburt in der Taufe.
Bild: Das acht Tage lang gefeierte jüdische Lichterfest Chanukka, am 25. Kislew fiel im Jahr 2024 mit dem Weihnachtsfest am 25. Dezember zusammen, das ebenfalls acht Tage bis zur Oktav am 1. Januar (Hochfest der Gottesmutter Maria und Beschneidung des Herrn) dauert. Israel feiert mit dem Fest Chanukka seine Hoffnung, dass es auch nach Unterdrückung und Zerstörung letztlich doch kein tragisches Ende nimmt – auch wenn der wieder aufgebaute und eingeweihte Zweite Tempel gut 230 Jahre nach der Entweihung erneut im Jahr 70 n. Chr. (von den Römern) zerstört wurde; Rabbiner Julian-Chaim Soussan sagt: „Das eigentliche Wunder von Chanukka … besteht darin, dass wir überhaupt heute noch überall auf der Welt Chanukka feiern“, dass wir „nicht aufgeben“ (Interview Orthodoxer Rabbiner schöpft Hoffnung aus Chanukka, Domradio, 24. Nov. 2021). Titusbogen mit siebenarmiger Menorah, Rom.
Walter Homolka erklärte zu Chanukka: „Wir Juden warten in der Adventszeit auf nichts und niemanden, nicht auf das Weihnachtsfest und nicht auf eine mögliche Wiederkunft Jesu. Und doch verbindet uns gerade in der dunklen Jahreszeit die Sehnsucht nach Licht und Wärme“ (katholisch.de, 10. Dez. 2020). In den acht Tagen von Chanukka wird jeden Tag ein neues Licht auf dem acht-armigen Leuchter entzündet. Die ‚Acht‘, schmonah, 300-40-50-5, hat denselben Wortstamm wie ‚Salböl‘, schemen, 300-40-40, als Symbol des Geistes Gottes. Das Judentum feiert mit Chanukka ein Ölwunder bei der Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem im Jahr 164 v. Chr, den die hellenistischen Eroberer (assyrische Hellenisten) entweiht hatten, indem sie dort eine Zeus-Statue aufstellten und die jüdische Religionsausübung verboten: Alle Öle für den Leuchter waren daher unrein bis auf „ein einziges mit dem Siegel des Hohenpriesters versehenes Krüglein mit Öl, das nur so viel enthielt, um einen Tag zu brennen. Aber es geschah ein Wunder, und es brannte davon acht Tage“ (Talmud). So konnte Gott wieder neu in der Welt (im Tempel) einwohnen- Das aber ist gerade auch der Sinn des Weihnachtsfestes; Friedrich Weinreb schreibt: „Die Geschichte [des Ölwunders] will unter anderem sagen, dass dieses besondere Öl, welches das Licht im Tempel spendet, die Eigenschaft hat, die Natur zu durchbrechen, sobald man den Tempel wieder vom Götzendienst reinigt und sobald man beginnt, neues Öl zu bereiten. Dann wird dieses Öl sieben Tage hindurch bis in den achten Tag leuchten. Dann kann die neue Welt mit dem neuen Öl beginnen, als Licht für den Tempel zu dienen – dem Tempel … als Wesen dieser Welt. Das Geschlecht, das die Initiative bei den Erneuerungsmaßnahmen ergriff, … war das Geschlecht der Hasmonäer. (…) Und der Name Chaschmonaim – also die ‚Hasmonäer‘ – hat wieder die Acht als Stamm“ (Schöpfung im Wort, ³2012, 239f). Den Bezug zum Salböl des Messias-Bräutigams hat auch der achte der zwölf Söhne Jakobs, Ascher: „Von Ascher kommt das Öl für diese Salbung“ (237). Im Segen des Moses heißt es von Ascher: „In Öl bade er seinen Fuß“ (Dtn 33,24). Wegen dieses engen sprachlichen Bezugs zwischen Salböl und Acht ist der Geist-Gesalbte nach Weinreb der „König des achten Tages“ (245), das heißt des Sonntags der Auferstehung in der kommenden Welt.
Bild: Die Fleischwerdung des ewigen Wortes aus Maria wird dargestellt durch die „mystische Einhorn-Jagd“: Gabriel bläst ins Jägerhorn, die Jagdhunde treiben das weiße oder goldene (lichtvolle) Einhorn in den reinen Schoß der Jungfrau. Als neue Eva ist Maria im Glauben voll der Gnade (Lk 1,30.38.45); ihr Sohn erhält den Namen Jesus = JHWH rettet (V.32), denn er versöhnt und eint die Erde mit dem Himmel (Kol 1,20; Lk 2,11). So steht sie nicht mehr unter dem ‚Fluch‘ aufgrund des Sündenfalls durch die ‚Schlange‘ (Trieb-natur; Gen 3,14-17). Einhorn-Jagd, Dom zu Erfurt.
Nach der jüdischen Tradition wird die Welt im sechsten Monat Elul im Tierkreiszeichen Jungfrau erschaffen. Der Mensch Adam kommt als letztes, Himmel und Erde zusammenfassendes achtes Werk am 1. Tag (Freitag) des siebten Monats Tischri, dem Neujahrstag Rosch ha-schana, an dem das Leben durch das Widderhorn (schofar) eingeblasen und später auch Isaak auf ‚übernatürliche‘ Weise von der ‚90-jährigen‘ Sarah geboren wird. Bei seiner ‚Bindung‘ (Opferung) auf dem späteren Tempelberg Mori-jah (Gen 22,2; 2 Chr 3,1) mit 37 Jahren wird er durch einen Widder ersetzt (Gen 22,13). Gott erschafft Adam durch den Anhauch seines Geistes oder Atems, neschem, aus der ‚jungfräulichen‘ Erde (Adama); so ist er vom Himmel und der Erde zugleich (Gen 2,7). Mit der Gabe der Geistseele, neschama, haucht Gott ihm auch sein Wort ein; Friedrich Weinreb schreibt: „Der Unterschied zwischen der ‚neschama‘ und allem anderen wird in der Tatsache gesehen, dass der Mensch mit Gottes Atem das Wort eingeblasen erhält, das Wort Gottes. Mit dem Wort im Menschen ist Gott im Menschen“ (Leiblichkeit, 1987, 29). Neschama hat zu tun mit schem, ‚Name‘ „im Sinne der Potenz, alles benennen zu können [vgl. Gen 2,19f]. Jede Sprache benennt auf ihre Weise alles in der Welt, alles aus dem Denken, Träumen, Hoffen und Lieben. So nennt man im Judentum Gott einfach ‚ha-schem‘, ‚den Namen‘. Denn Gott enthält alles in jeder nur möglichen Hinsicht“ (37). Adam steigt auf die ‚jungfräuliche‘ Erde (Adama) durch die drei oberen Welten oder Welt-Elemente Ruach (Geist), Esch (Feuer) und Majim (Wasser) hinab; die Anfangsbuchstaben ergeben das Wort Reem, ‚Einhorn‘ (Num 23,22; Ijob 39,9f; Ps 22,22; LXX monókeros, Vetus Latina unicornis). ‚Einhorn‘, Reem, bedeutet nach Weinreb „das Wesen, das bei der Schöpfung als erstes Landtier geschaffen wird und eigentlich alle Landtiere repräsentiert. Für die Wassergeschöpfe ist das der Leviathan. (…) Es wird erzählt, dass es einen beständigen Kampf zwischen dem Reem und dem Leviathan gibt. Der Reem versucht, den Leviathan mit seinem Horn niederzustoßen, der Leviathan versucht, mit Flossen und Schwanz den Reem zu vernichten. (…) Das Wort ‚reem‘ drückt aus, dass die drei Elemente, die dem Materie-Element [‚Staub‘, aphar, Erde] vorausgehen, ein Wesen sind. Davon wird im Midrasch erzählt: Wenn Adam, der erste Mensch, ein Opfer bringt, dann ist sein ‚korban‘ [Opfer] der Reem; das heißt, was Adam Gott näherbringt, sind die drei Welten. Denn Adam im Paradieszustand ist noch nicht in der vierten Welt“ (Der Weg durch den Tempel, 2000, 262).